Kasuistiken Urologe 2014 · 53:542–544 DOI 10.1007/s00120-013-3409-9 Online publiziert: 7. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion H. Rübben, Essen

A. Kaminsky1 · U. Kania2 · P. Ortloff3 · H. Sperling1 1 Klinik für Urologie, Kliniken Maria Hilf GmbH, Mönchengladbach 2 Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Kliniken Maria Hilf GmbH, Mönchengladbach 3 Institut für Pathologie, Mönchengladbach

Zystadenom der Samenblase als Ursache einer retrovesikalen Raumforderung

Anamnese

Klinischer Befund

Ein 41-jähriger Patient stellte sich zur weiteren Diagnostik und Therapie in unserer Ambulanz vor, nachdem aufgrund einer tastbaren Raumforderung im Mittelbauch eine Computertomographie (CT) des Abdomens durchgeführt worden war, die zystische Raumforderungen im Oberund Mittelbauch und einen konglomeratartigen Tumor im kleinen Becken, der nicht sicher von Prostata und Samen­ blasen abzugrenzen war, zeigte (. Abb. 1, 2). Beschwerden bestanden zu keiner Zeit.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein Patient in gutem Allgemeinund schlankem Ernährungszustand. Das Abdomen war weich und nicht druckschmerzhaft, die Peristaltik regelrecht. Es fand sich ein großer palpabler Tumor im Mittelbauch.

Abb. 1 8 Die Mesenterialzysten sowie der retrovesikale Tumor

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Diagnostik In der Abdomensonographie zeigten sich große, echofreie zystische, perlschnurartig aneinander gereihte Raumforderungen im Ober- und Mittelbauch sowie eine retrovesikale Raumforderung, die nicht sicher von der Prostata abzugrenzen war und die Harnblase imprimierte. Leber, Gallenblase, Gallengang, Pankreas, Milz, Nieren und Gefäße stellten sich unauffällig dar.

Laborchemisch zeigten sich keine Auffälligkeiten, die Tumormarker α-Feto­ protein (AFP), humanes Choriongonadotropin (β-HCG) und prostataspezifisches Antigen (PSA) waren normwertig. In der Ösophagogastroduodenoskopie zeigte sich bis auf eine Refluxösophagitis 1. Grades sowie eine axiale Hiatushernie und eine Bulbitis duodeni kein weiterer pathologischer Befund. In der Koloskopie zeigte sich bei Spiegelung bis zur Ileozäkalklappe kein pathologischer Befund. Die digital-rektale Untersuchung zeigte einen normalen Sphinktertonus und eine nicht suspekte Prostata. Die Endosonographie zeigte eine zystische Raumforderung, welche an Prostata und Samenblasen heranreichte und sich nicht eindeutig von diesen abgrenzen ließ. Weiterhin ragte die Raumforderung bis an die Rektumwand heran, auch hier konnte

Abb. 2 9 Die retrovesikale Raumforderung mit Impression von Harnblase und Rektum

Zusammenfassung · Abstract Urologe 2014 · 53:542–544 DOI 10.1007/s00120-013-3409-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A. Kaminsky · U. Kania · P. Ortloff   H. Sperling

Abb. 3 9 Die Übersichtsvergrößerung (Vergr. 100:1, HE-Färbung) zeigt zystisch dilatierte Drüsenstrukturen, eingebettet in ein fibröses Stroma mit schaumzelligen Makro­phagen

Abb. 4 9 Die Detail­ aufnahme (Vergr. 400:1, HE-Färbung) hebt die Einzelheiten der Epithelauskleidung mit partiell schwach pigmentiertem Zytoplasma hervor

eine Grenze nicht sicher dargestellt werden.

Therapie und Verlauf Nach entsprechender Vorbereitung erfolgte eine explorative Laparotomie als gemeinsame Operation von Allgemein- und Viszeralchirurgie sowie der Urologie. Die perlschnurartig aufgereiten zystischen Formationen im Ober- und Mittelbauch wurden reseziert. Hier ergab sich die Diagnose von Mesenterialzysten. Weiterhin wurde der retrovesikale Tumor inklusive Samenblase und abdominellem Anteil des rechten Ductus deferens entfernt. Hier ergab sich die Diagnose eines Zystadenoms der rechten Samenblase.

Diskussion Primäre Tumoren der Samenblasen sind eine Seltenheit. Von diesen überwiegen

die malignen Tumoren (Adenokarzinom, Sarkom, zystisches Sarkom, primäres Seminom, Karzinoid); benigne primäre Samenblasentumoren (papilläres Adenom, Zystadenom, Amyloidablagerungen) sind eine äußerste Rarität [6]. Die Samenblasen sind elongierte, gewundene Drüsen, die sich embryologisch als sackartige Ausstülpungen aus dem mesonephrischen Gang bilden [7]. Histologisch bestehen die Samenblasen aus einer äußeren Schicht von Bindegewebe, einer mittleren Schicht glatter Muskelzellen und einer inneren Schleimhautschicht, die aus ein- bis zweireihigem ­isobis­ hochprismatischem Epithel mit oft polyploiden Kernen besteht [7]. Neubildungen der Samenblase können von jeder dieser Schichten ausgehen, oder sich in Richtung einer dieser Komponenten entwickeln. Viele beschriebene Samenblasentumoren enthalten sowohl epitheliale als auch stromale Anteile [7].

Zystadenom der Samenblase als Ursache einer retrovesikalen Raumforderung Zusammenfassung Tumoröse Raumforderungen der Samenblasen sind sehr selten, dabei überwiegen die malignen die benignen Veränderungen. Ein Zystadenom der Samenblase stellt eine Rarität dar. Wir berichten über einen 41-jährigen Patienten mit dem Zufallsbefund einer asymptomatischen retrovesikalen Raumforderung. Operativ wurden der Tumor sowie die dazugehörende Samenblase und der abdominelle Anteil des Ductus deferens entfernt. Der Zugangsweg ist dabei variabel, die Operation aber die Therapiemethode der Wahl. Die Prognose der Patienten ist ausnahmslos gut und es sind bisher keine Rezidive beschrieben. Schlüsselwörter Tumor, retrovesikaler · Samenblasentumor · Laparotomie, explorative · Mesenterialzysten

Seminal vesicle cystadenoma as the cause of a retrovesical tumor Abstract Tumors of the seminal vesicle are rare. Malignant tumors are more common than benign tumors. A seminal vesicle cystadenoma is a rarity. We report on a 41-year-old man with the incidental finding of an asymptomatic retrovesical tumor. The tumor, the seminal vesicle, and the abdominal part of the ductus deferens were surgically removed. The operative access is variable and surgical treatment is the method of choice. The patient’s prognosis is good and there are no signs of recurrence. Keywords Tumor, retrovesical · Seminal vesicles · Laparotomy, explorative · Mesenteric cyst

Die Erstbeschreibung eines Zystadenoms der Samenblase existiert aus dem Jahre 1951 von Soule u. Dockerty [1]. Sie berichteten über einen 47-jährigen Patienten mit einer Raumforderung im kleinen Becken, die das Rektum, das Sigma und die rechte Blasenwand verdrängte. Das Zystadenom der Samenblase galt damals wie heute als urologische Seltenheit. Der Urologe 4 · 2014 

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Lesetipp Bis heute sind in der Literatur nur 15 Fälle beschrieben. Die klinischen Symptome eines solchen Zystadenoms können von völliger Beschwerdefreiheit, wie in unserem Fall, über abdominelle Schmerzen, Hämat­ urie, Hämatospermie bis hin zu obstruktiven Miktionsbeschwerden reichen [2]. Diagnostiziert werden solche zystischen Raumforderungen der Samenblase mittels Sonographie, CT oder MRT. Aufgrund der Rarität des Befunds ist die operative Entfernung, auch bei asymp­ tomatischen Patienten, die Therapiemethode der Wahl [4, 6], da aufgrund der kleinen Fallzahlen keine Aussage über ein konservatives Vorgehen getroffen werden kann. Weiterhin ist die Feinnadelbiopsie meist nicht aussagekräftig genug, um die Diagnose eines Zystadenoms zu sichern. Möglicherweise kann ein solches Zystadenom im Laufe der Zeit maligne entarten und zudem wird die operative Entfernung mit zunehmender Größe schwieriger und der Eingriff ausgedehnter [4]. Der operative Zugang ist variabel, es sind transperineale, transvesikale, paravesikale, retrovesikale und transkokzygeale Verfahren beschrieben [4]. Die Prognose ist immer gut und bisher ohne Hinweis auf Rezidive [5]. Zum Ausschluss eines primär von der Prostata ausgehenden Befunds können immunhistochemische Untersuchungen mit prostataspezifischem Antigen und prostatischer alkalischer Phosphatase durchgeführt werden [3]. Histologisch zeichnen sich Zystadenome der Samenblase durch eine Kombination epithelialer und stromaler Komponenten aus. Es zeigen sich zum einen zystische Areale, die von einem kubischen oder hochprismatischen Epithel ausgekleidet sind und zum anderen Bindegewebe, welches Fibroblasten und glatte Muskelzellen enthält ([3], . Abb. 3, 4).

Fazit für die Praxis Ein Zystadenom der Samenblase als Ursache einer asymptomatischen oder symptomatischen retrovesikalen Raumforderung ist eine Rarität. Zeigt sich sonographisch sowie comuptertomographisch eine zystische retrovesikale Struktur, ist eine operative Entfernung die

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Therapiemethode der Wahl. Der Zugang ist dabei variabel. Im Rahmen der Operation werden der Tumor sowie die dazugehörige Samenblase entfernt. Die Prognose der Patienten ist ausnahmslos gut und es sind bisher keine Rezidive beschrieben.

Korrespondenzadresse Dr. A. Kaminsky Klinik für Urologie,   Kliniken Maria Hilf GmbH, Viersener Straße 450, 41063 Mönchengladbach angelika.kaminsky@ mariahilf.de

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Kaminsky, U. Kania, P. Ortloff und H. Sperling geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur 1. Soule EH, Dockerty MB (1951) Cystadenoma of the seminal vesicle, a pathologic curiosity: report of a case and review of the literature concerning benign tumors of the seminal vesicle. Proc Staff Meet Mayo Clin Proc 26:406–414 2. Lee CB, Choi HJ, Cho DH et al (2006) Cystadenoma of the seminal vesicle. Int J Urol 13:1138–1140 3. Santos LD, Wong CSKC, Killingsworth M (2001) Cystadenoma of the seminal vesicle: report of a case with ultrastructural findings. Pathology 33:399– 402 4. Lorber G, Pizov G, Gofrit ON et al (2011) Seminal vesicle cystadenoma: a rare clinical perspective. Eur Urol 60:388–391 5. Gil AO, Yamakami LY, Genzini T (2003) Cystadenoma of the seminal vesicle. Int Braz J Urol 29:434– 436 6. Arora A, Sharma S, Seth A (2013) Unusual retrovesical cystic mass in a male patient. Urology 81:23– 24 7. Baschinsky DY, Niemann TH, Maximo CB, Bahnson RR (1998) Seminal vesicle cystadenoma: a case report an literature review. Urology 51:840–845

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[Seminal vesicle cystadenoma as the cause of a retrovesical tumor].

Tumors of the seminal vesicle are rare. Malignant tumors are more common than benign tumors. A seminal vesicle cystadenoma is a rarity. We report on a...
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