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Arch. Pharm.

Arch. Pharm. (Weinheim) 312,604-609 (1979)

Struktur- und Konformations-Wirkungs-Beziehungenheterocyclischer Acetylcholinanaloga, 7. Mitt.”

Acetylcholinesterase- und Base-katalysierte Hydrolyse von 4-Acetoxypiperidin- und 4-Acetoxythiacyclohexan-Derivaten Giinther Lambrccht* lnstitut fur Pharmakologic fur Naturwisscnschaftler der Johann Wolfgang Goethe-Universitat; Theodor-Stern-Kai 7. Gebaudc 75 A. 6000 Frankfurt/M. Eingcgangen am 5 . September 1978

Die Acetylcholinesterase- und Base-katalysierte Hydrolyse von cholinerg wirkenden heterocyclischen Analogen des Acetylcholins in der Piperidin- und Thiacyclohexanreihe wurde untersucht. Das cis-4-Acetoxy-I-methylthioniacyclohexanist in dieser Reihe das beste Substrat fur die Acetylcholinesterase.

Structure- and Conformation-Activity Relationships of Cyclic Acetylcholine Analogues, VII: Acetylcholine Esterase- and Base-Catalyzed Hydrolysis of Derivatives of 4-Acetoxypiperidine and 4-Acetoxythiacyclohexane The hydrolysis of cholinergic acetylcholine analogues in the piperidine and thiacyclohexane series, as catalyzed by acetylcholine esterase or bases, was studied. Cis-4-acetoxy- 1-methylthioniacyclohexane is the best substrate for acetylcholine esterase in this series.

In vorangehenden A r b e i t e ~ ~ I konnte -~) gezeigt werden, dall fur die Muskarinwirkung von Verbindungen des Typs 1-4 (Abb. 1) die Stereochemie der einzelnen Verbindungen eine entscheidende Rolle bei der Wechselwirkung mit dem Muskarinrezeptor spielt. Als aktive Wirkform wurde eine Konformation abgeleitet, bei der die Estergruppe aquatorial orientiert ist und das Heteroatom nur eine axiale Methylgruppe besitzt. Die Hohe der Muskarinwirkung von 1-4 wird von der Fahigkeit bestimmt, diese Wirkkonformation am Rezeptor anzunehmen. 3 wirkt etwa um den Faktor 2 starker muskarinartig als Acetylcholin. 1,2 und 4 besitzen eine um 2-3 Zehnerpotenzen geringere parasympathomimetische Aktivitat. Die Nikotinwirkung von 1-4 ist aullerst gering. Neben dem Muskarin- und dem Nikotinrezeptor besitzen das Acetylcholin und seine Analogen als weiteren Wirkort das Enzym Acetylcholinesterase (E.C. 3.1.1.7.). Von diesem ist bekannt, da13 es ahnlich dem Muskarinrezeptor sehr hohe Anforderungen an die Geometric seiner Substrate stellt’). Untersuchungen mit rigiden bzw. semi-rigiden 0 3 h S ~ 2 3 3 / 7 Y / 0 7 0 7 ~ ~Si 02.50/0 l4

0 Verlag Chemie. GmbH. Weinheim IY7Y

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p 3

3

2

7 2

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4

*$

i

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Ac

Abb. 1: Struktur und Konformationsgleichgewichte von heterocyclischen Acetylcholinanalogen der Piperidinund Thiacyclohexanreihe. Ni = pyramidale N-Inversion im unprotonierten Amin, R = Ringinversion.

Acetylcholinanalogen lassen den SchluB zu, daB der optimale Torsionswinkel in der Kette N-C-C-0 beim Acetylcholin im ubergangszustand ( +)-anticha1 i d ) . Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung der Kinetik der enzymatischen Hydrolyse von 1-4 durch die Acetylcholinesterase. Es interessierte vor allem, o b die semi-rigiden Verbindungen 1-4 in ihrem Verhalten gegeniiber diesem Enzym die gleich groBen Unterschiede zeigen, wie sie es gegeniiber dem Muskarinrezeptor tun. Da zu erwarten war, dall 1-4 auch bei reiner OH@ Katalyse, d.h. bei Abwesenheit des Enzyms, verschiedene Verseifungsgeschwindigkeiten besitzen, wurde auch die Base-katalysierte Hydrolyse untersucht. Alle Hydrolysegeschwindigkeitenwurden bei 25" mit Hilfe einer pH-stat Methode gemessen. Die Enzymversuche wurden bei pH = 7.20 durchgefuhrt, die O H - Katalyseversuche bei 4-6 pH-Werten ) zwischen 10,20 und 11,70. Bei diesen pH-Werten konnte die Wasserkomponente ( K H , ~ der Hydrolysegeschwindigkeit vemachlassigt werden6). Die berechnete bimolekulare Geschwindigkeitskonstante k, von Acetylcholin und 24 ist daher von pH-Wert unabhangig. Dies trifft aber fur das tertiare Amin 1 nicht zu, da hier abhangig vom pH-Wert und vom pK,-Wert unterschiedliche Anteile an protoniertem und unprotoniertem Ester vorliegen und diese beiden Spezies versehiedene Hydrolysegeschwindigkeiten besitzen. Analog einem von Cho et al.') beschriebenen Verfahren wurden daher bei 1die beiden Geschwindigkeitskonstanten k, und k, fur die

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freie Base und fur ihre protonierte Form bestimmt (Abb. 2). AuOerdem erfolgte bei der Kinetik von 1 eine wegen der unterschiedlichen pK,-Werte von Ester und Aminoalkohol (pK,-Ester = 8,75’); Der pK,-Wert von 1war aus pK,-Alkohol = 8,99) notwendige Korrektur des La~genverbrauchs~). friiheren eigenen Arbeiten bekannt2), der des entsprechenden Aminoalkohols wurde analog mit einem potentiometrischen Verfahren b e ~ t i m m t ~ . ~ ~ ~ ) .

l”,

Abb. 2: Bestimmung der kinetischen Konstantcn kl und k2 der tertiaren Verbindung 1.Dieser Bestimmung liegt folgcnde Beziehung zugrunde: k = k l (I-p) k2 p’), p = protonierte Form von 1, k = scheinbare bimolekulare Gcschwindigkeitskonstante. Regressionsglcichung: y = 0,42x 0,206 (r = 0,98).

0.1

rn

3.i

P

+

+

Tab. 1: Kinetische Daten der Base-kataiysierten Hydrolyse von Acetylcholin (Ach) und la

Substrat

kl sec-I)

(M-1 sec-l)

0,20 2 0,04

0,67 f 0,09

(M-l

k2

Ach 1

2 3 4

k4 (M-1 sec-I)

Rel. k4(kz)

1,74 f 0,07

100

0,66 0,97 0,73

38,5a 37,9

f

0.02 0,07

55,8

f

0,06

42.0

f

‘Zur Berechnung dieses Wertes wurde k, benutzt, da bei pH = 7,20 1 (pK, = 8,75) weitgehend protoniert vorliegt und auOerdem k, etwa um den Faktor 3,4 kleiner ist als k,. bk, und k, sind die Geschwindigkeitskonstanten der alkalischen Hydrolyse der neutralen und der protonierten Form von 1,k, ist die Geschwindigkeitskonstante von Ach und 2-4.

Tab. 1 enthalt die Ergebnisse der Base-katalysierten Hydrolyseuntersuchungen. In der letzten Spalte sind die Geschwindigkeitskonstanten von 1-4 relativ zu Acetylcholin zusammengestellt. Die untersuchten Ester sind schlechtere Substrate fur die OH@ Katalyse als Acetylcholin selbst. Zwischen den Werten der quartaren Verbindung 2 und der protonierten Form von 1besteht kein statistisch gesicherter Unterschied. Man findet in der Literat~r’-~-’~) bei aliphatischen und cyclischen basischen Estern wesentlich hohere

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Werte fur die Hydrolysegeschwindigkeitskonstante der protonierten tertiaren Spezies gegeniiber der quartaren Form, wenn das Proton am Stickstoff der tertiaren Verbindung eine Wasserstoffbriicke zum Carbonylsauerstoff der Estergruppe ausbilden kann. Diese intramolekulare Wasserstoffbriicke sol1 den nukleophilen Angriff der Hydroxidionen am Carbonylsauerstoff erleichtern. Nun kann aber bei den Sesselformen von 1 (Abb. 1) eine solche Wasserstoffbriicke wegen des relativ groBen N-H-O=C Abstandesz) nur schwach sein. Dies mag mit d a m beitragen, daB 1-protoniert und 2 praktisch gleich schnell verseift werden. Weiterhin ist es ein Hinweis darauf, daB im ubergangszustand von 1-protoniert bei der OH' Katalyse keine flexiblen Konformationen beteiligt sind, bei denen eine solche Wasserstoffbriicke sehr leicht moglich ist. Die beiden Sulfoniumanalogen 3 und 4 besitzen hohere Werte fur die Geschwindigkeitskonstanten der alkalischen Hydrolyse als die Ammoniumderivate 1 und 2. Tab. 2: Kinetische Daten der Acetylcholinesterase-katalysierten Hydrolyse von Acetylcholin (Ach) und 1-4 Substrat

VmaxeXp/E~ (,,mol u - l rec-l,

ex p

Rel.

EO

Vmaxcxp

K,.

mM

~

F.0.

"maxexp

Rel. __--E o . K,

K,

( U - ' mi tec-1)

Rel. '

'maxexp

E o . K,

. k4

102

-.

Ach 1 2

3 4

8,85 t 0,lSh 4.67 r 0,10

1,32 I 0.06 2,20 t 0,os 0.62 f 0,02

100 52.8 14.9 24,9 7-0

0.12 1,51 1.86 0,27 2,38

0,008 t 0,09 f 0,09 t 0,04 t 0,15 t

73,8b 3.09 0,71 8.15

0.26

I00 4.19 0,96 11.0 0.35

100

1O.Y 2.53 19.7 0,83

aUm die experimentellen V,,-Werte vergleichen zu konnen, wurden diese durch die Enzymkonzentration (hin mikromolaren Einheitedml) dividiert. bAlle Werte dieser Spalte . 'Zur Berechnung dieses Wertes wurde k2 benutzt (Tab. I ) .

In Tab. 2 sind die kinetischen Parameter der Acetylcholinesterase-katalysierten Hydrolyse zusammengestellt.Spalte 2 enthalt die aus den experimentellen V,,-Werten durch Division mit der Enzymkonzentration E, (in mikromolaren Einheitedml) erhaltenen normalisierten V,,-Werte. Diese Zahlen kann man als katalytische Geschwindigkeitskonstante erster Ordnungansehen. Sie sind, relativ zu Acetylcholin, in Spalte 3 angefuhrt. Der Michaelis-Menten Parameter K, findet sich in Spalte 4. Nach Division der Werte in Spalte 3 durch die K,-Werte erhalt man relative Geschwindigkeitskonstanten zweiter Ordnung fur die Enzym-katalysierte Hydrolyse (Spalte 6), entsprechend den Werten in Spalte 5 von Tab. 1 fur die OHo katalysierte Reaktion. Urn wirklich vergleichbare Werte fur den fordernden Einflul3 der Acetylcholinesterase auf die Hydrolyse der einzelnen Ester zu erhalten, wurden die Werte der Spalte 6 durch die relativen Geschwindigkeitskonstanten der OH@katalysierten Reaktion dividiert. Diese Zahlen finden sich in Spalte 7 der Tab. 2.

Die Verbindungen 1 4 sind schlechtere Substrate fur die Acetylcholinesterase als Acetylcholin selbst. Von den cyclischen Derivaten wird die cis-Sulfoniumverbindung 3 am besten enzymatisch verseift. Ihre enzymatische Hydrolysegeschwindigkeit ist etwa 24maI

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groBer als die des entsprechenden trans-Esters 4, etwa doppelt so grol3 wie bei der tertiaren Ammoniumverbindung 1und etwa 8maI so groB wie bei 2. Die beiden Ammoniumderivate 1 und 2 sind bessere Substrate als der trans-Sulfoniumester 4. Die Zunahme der Hydrolysegeschwindigkeit durch die Acetylcholinesterase ist bei dem tertiaren Ester 1 etwa um den Faktor 4 groRer als bei der quartaren Verbindung 2. Die relativen Hydrolysegeschwindigkeiten nehmen in folgender Reihenfolge ab: 3 > 1 > 2 > 4. Am Muskarinrezeptor hatten wir eine andere Reihenfolge der Wirkungsabnahme erhalten: 3 > 4 > 1 > 2*).Dies spricht dafur, da13 die Acetylcholinesterase andere Anforderungen an die Geometrie von Substraten des Typs 1-4 stellt als der Muskarinrezeptor. Die Acetylcholinesterase-katalysierte Hydrolyse wird allgemein als Drei-Stufenreaktion formuliert”): E.5

+ -5 k

h,

- -A?

.

t

,!:

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‘.p

Unterschiede in den Hydrolysegeschwindigkeiten verschiedener Substrate konnen auf drei Ebenen entstehen: bei der Bildung des Michaelis-Menten Komplexes [ES], bei der Acylierung des Enzyrns zu E-Ac oder bei der Deacylierung. Da sowohl das Acetylcholin als auch 1-4 Essigsaureester sind, d.h. zu dem gleichen E-Ac fiihren, miissen die gemessenen Unterschiede in den enzymatischen Hydrolysegeschwindigkeiten im Bereich eines der beiden vorgeschalteten Prozesse zu suchen sein. Quantenchemische Berechnungen haben gezeigt, daS flexible Wannen- bzw. Twistkonformationen von 1-4 energetisch so ungunstig sind, da8 sie im thermodynamischen Gleichgewicht keine Rolle spielen2).Die Konformation von 1-4, die den energiearmsten ubergangszustand bei der Wechselwirkung mit der Acetylcholinesterase zu bilden vermag, sollte daher mit einer der beiden Sesselkonformationen von Verbindung 3 identisch sein, da 3 innerhalb dieser Reihe mit Abstand das beste Substrat darstellt. Da der trans-Sulfoniumester 4 aus strukturellen Grunden keine der beiden Sesselkonformationen von 3 annehmen kann (Abb. l),ist seine wesentlich geringere enzymatische Hydrolysegeschwindigkeit gut verstandlich. Die schlechteren Substrateigenschaften von 2 konnten bedingt sein durch eine sterische Hinderung der zweiten zusatzlichen Methylgruppe am Heteroatom. Dafiir spricht auch, daR der tertiare Ester 1, der ja auch nur eine Methylgruppe am Heteroatom besitzt, besser verseift wird als die quartare Verbindung 2. Die guten Substrateigenschaften von 1 im Vergleich zu 3 sprechen dafiir, daS es sich bei der Sesselkonforrnation von 3 und 1 irn energiearmen Ubergangszustand um die Konformation mit aquatorialer Methylgruppe und axialer Acetoxygruppe handelt, da die inverse Konformation von 1 energetisch auRerst ungiinstig ist2). Wir danken der Deutschen Forschungsgerneinschaft fur die Forderung der Arbeiten, Herrn Prof. Dr. Dr. E. Mutschler fur die Bereitstellung von Sachmitteln und Frau Cb. Rijffgerfiirdie sorgfaltige Mitarbeit.

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ExperimentellerTeil Die Synthese der Verbindungen 1 4 ist an anderer Stelle beschrieben,). Die Bestimmung der Kinetik der alkalischen Hydrolyse erfolgte nach bekannten Literaturvorschriften'.') mit einer pH-stat Methode, einer Substratausgangskonzentrationvon 6 X lOW4Mund t = 25". Als Titrationslosung diente 0,Ol N NaOH (C0,-frei). Die Geschwindigkeitskonstanten wurden nach Cho et a].') ermittelt. Die Bestimmung der Kinetik der enzymatischen Hydrolyse wurde weitgehend nach der Vorschrift von Schowen et al.') durchgefiihrt und die entsprechenden Parameter mit Hilfe eines doppeltreziproken Plots errechnet. Die Spontanhydrolyse von Ach und 1-4 konnte beim pH der Enzymversuche (7,20) vernachlassigt werden. Das venvendete Enzym stammte von Electrophorus electricus (Serva-Heidelberg) und hatte eine Aktivitat von etwa 998 Ulmg. Als Titrationslosung diente 0.01 N NaOH (C0,-frei), t = 25".

Literatur

* Auszugsweise vorgetragen auf der Friihjahrstagung der Deutschen Pharmakologischen Gesell1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

schaft, Mainz 1978 und auf dem Symposium on Recent Advances on Receptor Chemistry, Camerino (Italien) 1978. 6. Mitt.: G. Lambrecht, Experientia, 35, 75 (1979). H.-D. Holtje, B. Jensen und G. Lambrecht, Eur. J. Med. Chem., Chim. Ther. 13, 453 (1978). G. Lambrecht, Eur. J. Med. Chem. 12,41 (1977). G. Lambrecht, Arch. Pharm. (Weinheim) 311, 636 (1978). K. B. Schowen, E. E. Smissman und W. F. Stephen, J. Med. Chem. 18. 292 (1975). M. R. Wright, J. Chem. SOC.B 1968,545. A. K. Cho, D. J. Jenden und S. I. Lamb, J. Med. Chem. 15,391 (1972). A. Albert und E. P. Serjeant, The Determination of Ionization Constants, Chapman and Hall, London 1971. G. Aksnes und P. FrByen, Acta Chem. Scand. 20, 1451 (1966). B. Hansen, Acta Chem. Scand. 16, 1927 (1962). M. M.-L. Chan und J. B. Robinson, J. Med. Chem. 17,1057 (1974). [Ph 381

[Structure- and conformation-activity relationships of cyclic acetylcholine analogues, VII: Acetylcholine esterase- and base-catalyzed hydrolysis of derivatives of 4-acetoxypiperidine and 4-acetoxythiacyclohexane (author's transl)].

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