Freitag, 9. Mai 1975 - Kongreflhalle 8.30-13.00 Uhr

E. Plastische und wiederherstellende Chirurgie im Dienste der Funktion E 1. Sprachfunktion

Langenbecks Arch. Chir. 339 (KongreBbericht 1975) © by Springer-Verlag 1975

44. Plastische Operationen im Dienste der Sprachfunktion von Gaumenspalttr~igern. Prim~ire und sekund~ire Mal3nahmen H. Scheunemann Kieferchirurgische Klinik der Universit~itsklinik fiir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, Malnz Surgical Procedures in Cleft-Palate Patients, with Reference to Phonetic Function: Primary and Secondary Methods Summary. Surgeons undertaking the closure of cleft lip and cleft palate must develop a therapeutic technique that will give the best possible phonetic results and cause the minimum disturbance to normal growth of the maxillae in each case. Clinical observations reveal that different operative procedures achieve normal phonetic function in 60-80 percent of cases. The author has observed the best results when patients have been operated on for cleft lips at 4-6 months of age and for cleft palate at 2-3 years. If nasal speech persists after a cleft-palate operation, a secondary pharyngoplasty can be undertaken in the preschool period, with favorable results in about 70 percent of cases. Key words: Results: Speech - Cleft palate - Pharyngoplasty Zusammenfassung. Jeder Chirurg, der sich mit der operativen Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten befaBt, mul3 in Abh~ingigkeit vonder individuellen Spa•tform einen Therapieplan entwickeln, der sprachfunktionell bestm6gliche Ergebnisse verspricht und gleichzeitig das Wachstum des Oberkiefers am wenigsten tangiert. In etwa 60-80 % der F~ille wird eine normale Umgangssprache erreicht. Verbleibt ein offenes N~iseln, so kann man durch eine sekund~ire Pharyngoplastik in etwa 70 % der F~ille noch eine normale Sprache erzielen. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sollten in Zentren operiert werden, die fiber alle Voraussetzungen zur Teamarbeit mit P~idiatern, Phoniatern, HNOArzten und Kieferorthop~iden verfiigen. Schliisselw6rter: Sprachergebnisse - Gaumenspaltoperation - Pharyngoplastik

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Bei der Bearbeitung meines Referates ,,Plastische Operationen im Dienste der Sprachfunktion von Gaumenspalttragern" war sofort zu erkennen, dab ich reich einleitend mit der Frage auseinandersetzen mul3, welches vordergriJndige Ziel der operative Verschlul3 einer Gaumenspalte hat. Gehen wir von der Funktion aus, so ist neben der Sprachfunktion fiber die Kaufunktion, im weiteren Sinne fiber die Form des Kieferbogens und die Okklusionsverhaltnisse zu diskutieren. Auf die Frage, welche Prioritat haben wir bei der Operationsplanung zu setzen, so m6chte ich heute eindeutig die Rehabilitation der Sprache in den Vordergrund stellen, gleichfalls aber betonen, dab das Wachstum des Oberkiefers bei der Festlegung des Operationstermins unbedingt beachtet werden mull Die Entwicklung des Milchgebisses sollte zum Zeitpunkt des Spaltverschlusses m6glichst abgeschlossen sein, wenn es sich um eine Spalte mit Beteiligung des harten Gaumens handelt. Bei der vorgenannten Situation steht in Abhangigkeit vom Schweregrad der Gaumenspalte ein Operationszeitpunkt von 2-3 Jahren zur Diskussion, eine isolierte Velumspalte kann ohne Bedenken frfiher operiert werden. Die Lippenspaltplastik wird von den meisten Operateuren in Deutschland im Alter von 4-6 Monaten vorgenommen. Vor einem frfiheren Operationszeitpunkt mul3 besonders gewarnt werden, wenn Kiefer und Gaumen an der Spaltbildung beteiligt sind. Wir miissen von den Spatergebnissen ausgehen und uns nicht von den Eltern aus psychologischen Grfinden zur Frfihoperation kurze Zeit nach der Geburt drangen lassen. Die Meinungen fiber den bestm6glichen Operationszeitpunkt sind nicht einheitlich, ich verweise auf die zusammenfassenden AusfiJhrungen von Ritter (1956), Rehrmann (1961), Schuchardt (1966), Andra (1966), Gabka (1973), Koberg (1971), Koberg u. Koblin (1973), Trauner (1973), Stellmach (1974). Die Sprache ist das bedeutendste Kommunikationsmittel des Menschen und die Erfahrung zeigt, dab der Sprachgest6rte in seiner pers6nlichen Entwicklung erheblichen Hemmungen unterworfen ist. In vielen Fallen gelingt die soziale Integration nur schwer. Ein von der Umwelt verspottetes, sprechbehindertes Kind unterliegt aul3erordentlichen psychischen Belastungen, reaktive neurotische Verhaltensweisen sind oftmals eine unausbleibliche Folge (Sergl, 1973). Gehen wir v o n d e r Entwicklung der Sprache als primares Operationsziel aus, so dfirfen wir die Gaumenspaltplastik nicht zu spat durchffihren, wobei zu berficksichtigen ist, dab Kinder ohne eine Fehlbildung des Gaumens im Alter von 2 Jahren geformte Mehrwortsatze sprechen lernen und dab etwa im Alter von 4 Jahren ein Anliegen des Kindes vorliegt, mit sprachlichen Mitteln in die Zusammenhange seiner Umgebung einzudringen. Eine von Siegert stammende Zeittafel der Sprachentwicklung, die ich dem Werk Phoniatrie und Padoaudiologie von Biesalski u. Mitarb. (1973) entnommen habe, m6chte ich Ihnen in diesem Zusammenhang demonstrieren (Tab. 1). Aufgrund der konkurrierenden Ziele, die bei der operativen Rehabilitation eines Spalttragers im Hinblick auf die Sprachfunktion und das ungest6rte Wachstum des Oberkiefers bestehen, wurden zahlreiche Operationsmethoden entwickelt, die in Abhangigkeit vom Grad der Spaltbildung und vom Zeitpunkt' des Spaltverschlusses bestimmte Vor- oder Nachteile aufweisen. Je komplizierter die Spaltbildung ist, je differenzierter mu8 die Operationsplanung und Opera-

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Tabelle 1. Normale Sprachentwicklung bei Kindern ohne Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Zeitliche Variationen in Abh~ingigkeitvonder k6rperlich-geistigen Entwicklung sind zu beachten (nach Siegert)

Zeittafel der Sprachentwicklung Schreiperiode 1. LaUperiode 2. Lailperiode Nachahmung und erstes Sprachverstiindnis Zuordnung van lautlicher A,uNerung, Geste und Situation Beginn intentionaler Sprachiaullerungen Entstehung pri~zisierter Wortbedeutungen (Symbolfunktion der Spruche) Einworts~tze Erstes Fragea[ter mit Zweiwortsiatzen und ungeformten Mehrwortsiatzen Agrummatische Aussagesiatze Geformte Mehrworts6tze (IJbernahme erster grammatikatischer Beziehungsmittel) Zweites Fragealter mit der Fortsetzung des Erwerbs des Wortschatzes und der grummatikalischen Formen

co. bis 7. Woche co. 6. Woche bis 6. Monot co. 6. Monat bis 9. Monat co. 8.- 9. Monat 9. - 10. Monat 9.- 12.Monat 13.- 15. Monut 12.- 18.Monat 18.- 2/,.Monat Ende des 2. Lebensjahres 3. Lebensjahr t,. Lebensjahr

tionstechnik sein. Fiir den in der Spaltchirurgie weniger Effahrenen m6chte ich vor der nachfolgenden Diskussion fiber die Sprachergebnisse die wichtigsten Operationsprinzipien herausstellen, wobei ich mich auf wesentliche Verfahren beschr~inken muB, bei denen beziiglich der Sprachergebnisse Langzeitkontrollen vorliegen. Zun~ichst sei erinnert an die klassische Stiellappenplastik von Victor Veau (1931), dem das Verdienst zukommt, den systematischen mehrschichtigen VerschluB der Gaumenspalte gefordert zu haben. Neben dem Verschlul3 der nasalen Schicht wurde besonderer Wert auf die Vereinigung der fiir die Sprachfunktion wesentlichen Muskulatur des Velums gelegt. Die Muskulatur vereinigen wir heute nicht mehr wie Veau mit einer Drahtnaht, wir verwenden mehrere Dexonn~ihte und verschlieBen die Schleimhaut mit Seide. Zeitlich sp~iter und damit an zweiter Stelle erw~ihnt sei die sogenannte ,,neuzeitliche Briickenlappenplastik" von Axhausen (1936), bei der die A. palatine beiderseits durchtrennt wird. Axhausen versprach sich von diesem Vorgehen eine bessere Dorsalverlagerung des weichen Gaumens. Ich daft mir in diesem Zusammenhang den Hinweis erlauben, dab Heffert (1957) nach Unterbindung der A. palatine eine transversale WachstumsstiSrung im Bereich des Oberkiefers tierexperimentell ermittelt hat. Wir pers6nlich fiihren die Briickenlappenplastik stets unter Erhaltung der A. palatina durch. Hinsichtlich der Riickverlagerung des Velums ergeben sich keine Schwierigkeiten, wenn man die A. palatina beiderseits gut mobilisiert.

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Abschliel3end m6chte ich die viel diskutierte Technik von Schweckendiek (1951) erwahnen, bei der primar nur der weiche Gaumen geschlossen wird und sekundar der Verschlul3 der Spalte des harten Gaumens erfolgt. Schweckendiek selbst operiert die Velumspalte im Alter von 7-8 Monaten und versorgt die Spalte des harten Gaumens zunachst mit einem kieferorthopadischen Apparat bzw. mit einer Prothese bis zum 12.-14. Lebensjahr, um eine Hemmung des Kieferwachstums durch Narbenbildung m6glichst auszuschliel3en. Ich daft mir die Bemerkung erlauben, dab der Begriff ,,Gaumenspaltplastik" haufig zu verallgemeinernd gebraucht wird. Jedem ist ersichtlich, dab die doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit stark protrudiertem Zwischenkiefer chirurgisch die gr6Bten therapeutischen Probleme aufwirft, relativ gute sprachfunktionelle Ergebnisse k6nnen dennoch erzielt werden, wenn man mit Hilfe von Stiellappen den Gaumen friihzeitg verschliel3t (Koberg, 1971). Bei einer einseitigen Gaumenspalte ist mehr funktionstiichtige Muskulatur im Velumbereich vorhanden als bei einer breiten doppelseitigen Gaumenspalte, wie sie in Abb. 1 a dargestellt ist. Eine Velumspalte stellt sich dem Untersucher als weniger kompliziert dar, da die Velumhalften nahe beieinanderliegen (Abb. 1b). In einem solchen Fall muB dennoch sorgfaltig gepr/ift werden, ob sich die Spalte in den harten Gaumen fortsetzt. Im Hinblick auf das spatere Sprachergebnis mul3 bei Vorliegen eines kurzen Velums primar eine R/ickverlagerung des Gaumens vorgenommen werden. Wir bevorzugen in solchen Fallen die Stiellappenplastik nach Veau. Eine Schweckendiek-Operation ist bei sehr breiten Gaumenspalten technisch nur m6glich, wenn man seitliche Entlastungsschnitte anlegt. In extremen Fallen miiBte man sogar die Schleimhaut im dorsalen Anteil des harten Gaumens mobilisieren, um den primaren VerschluB des Velums zu erreichen. Ein solches Vorgehen widerspricht dem Prinzip der Schweckendiek-Operation, da der harte Gaumen unberiJhrt bleiben soil. Mit diesen wenigen Beispielen wollte ich darlegen, dab der Operateur die verschiedensten Operationsverfahren und deren Vor- und Nachteile kennen mug, um im Einzelfall in Abh/ingigkeit vom Typ der Spaltbildung abzuwagen, welches operative Vorgehen sinnvoll ist.

Zur Statistik der Sprachergebnisse bei Gaumenspahtriigern Studiert man die in der deutschsprachigen Literatur vorliegenden Sprachergebnisse, so st6Bt man bei statistischen Erhebungen immer wieder auf ungleiche BewertungsmaBstabe, die einen echten Vergleich nur schwer erm6glichen. Luhmann stellte 1955 die Aussagen verschiedener Kliniker gegeniiber, wonach erkennbar schien, dab eine Frfihoperation nach Veau nach Ablauf des 2. Lebensjahres in ann~ihernd zu 70% der F~ille zu einer normalen Sprache fiihrt. Es wurde daraus der Schlul3 gezogen, dab der VerschluB des Gaumens nicht zu spat erfolgen sollte, damit der Spalttrager bereits mit geschlossenem Gaumen das Sprechen lernt. Im Gegensatz dazu empfahl Rosenthal (1955) unter dem Eindruck schwerer Kieferverkr/ippelungen nach Fr/ihoperationen bei Spaltbildungen mit Beteiligung des harten Gaumens den SpaltverschluB nach annahernd abgeschlossenem Kieferwachstum, d.h. im Alter ab dem 12. Lebensjahr vorzunehmen. Nur sehr wenige Spaltchirurgen schlossen sich diesem spaten Vorgehen

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Abb. 1. (a) Extrem breite Gaumenspalte mit hypoplastischen Velumhiilften. Zeitgerechte Stiellappenplastik erm6glicht befriedigende Sprachergebnisse. (b) Bei isolierten Velumspalten auf submuk6se Spalte im harten Gaumen achten

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Umgangssprache normal ~ / J J ' ~ ~ 56%~ brauchbar Ohne Sprachtherapie PatientenlllIIIIlllIiz,*l, lllIl mangelhaft 110 ~ 3 0 " / ~

/ / / / / . / / / / / / / ~ . / / J ~ 63 % Sprachtherapie andernorts Patienten IHIIIIIIIIIIIIII2o%IIIIIIflH 141 ~17"1,~ ~

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Sprachtherapie eigene Khnik--459Patienten o..oo.o

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5prachergebnisse nach Prim~roperationen von Gaumenspalten in Abh~ngigkeit von der postoperativen Sprachschulung (Untersuchungen an 710 Patienten der Nordwestdeutschen Kieferklinik Hamburg) -nach Pfeifer

an, auf weitere Untersuchungen von Bethmann u. Dyrner (1969) sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Axhausen (1952) teilte sein Spaltkrankengut hinsichtlich der Sprachergebnisse in 5 Qualit~itsgruppen ein. Bei 3jiihrigen Kindern erzielte er mit der neuzeitlichen BriJckenlappenplastik eine v611ignormale Sprache in 79,5 % der F~ille. Ohne einen Anspruch auf allgemeine Vergleichbarkeit zu erheben, ermittelte Schuchardt (1954) eine Normalsprache in 81,8 % der F~ille. Eine n~here Differenzierung der Sprachergebnisse am Spaltkrankengut der Nordwestdeutschen Kieferklinik Hamburg hat Pfeifer (1971) vorgenommen (Tab. 2). Von besonderem Interesse sind die Angaben von Schweckendiek (1972) fiber seine eigenen F~ille: 71,7% der Spaltkinder erreichten die SprachgruppeI (normal) und II (leichte Fehler). Trauner (1973), der nach einer modifizierten Veau-Technik operierte, erzielte ausgezeichnete Sprachergebnisse. Er berichtet, dab in 86 % der F~ille kein offenes N~iseln festzustellen war, bei 83 % seiner Spaltpatienten auch kein anderer Sprachfehler vorlag. Koberg (1971) hat am Krankengut der Klinik ffir Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universidit Dfisseldorf, ausgehend von 893 nachuntersuchten Fallen, eine differenzierte Betrachtung der Sprachergebnisse unter Berficksichtigung verschiedener Spaltformen vorgenommen. Fiir die isolierte mediane unvollstiJndige Gaumenspalte ist nach seinen Untersuchungen die Prognose im Hinblick auf eine normale Umgangssprache mit 70 % anzusetzen, bei der medianen isolierten vollstiindigen Gaumenspalte land er ein sehr gutes bis

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gutes Sprachresultat bei AusschluB einer Minderintelligenz in 65 % der F~ille. Die besten sprachfunktionellen Ergebnisse wurden bei der isolierten Velumspalte mit 85 % und 90% bei submuk/Ssen Gaumenspalten erzielt. Wir kommen damit zu der Feststellung, dab dutch die derzeitig geiibten Gaumenspaltplastiken bei subtilster Technik in Verbindung mit einer phoniatrischen Nachbehandlung in einem hohen Prozentsatz eine normale Sprache erzielt werden kann, verwiesen sei hier noch einmal auf die Erhebungen von Pfeifer (Tab. 2). Gelbke (1964) driickte sich dazu wie folgt aus: ,,Der Chirurg kann dem Kranken nur das Sprachwerkzeug geben, damit umzugehen mul3 er selbst lernen." Wir miissen an dieser Stelle darauf hinweisen, dab in der Quote der Mil3erfolge ein hoher Prozentsatz Minderbegabter vertreten ist und somit eine einwandfreie Umgangssprache trotz aller operationstechnischen Fortschritte in jedem Einzelfall nicht erzielt werden kann. Auf die notwendige Teamarbeit zwischen Chirurgen, Kieferorthop~iden, P~idiatern, HNO-,~rzten und Phoniatern sei hier noch einmal besonders aufmerksam gemacht.

Sprachverbessernde Operationen Aus den vorgelegten Statistiken ist klar ersichtlich, dab wir uns nach wie vor mit der Frage auseinandersetzen miissen, mit welchen operativen Mitteln Patienten mit einer velopharyngealen Insuffizienz zu helfen ist, wenn diese durch die Nasalit~it der Sprache in Schule und Beruf behindert sind. Ein hochgradiges N~iseln kann mit Artikulationsfehler mit Rachen- und Kehlkopft6nen und mit kompensatorischen Grimassen verbunden sein. Wer sieht, wie ein solcher Patient nach einer verst~indlichen Sprache ringt, wird verstehen, dab eine Vielzahl von Operationsmethoden erarbeitet wurden, die abnormen anatomischen Verh~iltnisse zu verbessern. Aus phoniatrischer Sicht wies Doubek (1955) darauf hin, dab das pathologische Klangspektrum erst dann verschwindet, wenn durch einen funktionell richtigen AbschluB der Nase vonder Mundh6hle ein Mitklingen des suprapalatalen Raumes ausgeschlossen wird. Dieses zu schaffen ist eine unbedingte und nur vom Chirurgen zu leistende Voraussetzung. Sie h~ingt, wie klanganalytische Untersuchungen immer wieder best~itigen, im einzelnen weniger von der L~inge des Velums als mehr vonder Beweglichkeit der gesamten oropharyngealen Sprachmuskulatur und vom Muskelreichtum des Gaumens ab. Im Rahmen meines Beitrages kann ich nur Schwerpunkte aufzeigen und auf die nichtbehandelten Fragen in der eingeplanten Diskussion eingehen. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dab der sogenannte Passavantsche Wulst an der hinteren Rachenwand ein wesentlicher Faktor fiir die Sprachbildung sei. Sp~itere Untersuchungen, besonders von Calnan (1954), zeigten, dab der Passavantsche Wulst als eine kompensatorische Muskelhyperthrophie in Einzelfallen bei Spaltpatienten anzusehen ist. Herfert (1973) beschreibt die funktionelle Situation wie folgt: Der velopharyngeale VerschluB stellt beim Spreehen eine zweckm~iBige aufeinander abgestimmte Leistung der Muskulatur des weichen Gaumens einschlieBlich des M. palatoglossus und der Muskeln im oberen Rachenbereich dar. Der M. tensor veli palatini wird leicht angespannt, so dab er dem sich beiderseits stark kontra-

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Abb. 2. Zustand nach Pharyngoplastik - die offene Nasensprache kann nach einer Gaumenspaltoperation in etwa 70 % der F~ille beseitigt werden

hierenden M. levator veli palatini mit seinem palatinalen Anteil beim Zug nach hinten oben folgen kann. Auch die seitlichen Rachenw~inde werden vor Beginn der Sprachleistung in der sogenannten ,,ready position-tension" bereitgestellt, d. h. zur Mitte gefiihrt, woran der M. pharyngopalatinus als auch der M. salpingopharyngicus beteiligt sind. FOr den Operateur ist diese funktionelle Betrachtung auBerordentlich wichtig, da er bei der Operationsplanung Verfahren den Vorzug geben muB, die in das komplizierte muskul~re VerschluBsystem am wenigsten eingreifen. Wir selbst wollen hier wie im vorhergehenden Abschnitt nur Operationsverfahren besprechen, bei denen beziJglich der Sprachergebnisse Langzeitkontrollen an einem repr~isentativen Krankengut vorliegen. Das gilt for die Pharyngoplastik nach Sch6nborn (1876), Rosenthal (1924) und Sanvenero-Rosselli (1955), bei denen ein caudal oder cranial gestielter Pharynxlappen mit dem meist narbig verkiirzten Velum vereinigt wird (Abb. 2). Angestrebt wird eine Reduktion der Weite des Rachenraumes in der Ebene des Gaumens ohne Eingriff in die funktionell bedeutsame Muskulatur der seitlichen Rachenwand. Der Lappen darI nicht zu breit gew~ihlt werden, da Sekretstauungen und ein Rhinophonia clausa postoperativ zu befiirchten sind. Wir selbst bevorzugen einen cranial gestielten Pharynxlappen, der nach unseren Erfahrungen problemlos einheilt und nach Kahre u. Mitarb. (1973) auch funktionelle Vorteile hat. Beziiglich der Bewertung der genannten Verfahren verweise ich auf die Ergebnisse von Lentrodt u. Mitarb. (1973), die mit Hilfe der Velopharyngoplastik in 70 % der F~ille eine normale Sprache erzielt haben. Miiller-Planitz u.

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Mitarb. (1973)fanden bei den vorgenannten sprachverbessernden Operationen bessere Leistungsergebnisse, wenn die Operation vor dem 5. Lebensjahr durchgefiihrt wurde. Das sprachliche Rehabilitationsprogramm des Spaltkindes sollte m6glichst vor der Einschulung abgeschlossen sein. Eine verz/Sgerte Einschulung um 1 Jahr kann bei intensiver sprachtherapeutischer Betreuung fiir das Kind niitzlicher sein, als ein altersgem~il3er Schulbeginn mit belastenden Sprachschwierigkeiten. Literatur

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[Surgical procedures in cleft-palate patients, with reference to phonetic function: primary and secondary methods (author's transl)].

Surgeons undertaking the closure of cleft lip and cleft palate must develop a therapeutic technique that will give the best possible phonetic results ...
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