Leitthema HNO 2015 · 63:352–356 DOI 10.1007/s00106-015-0001-1 Online publiziert: 1. Mai 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

A. Sperl · L. Klimek Zentrum für Rhinologie und Allergologie Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland

Die Rolle von Vitamin D bei allergischen Erkrankungen Eine Standortbestimmung

Viele Untersuchungen der jüngeren Zeit haben sich mit dem Zusammenhang zwischen Vitamin D und Allergieentstehung beschäftigt. Dabei wird einerseits ein VitaminD-Mangel für Entstehung und Ausprägung von allergischen Erkrankungen verantwortlich gemacht, andererseits wird eine Vitamin-D-(Über-)Substitution in Verbindung mit der vermehrten Allergieentstehung gesehen. Dem Leser soll mit diesem Artikel ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand vermittelt werden.

Grundlagen von Vitamin D3 Das fettlösliche Vitamin D (Synonyme: Colecalciferol, Cholecalciferol, Calciol) kommt in allen nichtpflanzlichen Eukaryoten vor und kann im menschlichen Körper mit Hilfe von UV-Licht in der Haut aus dem Precursor 7-Dehydrocholesterol gebildet werden. Der historische Begriff „Vitamin“ ist daher eigentlich falsch. Entdeckt wurde es auf der Suche nach einem Heilmittel für Rachitis, die bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts grassierte. Es hat die Funktion eines Prohormons und wird über Calcidiol (syn.: 25(OH)D, 25-Hydroxycholecalciferol, 25-Hydroxyvitamin D) zur eigentlich wirksamen Substanz Calcitriol (syn.: 1α,25-Dihydroxycholecalciferol, 1,25(OH)2D3) umgewandelt. Vitamin D regelt den Kalzium- und Phosphatstoffwechsel und fördert damit die Mineralisierung und Härtung der Knochensubstanz. Darüber hinaus ist Vitamin D an vielen Stoffwechsel-

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vorgängen im Körper beteiligt (u. a. Muskelstoffwechsel oder Infektabwehr). Ein Mangel an Vitamin D kann zu Rachitis bei Kindern oder Osteomalazie bei Erwachsenen führen. Studien aus den letzten Jahren haben Vitamin D eine Rolle bei der Prävention verschiedener Krankheiten zugeschrieben. Ein systematischer Review bzw. eine Metaanalyse [2] fand einen signifikant positiven Effekt durch eine VitaminD-Supplementierung hinsichtlich der Vorbeugung von Atemwegsinfekten bei Kindern, nicht hingegen bei Erwachsenen. Eine regelmäßige tägliche VitaminD-Supplementierung schien dabei am wirksamsten. Die Vitamin-D-Versorgung im menschlichen Organismus wird üblicherweise anhand der Serumkonzentration von Calcidiol beurteilt. Sie spiegelt die Vitamin-D-Zufuhr und die Eigensynthese wider. In Deutschland und den USA wird ein Serumspiegel von mindestens 50 nmol/l als Idealwert angesehen (Normwert bis 50 Jahre: 50–175 nmol/l, > 50 Jahre: 63–175 nmol/l). Ab einer Serumkonzentration von unter 30 ng/ml (= 75 nmol/l) wird der verminderte Einfluss von Vitamin D auf den Kalziumhaushalt kompensiert durch eine gesteigerte Aktivität seines Gegenspielers Parathormon. Bei einer Konzentration unter 11 ng/ml besteht eine ernste Rachitisgefahr für Kinder. Über diese Referenzwerte wird bis heute kontrovers diskutiert, Evidenz über den „normalen“ Vitamin-D-Spiegel im Blut existiert bislang nicht [8, 12]. Konsens gibt es lediglich darüber, dass ein Vitamin-D-Spiegel von 30 ng/ml

(= 75 nmol/l) suboptimal ist [12], allerdings gehen Werte über 75 nmol/l nicht prinzipiell mit einem erhöhten Benefit einher [8]. Konzentrationen < 20 ng/ml (= 50 nmol/l) entsprechen demnach einem Vitamin-D-Mangel [12].

60 % der Bevölkerung »sindRund unzureichend mit Vitamin D versorgt Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) hat die wissenschaftliche Datenlage bewertet [9] und resümiert diese wie folgt: „In Deutschland weisen ca. 60 % der Bevölkerung nach internationalen Kriterien eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung auf. Bei ihnen liegt der Marker für die Versorgung im Blut, die Konzentration des 25-Hydroxyvitamin D (25(OH)D), unter dem gewünschten Wert von 50 nmol/l.“ Faktoren, die den Vitamin-D-Spiegel beeinflussen, sind z. B. Sonnenexposition, Ernährung, Rasse, Alter und BMI. Um 10 μg Vitamin D zu bilden, muss sich ein Mensch mit dem Hauttyp III (mittelhelle Haut, braunes Haar, helle bis dunkle Augen, bräunt langsam und bekommt nur manchmal einen Sonnenbrand) von April bis Oktober auf dem 42. Breitengrad (z. B. Barcelona) zur Mittagszeit mit zu einem Viertel unbedeckter Haut schätzungsweise 3 bis 8 Minuten in der Sonne aufhalten [9]. Da die Sonneneinstrahlung in unseren Breitengraden nur in 6 Monaten des Jahres ausreicht, um diesen Serumspiegel in Eigenproduktion zu erreichen, wird zur Sicherstellung

hierzulande eine Vitamin-D-Substitution empfohlen. In den 90er-Jahren wurde eine EU-Direktive ausgegeben, in der eine Vitamin-D-Beimengung in die Babynahrung empfohlen wurde [17].

In hohen Dosen wirkt »Vitamin D immunsuppressiv Durch die orale Zufuhr von Vitamin D wird der selbstlimitierende Effekt, nämlich die Einstellung der Vitamin-DMetabolisierung nach 30–60 min, umgangen, wodurch viel höhere VitaminD-Spiegel entstehen können als auf natürliche Weise. Eine sonnenlichtbedingte Vitamin-D-Intoxikation ist bislang nicht beschrieben, bei Naturvölkern gemessene Vitamin-D-Spiegel lagen bei ca. 48 ng/ml. Symptome einer Vitamin-D-Hypervitaminose sind schwere Hyperkalzämie mit Hemmung des Parathormons, Erbrechen, Dehydratation, Fieberschübe, Nephrokalzinose und Wachstumsverzögerung bei Kindern. In hohen Dosen wirkt Vitamin D immunsuppressiv – ein Phänomen, das man sich bei Erkrankungen wie z. B. der Multiplen Sklerose zunutze macht [2]. Die empfohlene Tagesdosis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) für die Substitution liegt bei 20 μg (bei fehlender Eigenbildung) [9]. Ab einem Alter von 50 Jahren kann ggf. zur täglichen Vitamin-D-Substitution mit 800–1000 IU Vitamin D geraten werden, um das Risiko von Frakturen zu reduzieren [8]. Nur vereinzelte Lebensmittel wie z. B. Hering oder Makrele (Fettfische, Lebertran) enthalten bedeutende Mengen an Vitamin D. Deutlich geringere Mengen sind enthalten in Leber, Eigelb, in manchen Speisepilzen und Margarine (letztere ist oft mit Vitamin D angereichert). Als Arzneimittel z. B. zur Behandlung einer Osteoporose werden Vitamin-DPräparate mit Tagesdosen von über 10 μg (> 400 IE) verwendet. Dabei sind Präparate mit einer Tagesdosis von 10–25 μg (> 400–1000 IE) apothekenpflichtig und solche mit einer Tagesdosis über 25 μg (> 1000 IE) verschreibungspflichtig [9]. Pro800 IUVitamin Dsteigt25(OH)D um 8–16 nmol/l [8], das Dosis-Wir-

kungsverhältnis verläuft allerdings nicht direkt linear und wird durch viele Faktoren (z. B. Saison, Adipositas, Hautpigmentierung) beeinflusst. Routine-Testungen sind nicht weiterführend, da bei Vitamin-D-Assays eine große Messwertvariabilität mit einem Variationskoeffizienten von 10–20 % besteht [8]. Daher ist auch eine Veränderung des Vitamin-D-Spiegels nach der Gabe von 800 IU/d evtl. nicht erkennbar. Eine Vitamin-D-Bestimmung wird nur bei konkreten Indikationen empfohlen, z. B. Erkrankung der Nebenschilddrüsen, Hyper- oder Hypokalzämie, Hyperphosphatämie, schwere Leber- oder Nierenerkrankungen, Malabsorptionssyndrom, bei Einnahme von Medikamenten, die den Vitamin-D-Stoffwechsel (z. B. Valproat) oder die Vitamin-D-Absorption (z. B. Cholestyramin) beeinflussen [8].

Immunmodulierende Effekte von Vitamin D TH1-/TH2-Balance Calcidiol hemmt über Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) die T-lymphozytäre Interleukin-2-(IL-2-) Produktion. Die Inhibition von IL2 führt zur verminderten Differenzierung von TH1-Zellen [16]. Vitamin D fördert darüber hinaus die TH2-Antwort durch Regulierung entsprechender Zytokine, was zu einer gesteigerten Produktion von IL4, IL5 und IL10 führt [12]. Diese TH2Zytokine regulieren unter anderem die Produktion von IgE-Antikörpern. Die Hemmung in der Ausbildung von T-Helfer-Lymphozyten mit einem TH1-/TH2Missverhältnis zugunsten von TH2 ist bekanntlich der Hauptmechanismus der Allergieentstehung. In einer anderen Studie [13] wurde gezeigt, dass Vitamin D bei Patienten mit allergischer Rhinitis einen Effekt hat auf die TH1/TH2Balance im Sinne einer negativen Korrelation zwischen dem TH2-Zytokin IL4 und Vitamin D und somit ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Allergie (gesteigerte TH2-Antwort) bestehen könnte.

Dendritische Zellen Möglicherweise ist zur Allergieinduktion noch nicht einmal die systemische Wirkung von Vitamin D notwendig. Denn neben den oben beschriebenen immunmodulatorischen Mechanismen beeinträchtigt Calcidiol zusätzlich die Ausbildung von dendritischen Zellen (DC), die eine wichtige Rolle bei der Immunantwort spielen [16]. DCs befinden sich in der Haut, in der Schleimhaut der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts und haben die Funktion der Antigenprozessierung und -präsentation von zuvor intrazellulär aufgenommenen Antigenen. Sie sind in der Lage, eine primäre Immunantwort zu induzieren, indem sie in sekundären lymphatischen Organen (Lymphknoten) naive T-Zellen aktivieren und dadurch die spezifische zelluläre Immunabwehr verstärken. Dabei beeinflussen DCs maßgeblich die Ausbildung der TH-Subgruppen: Ihr Kontakt mit bakteriellen Fremdantigenen führt zur Proliferation von TH1Zellen, ihr Kontakt mit Allergenen führt bei entsprechender genetischer Disposition zur Ausbildung von TH2-Zellen, die bei Allergikern erhöht nachgewiesen werden. Die Folge ist eine gesteigerte Expression von TH2-Zytokinen, welche unter anderem die Produktion von IgEAntikörpern regulieren.

Vitamin D inhibiert »dendritische Zellen und hat eine antiinflammatorische Wirkung Brosbøl-Ravnborg et al. [3] untersuchten den Einfluss von Vitamin D auf den Reifungsprozess humaner DCs. Die Arbeitsgruppe konnte eine Inhibition von DCs und somit eine antiinflammatorische Wirkung durch Vitamin D nachweisen. Unmittelbar nach der Resorption von Vitamin D einsetzende lokale Effekte in der Darmschleimhaut (sowohl Kolonzellen als auch Makrophagen besitzen alle notwendigen Konversionsenzyme) genügen offensichtlich, um die Entwicklung von DCs zu hemmen und die zelluläre Immunabwehr herabzusetzen [16]. (Nahrungsmittel-)Allergene können so HNO 5 · 2015

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Leitthema ohne nennenswerten Aktivitätsverlust den Magen-Darm-Trakt passieren. Dieser Effekt plus die zuvor beschriebene Störung in der Entwicklung von THelfer-Lymphozyten kann eine entsprechende Sensibilisierung fördern. Dieses Modell würde auch erklären, weshalb der sog. „allergische Marsch“ im Kleinkindalter oft mit Nahrungsmittelallergien beginnt.

Einfluss von Vitamin-D-Rezeptoren auf die T-Zell-Population Der Vitamin-D-Rezeptor (VDR) gehört zur Familie der Steroidrezeptoren. Er zählt zur Superfamilie der nukleären Rezeptoren und ist hochaffin für Calcitriol. Als Calcitriol-bindender Rezeptor ist er ein sog. ligandenaktivierter Transkriptionsfaktor, der die Transkription von mehr als 900 Zielgenen aktiviert oder hemmt und so den Stoffwechsel beeinflusst.

Mikroorganismen können die »Immunantwort der Vitamin-DRezeptoren beeinflussen Studien belegen übereinstimmend, dass die VDR-Expression und -Aktivität sowohl bei der T-Zell-Entwicklung, der Differenzierung und bei der Auslösung von Effektorfunktionen eine wichtige Rolle spielen. T-Zellen sind bekanntlich von großer Bedeutung sowohl für die protektive Immunität als auch für die Entwicklung entzündlicher Erkrankungen. Die meisten Studien, die zu diesem Thema vorliegen, sind allerdings tierexperimenteller Art. Dabei stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen, weil Tierstudien aufgrund der Tatsache, dass die Versuchstiere in der Regel in einer pathogenfreien Umgebung aufwachsen, keine „Real-life“-Situation widerspiegeln und natürlich auch die generellen immunologischen Unterschiede zwischen Tiermodellen und Humansituation beachtet werden müssen. Denn es gibt Hinweise, dass Mikroorganismen zur Verbesserung ihrer Überlebenschancen im Wirt dessen Immunantwort über VDR beeinflussen können [7]. Zum Bei-

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Zusammenfassung · Abstract HNO 2015 · 63:352–356 DOI 10.1007/s00106-015-0001-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg A. Sperl · L. Klimek

Die Rolle von Vitamin D bei allergischen Erkrankungen. Eine Standortbestimmung Zusammenfassung Hintergrund. Viele aktuelle Studien widmen sich dem Zusammenhang zwischen Vitamin D und der Entstehung und Ausprägung von allergischen Erkrankungen. Als Ursache werden dabei sowohl ein Vitamin-D-Mangel als auch eine Vitamin-D-(Über-)Substitution diskutiert. Ziel der Arbeit. Dem Leser soll mit diesem Artikel ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand vermittelt werden. Gleichzeitig werden die problematischen Aspekte bei der Beurteilung dieser Studien dargestellt. Ergebnisse. Die paradoxe Wirkung von Vitamin D wird aktuell sowohl mit einer epigenetischen Programmierung in der Schwangerschaft, als auch mit einem zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel und mit

einer exzessiven Nahrungsergänzung im Neugeborenenalter erklärt. Darüber hinaus wird auch eine geschlechterspezifische Wirkung von Vitamin D als Ursache in Betracht gezogen. Schlussfolgerung. Für eine abschließende Beurteilung des möglichen Einflusses von Vitamin D auf die Entstehung von Allergien sind weitere Studien notwendig. Da die bisherigen Beobachtungsstudien in Bezug auf zentrale Aspekte einen hohen Grad an Heterogenität aufweisen, sollten zukünftig randomisierte klinische Studien durchgeführt werden. Schlüsselwörter Vitamin D · Allergie · Allergische Rhinitis · Sensibilisierung · Nahrungsergänzung

Role of vitamin D in allergic diseases. Current research status Abstract Background. Recent research has focused on the relationship between vitamin D and allergy development. Results show that on the one hand a vitamin D deficiency can be responsible for the emergence of allergies, however, on the other hand a vitamin-D (over-) substitution was also seen in context with an increased allergy development. Objective. This article provides an overview on the current state of research and points at the problematic aspects that accompany the assessment of these studies. Results. The paradoxic effect of vitamin D is currently being explained by epigenetic programming in pregnancy, by too low vit-

spiel wurde in einer Studie beobachtet [6], dass Aspergillus fumigatus ein Toxin (Gliotoxin) sezerniert, welches in der Lage ist, die VDR-Expression von Makrophagen und von Epithelzellen der Atemwege zu senken. Dies erlaubt es Pathogenen bzw. Mikroorganismen, in Gewebe und Blut zu akkumulieren und die Immunabwehr weiter zu schwächen [6]. Je mehr Pathogene inkorporiert sind, desto mehr zeigen sich Symptome eines chronisch-inflammatorischen Prozesses.

amin-D levels or excessive supplementation in newborns. Very recently, a gender-specific impact of vitamin D is also being discussed. Conclusion. For a final assessment of vitaminD effects on the emergence of allergies, further research is necessary. Due to a high level of heterogeneity among current observational studies regarding central aspects of the discussion, randomised clinical trials are recommended. Keywords Vitamin D · Allergy · Allergic rhinitis · Sensitization · Dietary Supplements

Diesbezüglich gibt es immunmodulatorische Therapieansätze, bei denen die VDR-Expression verstärkt werden soll [7]. In einer Untersuchung an Patienten mit angeborener Vitamin-D-resistenter Rachitis (Fanconi-Syndrom) [1] wurde ein gewisser Schutz der Erkrankten gegenüber provozierter bronchialer Hyperreagibilität und Asthma beobachtet. Dieser Umstand lässt vermuten, dass inaktive Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) auch ei-

ne wichtige Rolle in der Pathophysiologie des Asthmas spielen.

Allergie durch Vitamin-DMangel oder -Substitution? Sowohl klinische, epidemiologische als auch tierexperimentelle Studien haben einen Zusammenhang zwischen Vitamin D und Allergie beobachtet. Während experimentelle und präklinische Studien Vitamin D eher eine protektive Rolle zuschreiben, zeigen klinische Daten weniger eindeutige Ergebnisse. Diese sind kontrovers dahingehend, dass sowohl einem Vitamin-D-Mangel als auch einer Vitamin-D-Supplementierung gleichsinnige Wirkung zugeschrieben wird. Im Folgenden werden einige aktuelle Studien vorgestellt, deren Ergebnisse eine konträre Wirkungsweise von Vitamin D auf Allergien widerspiegeln: Eine deutsche Forschergruppe untersuchte vor dem Hintergrund der Zunahme von Nahrungsmittelallergien seit der in den 90er-Jahren eingeführten Vitamin-D-Rachitisprophylaxe [15] den Zusammenhang zwischen mütterlichen Vitamin-D-Spiegeln und allergischen Erkrankungen in der frühen Kindheit (n = 378). Die Ergebnisse zeigten ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittelallergien bei hohen Vitamin-D-Spiegeln während Schwangerschaft und Geburt. Eine Vitamin-D-Substitution in der Schwangerschaft wird von den Autoren auf Basis der Studienergebnisse nicht mehr empfohlen. Die Mehrheit der Mütter in dieser Studie wies verminderte oder mangelhafte und die Hälfte der Neugeborenen mangelhafte Vitamin-DWerte auf. Vergleichbare Werte wurden allerdings auch in anderen nichtäquatorialen Gegenden gemessen [15]. Es stellt sich daher auch die Frage nach der Gültigkeit der Referenzwerte für Vitamin D bzw. worin die Ursache der zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel liegen könnte. In einer ähnlich angelegten Studie mit taiwanesischen Kindern (n = 186) [5] schienen hingegen niedrige VitaminD-Spiegel im Nabelschnurblut mit einer Nahrungsmittelsensibilisierung (Kuhmilch) assoziiert zu sein, nicht aber mit Asthma, Ekzemen oder allergischer

Rhinitis. Ebenso konnte eine aktuelle dänische Studie mit Kindern (n = 257) [4] keine Assoziation zwischen Nabelschnur-25(OH)D und atopischen Erkrankungen nachweisen. In einer deutschen Studie (n = 2815) mit 10-jährigen Kindern wurde der Zusammenhang zwischen Vitamin-DSpiegel (25(OH)D) und atopischen Erkrankungen untersucht [14]. Ein Zusammenhang zwischen erhöhten 25(OH)DSpiegeln und sinkendem Risiko für atopische Ergebnisse bei Kindern konnte nicht festgestellt werden. Allerdings zeigte sich eine positive Assoziation zwischen 25(OH)D-Konzentrationen und Ekzemen sowie sIgE. Eine weitere Studie mit Kindern (n = 460) [10] untersuchte den Einfluss von prä- und postnatalen Vitamin-DSpiegeln auf die Entwicklung von Nahrungsmittelsensibilisierungen. Dabei war ein persistierend niedriger VitaminD-Wert bei der Geburt und in der frühen Kindheit assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Nahrungsmittelsensibilisierungen – vor allem bei Kindern, die das C-Allel von rs2243250 trugen.

Sexualhormone können »Einfluss auf die spezifische Immunantwort nehmen Eine norwegische Studie (n = 1351) [11] untersuchte den Zusammenhang von Vitamin D und der Inzidenz einer allergischen Rhinitis über einen Beobachtungszeitraum von 11 Jahren. Im Ergebnis zeigte sich bei Männern mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel eine erhöhte Inzidenz an Neuerkrankungen, bei Frauen insbesondere vor der Menopause jedoch der gegenteilige Effekt. Ein Erklärungsansatz dieses Phänomens ist die Tatsache, dass Sexualhormone Einfluss auf die spezifische Immunantwort nehmen: Möglicherweise interagieren niedrige Vitamin-D-Spiegel und Hormone zu einer gesteigerten TH2-Antwort bei Männern, bei Frauen hingegen zu gesteigerten TH1-Antworten (und ggf. reduzierten TH2-Antworten) [11].

Probleme bei der Beurteilung von Vitamin-D-Studien Wjst [17] beschreibt die kontroverse Diskussion um Vitamin D und Allergie als eine unglückliche Entwicklung, die insbesondere infolge der Heterogenität bisheriger Studien entstanden sei. Folgende Aspekte müssten bei der Beurteilung von Studien bedacht werden [17]: 1. 25(OH)D3 reflektiert einen physiologischen Zustand, wohingegen die Vitamin-D-Supplementierung eine unphysiologische Maßnahme ist. 2. 25(OH)D3 ist ein Prohormon, das als fast inaktive Speicherform von Vitamin D gilt. Der Spiegel hängt außerdem ab von Rasse, Geschlecht, sozioökonomischem Status und Saison. Das Prohormon spielt offensichtlich nur bei extrem hohen oder niedrigen Spiegeln eine Rolle. Ein Mangel an Serum-25(OH)D3 wird also nicht eintreten, solange keine Rachitissymptome sichtbar sind. 3. Die Bestimmung des Vitamin-DMetaboliten 25(OH)D3 ist zur Beurteilung der Vitamin-D-Versorgung eine schlechte Alternative, weil es im Fettgewebe gespeichert wird und als nukleäres Hormon wirkt. Die Bestimmung von 25(OH)D3 erfolgt aus Machbarkeitsgründen, und nicht, weil es einen wissenschaftlichen Wert hat. 4. 25(OH)D3 ist eher ein Lifestyleals ein biologischer Marker. Ohne eine effektive Kontrolle von Lebensumständen, die die 25(OH)D3Serumspiegel beeinflussen, wird es immer Verzerrungs- und Störeffekte geben. Ein kranker Mensch wird die Sonne meiden, wodurch die meisten Beobachtungsstudien in Bezug auf 25(OH)D3 ohne informativen Gehalt sind. 5. Ein Vitamin-D-Mangel kann nicht grundsätzlich mit Allergieprävalenz in Verbindung gebracht werden, nur weil es zu Zeiten der Rachitis-Epidemien der letzten Jahrhunderte keine Allergien gegeben hat. Es könnte zum Beispiel Allergiefördernde Faktoren geben, die nur in Verbindung mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel HNO 5 · 2015

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Leitthema wirksam sind, auch wenn dies bislang noch nicht postuliert wurde. Zur Schlichtung der strittigen Fragen müssen in künftigen Studien aus Sicht von Wjst [17] nachstehende Fragen beantwortet bzw. nachstehende Kriterien beachtet werden: 1. Ergebnisse von tierexperimentellen Studien haben einen limitierten Wert – wir brauchen humane Studien. 2. Es ist wichtig, Supplementwirkungen bei Menschen zu unterscheiden in Hinblick auf a. das individuelle Alter (Mutter in der Schwangerschaft, Neugeborenes, Kleinkind oder heranwachsendes Kind), b. die vorangegangene Vitamin-DExposition, c. die individuelle genetische Variation von Vitamin-D-Metabolismus und Signalübertragung. 3. Wie bei jedem anderen Medikament hängen Vitamin-D-Effekte ab von der a. Dosierung und pharmazeutischen Rezeptur, b. Applikationsart (oral, i. m., s. c., Pflaster), c. gleichzeitigen Allergenexposition. 4. Die Messung von Vitamin-D-Metaboliten darf nicht isoliert betrachtet werden; die Erfassung zeitlicher und expositionsabhängiger Schwankungen ist notwendig. Fragebögen zur Erfassung der Nahrungszufuhr sind nicht ausreichend ohne Messung der Sonnenstrahlung. Wiederholte Messungen aktiver Vitamin-DMetaboliten sind zu empfehlen. 5. Funktionelle Betrachtungen der Reaktion auf die Behandlung wären interessant: DNA-Methylierung, Genexpression und proteomische Daten relevanter Zelluntergruppen. 6. Ergebnisse sollten klar differenziert werden. Atopie, klinisch manifeste Allergie, bronchiale Hyperreagibilität und Asthma sind nicht gleichzusetzen. Unterschiedliche Allergiestadien müssen unterschieden werden. Krankheitsinitiierende Effekte sollten von Krankheitsfördernden Faktoren unterschieden werden.

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7. Wiederholte interventionelle Studien müssen vorliegen, bevor eine klinische Empfehlung ausgesprochen werden kann.

Fazit für die Praxis Bisherige Studien zeigen keine richtungsweisende Tendenz bezüglich einer allergiefördernden oder -hemmenden Wirkung von Vitamin D. Die bislang beschriebenen paradoxen Wirkungen erklärt man sich durch epigenetische Programmierung in der Schwangerschaft, durch niedrige Vitamin DSpiegel oder eine exzessive Nahrungsergänzung im Neugeborenen-Alter. Auch das Geschlecht könnte Einfluss auf die Wirkung von Vitamin D haben. In Zukunft müssen vor allem randomisierte klinische Studien zur Wirkung von Vitamin D durchgeführt werden. Epidemiologische Studien sind wegen der ubiquitären Vitamin-D-Exposition (Supplementierung oder Beimischung in Babynahrung) aller Neugeborenen in der westlichen Welt kaum noch geeignet.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. L. Klimek Zentrum für Rhinologie und Allergologie Wiesbaden An den Quellen 10, 65183 Wiesbaden, Deutschland [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. A. Sperl und L. Klimek geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Role of vitamin D in allergic diseases: Current research status].

Recent research has focused on the relationship between vitamin D and allergy development. Results show that on the one hand a vitamin D deficiency ca...
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