DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT

Nr. 21 Jahrgang 104

Stuttgart, 25. Mai 1979

Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 755-756 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

1 g Kochsalz), beschränkt wird. Das zu erreichen ist angesichts der heutigen Eßgewohnheiten in den Industrienationen in der Tat nahezu unmöglich. Unsere Ernährung ist aus verschiedenen Gründen (geringerer Arbeitsaufwand, Berufstätigkeit vieler Hausfrauen, Einnahme der Mahlzeiten in Betriebskantinen oder Restaurants) durch eine Bevorzugung industriell bearbeiteter oder hergestellter Nahrungsmittel charakterisiert. Da fast allen diesen Nahrungsmitteln Natriumchlorid (zur Konservierung) oder andere Natriumsalze (aus technologischen

Wohl keine diätetische Maßnahme hat im Laufe der letzten 75 Jahre eine so wechselvolle und unterschiedliche Beurteilung erfahren wie die Kochsalzbeschränkung bei arterieller Hypertonie. Erstmals wiesen Ambard und

Beaujard im Jahre 1904 (2) auf die blutdrucksenkende Wirkung des Kochsalzentzugs hin. Später setzten sich Volhard (10) in Deutschland sowie Allen (1), Kempner (7) und Dahl (3) in den USA mit großem Erfolg für die streng kochsalzarme, das heißt weniger als 1 g Kochsalz pro Tag enthaltende Diät ein, die dann jahrzehntelang zu den wirksamsten Maßnahmen bei der Behandlung

Gründen) zugefügt werden, wird die Natriumzufuhr mehr von den Nahrungsmittelherstellern als von den Verbrauchern bestimmt (S). Die relative Anreicherung

der arteriellen Hypertonie gehörte.

Mit der Einführung der Sulfonamid-Diuretika im Jahre 1957 machte sich eine zunehmende Tendenz zur Vernachlässigung dieser mit zeitraubenden Diätberatungen für den Arzt und mit persönlichen Opfern für den Patienten verbundenen therapeutischen Methode bemerkbar. Die aus jüngster Zeit stammenden Äußerungen von zwei prominenten Hochdruckforschern charakterisieren recht eindrucksvoll die extremen Pole, zwischen denen sich die Diskussion um dieses Problem auch heute noch bewegt: Pickering (9) empfiehlt dem niedergelassenen Arzt, bei der Behandlung der Hypertonie »unnötige Beschränkungen der Lebensweise des Patienten, wie die NaCJ-arme Kost, zu vermeiden«, während Freis (4) in einem vielbeachteten Ubersichtsreferat zu der Schluß-

von Natrium in Lebensmitteln durch verschiedene Bearbeitungsverfahren geht zum Beispiel aus der Tatsache hervor, daß der Natriumgehalt von tiefgefrorenen Erbsen das Hundertfache und von Dosenerbsen das Zweihundertdreißigf ache desjenigen von frischen Erbsen erreicht (S). Auch einige der beliebten Mineralwässer enthal-

ten erhebliche Mengen Natrium, ganz abgesehen von den gesalzenen Erdnüssen, Kartoffeichips und ähnlichem.

Angesichts dieses hohen, zum Teil »versteckten« Na-

folgerung kommt, daß »eine Verminderung des Kochsalzgehaltes in der Nahrung auf Werte unter 2 g pro Tag wahrscheinlich die Verhütung der essentiellen Hyper-

triumangebots in unseren Nahrungsmitteln ist man heute dazu übergegangen, dem Hochdruckpatienten eine mäßige Kochsalzeinschränkung durch Vermeidung von Lebensmitteln mit offensichtlich hohem Kochsalzgehalt zu empfehlen. Dabei werden täglich etwa 5-6 g Kochsalz

aufgenommen. Durch die Gabe von Diuretika werden die iiberschüssigen Natriummengen eliminiert. Hierbei

tonie und ihr Verschwinden als ein gesundheitliches Problem erster Ordnung zur Folge haben würde«.

darf jedoch nicht übersehen werden, daß es sich lediglich um eine Kompromißlösung handelt, die Ausdruck einer

Es ist verständlich, daß derart widersprüchliche Ansichten, die auch Eingang in die Laienpresse gefunden haben, zu einer Verunsicherung von Ärzten und Patien-

gewissen Resignation ist. Dieses Vorgehen darf nicht

ten führen. Dabei wird auch von den Befürwortern einer größeren Toleranz hinsichtlich der Kochsalzzufuhr

die blutdrucksenkende Wirkung des Natriumentzugs nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Sie begründen ihre Haltung vielmehr mit der Unmöglichkeit, bei den heutigen Lebens- und Eßgewohnheiten weiter Bevölkerungs-

kreise eine kochsalzarme Diät zu realisieren. Es ist zweifellos richtig, daß der diätetische Kochsalzentzug nur dann eine optimale blutdrucksenkende Wirkung entfaltet, wenn die tägliche Kochsalzaufnahme auf ein Minimum, weniger als 17 mmol Nai:rium (entsprechend 0012-0472/79

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dazu verleiten, dem Kochsalzentzug bei der Behandlung des Hypertonikers jegliche Bedeutung abzusprechen und der Kochsalzaufnahme des Patienten keine Beachtung mehr zu schenken. Nach wie vor sollte eine sorgfältige Diätberatung vorgenommen werden, deren Befolgung weitgehend von der Überzeugungskraft des Arztes abhängen wird.

Unter keinen Umständen ist die Ansicht vertretbar, daß bei Anwendung von Diuretika eine Kochsalzbeschränkung nicht mehr erforderlich sei. Die Kochsalzbeschränkung muß nach wie vor einen zentralen Platz in

der Behandlung der Hypertonie einnehmen, da diese Maßnahme, eine normale Nierenfunktion vorausgesetzt,

$ 02.00 © 1979 Georg Thieme Publishers (755)

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Kochsalzverbrauch und Hypertonie

Losse: Kochsalzverbrauch und Hypertonie

Deutsche Medizinische Wochenschrift

praktisch frei von Nebenwirkungen ist und der Effekt

schränkung der Natriumzufuhr bei der eigentlichen Ziel-

der Diuretika im allgemeinen durch gleichzeitigen Koch-

tika sein. Damit erhöht sich auch die Gefahr von Neben-

gruppe, das heißt den Kindern von Hypertonikern, in Frage. Dabei müßte der Kochsalzentzug so früh wie möglich, idealerweise bereits im Säuglingsalter, einsetzen, damit es nicht zur Gewöhnung an eine hohe Koch-

wirkungen, von denen wir im Laufe der letzten zwei

salzaufnahme kommt.

salzentzug gesteigert wird. Je höher die Kochsalzaufnahme, desto höher muß auch die Dosierung der DiureJahrzehnte bereits eine Vielzahl kennengelernt haben. Bei einer Kochsalzaufnahme von mehr als 10g pro Tag kann

es sogar zu einem Wirkungsverlust der Diuretika kommen.

In jüngster Zeit ist der hohe Natriumkonsurn in den Industrienationen erneut in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses gerückt. Ausgelöst wurde die Diskussion durch die Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen, die eine direkte Abhängigkeit der Hochdruckhäufigkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen von der Höhe des Kochsalzkonsums erkennen lassen. Hieraus ergab sich zwangsläufig die Frage, ob durch eine generelle Einschränkung des Kochsalzkonsums eine Prävention der primären Hypertonie, die zu den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren gehört, möglich ist. Der durchschnittliche Kochsalzverbrauch in den Industrienationen liegt bei etwa 15 g pro Tag, wobei Extremwerte bis zu 30 g erreicht werden. Andererseits wissen

wir, daß der tatsächliche Kochsalzbedarf bei etwa 1 g pro Tag liegt und daß diese Menge selbst unter extremen Lebensbedingungen mit normaler körperlicher Leistungsfähigkeit vereinbar ist.

Der Appetit auf Salz ist, wie wir heute wissen, eine erworbene Eigenschaft und wird im Laufe des Lebens zur Gewohnheit. Bereits Säuglinge und Kleinkinder erhalten zuviel Kochsalz. So enthält zum Beispiel Kuhmilch

viermal mehr Natrium als Muttermilch, und auch der Babynahrung wird teilweise Kochsalz zugefügt, offenbar

um den Geschmack der Mütter zu befriedigen. Somit werden schon frühzeitig die Grundlagen für eine Gewöhnung an hohe Kochsalzmengen geschaffen. Angesichts dieser Verhältnisse ist in der Tat zu überle-

gen, ob und auf welche Weise das Natriumangebot in unserer Nahrung reduziert werden sollte. Grundsätzlich ließe sich das Problem auf zweierlei Weise lösen:

Es könnte der Versuch gemacht werden, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen auf nationaler Ebene den Natriumzusatz zu industriell hergestellten Nahrungsmitteln zu beschränken. Das ist für die Säuglingsnahrung in den USA bereits mit Erfolg praktiziert worden. Darüber hinaus wurde von einem Senatskomitee der Vorschlag gemacht, den Natriumverbrauch für

die Gesamtbevölkerung der USA auf S g pro Tag zu reduzieren. Dieser Vorschlag stieß jedoch auf Widerstand. Es wurde argumentiert, daß einerseits der prophylaktische Effekt einer derartigen Maßnahme auf die Hochdruckentstehung noch nicht gesichert sei und daß andererseits nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, wenn überhaupt, von dieser Maßnahme profitieren würde, da eine genetisch bedingte Disposition zum Hochdruck Voraussetzung für die schädliche Wirkung des Natriums sei (S).

Unter Berücksichtigung des zuletzt genannten Einwandes käme als Alternative die prophylaktische Ein-

Ob eine Prophylaxe der primären Hypertonie durch frühzeitig einsetzende diätetische Kochsalzbeschränkung möglich ist, muß durch. Langzeituntersuchungen noch

geklärt werden. Erste Ergebnisse entsprechender Studien aus Japan lassen erkennen, daß durch Verabreichung salzarmer Speisen in der Schule und diätetische Beratung der Eltern hinsichtlich des Salzgehaltes der Lebensmittel erreicht werden kann, daß der üblicherweise mit zunehmendem Alter eintretende Blutdruckanstieg ausbleibt. Es kommt sogar nach längerer Zeit zu einem Abfall des Blutdrucks gegenüber den vor Beginn der salzarmen Ernährung gemessenen Werten (6). Es ist erfreulich festzustellen, daß die Beziehungen zwischen dem Kochsalzverbrauch und der arteriellen Hypertonie erñeut Gegenstand zahlreicher experimenteller und klinischer Forschungen geworden sind (8). Auch wenn schlüssige Beweise für die gesundheitsschädi-

gende Wirkung des hohen Kochsalzverbrauchs in den

Industrienationen noch fehlen, kann schon jetzt mit Sicherheit gesagt werden, daß eine generelle Reduktion der Kochsalzaufnahme nicht schaden würde. Eine Aufklärung der Bevölkerung mit dem Ziel, die Kochsalzaufnahme ebenso bewußt zu gestalten wie die Aufnahme anderer Lebens- und Genußmittel, würde dazu führen, daß die Nachfrage nach natriumarmen Nahrungsmitteln steigen und damit auch das Angebot entsprechend größer würde. So wäre zum Beispiel eine Deklaration des Natriumgehaltes vorgefertigter Speisen bereits von großem Nutzen. Wenn von den Gegnern einer generellen Natriumbeschränkung argumentiert wird, daß nur ein kleiner Teil der Bevölkerung von der Natriumbeschränkung profitieren würde, während die Mehrzahl der Bürger in ihren Essensgewohnheiten und somit ihrer Lebensqualität beeinträchtigt würde, so ist dazu zu sagen, daß die

primäre Hypertonie immerhin bei etwa 20% der Erwachsenen vorkommt und daß es jedem freisteht, durch Benutzung des Salzstreuers bei Tisch den Natriumgehalt der Speisen seinem Geschmack anzupassen. Literatur AlIen, F. M.: Arterial hypertension. J. Amer. med. Ass. 74 (1920), 652. Ambard, L., E. Beaujard: Causes de l'hypertension artérielle. Arch. gén. Méd. 81(1904), 520.

DahI, L. K. Role of dietary sodium in essential hypertension. J. Amer. diet. Ass. 34 (1958), 585.

Freis, E. D.: Salt, volume, and the prevention of hypertension. Circulation 53 (1976), 589.

(S) Heyden, S., Ch. Manegold, C. G. Hames, U. J'atzschke: Natriumbeschränkung als therapeutische und präventive Maßnahme bei Hypertonie. Akt. Erniihr. 3 (1978), 78.

(6) Joossens, J. V.: Kochsalz uisd Hypertonie; Härte des Wassers und Mortalität bei Herz.Kreislauf-Erkrankungen. Triangel 12 (1973), 9. (7) Kempner, W. Treatment of hypertensive vascular disease with rice diet. Amer. J. Med. 4 (1948), 545. (8) Losse, H.: Störungen des Elektrolyt. haushaltes als Ansatzpunkt für diätetische Maßnahmen bei primärer Hyper tonic. Akt. Ernähr. 3 (1978), 72. (9) pickering, G.: Hypertension in general practice. J. roy. Soc. Med. 71)1978), 885. (10) Volhard, F.: Nieren und ableitende Harnwege. In: Bergmanis und Staehelin (Hrsg.): Handbuch der Jnneren Medizin, Rd. VI (Springer: Berlin 1931).

Prof. Dr. H. Losse Medizinische Universitäts-Poliklinik 4400 Münster, Westring 3

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[Sodium chloride consumption and hypertension].

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