Leitthema Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:174–179 DOI 10.1007/s00103-013-1887-y Online publiziert: 23. Januar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

L. Sundmacher2 · N. Götz1 · V. Vogt1 1 Gesundheitsökonomisches Zentrum Berlin, Technische Universität Berlin 2 Fachbereich Health Services Management, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Statistische Methoden der kleinräumigen Versorgungsforschung

Hintergrund Die statistischen Methoden der kleinräumigen Versorgungsforschung basieren in erster Linie auf methodischen Entwicklungen in der medizinischen Soziologie, Ökonometrie, Geografie und räumlichen Epidemiologie. Im vorliegenden Beitrag soll anhand eines Beispiels das Verfahren der räumlichen Regressionsanalyse als eines von vielen methodischen Werkzeugen der kleinräumigen Versorgungsforschung vorgestellt werden. Die zur kleinräumigen Versorgungsforschung herangezogenen Daten liegen meist in regionalen Einheiten, wie z. B. Kreisen und kreisfreien Städten oder Regierungsbezirken, vor. Diese Verwaltungsgrenzen wurden jedoch administrativ festgelegt und spiegeln nicht zwingend natürliche Grenzen wider, die sich durch wirtschaftliche oder historische Verflechtungen ergeben haben. Eine Besonderheit kleinräumiger Analysen ist daher, dass die Beobachtungen meist nicht als unabhängig voneinander betrachtet werden können. Räumliche Regressionsmodelle ermöglichen es, Abhängigkeiten über Verwaltungsgrenzen hinweg zu berücksichtigen und zu quantifizieren. Anhand eines konkreten Beispiels werden im Folgenden die Besonderheiten dieser räumlichen Regressionsanalysen erläutert und die Entwicklungen in diesem schnell voranschreitenden Feld dargestellt. Zudem werden die Datenlage in Deutschland und die Möglichkeiten für Versorgungsforscher, in diesem Feld aktiv zu werden, diskutiert.

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Zum Hintergrund der Beispielstudie Die von uns angeführte Beispielstudie untersucht den Einfluss von Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor (LA) auf sog. ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK). Ambulant-sensitive Krankenhausfälle sind per Definition diejenigen Hospitalisierungen, die man durch effektive Akutbehandlung im ambulanten Sektor (z. B. bei Dehydrierung und Gastroenteritis), durch effektive primärpräventive Maßnahmen (z. B. Impfungen gegen Masern) oder durch ein effektives Management chronischer Krankheiten (z. B. von Diabetes oder Hypertonie) hätte verhindern können [1]. Hohe Raten ambulant-sensitiver Krankenhausfälle signalisieren demzufolge eine unzureichende Versorgungsqualität, während niedrige Raten auf eine gute Versorgung durch den ambulanten Sektor hinweisen. Zur Auswahl der ambulant-sensitiven Krankenhausfälle wurde der Katalog des englischen National Health Service (NHS) herangezogen [1]. In der Studie werden zwei Hypothesen untersucht. Die erste Hypothese besagt, dass ein steigendes Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor eine geringere ASK-Rate bedingt. Die zweite Hypothese fügt hinzu, dass dieser Einfluss mit steigendem Leistungsgeschehen sinkt, d. h. einem abnehmenden Grenzertrag folgt. Die Modellierung des Zusammenhangs zwischen dem Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor und der ASK-

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Rate verlangt den Einbezug aller potenziell einflussnehmenden Faktoren in die Regressionsgleichung sowie eine akkurate Modellierung der räumlichen Effekte zwischen den betrachteten Kreisen. Auf Letzterem liegt der Fokus des vorliegenden Beitrages.

Methodik und Datenquellen Aufbau des empirischen Modells Gemäß den oben formulierten Hypothesen wird das Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor als Einflussfaktor auf die ASK-Rate modelliert. Um abzubilden, inwieweit dieser Einfluss mit steigendem Leistungsgeschehen abnimmt, wird zusätzlich das quadrierte Leistungsgeschehen in das Modell aufgenommen. Weiterhin wird angenommen, dass die ASKRate, unabhängig vom Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor, mit Indikatoren der sozioökonomischen Struktur des Kreises, mit Indikatoren der Krankenhausplanung in dem jeweiligen Kreis und dem Bedarf der Bevölkerung, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen, korreliert. Diese Variablen werden als Kontrollvariablen aufgenommen. Die einfache lineare Formulierung des Modells ist in Gleichung 1 festgehalten:

[1]

wobei der Vektor LA das Leistungsgeschehen im ambulanten Sektor zusammenfasst, SÖS ist ein Vektor sozioökonomischer Faktoren, KH ist ein Vektor von Indikatoren der Krankenhausstruktur und B ein Vektor mit Indikatoren, die den gesundheitlichen Bedarf der Bevölkerung reflektieren. u ist die Störgröße für alle Kreise und kreisfreien Städte i. Im Folgenden gehen wir auf die Besonderheiten der räumlichen Modellierung in diesem Zusammenhang ein. Wir verzichten an dieser Stelle daher darauf, weitere Grundlagen der Regressionsanalyse zu erörtern. Diese wurden bereits umfassend an anderer Stelle beschrieben [2].

Kontrolle für räumliche Autokorrelation Autokorrelation bedeutet „mit sich selbst korreliert“, d. h., dass Beobachtungen einer Variable miteinander in Beziehung stehen. In der Ökonometrie bezieht sich der Term „Autorkorrelation“ meist auf eine Autokorrelation zwischen den Störgrößen. Bezogen auf kleinräumige Analysen bedeutet dies, dass Beobachtungen einer Variablen in verschiedenen Regionen miteinander korreliert sein können, d. h., dass sie nicht unabhängig voneinander bzw. von ihrer räumlichen Position auftreten. Ein Beispiel für räumliche Autokorrelation ist die Arbeitslosenquote, die in wirtschaftlich starken Regionen niedriger ist. Dementsprechend ergeben sich, abhängig von der Lage einer Region in Deutschland, räumliche Cluster hoher und niedriger Raten [3]. Dieses Phänomen der räumlichen Abhängigkeit wird auch mit dem sog. ersten Gesetz der Geographie von Tobler [4] beschrieben: „Everything is related to everything ­else but near things are more related than distant things.“ Eine Nichtberücksichtigung dieser räumlichen Autokorrelation führt zu verzerrt geschätzten Koeffizienten bzw. ungültigen Signifikanztests. In der Literatur werden meist drei Regressionsmodelle diskutiert, die es ermöglichen, für diese räumlichen Effekte zu kontrollieren: Spatial-Lag-, Spatial-Error-Modelle sowie Mixed Models.

Spatial-Lag-Modelle

Spatial-Lag-Modelle ermöglichen es, für räumliche Spillover-Effekte zu kontrollieren. Diese treten auf, wenn die Werte der zu erklärenden Variable in einem Kreis die Werte der zu erklärenden Variable im benachbarten Kreis beeinflussen bzw. wenn diese Werte miteinander „kommunizieren“. Als klassisches Beispiel für diese Spillover-Effekte wird meist die Analyse des Wahlverhaltens angeführt. Es wird angenommen, dass die Wahlentscheidung eines Wählers zusätzlich zu dem Einfluss externer Determinanten, wie dem sozioökonomischen Status oder dem Migrationshintergrund, durch Kommunikation zwischen benachbarten Wählern beeinflusst wird. Werden solche räumlichen Spillover-Effekte nicht modelliert, sind die Koeffizienten verzerrt und können nicht für die Inferenz herangezogen werden. In der vorliegenden Beispielstudie würden diese Spillover-Effekte vorliegen, wenn die Rate der ambulant-sensitiven Krankenhausfälle in einem Kreis die ASK-Rate in den benachbarten Kreisen beeinflusst. Dieser Zusammenhang kann auftreten, wenn Kommunikation zwischen Ärzten benachbarter Kreise ein ähnliches Kodierungsverhalten in Bezug auf ASK bedingen würde. Da die Kodierungen der Diagnosen nicht bundesweit einheitlich genormt sind, werden gleiche Krankheiten in verschiedenen Regionen oft unterschiedlich kodiert. Das Kodierungsverhalten hängt dabei sowohl vom Wissen als auch von den Präferenzen des einzelnen Arztes ab und kann dementsprechend durch Austausch zwischen Ärzten beeinflusst werden. Räumliche Regressionsmodelle [5] berücksichtigen diese Spillover-Effekte, indem ein gewichtetes Mittel der zu erklärenden Variablen aller übrigen Kreise – das sog. Spatial Lag der erklärenden Variable – als weiterer Regressor in das Modell aufgenommen wird, wie in Gleichung 2 zu sehen ist.

[2]

Hierbei stellt ρ den zu schätzenden räumlichen Skalierungsparameter und W die Gewichtungsmatrix dar. In der Gewichtungsmatrix sind Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Kreise zusammengefasst, wodurch sich eine NxN-Matrix ergibt. N ist die Anzahl der betrachteten Kreise und kreisfreien Städte. Als Gewichtungsfaktoren dienen in diesem Beispiel (inverse) Abstandsmaße zwischen den geografischen Mittelpunkten der Kreise. Die Elemente auf der Hauptdiagonalen sind auf den Wert null normiert. Die Elemente abseits der Hauptdiagonalen nehmen bei räumlicher Nähe zweier Beobachtungseinheiten (Kreise) große Werte an und gehen gegen null, wenn die Entfernung zwischen zwei Kreisen sehr groß wird. Es bestehen zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten, die Entfernung zwischen räumlichen Einheiten zu messen. Im vorliegenden Papier wird die Distanz eines Kreises zum anderen in PKW-Minuten genutzt. Diesen Typ der räumlichen Gewichtungsmatrix nennt man Distanzmatrix. Darüber hinaus können die Gewichtungsfaktoren zwischen den Beobachtungseinheiten auch binäre, also 1 oder 0 kodierte Werte annehmen, die anzeigen, ob sich ein Kreis in direkter und näherer Nachbarschaft befindet. Sofern die gewählten Abstandsmaße oder Indikatoren für Nachbarschaft zwischen den Beobachtungseinheiten vorliegen, kann die räumliche Gewichtungsmatrix beispielsweise mittels der Software Pakete R, STATA, Matlab oder ArcGIS erzeugt werden.

Spatial-Error-Modelle

Räumliche Korrelation kann nicht nur durch Spillover-Effekte, sondern auch durch nicht beobachtete räumliche Einflussfaktoren entstehen. Beispiele für solche räumlichen Faktoren sind nicht beobachtete räumlich verteilte kulturelle Unterschiede in der Inanspruchnahme des stationären Sektors oder räumliche Cluster nicht beobachteter Morbidität. Um für diese Form des räumlichen Effekts zu kontrollieren, wird im SpatialError-Modell die Störgröße aus einem gewichteten Mittel der Störgrößen aller übrigen Kreise sowie der Störgröße des betrachteten Kreises zusammengesetzt.

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Leitthema Gleichung 3 stellt dieses Modell in Matrixform dar.

Zusammenfassung · Abstract Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:174–179  DOI 10.1007/s00103-013-1887-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 L. Sundmacher · N. Götz · V. Vogt

Statistische Methoden der kleinräumigen Versorgungsforschung

[3] Wobei W die Gewichtungsmatrix und λ den zu schätzenden räumlichen Skalierungsparameter darstellt. Die Vernachlässigung regionaler Fehlerkorrelation führt zwar nicht zu verzerrten Schätzern der Koeffizienten, aber zu ineffizienten Schätzungen und insbesondere zu falsch ausgewiesenen Standardfehlern und damit irreführenden Testergebnissen.

Mixed Models

Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit, beide Ansätze zu kombinieren. In sog. Mixed Models wird sowohl ein Spillover-Effekt eingebaut als auch für nicht beobachtbare räumliche Faktoren kontrolliert. Gleichung 4 stellt dieses Modell dar.

[4]

Tests für räumliche Autokorrelation Der Moran-Koeffizient (Moran’s I) ist die deskriptive Standardmesszahl zur Überprüfung der Existenz und Stärke von räumlicher Autokorrelation. Eine hohe positive Ausprägung des Koeffizienten deutet darauf hin, dass Regionen mit hoch (niedrig) ausgeprägten Werten Nachbarn mit hoch (niedrig) ausgeprägten Werten haben. Ein Moran’s-I-Koeffizient, der in der Nähe von null ist, weist darauf hin, dass keine räumliche Autokorrelation vorliegt. Liegt der Moran’s-IKoeffizient im negativen Bereich, grenzen Kreise mit besonders hohen Werten an Kreise mit niedrigen Werten oder umgekehrt. Negative Autokorrelation

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Zusammenfassung Die akkurate Modellierung kleinräumiger Daten ist eine wesentliche Herausforderung in der Versorgungsforschung. Der vorliegende Beitrag liefert einen Einblick in aktuelle statistische Methoden der kleinräumigen Versorgungsforschung unter Berücksichtigung räumlicher Abhängigkeiten. Räumliche Abhängigkeiten werden durch sog. Spillover-Effekte, z. B. durch Kommunikation zwischen Ärzten oder Patienten in benachbarten Kreisen und nicht beobachtete räumliche Einflussfaktoren, verursacht. Eine nicht angemessene Modellierung dieser Abhängigkeiten zwischen den Beobachtungen kann die Ergebnisse von Analysen verzerren. In der Regressionsgleichung können räumli-

che Abhängigkeiten über zusätzliche Terme, sog. Spatial Lags oder Spatial Errors, berücksichtigt werden. Anhand einer Beispielstudie wird demonstriert, dass bei fehlender Berücksichtigung die Koeffizienten und/oder die Standardfehler der Schätzung verzerrt sein können. In der kleinräumigen Versorgungsforschung sollte daher – wenn möglich – auf räumliche Autokorrelation in den Daten getestet und das Modell entsprechend adjustiert werden. Schlüsselwörter Regionale Variation · Räumliche Analysen · Versorgungsforschung

Statistical methods for research on regional health-care services Abstract Accurate modeling of spatial dependencies between observations is a significant challenge in research on regional health-care services. This article provides insight into current methods of modeling relationships in regional health-care service research, with consideration of spatial dependencies. Spatial dependencies may be triggered by spillover effects between neighboring regions and spatially distributed differences in – e.g., morbidity – which are not observable. If not considered in the model, the results of the analyses may be biased. Spatial dependencies can be add-

kommt in der Praxis jedoch relativ selten vor. Der Robust-Lagrange-MultiplierTest testet für räumliche Spillover-Effekte zwischen den Ausprägungen der abhängigen Variable (Spatial-Lag-Modell) sowie für unbeobachtete räumliche Einflüsse auf die ASK-Rate (Spatial-ErrorModell) innerhalb des aufgestellten Modells. Die Nullhypothese ist, dass die jeweiligen räumlichen Parameter (ρ und λ) gleich null sind, d. h. keine räumlichen Effekte vorliegen. Können wir eine der beiden räumlichen Korrelationsstrukturen nicht ausschließen, modellieren wir geeignete räumliche Modelle (Spatial-Error- oder Spatial-Lag-Modelle) auf Basis einer der beschriebenen Distanzmatrizen.

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ed to the regression model as a spatial lag or a spatial error term. Using an example study, we illustrate that failing to consider spatial autocorrelation may lead to biased coefficients and/or standard errors. Research on regional health-care services should, therefore, if possible, test for spatial autocorrelation in the data and adjust the model accordingly. Keywords Regional variation · Spatial analysis · Health Services Research

Modellierung der abhängigen Variablen Die ASK-Rate wird in diesem Beispiel als standardisierte Rate ambulant-sensitiver Krankenhausfälle errechnet. Der verzerrende Effekt unterschiedlicher Altersstrukturen in den Kreisen und kreisfreien Städten auf die Anzahl von Krankenhausfällen wird durch direkte Altersadjustierung korrigiert. Darüber hinaus werden die Kreise mittels des empirischen Bayes-Ansatzes nach Greenland und Robins [6] ihrer Größe nach gewichtet. Dies gibt Kreisen mit einer vergleichsweise niedrigen Einwohnerzahl, die trotz Vollerhebung eine höhere Wahrscheinlichkeit für Zufallsschwankungen und

der Kreise und kreisfreien Städte herangezogen. Die Kontrollvariablen beruhen auf den Daten des BBSR.

Interpretation der Ergebnisse Deskriptive Ergebnisse

Abb. 1 9 Geografische Verteilung ambulantsensitiver Kranken­ hausfälle für Frauen

somit Ausreißer bergen, ein geringeres Gewicht innerhalb der Schätzung. Weiterhin werden die Krankenhausfälle auf Basis der Patientenwohnorte und nicht der Behandlungsorte erfasst. Der Vorteil dieser Erfassung ist, dass eine Verzerrung der Ergebnisse zuungunsten der kreisfreien Städte ausgeschlossen wird. Ob die Daten der Versorgungsforschung am Wohnort oder am Behandlungsort erfasst werden sollten, ist abhängig vom Zweck und Ziel der Analyse. In der Regel werden beide Zugehörigkeiten in den Daten kodiert.

Datenquellen Geeignete Datenquellen zur Beantwortung versorgungswissenschaftlicher Fragestellungen finden sich vor allem in den Routinedaten der Krankenkassen, Krankenhäuser und der Kassenärztlichen Vereinigungen. Seit 1998 erfasst die Diagnosestatistik alle vollstationär aufgenommenen Patienten auf Grundlage von ICD-10-Diagnosen. Prozeduren auf Basis von OPS-Codes und DRGs werden in der über Fernverarbeitung zugänglichen DRG-Statistik erfasst. Beide Statistiken sowie die Todesursachenstatistik und weitere Datensätze beinhalten die Kennziffer der Kreise und kreisfreien Städte und sind über die Forschungsdatenzentren der Länder für unabhängige wissenschaftliche Zwecke zugänglich. Die Abrechnungsdaten der Kassen-

ärztlichen Vereinigungen sowie der derzeit 134 Krankenkassen bieten weiterhin wertvolle Informationen zu Fragen der regionalen Versorgungsforschung, sind allerdings nur bedingt für wissenschaftliche Zwecke zugänglich. Ab 2014 sollen die Daten, die für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (MorbiRSA) verwendet werden, daher voraussichtlich im Rahmen der Datentransparenz-Regeln zugänglich gemacht werden. Parallel zur Bereitstellung dieser neuen Forschungsdaten entfällt aus dem Datensatz jedoch das Regionalmerkmal, also die Information, in welchem Kreis oder in welcher kreisfreien Stadt der einzelne Versicherte wohnt. Mit dem Wegfall des Regionalmerkmals wird die Erforschung regionaler Versorgungsaspekte mit den Daten unmöglich. Exogene Variablen, wie z. B. das durchschnittliche Haushaltseinkommen oder die „Arbeitslosenquote“, können vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) erworben werden. Weiterhin liefert die Bevölkerungsstatistik der Statistischen Landesämter Daten für alle Einwohner auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte. Diese können kostenfrei über die Webseite http://www.regionalstatistik.de bezogen werden. Für die Beispieluntersuchung wurden die Daten der Diagnose- und der Bevölkerungsstatistik der Statistischen Landesämter für alle Einwohner auf Ebene

Die kartographische Darstellung der Variablen des Interesses bietet die Möglichkeit, einen Eindruck von der regionalen Verteilung der Daten zu gewinnen. Für die grafische Darstellung wurde hier die direkt altersstandardisierte ASK-Rate auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte verwendet. Die ASKRate fasst die Anzahl der ambulant-sensitiven Krankenhausfälle in der Bevölkerung standardisiert für die Altersstruktur der deutschen Durchschnittsbevölkerung in einem Messwert zusammen. Werte, die größer oder kleiner 1 sind, geben die Abweichung vom altersstandardisierten bundesdeutschen Durchschnitt für das Jahr 2008 an. In der Beispielkarte für Frauen wird die ASK-Rate grafisch in Zentilen dargestellt (. Abb. 1): Die 10% der Kreise und kreisfreien Städte mit der geringsten ASK-Rate sind weiß und das Zehntel mit der höchsten ASKRate dunkel gefüllt. Die übrigen Zentile liegen zwischen diesen Farbpolen. Die ASK-Rate bei Frauen rangiert zwischen einem Minimum von 0,7 und einem Maximum von 1,5. Dies impliziert, dass in den Kreisen mit den höchsten ASK-Raten diese um den Faktor 1,5 erhöht sind.

Interpretationen der Tests und der Ergebnisse der Regressionsschätzungen Das positive und hoch signifikante Moran’s I in . Tab. 1 deutet auf eine positive räumliche Korrelation zwischen den Ausprägungen der ASK-Rate in den Kreisen und kreisfreien Städten hin. Die anschließenden Robust-Lagrange-Multiplier-Tests weisen die Nullhypothese eines Spatial-Lag-Modells zurück. Die Hypothese, dass nicht beobachtete räumliche Variablen die ASK-Rate beeinflussen, kann jedoch nicht zurückgewiesen werden. Den Testergebnissen folgend schätzen wir daher den Einfluss des einfachen und quadrierten LA auf die ASK-

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Leitthema Fazit

Tab. 1  Ergebnisse der Regressionsanalyse Abhängige Variable: ASKRate bei Frauen (direkt altersstandardisiert und für die Größe der Kreise empirisch adjustiert)

Modell I Schätzung mit nonlinearer Modellierung des LA

Modell II Räumliches Fehlerkorrelationsmodell mit sowie nonlinearer Modellierung des LA

Koeffizienten

Robuste Standardfehler



Koeffizienten

Standard-   fehler

Ambulante Leistungen Ambulante Leistungen zum Quadrat Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner Entfernung zum nächstgelegenen Krankenhaus in PKW-Minuten Durchschnittliche Liegezeit infolge einer ASK-Indikation Notfälle im Krankenhaus pro 1000 Einwohner Anteil vollständig privat Versicherter (in %) Vermeidbare Sterbefälle bei Frauen pro 100.000 Arbeitslosenquote (in %) Konstante λ Adjustiertes R2 Anzahl der Beobachtungen Log Likelihood Moran’s I Robust Lagrange Multiplier Test (Spatial Lag) Robust Lagrange Multiplier Test (Spatial Error)

−0,110 0,000008

0,041 0,000003

** *

−0,104 0,000008

0,025 0,000003

*** ***

0,178

0,050

***

0,178

0,046

***

−0,078

0,807



0,053

0,727



−0,039

0,070



−0,027

0,136



0,240

0,044

***

0,241

0,034

***

−1,194

0,348

***

−1,184

0,317

***

0,153

0,067

*

0,157

0,047

***

−0,187 418,99 – 0,46 413 – 10,97 2,90

0,415 115,14         ***  

  ***            

−0,186 401,69 0,923 0,48 413 −1577,95 – –

0,284 77,807            

  *** ***          

8,40

**









*p≤0,05; **p≤0,01; ***p≤0,001.

Rate innerhalb eines Spatial-Error-Modells. Sowohl in dem Regressionsmodell ohne Kontrolle für räumliche Autokorrelation als auch in dem räumlichen Fehlerkorrelationsmodell für Frauen hat das LA einen negativen Einfluss auf die ASKRate. Der positive Koeffizient der quadrierten LA zeigt, dass der Einfluss mit dem Anstieg des LA abnimmt. Die zu Beginn formulierten Hypothesen können also bestätigt werden. Von besonderem Interesse ist jedoch das räumliche Fehlerkorrelationsmodell, das für die Effekte aus den Nachbarregionen kontrolliert. Der räumliche Skalierungsparameter λ, der diese zufälligen Effekte wiedergibt, ist positiv und signifikant. Dies deutet auf positive räumliche Korrelation der Störterme hin, die durch nicht

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erfasste kulturelle Unterschiede in der Inanspruchnahme des stationären Sektors, Unterschiede im hiesigen Lebensstil oder durch den nicht erfassten medizinischen Bedarf der Bevölkerung bedingt sein kann. Die Vernachlässigung regionaler Fehlerkorrelation führt zwar nicht zu verzerrten Schätzern der Koeffizienten, aber zu ineffizienten Schätzungen und insbesondere zu falsch ausgewiesenen Standardfehlern und damit irreführenden Testergebnissen (s. Modell I). Der Vergleich der Modelle I und II zeigt, dass der Einfluss der ambulanten Leistungen auf die ASK-Rate nach Kontrolle für eine regionale Fehlerkorrelation eine höhere statistische Signifikanz aufweist.

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Das Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Anwendung von räumlichen Regressionsanalysen anhand eines praktischen Beispiels der kleinräumigen Versorgungsforschung zu illustrieren. Die Vorteile dieser räumlichen Regressionsanalysen sind vielfältig: Sowohl das Spatial-Lag- als auch das SpatialError-Modell kontrollieren für räumliche Autokorrelation. Das Spatial-LagModell ermöglicht darüber hinaus die Quantifizierung der räumlichen Abhängigkeit. Im Bereich der kleinräumigen Versorgungsforschung liegt eine Vielzahl an Gründen für eine räumliche Autokorrelation vor: Spillover-Effekte, für die innerhalb eines Spatial-LagModells kontrolliert wird, können sowohl durch miteinander kommunizierende Ärzte, die sich in ihrem Diagnose- oder Kodierungsverhalten beeinflussen, als auch durch die Ausbreitung infektiöser Krankheiten entstehen. Im Falle des Spatial-Error-Modells zählen zu den häufigsten Gründen für eine Fehlerkorrelation eine latente Morbidität sowie kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen benachbarten Regionen und eine nicht erfasste räumliche Korrelation von Lebensstilen. Sollte eine räumliche Korrelation vorliegen, aber nicht modelliert werden, so ist das Modell nicht korrekt spezifiziert und eine Inferenz auf Grundlage der geschätzten Koeffizienten nicht ohne Weiteres möglich. Der vorliegende Beitrag soll einen Einblick in das weite und sich schnell entwickelnde Feld der räumlichen Versorgungsforschung bieten und erhebt nicht den Anspruch eines Leitfadens. Im Feld der räumlichen Ökonometrie existieren viele (teilweise konkurrierende) statistische Tests und Modelle, die je nach Ziel der Analyse eingesetzt werden können. Weiterführende Literatur findet sich im Literaturverzeichnis [7, 8, 9, 10, 11, 12].

Korrespondenzadresse Prof. Dr. L. Sundmacher Fachbereich Health Services Management, Ludwig-Maximilians-Universität Schackstr. 4, 80539 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  L. Sundmacher, N. Götz und V. Vogt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Purdy S, Griffin T, Salisbury C, Sharp C (2009) Ambulatory care sensitive conditions: terminology and disease coding need to be more specific to aid policy makers and clinicians. Public Health 123:169–173   2. Fahrmeir L, Kneib T, Lang S (2007) Regression: Modelle, Methoden und Anwendungen. Springer, Berlin   3. Gatzweiler H-P, Milbert A (2006) Regionale Disparitäten in den Erwerbsmöglichkeiten. Inf Raumentwickl 6:317–324   4. Tobler W (1970) A computer movie simulating urban growth in the Detroit region. Econ Geogr 46(2):234–240

  5. Anselin L (1988) Spatial econometrics: methods and models. Kluwer Academic, Dordrecht   6. Greenland S, Robin JM (1991) Empirical-Bayes adjustment for multiple comparisons are sometimes useful. Epidemiology 2:244–251   7. Anselin L (2001) Rao’s score test in spatial econometrics. J Stat Plan Inference 97:113–139   8. Anselin L, Bera AK, Florax R, Yoon MJ (1996) Simple diagnostic tests for spatial dependence. Reg Sci Urban Econ 26:77–104   9. Elhorst JP (2010) Applied spatial econometrics: raising the bar. Spat Econ Anal 5(1):9–28 10. Kelejian HH, Prucha IR (1998) A generalized spatial two-stage least squares procedure for estimation a spatial autoregressive model with autoregressive disturbances. J Real Estate Finance Econ 17:99–121 11. LeSage JP, Pace RK (2009) Introduction to spatial econometrics. Statistics, textbooks and monographs. CRC Press, Boca Raton 12. Ward MD, Gleditsch KS (2008) Spatial regression models. Sage Publications, Thousand Oaks

[Statistical methods for research on regional health-care services].

Accurate modeling of spatial dependencies between observations is a significant challenge in research on regional health-care services. This article p...
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