Originalien Urologe 2014 · 53:368–374 DOI 10.1007/s00120-013-3406-z Online publiziert: 19. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Rausch1 · N. Gaisa2 · R.F. Youssef3 · Y. Lotan3 · A. Stenzl1 · T. Kälble4 1 Urologische Universitätsklinik Tübingen 2 Institut für Pathologie, Uniklinik RWTH Aachen 3 Department of Urology, University of Texas Southwestern Medical Center, Dallas 4 Klinik für Urologie und Kinderurologie, Klinikum Fulda gAG, Fulda

Plattenepitheliale Läsionen der Harnblase Hintergrund und Fragestellung Mit nur ca. 2–5% aller Harnblasentumo­ ren sind Plattenepithelkarzinome (SCC) der Harnblase in der westlichen Welt sel­ ten [1, 2]. Demgegenüber stellen SCC in Ländern mit endemischer Schistoso­ miasis die häufigsten urothelialen Tu­ moren dar [2]. Wie die SCC, sind auch verhornende Plattenepithelmetaplasien, Schleimhautulzerationen, Harnblasen­ kontrakturen und Harnleiterstrikturen mit der Harnblasenbilharziose assoziiert [3, 4]. Die Individualität der plattenepi­ thelialen Tumoren im Vergleich zum Transitionalzellkarzinom wurde in histo­ pathologischen und klinischen Analysen verdeutlicht. Ein typisches Charakteristi­ kum stellt hier die Präsentation in fortge­ schrittenen klinischen Stadien, trotz einer geringen Tendenz zur Lymphknoten- und Fernmetastasierung dar [1, 5, 6]. Die Prognose des SCC der Harnbla­ se ist insbesondere infolge des aggressi­ ven lokalen Tumorwachstums schlecht. Daher besteht ein grundlegender thera­ peutischer Ansatz in der frühzeitigen ra­ dikalen Zystektomie. Etablierte neoadju­ vante und adjuvante Behandlungsregime existieren für SCC bedauerlicherweise nicht [2]. Patienten mit chronischer Dau­ erkatheterversorgung und persistieren­ den Harnwegs­infekten stellen in NichtSchistosomaendemiegebieten eine Risi­ kopopulation für die Entwicklung eines SCC dar. Hierfür werden die fortwäh­ rende Schleimhautirritation und Zustän­ de chronischer Inflammation verantwort­

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lich gemacht [7, 8]. Die Aktivierung in­ flammatorischer Gene ist wiederum mit schlechten onkologischen Ergebnissen beim Harnblasenkarzinom assoziiert [9]. Eine plattenepitheliale Mischdifferen­ zierung in Transitionalzellkarzinomen (TCC/SCC) beeinflusst die Prognose und den natürlichen Verlauf einer Blasentu­ morerkrankung [1]. Die Entstehung und der klinische Verlauf von Plattenepithel­ metaplasien, reiner Plattenepithelkarzi­ nome und TCC/SCC sind durch ihre ge­ meinsame Assoziation mit chronischen Entzündungszuständen, dem möglichen Übergang metaplastischer Läsionen zu invasiven Karzinomen und dem Einfluss auf die Prognose der Erkrankung eng ver­ knüpft. Aufgrund der geringen Inzidenz des nicht-bilharzioseassoziierten Plattenepi­ thelkarzinoms (NBSCC) sind prospekti­ ve Therapiestudien auch multiinstitutio­ nell schwer realisierbar. Trotzdem wird die Mehrheit der onkologisch tätigen Urologen punktuell mit der Therapie von NBSCC-Patienten konfrontiert werden. Die folgende Arbeit diskutiert Proble­ me in der Tumorcharakterisierung und Risikostratifizierung sowie operative und adjuvante Therapieoptionen (prä)malig­ ner plattenepithelialer Läsio­nen der Harn­ blase.

Methoden Basierend auf einer nicht-systematischen PubMed-Recherche wurde die Literatur zum NBSCC, Transitionalzellkarzinom

mit Plattenepitheldifferenzierung (TCC/ SCC) sowie verhornender und nicht-ver­ hornender Plattenepithelmetaplasie ana­ lysiert und zusammengefasst.

Plattenepithel-  metaplasie (Leukoplakie) Die Plattenepithelmetaplasie der Harn­ blase stellt einen häufigen klinischen Be­ fund dar, welcher bei Frauen typscherwei­ se endoskopisch am Trigonum vesicae zu finden ist. Die metaplastischen Verände­ rungen bestehen aus weißlichen Plaques, welche einem geröteten Urothel aufsitzen. Ein Entfernen dieser Plaques führt re­ gelhaft zur Blutung des darunter liegen­ den Gewebes. Harnblasensteine, Blasen­ auslassobstruktion, Fisteln, Blasenextrop­ hien, neurogene Blasenentleerungsstö­ rungen, vorangehende Operationen und Vitamin-A-Defizienz sind als prädispo­ nierende Faktoren einer Leukoplakie be­ schrieben [7]. Die Symptomatologie der Plattenepithelmetaplasie ist eng mit den oben genannten Zuständen verbunden. Beschwerden können sich folglich als Hä­ maturie, Drangsymptomatik oder obst­ ruktive Miktionsbeschwerden äußern. Die Literatur berichtet von unter­ schiedlichen Varianten des klinischen Verlaufs von Plattenepithelmetaplasien. Es wird von spontaner Rückbildung nach endoskopischer Resektion, chronisch re­ zidivierenden Verläufen und von der Pro­ gression zu invasiven SCC berichtet [12, 13].

Originalien

Abb. 1 8 Histologie von plattenepithelial differenzierten Tumoren der Harnblase: a reines G2-SCC der Harnblase (HE-Färbung), b CK5/6 Immunhistochemie reines SCC der Harnblase, c schlecht differenziertes (G3-)SCC der Harnblase mit lymphozytärem Begleitinfiltrat (HE-Färbung), d CK5/6 Immunhistochemie schlecht differenziertes (G3-)SCC der Harnblase, e fast ausschließlich plattenepithelial differenziertes Urothelkarzinom der Blase „high grade“ mit begleitend urothelialem CIS (HE-Färbung), f CK5/6 Immunhistochemie fast ausschließlich plattenepithelial differenziertes Urothelkarzinom der Blase „high grade“ mit begleitend urothelialem CIS, g Urothelkarzinom der Blase „high grade“ mit geringfügiger plattenepithelialer Differenzierungskomponente (HE-Färbung), h CK5/6 Immunhistochemie Urothelkarzinom der Blase „high grade“ mit geringfügiger plattenepithelialer Differenzierungskomponente (jeweils Originalvergr. 100:1)

In einer Arbeit von Lagwinsky et al. [11] wurden verhornende Plattenepithel­ metaplasien bei 28 von 45 Patienten mit NBSCC beobachtet, nicht-verhornen­ de Plattenepithelmetaplasien ­traten bei 20 der 45 Patienten auf. Dies beschreibt zwar die Assoziation von Plattenepi­

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thelmetaplasie und SCC, lässt die Fra­ ge nach der Wahrscheinlichkeit der Ent­ stehung eines invasiven SCC bei Patien­ ten mit Plattenepithelmetaplasie jedoch offen. Dass das flächenmäßige Ausmaß einer Plattenepithelmetaplasie prädiktiv für das Entstehen eines SCC ist, konnten

Khan et al. [7] an einer Patientenkohorte von 16 Patienten mit „limitierter“ Leuko­ plakie (entsprechend 50% der Schleimhaut) eine Progres­ sion zum SCC [7]. Die molekularen Mechanismen, wel­ che zum Übergang einer plattenepithe­ lialen Metaplasie in ein SCC führen, sind derzeit unbekannt. Am Beispiel des Zer­ vixkarzinoms ist das sequenzielle Entste­ hen von invasiven Karzinomen über die Vorstufen Dysplasie und Carcinoma in si­ tu (CIS) beschrieben worden. Obwohl ein unkritischer Transfer der Pathogenese des uterinen Zervixkarzinoms auf das Harn­ blasenkarzinom sicher nicht möglich ist, wird analog jedoch das Auftreten dys­ plastischer Zellen in Plattenepithelmeta­ plasien der Harnblase als Risikofaktor für eine Tumorprogression angesehen. Ins­ besondere bei Vorliegen einer derartigen Konstellation erscheinen daher die eng­ maschige endoskopische Nachsorge und eine gegebenenfalls frühzeitige chirurgi­ sche Intervention ratsam [7, 14]. Die Leukoplakie im Bereich des weib­ lichen Blasentrigonums wird als Befund mit nahezu ausschließlich benignem Ver­ halten beschrieben. Diese klinische Beob­ achtung wird durch eine Analyse der Ra­ te der p53-Mutationen in trigonalen Leu­ koplakien bei Frauen im Vergleich zum TCC und zu unauffälliger Blasenmukosa unterstützt. Die Mutationsrate der plat­ tenepithelialen Läsionen entsprach hier in etwa derjenigen gesunder Kontrol­ len (16,7% und 14,3%), während die p53Mutationsrate der Karzinome mit 39,9% deutlich höher lag. Weiterhin entwickel­ te keine der beobachteten Personen mit trigonaler Leukoplakie bei einem mitt­ leren Follow-up von 8 Jahren ein Malig­ nom [10]. Trotz allem besteht in der Therapie von Patienten mit insbesondere ausge­ dehnten metaplastischen Läsionen ein klinisches Dilemma. Ahmad et al. [14] schlussfolgern 2008 in einer Übersichts­ arbeit, dass die verfügbare Datenlage ein aggressives chirurgisches Vorgehen auch für extensive Läsionen plattenepithelia­

Zusammenfassung · Abstract ler Metaplasie nicht rechtfertigt. Zusätz­ lich zur regelmäßigen (endoskopischen) Nachsorge sollten lokale transurethrale Biopsien und Resektionen erfolgen, um das Vorhandensein oder Auftreten einer Dysplasie zu detektieren [14]. Ein alterna­ tives Vorgehen mit frühzeitiger präventi­ ver Zystektomie wurde von Castillo et al. [15] exemplarisch bei einem tetraplegi­ schen Patienten mit ausgedehnter Leuko­ plakie beschrieben. Grundsätzlich sollten in diesem Sinne individuelle patientenbe­ zogene Kriterien wie die Blasenfunktion und Lebensqualität in der Beratung und Aufklärung von Patienten und Angehöri­ gen Berücksichtigung finden.

Transitionalzellkarzinom mit plattenepithelialer Differenzierung (TCC/SCC) Eine Mischdifferenzierung wird in histo­ logischen Schnitten von transitionalzel­ ligen Harnblasentumoren häufig beob­ achtet. Hierbei tritt eine plattenepithel­ iale Komponente am häufigsten auf (40% [17]). Die Mischdifferenzierung ist mit einem erhöhten Risiko für Muskelinfilt­ ration und extravesikales Tumorwachs­ tum assoziiert [17]. Weiterhin wurde das Auftreten von TCC/SCC als signifikanter Vorhersageparameter für ein geringeres tumorspezifisches Überleben nach radi­ kaler Zystektomie beschrieben [18]. Einer Arbeit von Shah et al. [16] fol­ gend, besteht ein wesentliches Problem in der korrekten Interpretation und mög­ lichen klinischen Implikation divergie­ render histologischer Komponenten in Urothelkarzinompräparaten u. a. in einer zu niedrigen Identifikationsrate derarti­ ger Läsionen in der histopathologischen Analyse. Im Rahmen eines Vergleichs pa­ thologischer Befunde mit Analysen eines Referenzzentrums wurden bei 44% der TUR-Biopsate mit Mischdifferenzierung diese primär nicht erkannt oder benannt. Durch cDNA-Microarray­analysen konn­ ten Keratin 10 und Caveolin-1 als mögli­ che Marker für die Einordnung als TCC/ SCC bereits vor einer histomorphologi­ schen Klassifikation identifiziert werden. Das hier charakteristische Differenzie­ rungsmuster wurde ebenfalls in Platten­ epithelmetaplasien und reinen SCC fest­ gestellt [19].

Urologe 2014 · 53:368–374  DOI 10.1007/s00120-013-3406-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 S. Rausch · N. Gaisa · R.F. Youssef · Y. Lotan · A. Stenzl · T. Kälble

Plattenepitheliale Läsionen der Harnblase Zusammenfassung Hintergrund.  Die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen (SCC) und Urothelkarzinomen mit plattenepithelialer Differenzierung (SCC/TCC) ist in westlichen Nationen gering. Chronische Entzündungs- und Reizzustände der Harnwege stellen einen gemeinsamen Risikofaktor für die Entstehung derartiger Läsionen dar. Tumorbiologisch unterscheiden sich plattenepitheliale Karzinome und prämaligne plattenepitheliale Affekte von rein urothelialen Karzinomen. Aktuelle Fortschritte in der molekularen Analyse maligner und prämaligner plattenepithelialer Läsionen deuten auf deren enge Verwandtschaft hin und könnten zukünftig bei der Klassifikation und Risikostratifizierung von Harnblasenkarzinomen hilfreich sein.

Ziel.  Gegenwärtig stellt das klinische Management und die Therapie von SCC eine Herausforderung dar, da wissenschaftliche Evidenz auf Grundlage prospektiver Studien nicht verfügbar ist. Die Arbeit fasst die Literatur zu natürlichem Verlauf, Behandlung und Prognose von SCC, TCC/SCC und metaplastischen Läsionen zusammen. Weiterhin werden aktuelle Ergebnisse der tumorbiologischen Grundlagenforschung hinsichtlich ihrer Implementierbarkeit in die SCC-Karzinogenese diskutiert. Schlüsselwörter Plattenepithelkarzinom · Metaplasie · Leukoplakie · Therapie, adjuvante · Urothelkarzinom

Squamous cell lesions of the urinary bladder Abstract Background.  Squamous cell carcinoma (SCC) and transitional carcinoma with squamous differentiation (SCC/TCC) are rare in western countries. Chronic inflammation and irritation of the urothelium are common risk factors for the development of SCC and TCC/ SCC. Tumour biology of squamous cell cancer and precancerous squamous lesions is different from transitional cell cancer (TCC). Recent advances in molecular analysis of benign and malignant squamous cell lesions indicate that they are closely associated and might lead to improved bladder cancer subclassification in the future. Aim.  At present, the clinical management and therapy of SCC remains challenging, as

Auf der Basis einer Tissue-Mircroar­ ray-Analyse validierten Gaisa et al. [20] die routinemäßig eingesetzten immun­ histochemischen Marker Cytokeratin (CK) 5/6, CK5/14, CK7, CK20 und Uro­ plakin III für die Unterscheidung von TCC, reinen SCC, TCC/SCC, plattenepit­ helialen Vorläuferläsionen und normalem Urothel. Das epitheliale Muster für reine SCC bestand in CK5/6 (76,6%) und CK 5/14 (95,8%) sowie fokal für CK7 (28,9%); CK20 und Uroplakin III waren nega­ tiv. TCC zeichneten sich durch ein basa­ les oder diffuses Färbemuster für CK5/6 (30,2%), CK5/14 (57,1%) und fokale Fär­ bung für CK7 (83,6%), CK20 (50,9%)

scientific evidence based on prospective clinical trials is not available. We performed an analysis of available literature on natural history, treatment, and prognosis of SCC, SCC/ TCC and metaplastic lesions. Furthermore, recent findings in molecular cancer biology are discussed with a focus on their relevance for SCC carcinogenesis. Keywords Squamous cell carcinoma · Metaplasia · Leukoplakia · Therapy, adjuvant · Urothelial cancer

und Uroplakin III (21,8%) aus. Neben der Möglichkeit TCC und SCC auf Basis dieses Färbeverhaltens zu unterscheiden (p

[Squamous cell lesions of the urinary bladder].

Squamous cell carcinoma (SCC) and transitional carcinoma with squamous differentiation (SCC/TCC) are rare in western countries. Chronic inflammation a...
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