Klinische Pharmakologie Anaesthesist 2014 DOI 10.1007/s00101-014-2335-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

S. Kreuer, Homburg/Saar B. Pannen, Düsseldorf

I. Gradwohl-Matis · A. Brunauer · D. Dankl · M. Dünser Klinik für Anästhesiologie, perioperative Medizin und allgemeine Intensivmedizin, Landeskrankenhaus Salzburg und Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg

Stellenwert von Vasopressin im septischen Schock Kritische Bilanz

Auch wenn der septische Schock in internationalen Empfehlungen immer wieder als persistierende arterielle Hypotonie trotz Volumengabe beschrieben wird, ist der Schock pathophysiologisch und zuletzt auch klinisch durch eine globale Sauerstoffminderversorgung definiert. Die Pathogenese dieser inadäquaten Gewebedurchblutung ist vielschichtig.

Fallbeispiel Ein 68-jähriger Patient wird mit einer Pneumonie und schweren Sepsis mechanisch beatmet. Trotz adäquater Antibiotikagabe entwickelt er innerhalb weniger Stunden Zeichen der inadäquaten Gewebeperfusion [arterielle Laktatkonzentration, 8 mmol/l, Basendefizit, −9,7 mmol/l, Hautmarmorierung über den Kniescheiben (. Abb. 1), kalte Peripherie, zentralvenöse Sauerstoffsättigung 53%, Stundenharnmengen 5–10 ml] sowie eine arterielle Hypotension [mittlerer arterieller Blutdruck (MAP) 50– 55 mmHg], Diese persistiert trotz Gabe von 3,5 l kristalloider Lösungen. Eine kontinuierliche Noradrenalininfusion wird begonnen, um den MAP auf 65– 70 mmHg anzuheben. Danach betragen der zentrale Venendruck 14 mmHg sowie die zentralvenöse Sauerstoffsättigung 56%, und eine Messung des Herzzeitvolumens ergibt 4,5 l/min. Einige Stunden

später wird die Noradrenalindosis auf 0,47 μg/kgKG/min gesteigert, um den MAP zwischen 55 und 60 mmHg zu halten. Die Laktatkonzentration ist unverändert bei 7,9 mmol/l; ebenso Basendefizit (−8 mmol/l), Hautmarmorierung, periphere Temperatur und Oligurie. Soll dieser Patient bei steigendem Katecholaminbedarf zusätzlich Vasopressin erhalten?

Inadäquate Gewebeperfusion Auch wenn der septische Schock in internationalen Empfehlungen immer wieder als persistierende arterielle Hypotonie trotz Volumengabe beschrieben wird, ist der Schock pathophysiologisch und zuletzt auch klinisch durch eine globale Sauerstoffminderversorgung definiert. Diese Definition ist unabhängig vom Vorhandensein einer arteriellen Hypotonie [1]. Neben einer Störung der mitochondrialen Sauerstoffverwertung in der Sepsis ist der septische Schock – wie alle anderen Schockzustände [1] – durch eine inadäquate Gewebeperfusion gekennzeichnet. Die Pathogenese dieser inadäquaten Gewebedurchblutung ist vielschichtig und umfasst direkte Störungen der Mikrozirkulation [2], der myokardialen Pumpfunktion [3] und der peripheren Gefäßregulation. Jüngere Studien zeigten, dass sich bei Patienten im septischen Schock eine sehr schlechte Korrelation zwischen her-

kömmlich verwendeten Endpunkten der Schockbehandlung wie arteriellem Blutdruck oder Herzzeitvolumen und Mikrozirkulation bzw. Organdurchblutung findet [4]. Dies mag einerseits damit zusammenhängen, dass die Mikrozirkulation durch die Sepsis direkt beeinträchtigt wird, und andererseits, dass gerade der arterielle Blutdruck nur in extremen Bereichen (wenn der arterielle Blutdruck z. B. nicht mehr ausreicht, um die koronare Durchblutung adäquat zu gewährleisten) einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Gewebedurchblutung aufweist. Während sich in der klinischen Praxis noch keine apparativen Techniken zur Erfassung der Mikrozirkulationsstörung in der Sepsis durchsetzen konnten [5], rückten die klinische und die laborchemische Untersuchung in den letzten Jahren wieder stärker in den Vordergrund, um einen Schockzustand zu erkennen und im Verlauf zu beurteilen [1]. So haben sich die Beurteilungen der Hautdurchblutung (mithilfe taktiler Erfassung der peripheren Temperatur und/oder Rekapillarisierungszeit bzw. Beurteilung der Hautmarmorierung, [6]), Diurese [7], zentral/gemischtvenösen Sauerstoffsättiung [8] und (des Verlaufs) der arteriellen Laktatkonzentration (sog. Laktat-Clearance, [9]) als klinisch brauchbare Methoden zur Erfassung eines Schockzustands/einer systemischen Hypoperfusion bewährt. Der Anaesthesist 2014 

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Abb. 1 9 Ausgedehnte Hautmarmorierung über der Kniescheibe bei einem Patienten im schweren septischen Schock

Wiederherstellung einer adäquaten Gewebeperfusion Das Ziel der Kreislauftherapie im septischen Shock ist die Wiederherstellung einer adäquaten globalen Gewebedurchblutung. Auch wenn dies im Regelfall mit einem Anstieg des MAP vergesellschaftet ist, kann das pharmakologische Anheben des arteriellen Blutdrucks aus oben genannten Gründen nicht das primäre Ziel der Schockbehandlung sein. Dies trifft nur dann zu, wenn der arterielle Blutdruck so weit abgesunken ist, dass der koronare und/oder zerebrale Blutfluss nicht mehr sichergestellt werden kann. Alle weiteren Therapiemaßnahmen im septischen Schock richten sich nach den derzeit verfügbaren Indikatoren der systemischen Gewebedurchblutung [10]. Untersuchungen belegten, dass sich die Verwendung eines oder mehrerer dieser Parameter als Endpunkte der Schocktherapie in der Sepsis bewährt hat [11, 12]. Somit ist eine auf klinische und laborchemische Aspekte individualisierte hämodynamische Therapie des Patienten unter Berücksichtigung seiner Begleiterkrankungen notwendig. Zur Erhöhung des systemischen Blutflusses stehen Flüssigkeit (bei Hypovolämie), Vasodilatatoren (bei erhöhtem linksventrikulärem „afterload“) und Inotropika (bei eingeschränkter Kontraktilität) zur Verfügung. Vasokonstriktoren können die systemische Gewebedurchblutung außerhalb von Notfallsituationen nur bei generalisierter Vasoplegie durch Redistribution des Blutflusses zu den Vis-

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zeralorganen positiv beeinflussen. Angesichts der Tatsache, dass der septische Schock primär durch eine heterogene Störung der Mikrozirkulation gekennzeichnet ist und in der frühen Phase der Erkrankung zumeist ein verminderter systemischer Blutfluss im Vordergrund steht, wurde der liberale Einsatz von Vasokonstriktoren im septischen Schock zuletzt immer kritischer beurteilt [13]. Die größte Gefahr einer liberalen Anwendung von Vasokonstriktoren in der Frühphase der Sepsis stellt nach Ansicht der Autoren ein durch periphere Vasokonstriktion bedingter Blutdruckanstieg bei weiterhin bestehender oder sogar verstärkter Hypoperfusion dar [14]. Klinisch spiegelt sich eine exzessive Vasokonstriktortherapie durch persistierende oder aggravierende Schockzeichen trotz Blutdruckanstieg wider. In einer Studie von Ait-Oufella et al. [15] war eine hochdosierte Noradrenalininfusion über 6 h bei Vorhandensein einer Hautmarmorierung im septischen Schock mit einer 100%igen Mortalität vergesellschaftet.

Aktuelle Empfehlungen Die jüngsten Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign empfehlen Noradrenalin als Vasokonstriktor der 1. Wahl mit Adrenalin als möglichem Zusatzsubstanz. Dopamin wird als Vasokonstriktor der Reserve bei ausgewählten Patienten mit niedrigem Tachyarrhythmierisiko und relativer Bradykardie empfohlen [16]. Neben den oben genannten Gefahren einer liberalen Anwendung von Vasokonstrikto-

ren in der Frühphase der Sepsis wurden adrenerge Vasokonstriktoren mit zahlreichen unerwünschten Ereignissen assoziiert. Diese können die meisten Organe betreffen, sind aber klinisch an Herz und Immunsystem am relevantesten [17]. In einer prospektiven Observationsstudie an chirurgischen Intensivpatienten traten unerwünschte kardiale Ereignisse bei 48% der Patienten während einer Katecholamintherapie auf [18]. Auch wenn kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden konnte, deuten pharmakologische Überlegungen, eine klare Dosis-Wirkung-Beziehung und histologische Untersuchungsergebnisse [19] auf einen solchen hin. Es sind dabei allen voran unerwünschte kardiale Ereignisse wie neu auftretende Tachyarrhythmien, myokadiale Ischämien oder „stunning“ sowie eine pulmonalarterielle Hypertonie, die eine Kreislaufinstabilität im Schockzustand verstärken und die Gewebedurchblutung weiterbeeinträchtigen [20]. Diese Überlegungen, zusammen mit Hinweisen für eine relative Insuffizienz mehrerer Stresshormone (z. B. Cortisol, Angiotensin, Vasopressin) in der Sepsis, führten dazu, dass die klinische Anwendung von nichtadrenergen Vasokonstriktoren im septischen Schock systematisch untersucht wurde. Die meisten Untersuchungsergebnisse liegen für die Substanz Vasopressin vor.

Physiologische und pharmakologische Aspekte Pharmakologische Wirkung Vasopressin ist ein Nonapeptid, das durch hämodynamische, osmotische und andere Stimuli aus der Neurohypophyse sezerniert wird. Das Stresshormon übt seine Wirkungen durch Bindung an Vasopressin-, Oxytozin- und Purinrezeptoren aus. Mit Ausnahme einiger Gefäßsysteme, wie z. B. der Lungenstrombahn, vermitteln V1a- (oder V1-)Rezeptoren eine arterioläre Vasokonstriktion, die im Bereich der großen Arteriolen besonders stark ausgeprägt ist (A0-Arteriolen, Durchmesser 110–130 μm, [21]) und die die deutliche Steigerung des systemvaskulären Widerstands durch Vasopressin erklärt. Die gefäßverengende Wirkung von Vasopressin

Zusammenfassung · Abstract wird im Gegensatz zu der der Katecholamine unter acidotischen Bedingungen nur wenig abgeschwächt; in der Sepsis kommt es jedoch ebenso zu einer Verminderung der vasopressinvermittelten Vasokonstriktion. Eine Stimulation am V1b- (oder V3-)Rezeptor führt zur Freisetzung zahlreicher anderer Hormone [Kortikotropin (ACTH), Prolaktin, Insulin, Glukagon, Katecholamine, Aldosteron, atrial-natriuretischer Faktor, Endothlin). Die V2-Rezeptoren finden sich primär in den Nieren und vermitteln eine Antidiurese durch Rückresorption von Wasser aus den Sammelrohren. Weitere Effekte von Vasopressin auf die mitochondriale Atmung, Blutgerinnung, Exkretion von Bilirubin, Thermoregulation, Immunfunktion sowie gastrointestinale und endotheliale Funktion wurden in unterschiedlichen physiologischen und klinischen Untersuchungen beschrieben. Vasopressin wird durch unspezifische Peptidasen (Vasopressinasen) metabolisiert und weist eine Plasmahalbwertszeit von 5–15 min auf. Neue Studienergebnisse deuten darauf hin, dass diese Vasopressinasen einer relevanten genomischen Variabilität unterliegen. Sepsispatienten, die den Genotyp TT des Nukleotidpolymorphismus rs4869317 ausprägen, haben eine erhöhte VasopressinClearance, niedrigere Vasopressinplasmakonzentrationen, eine schwerere Kreislaufdysfunktion im Schock und eine höhere Mortalität [22]. Welchen Einfluss individuelle Genotypen auf die Effekte einer exogenen Vasopressinzufuhr haben, wurde bislang noch nicht untersucht. Das am häufigsten in der klinischen Praxis verwendete Vasopressinanalogon ist Arginin-Vasopressin (AVP). Vasopressin wurde als kontinuierliche Infusion in Dosierungen von 0,01–0,067 IU/ min bei Patienten im septischen Schock untersucht [23]. Aufgrund des Risikos von Haut- und Unterhautischämien im Fall einer Extravasation wurde Vasopressin – wann immer möglich – über einen zentralvenösen Zugang infundiert [24]. Auf eine initiale Bolusgabe wurde aufgrund ausgeprägter vasokonstriktorischer Eigenschaften in allen Untersuchungen verzichtet. In nahezu sämtlichen klinischen Untersuchungen wurde Vasopressin als sekundärer Vasokonstriktor verwendet. Der Beginn variierte zwischen modera-

Anaesthesist 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00101-014-2335-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 I. Gradwohl-Matis · A. Brunauer · D. Dankl · M. Dünser

Stellenwert von Vasopressin im septischen Schock. Kritische Bilanz Zusammenfassung Das Ziel der Kreislauftherapie im septischen Schock ist die Wiederherstellung einer adäquaten Gewebeperfusion. Das wachsende Verständnis über die Störungen der Mikrozirkulation in der Sepsis führte dazu, dass die Schockbehandlung zunehmend auf Indikatoren der Gewebeperfusion und in geringerem Ausmaß als zuvor auf arteriellen und zentralvenösen Druckverhältnissen basiert. Mit diesem Wandel hat sich der Stellenwert der Vasokonstriktoren im septischen Schock verändert. Diese Übersichtsarbeit fasst die pathophysiologischen und therapeutischen Eckpunkte der septischen Schockbehandlung zusammen und evaluiert die Evidenz zum Einsatz von Vasopressin als nichtadrenergem Vasokonstriktor im septischen Schock

kritisch. Anhand der vorliegenden Studienergebnisse scheint Vasopressin bei erwachsenen Patienten mit moderatem septischem Schock (Noradrenalinbedarf 15 μg/min, n=378) separat untersucht, zeigte sich eine niedrigere 28Tage-Mortalität in der Vasopressin- verglichen mit der Noradrenalingruppe bei Patienten mit weniger schwerem Schock (26,5 vs. 35,7%; p=0,05). Interessant war dabei, dass sich das Überleben in der Kaplan-Meier-Kurve erst nach dem 10. Tag voneinander unterschied. Dies könnte darauf hindeuten, dass bei den mit Vasopressin behandelten Patienten weniger die akuten hämodynamischen Veränderungen zu einer Mortalitätssenkung beigetragen haben, sondern eher subakute Effekte infolge der verminderten Noradrenalinzufuhr bzw. aufgrund direkter Effekte von Vasopressin, z. B. auf das Immunsystem. In der Gruppe mit schwerem Schock wurde kein Unterschied in der 28Tage-Mortalität zwischen mit Vasopressin und Noradrenalin behandelten Patienten beobachtet (44 vs. 42,5%, p=0,76). Eine Metaanalyse (9 Studien, n=998) identifizierte eine mögliche Mortalitätsreduktion durch die Verwendung von Vasopressin im septischen Schock (Vergleich mit Noradrenalin: 42,5 vs. 49,2%, relatives Risiko 0,87, 95%-KI 0,75–1; p=0,05; [46]). Die Population der VASST nahm jedoch in dieser Analyse einen überproportional großen Anteil ein (80 bzw. 78%), sodass deren zusätzliche Aussagekraft in Bezug auf die Auswirkungen von Vasopressin auf die Sterblichkeit im septischen Schock zu den bereits vorhandenen Ergebnissen der VASST letztlich unklar bleibt. Eine Post-hoc-Analyse der VASST deutete auf eine Interaktion zwischen Vasopressin und Kortikosteroiden in der Behandlung des septischen Schocks hin (p=0,008). Dabei hatten Patienten mit Kortikosteroidtherapie einen Mortalitätsvorteil durch die zusätzliche Verabreichung von Vasopressin verglichen mit alleiniger Noradrenalininfusion (35,9 vs. 44,7%; p=0,03). Im Gegensatz dazu wiesen Patienten in der Vasopressingruppe ohne gleichzeitige Kortikosteroidtherapie eine erhöhte Mortalität verglichen mit noradrenalinbehandelten Patienten oh-

ne Steroidmedikation auf (33,7 vs. 21,3%; p=0,06; [47]). Die potenziell vorteilhaften Mortalitätseffekte durch die Kombination von Vasopressin und Kortikosteroiden wurden von 2 weiteren retrospektiven Studien bestätigt [48, 49]. Eine rezente prospektive Studie, die den Einsatz von Vasopressin als primären Vasopressor in Kombination mit Hydrokortison oder Placebo im septischen Schock verglich, beobachtete niedrigere Dosen sowie eine kürzere Infusionsdauer von Vasopressin bei gleichzeitiger Behandlung mit Hydrokortison. Unterschiede in der Mortalität wurden nicht festgestellt, die Studie umfasste aber mit 61 sicherlich zu wenige Patienten, um einen Mortalitätseffekt nachweisen zu können [50]. Mögliche Erklärungen für diese Beobachtungen könnten Interaktionen der Cortisol- und Vasopressinachse sowie eine kortikosteroidvermittelte Wiederherstellung der Vasopressinrezeptorsensitivität im septischen Schock sein.

Unerwünschte Ereignisse Das wohl wichtigste und wahrscheinlich auch häufigste unerwünschte Ereignis von Vasopressin im septischen Schock ist die kritische Verschlechterung der Mikrozirkulation und Gewebedurchblutung [38, 51]. Dies ist der Erfahrung der Autoren nach häufig die Folge einer Verabreichung von Vasopressin zur numerischen Anhebung des arteriellen Blutdrucks trotz des Vorhandenseins (klinische Zeichen) einer systemischen Hypoperfusion. Interessanterweise erfuhren Patienten in der VASST nur dann eine Mortalitätsreduktion durch die Gabe von Vasopressin, wenn die arterielle Laktatkonzentration vor Randomisierung im Normbereich war [52]. Dies deutet einmal mehr darauf hin, dass eine Vasopressortherapie im septischen Schock lediglich dann die Organdurchblutung verbessern und die Mortalität reduzieren kann, wenn keine relevanten klinischen und laborchemischen Zeichen einer Gewebehypoperfusion vorhanden sind. Weisen Patienten vor Beginn einer Vasopressintherapie ausgeprägte Mikrozirkulationsstörungen infolge eines zu geringen systemischen Blutflusses auf, werden diese häufig durch die Gabe von Vasopressin verstärkt [38, 51, 53]. Der Anaesthesist 2014 

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Klinische Pharmakologie Tab. 1  Unerwünschte Ereignisse, die während Vasopressintherapie beschrieben wurden Unerwünschtes Ereignisa Thrombozytenabfall Anstieg der Serum-Bilirubin-Konzentration Abfall des Herzzeitvolumens bzw. der Sauerstofftransportkapazität Anstieg der Serum-Transaminasen-Konzentrationen Ischämische Hautläsionen Darmischämie Akutes Koronarsyndrom Hyponatriämie

Häufigkeit (%) Bis 73,4 Bis 69,3 Bis 41,1 Bis 28,5 2–30,2 2,3 2 0,3

aKausaler Zusammenhang mit Vasopressintherapie für kein Ereignis bewiesen. Unerwünschte Ereignisse wur-

den zumeist während oder nach Vasopressininfusion beobachtet.

Bei korrekter Indikationsstellung zur Reversierung einer übermäßigen peripheren Vasodilatation bei adäquatem Herzzeitvolumen ist Vasopressin, verglichen mit Noradrenalin, mit einer ähnlichen Rate unerwünschter Ereignisse behaftet [25]. Daten der multizentrischen VASST ebenso wie die der oben genannten Metaanalyse deuten auf eine Häufigkeit von vasopressinassoziierten unerwünschten Ereignissen von ca. 10% im septischen Schock hin [25]. Die wichtigsten unerwünschten Ereignisse, die auch in anderen Publikationen beschrieben wurden, sind in . Tab. 1 zusammengefasst. Weder die VASST noch die erwähnte Metaanalyse konnten einen signifikanten Unterschied in der Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen zwischen einer Vasopressin- und Noradrenalintherapie im septischen Schock nachweisen [25, 46].

Terlipressin Terlipressin ist ein synthetisches Vasopressinanalogon, das durch Exopeptidasen metabolisiert wird und dabei LysinVasopressin freigibt. Terlipressin unterscheidet sich von AVP durch seine deutlich längere Halbwertszeit (ca. 50 min) sowie eine höhere V1-Rezeptor-Selektivität. In manchen Ländern ist Terlipressin der einzige verfügbare V1-RezeptorAgonist. Die Kreislaufwirkungen und das Nebenwirkungsspektrum von Terlipressin im septischen Schock sind weitgehend mit denen von AVP vergleichbar [54, 55, 56]. In den meisten Studien war Terlipressin mit einem Abfall des Herzzeitvolumens vergesellschaftet. Dieser Abfall konnte jedoch durch die gleichzei-

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tige Infusion von Dobutamin kompensiert werden [57]. Eine Studie, die die Effekte von Terlipressin (1,3 μg/kgKG/min) mit denen von Vasopressin (0,03 IU/min) verglich, fand keine Unterschiede in der systemischen und regionalen Hämodynamik. Während ein Anstieg der Biliburin-Serum-Konzentrationen unter Terlipressintherapie seltener als unter Vasopressinzufuhr beobachtet wurde, waren Abfälle der Thrombozytenzahlen in der Terlipressingruppe häufiger [58].

Kind und Neugeborenes im septischen Schock Die Anwendung von Vasopressin oder Terlipressin bei Kindern und Neugeborenen im septischen Schock resultierte in vergleichbaren hämodynamischen Veränderungen wie bei erwachsenen Patienten [59, 60]. Eine multizentrische, prospektive Doppelblindstudie verglich eine niedrig dosierte Vasopressintherapie mit Placebo bei Kindern (0,0005–0,002 IU/ kgKG/min; n=33 resp. n=32; Alter: ein Monat bis 17 Jahre) mit vasodilatorischem Schock (Sepsis, n=54). Die Zeit bis zur hämodynamischen Stabilisierung war zwischen den Studiengruppen vergleichbar (49,7 vs. 47,1 h; p=0,85). Ebenso zeigten sich keine Unterschiede in der Anzahl organversagensfreier Tage (22 vs. 25,5 Tage; p=0,11), ventilatorfreier Tage (16,5 vs. 23 Tage; p=0,15), der Intensivstationsaufenthaltsdauer (8 vs. 8,5 Tage; p=0,93) oder der Häufigkeit unerwünschter Ereignisse (15,2 vs. 3,1%; p=0,15) zwischen den Studiengruppen. Während in der Vasopressingruppe 10 Todesfälle (30%) beschrieben wurden, verstarben in der Kontrollgruppe 5 Patienten (15,6%; re-

latives Risiko 1,94; 95%-KI 0,75–5,05; p=0,24; [61]). Insuffiziente Studienergebnisse über die pharmakologischen Besonderheiten von Vasopressin und Terlipressin sowie mangelnde Kenntnisse über deren kurz- und langfristige Nebenwirkungen bei Kindern und Neugeborenen beschränken die Verwendung von Vasopressin und Terlipressin in der Therapie des pädiatrischen oder neonatologischen septischen Schocks derzeit auf „Rescue“Therapien und klinische Studien.

Schlussfolgerungen Die aktuellen Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign empfehlen, dass Vasopressin bis zu einer Dosierung von 0,03 IU/min zusätzlich zu Noradrenalin verabreicht werden kann, um den Zielblutdruckwert zu erreichen bzw. die Noradrenalinzufuhr bei Patienten im septischen Schock zu reduzieren. Vasopressin wird nicht als alleiniger Vasokonstriktor zur Behandlung des septischen Schocks empfohlen. Beide Empfehlungen wurden nicht durch einen Empfehlungsgrad untermauert. Für die Behandlung septischer Schockzustände bei Kindern wird keine Empfehlung hinsichtlich Vasopressin formuliert. Dennoch halten die Autoren fest, dass Vasopressin bzw. Terlipressin bei Kindern mit extrem erniedrigtem peripherem Gefäßwiderstand trotz Gabe von Noradrenalin erwogen werden kann. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die klinische Evidenzlage für einen möglichen Vorteil sehr gering und Sicherheitsdaten zur Verwendung von Vasopressin bei septischen Kindern und Neugeborenen nicht vorhanden sind [16]. Anhand der vorliegenden Studienergebnisse scheint Vasopressin bei erwachsenen Patienten mit moderatem septischem Schock und fehlenden Zeichen einer systemischen Hypoperfusion (z. B. normale Laktatkonzentrationen) potenziell hilfreich zu sein. Zukünftige Studien sollten die Auswirkungen höherer Vasopressindosen (z. B. 0,04–0,067 IU/min) auf die Mortalität von Patienten mit septischer Vasodilatation untersuchen. Andere klinische Studien müssten die Effekte von Vasopressin auf das Immunsystem bzw. den klinischen Nutzen selektiver V1-Re-

zeptor-Agonisten analysieren. Unabhängig von den Forschungsbemühungen um Vasopressin gilt es, optimale Endpunkte der Schockbehandlung zu identifizieren. Dabei ist es denkbar, dass direkte oder indirekte Indikatoren der Gewebeperfusion makrozirkulatorischen Parametern wie dem arteriellen Blutdruck überlegen sein könnten und somit die Praxis der Vasokonstriktorentherapie im septischen Schock neu überdacht werden muss.

Fazit für die Praxis Der eingangs erwähnte Patient weist nach wie vor Zeichen der systemischen Hypoperfusion auf und sollte daher kein Vasopressin erhalten. Auch wenn der arterielle Blutdruck entsprechend den aktuellen Empfehlungen inadäquat tief ist, würde eine Steigerung desselben durch Vasopressin lediglich eine Monitorkosmetik infolge Erhöhung des peripheren Widerstands darstellen und die Organdurchblutung nicht verbessern, sondern sehr wahrscheinlich sogar verschlechtern. Bei dem beschriebenen Patienten müssen therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, um die systemische und regionale Perfusion zu verbessern. Dies kann primär mit Flüssigkeit und Inotropika erreicht werden. Vasodilatoren sind meist nur bei normo- oder hypertensiven Patienten im septischen Schock indiziert. Verschwinden die klinischen und laborchemischen Zeichen eines inadäquaten systemischen Blutflusses (adäquate periphere Perfusion, zentralvenöse Sauerstoffsättigung >70%, arterielle Laktatkonzentration

[Role of vasopressin in septic shock : critical evaluation].

Restoration of adequate tissue perfusion is the goal of resuscitation in septic shock. A growing understanding of microcirculatory dysfunction in seps...
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