Langenbecks rc.v,rChirurgie

Langenbecks Arch Chir (1992) 377:229-234

© Springer-Verlag 1992

Das arterielle Versorgungsprinzip der Tibia und seine praktischen Konsequenzen J. Menck 1, Ch. Bertram 2, W. Lierse 1, D. Wolter 3 1 Anatomisches Institut der Universit/it Hamburg, Abteilung ffir Neuroanatomie (Direktor: Prof. Dr. W. Lierse), Martinistral3e 52, W-2000 Hamburg 20 2 AK St. Georg, Abteilung fiir Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie (Direktor: PD Dr. Ch. Eggers), Lohmiihlenstrage 5, W-2000 Hamburg 1 3 Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg, Abteilung ffir Unfallchirurgie (Direktor: Prof. Dr. D. Wolter), Bergedorfer Stral3e 10, W-2050 Hamburg 80 Eingegangen am 11. Februar 1992

The arterial angioarchitecture of the tibia and its clinical importance Summary. In the periosteum of the human tibia, the arterial blood supply shows a general sectorial angioarchitecture. There are 4 segments: proximal and distal 1/5, proximal and distal diaphysis. The proximal 1/5 of the tibial periosteum is supplied with blood by the aa. recurrentes tibiales anterior et posterior and the aa. inferiores medialis et lateralis genus. At the proximal diaphysis (next 3/10 of the tibia) periosteal branches arise from the a. tibialis anterior and the a. tibialis posterior. The distal diaphysis (following 3/10 below the middle of the tibia) is nourished exclusively by semicircular rami periostales of the a. tibialis anterior, which move around the bone from both sides and join with each other at the facies medialis. It is the only sector, which is supplied by a single main artery. Concerning the periosteal blood supply of the distal 1/5 of the tibia 2 different types are found. In 2/3 of the cases the lateral side is nourished by a great vessel of the a. fibularis, which is supported by branches arising from the a. tibialis anterior. In 1/3 of the cases this vessel of the a. fibularis is absent and rami periostales of the a. tibialis anterior nourish the lateral aspect of the distal tibia alone. The dorsal region is supplied in all cases by rami of the a. fibularis and a. tibialis posterior. On the medial side the periosteal nourishment is ensured only by anastomoses. Both the facies lateralis and the facies posterior are supplied by direct branches, which arise from the main arteries of the lower leg. The foramen nutricium is proximal on the dorsolateral side at an average of 33% of the tibial length. The a. nutricia has a caudal course up to 50 % of the tibial length in the compacta. After passing the compacta the a. nutricia splits up in the medulla, its main vessel continues the caudal course at the edge of the dorsal compacta (endostal). The a. tibialis anterior is of great importance concerning the arterial supply of the periosteum and the outer aspect of Diese Arbeit ist durch das Zentrum ffir Biomechanik der Universitilt Hamburg gef6rdert.

the cortex of the tibia. The periosteum of the distal diaphysis is solely supplied by this blood vessel. There is a conspicuous correlation between this region and the location of pseudarthrosis. This area has the highest incidence for congenital and acquired pseudarthrosis. Therefore an osteo- or corticotomy should be avoided in the distal diaphysis. Neither should they be performed in the upper part of the proximal diaphysis, because one has to protect the a. nutricia. We recommend for those procedures the distal part of the proximal diaphysis just above the middle of the tibia and otherwise the frontier area of tibial head and proximal diaphysis. Furthermore, one has to take care of the a. tibialis anterior in revision of fractures and in plastic surgery. F r o m the anatomical point of view the fixateur externe is to be preferred to plates and medullary nails, because the arteries are better protected. If a nail is necessary, a triangular one will save the endostal main artery. Key words: Tibia Blood supply - Pseudarthrosis - Corticotomy - Fixateur externe

Zusammenfassung. Die Arterien des Tibiaperiosts haben von proximal nach distal ein spezielles Versorgungssystem. Das proximale Ffinftel der Tibia wird v o n d e r A. recurrens tibialis anterior, der A. inferior lateralis genus, der A. inferior medialis genus und der A. recurrens tibialis posterior versorgt. In den folgenden 3/10 der Tibia wird das Periost dutch ringf6rmige Anastomosen semizirkul/irer Rr. periostales aus der A. tibialis anterior und der A. tibialis posterior ern/ihrt. Die anschliel3enden 3/10 ab Tibiamitte werden ausschliel31ich durch )kste aus der A. tibialis anterior versorgt, die zirkul/ir und auch vertikal anastomosieren. Das kaudale Ffinftel der Tibia wird lateral meist aus der A. fibularis und aus der A. tibialis anterior oder auch nur durch die A. tibialis anterior versorgt, dorsal aus der A. fibularis mit Unterstfitzung durch die A. tibialis posterior, medial nut durch Anastomosen. Die Facies lateralis wird haupts/ichlich von )ksten der A. tibialis anterior versorgt, die Facies posterior yon )ksten aus der A. tibialis anterior, der A. tibialis posterior und zum geringen Teil aus der A. fibularis und der A.

230 poplitea. Sowohl die Facies lateralis als auch die Facies posterior erhalten eine direkte Versorgung durch Rami aus den HauptgeffiBen, im Gegensatz zur Facies medialis, die nur durch Anastomosen mitversorgt wird. Das Foramen nutricium liegt dorsolateral in der durchschnittlichen H6he yon 33 % der Tibial/inge. Die A. nutricia zieht in der Kompakta nach kaudal, liegt aber 50% der Tibia1/inge frei im Markraum und spaltet sich dort kn~iuelf6rmig auf. Ihr Hauptgef/il3 setzt ihren Verlauf nach kaudal am Rand der Kompakta fort, also endostal. Die A. tibialis anterior ist das Hauptgef/il3 f/Jr die arterielle Versorgung des Tibiaperiosts. Ihr autonomes Versorgungsgebiet, die distale Diaphyse, stimmt mit der Lokalisation der erworbenen und angeborenen Pseudarthrosen fiberein. Eine Kortikotomie ist daher in diesem Bereich zu vermeiden; ebenso sollte der obere Teil der proximalen Diaphyse wegen der Geffihrdung der A. nutricia vermieden werden. Daher sind die Tibiamitte und die Grenzzone zwischen dem Tibiakopf und der proximalen Diaphyse gfinstige Stellen. Bei Muskeltransplantationen ist die A. tibialis anterior als Hauptgef/il3 ffir das Tibiaperiost zu schonen. Unter den Osteosyntheseverfahren ist aus anatomischer Sicht der Fixateur externe gegenfiber Platten und Markn/igeln vorzuziehen, da die arterielle Versorgung besser erhalten bleibt. Ist eine Marknagelung indiziert, so bieten dreieckige Markn/igel die M6glichkeit, endostale Hauptgeffige zu schonen, zum einen durch den Verzicht auf die Aufbohrung, zum anderen durch die Ausrichtung der Spitze des Dreiecks nach ventral. So bleibt im dorsalen Bereich der Tibia ein Kanal fiir das endostale Hauptgef/il3 erhalten.

Die Gef/igversorgung der Tibia ist von chirurgisch-anatomischer Bedeutung, insbesondere fiir die Frakturheilung und ffir operative MaBnahmen, bei denen eine Osteo- oder Kortikotomie durchgeffihrt wird [4, 13, 17]. Bei der dynamischen Osteogenese nach Ilizarov ist der Verlauf der periostalen Gef/iBe von besonderem Interesse, da die Kortikotomie ohne direkte Sicht unter Schonung der arteriellen Versorgung durchgeffihrt wird [9,10]. Die Gef/igversorgung langer R6hrenknochen wird zum einen durch die Aa. nutriciae, zum anderen durch zahlreiche, vom Periost aus in die Volkmann-Kan/ile eindringende Gef~Be gew/ihrleistet [3, 7, 11]. Beide Versorgungssysteme anastomosieren in der Kortikalis [1]. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, durch detaillierte anatomische Untersuchungen die periostale und intraossale Gef/igversorgung der Tibia hinsichtlich regelhaft vorkommender Versorgungstypen und ihrer Varianten zu dokumentieren und ein allgemeingfiltiges Konzept aufzustellen, um damit der Klinik Orientierungshilfen ffir operative Verfahren an der Tibia zu geben.

Material und Methoden Die anatomische Untersuchung erfolgte an 30 im Hiiftgelenk exartikulierten Beinen yon mit Jores-L6sung fixierten Leichen beiderlei Geschlechts im Alter von 60-82 Jahren. In 13 Beine wurde BerlinerBlau-Gelatine fiber die A. femoralis injiziert, nachdem diese vorher

in einem Wasserbad von 40°C erwfirmt worden waren, 8 Beine wurden mit Revertex geffillt. Zus/itzlich wurde in 9 Beine selektiv Berliner-Blau-Gelatine injiziert, bei je 3 fiber die A. tibialis anterior, die A. tibialis posterior und die A. fibularis. Nach Aushfirmng der Injektionsmasse wurden unter Schonung der zuffihrenden GeffiBe der Weichteilmantel entfernt und das Periost der langen R6hrenknochen freigelegt. Zur Untersuchung der Tibia wurde ihre Gesamtl/inge vom medialen Tibiaplateau bis zum Malleolus medialis gemessen. Die periostalen Geffigewurden dokumentiert, ihre jeweiligen Urspungsgef~ge aufgesucht und ihre Abgangsh6he vom Tibiaplateau gemessen und in Relation zur Gesamtl/inge gesetzt. Anastomosen zwischen den einzelnen Gef/iBgebietenwurden protokolliert. Anschliel3endwurde die Tibiakompakta in der Frontalebene mit einer oszillierenden S/ige aufges/igt. Leider zeigte sich fast regelhaft ein Abbruch der Injektionsmasse in der A. nutricia wghrend ihres Verlaufs in der Kompakta. So wurde an weiteren 19 Tibiaknochen von Leichen beiderlei Geschlechts im Alter von 62-85 Jahren selektiv in die A. nutricia injiziert, in 15 F~illenmit Berliner-Blau-Gelatine, in 2 F/illen mit Mercox und in weiteren 2 mit Plastogen G. Die injizierten Pr~iparate wurden in gleicher Weise aufges/igt, das Knochenmark vorsichtig pr/iparatorisch entfernt und die injizierten intraossalen Gef/ige dargestellt land dokumentiert. Zus/itzlich wurden 200 (je 100 linke und rechte) Tibiae aus dem Ossarium des Anatomischen Instituts der Universit/it Hamburg auf die Lokalisation und die Anzahl der Foramina nutrica untersucht. Ergebnisse Das Periost des ventralen Condylus lateralis und eines kranialen Tells der Facies lateralis tibiae wird v o n d e r A. recurrens tibialis anterior und ihren ,~sten versorgt. Die Abgangsh6he der A. recurrens tibialis anterior aus der A. tibialis anterior liegt in einer H6he von 18% der Tibialfinge von proximal. Die A. recurrens tibialis anterior hat einen nach schr/ig medial aufsteigenden Verlauf; ihr Hauptast zieht unmittelbar auf dem Periost bis zur Tuberositas tibiae, yon dort nach kranial ca. 1,0 cm lateral des Lig. patellae weiter zum Rete articulare genus, wo sie mit Asten aus der A. inferior lateralis genus und A. superior lateralis genus anastomosiert. Sie gibt mehrere Aste ( 8 11) fgcherf6rmig ab, die das proximale ventrolaterale Ffinftel der Tibia versorgen. Einige Aste erreichen das Lig. patellae bzw. die Tuberositas tibiae und anastomosieren mit )ksten aus der A. inferior medialis genus. Der folgende Hauptteil der Facies lateralis tibiae wird segmental durch Rr. periostales aus der A. tibialis anterior versorgt. Wir fanden 5 - 1 2 Rr. periostales auf der lateralen Seite der Tibia, im Durchschnitt 7. Der 1. R. periostalis entspringt in einer H6he von 24% der Tibial/inge von proximal. Er verl/iuft auf der Membrana interossea cruris transversal bis zum Margo interosseus, wo er sich in aszendierende und deszendierende ,~stchen verzweigt, die kranial mit den Rami aus der A. recurrens tibialis anterior und kaudal mit dem n/ichstfolgenden R. periostalis sowie mit den GefgBen auf der Facies medialis anastomosieren (Abb. 1). Die nach distal folgenden Rr. periostales, die aus der A. tibialis anterior entspringen, ziehen ebenfalls auf der Membrana interossea liegend zum Margo interosseus. Sie versorgen nicht nur die laterale Seite der Tibia, einige von ihnen laufen fiber den Margo anterior hinaus und versorgen die Facies medialis, wo sie Anastomosennetze untereinander und mit GeffiBen yon der Facies posterior bilden. Die Abgangsh6hen dieser Periostal-

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Abb. 1. Segmentale Rr. periostales der A. tibialis anterior anastomosieren untereinander. Einige erreichen den Margo anterior, um dann mit )~sten, die yon der Facies posterior kommen, zu anastomosieren

Abb. 4. a Der R. perforans aus der A. fibularis versorgt in 2/3 der F/~lleden lateralen Tell der Extremitas distalis tibiae; b wenn er nicht ausgebildet ist, kopiert ein R. periostalis aus der A. tibialis anterior seinen Verlauf

Abb. 2. Das Periost der distalen Diaphyse wird ausschlie/31ich dutch )kste der A. tibialis anterior versorgt. Die Rr. periostales verlaufen sowohl nach ventral als auch nach dorsal und bilden horizontal semizirkul~ire Ringe

Abb. 5. Das dorsale Periost der distalen Epi- und Metaphysen wird duch einen kaliberstarken R. periostalis tibialis aus der A. fibularis gespeist, der dutch Rami aus der A. tibialis posterior unterstfitzt wird

Abb. 3. Die nach dorsal ziehenden Rr. periostales perforieren die Membrana interossea, ziehen horizontal um die Tibia herum, um n'fit den nach ventral ziehenden Rami zu anastomosieren. Eine Artetie wird yon 2 Vv. periostales begleitet

Abb. 6. Der Hauptast der A. nutricia zieht im Cavum medullare am Rand der dorsalen Innenfl/iche der Kompakta endostal nach kaudal

gef/il3e sind a b h / i n g i g v o n d e r A n z a h l d e r i n s g e s a m t ausg e b i l d e t e n Rr. p e r i o s t a l e s . B e i m V e r l a u f d o m i n i e r t i m p r o x i m a l e n A n t e i l die t r a n s v e r s a l e , i m d i s t a l e n die t r a n s versale o d e r a s z e n d i e r e n d e R i c h t u n g , selten die deszendierende. D i e A b s t / i n d e zwischen d e n R r . p e r i o s t a l e s lagen zwischen 6 u n d 76 m m , i m D u r c h s c h n i t t bei 34 ram.

D i e A. tibialis a n t e r i o r verlfiuft n a c h d e m D u r c h t r i t t d u r c h die M e m b r a n a i n t e r o s s e a cruris a u f ihr n a c h distal, u m in d e r M i t t e d e r T i b i a d e n M a r g o i n t e r o s s e u s zu erreichen. D i s t a l dieses P u n k t e s ziehen Rr. p e r i o s t a l e s s o w o h l n a c h v e n t r a l als a u c h n a c h d o r s a l ( A b b . 2). D a b e i d u r c h stol3en sie regelm/igig die M e m b r a n a i n t e r o s s e a ( A b b . 3).

232 Die nach dorsal verlaufenden Rr. periostales anastomosieren als zirkumferente ,~ste mit den nach ventral ziehenden Rr. periostales der A. tibialis anterior. H/iufig sind es horizontate Ringe, wenn ihre AbgangshShe aus der A. tibialis anterior gleich ist, sie kSnnen auch aszendieren oder deszendieren. Augerdem sind vertikale Anastomosen ausgebildet. Meist gibt es 3 die Membran perforierende Rr. periostales, seltener 2 oder 4. Der laterale Teil des distalen Ffinftels der Tibia wird in 2/3 der F/ille von einem R. perforans der A. fibularis versorgt (Typ 1, Abb. 4 a). Er durchbricht die Membrana interossea bei 85% und teilt sich in kleine, aufsteigende Aste und einen starken, absteigenden Ast, die sich in ihrem Verlauf weiter aufzweigen. In 1/3 der F/ille liegt ein anderer Versorgungstyp vor, bei dem der R. perforans fehlt und ein kaliberstarker R. periostalis aus der A. tibialis anterior dieses Gebiet versorgt (Typ 2, Abb. 4 b). Er 1/iuft deszendierend nach lateral und gibt zahlreiche *stchen ab. Wir fanden ihn meist als 8. R. periostalis. Die UrsprungshShe liegt bei 82%, also in gleicher H6he wie der Abgang des R. perforans aus der A. fibularis. Das proximale Ffinftel der dorsalen Tibiafl/iche wird durch verschiedene Gef/iBe versorgt. Aus der A. poplitea tritt die A. inferior medialis genus unter den Sehnen des M. semitendinosus, M. gracilis und M. sartorius hindurch, verl/iuft bogenf6rmig oberhalb des Pes anserinus, dann parallel zum Lig. patellae in das Rete articulare genus. W/ihrend des Verlaufs werden zahlreiche ,X,ste allseitig zum Periost des Condylus medialis abgegeben. Anastomosen mit der A. recurrens tibialis anterior befinden sich auf der Tuberositas tibiae und unter dem distalen Lig. patellae. Die A. inferior lateralis genus zieht von dorsal aus der A. poplitea kommend bogenf6rmig um den Condylus lateralis. Sie entsendet direkte Gef/iBe zum Periost und anastomosiert mit dem Rete articulare genus sowie der A. recurrens tibialis posterior, die als ein R. periostalis aus der A. tibialis anterior vor ihrem Durchtritt durch die Membrana interossea entspringt. Die A. recurrens tibialis posterior verl/iuft aszendierend parallel zum FibulakSpfchen auf dem Condylus lateralis und gibt auch mehrere )~ste nach medial ab, wobei diese mit der A. inferior medialis genus anastomosieren. An der Facies posterior schlieBt sich nach distal ein Gebiet von 30% an, welches bis zur Mitte der Tibia durch ,g,ste der A. tibialis posterior und der A. nutricia versorgt wird. Die A. tibialis posterior gibt 1 oder 2 Rr. periostales ffir die Facies posterior ab. Diese verlaufen an den Margo medialis, verzweigen sich und anastomosieren auf der Facies medialis mit )ksten der Rr. periostales aus der A. tibialis anterior. Weiterhin bestehen Anastomosen auf der Facies posterior mit )ksten der A. nutricia, die das Periost neben der A. nutricia in einer Breite von ca. 1,5 cm versorgen. Bis zu 5 Nstchen aus der A. nutricia kommen mit unterschiedlicher Verlaufsrichtung vor, der 1. Ast zieht meist unter den M. popliteus und anastomosiert mit *stchen der A. inferior medialis genus. Diese )~stchen kSnnen auch sehr zart ausgebildet sein. Die A. nutricia kommt in fiber der H/ilfte der F~lle bei unseren Pr/iparaten aus der A. tibialis posterior, in gut einem Drittel aus der A. tibialis anterior, selten (einmal) aus der A. poplitea.

Ab Mitte der Tibia werden die folgenden 30% durch die erw/ihnten Rr. periostales perforantes aus der A. tibialis anterior versorgt. Der anschliegende distale Teil der Tibia wird durch die A. fibularis gespeist (Abb. 5). Sie gibt einen R. periostalis tibialis ab, der transversal nach medial verl/iuft, sich vor dem Sulcus malleolaris in einen R. transversus und einen R. descendens spaltet. Der R. transversus verl/iuft unterhalb der Sehnen des M. flexor digitorum longus und des M. tibialis posterior zur Facies medialis und zieht unmittelbar nach der Margo medialis deszendierend, parallel zum Sulcus malleolaris, weiter. )kstchen anastomosieren auf der Facies medialis mit Rami aus der A. tibialis anterior. Der R. descendens verl/iuft lateral des Sulcus malleolaris. Weiterhin gibt es Anastomosen mit der A. tibialis posterior, die kleine Rr. malleolares mediales abgibt. Die Facies medialis wird durch Anastomosennetze der beschriebenen Gef/iBe versorgt, die den Margo interosseus bzw. den Margo medialis fiberschreiten. Direkte arterielle Zuflfisse aus den Hauptarterien fanden wir nicht. In fiber 90% der F/ille gibt es nur ein Foramen nutricium (selten 2). Der Eintritt in die Kompakta erfolgt dorsolateral, 20 ° v o n d e r Sagittalebene nach lateral, in der durchschnittlichen H6he von 33% der Tibial/inge. Der hSchste Eintritt lag bei 27%; in einem Bereich von 30-40% liegt in 6/7 der F/ille das Foramen nutricium. Der kaudalste Eintritt liegt bei 72%; bei den kaudalen Foramina handelt es sich meist um ein 2. zus/itzliches Foramen. Der Canalis nutricius verl/iuft in der Kompakta nach kaudal leicht ventralw/irts zum Cavum medullare. Ausnahmen yon diesem Verlauf sind mSglich, aber selten; h/iufig handelt es sich dann dabei um einen 2. weiter kaudal liegenden Canalis nutricius. Die A. nutricia 1/iuft im Canalis nutricius zum Cavum medullare, sie wird dabei durchschnittlich ab 44% der Tibial/inge lediglich yon einer diinnen Kompaktalamelle bedeckt und liegt ab 50% der L/inge intramedull/ir ohne Bedeckung durch die Kompakta vor. Dort bildet sich eine kn/iuelf6rmige Gef/iBaufspaltung. Das Hauptgef/iB setzt den intrakompakt/iren Verlauf der A. nutricia gradlinig nach kaudal fort, bleibt w/ihrend seines Verlaufs am Rande der Kompakta, also endostal, und verjfingt sich in der kaudalen Diaphyse (Abb. 6). Ein dfinneres Gef/ig zieht h/iufig v o n d e r glomerul/iren Ausspaltung bogenf6rmig nach kranial zur dorsalen Kompaktainnenwand und verl/iuft dann auch endostal. Viele kleine Rami ziehen sowohl vom Kn/iuel als auch von den endostalen Gef/iBen zentralw~irts in das Mark, einige erreichen die ventrale Innenfl/iche der Kompakta. Variabel ausgebildete feinste Geflechte finden sich im Markraum, und zwar sowohl bei kn6chernen Lamellenquerverbindungen als auch frei im Mark.

Diskussion

Das arterielle System des Tibiaperiosts 1/iBt sich in einzelne Abschnitte einteilen, die eine allgemeingfiltige Versorgung aufweisen. Variationen sind insbesondere im distalen Ffinftel der Tibia mSglich. Von proximal nach distal ergibt sich folgendes Versorgungssystem:

233 Das proximale Ffinftel der Tibia wird im ventrolateralen Teil vornehmlich vonder A. recurrens tibialis anterior aus der A. tibialis anterior versorgt. Proximal bestehen Anastomosen mit der A. inferior lateralis genus, auf der Tuberositas tibiae und unterhalb des distalen Lig. patellae mit der A. inferior medialis genus. Diese versorgt den medialen Teil der Dorsalflfiche und die Medialfl/iche der Tibia in ihrem proximalen Ffinftel. Der laterale Teil der dorsalen Tibiaflfiche wird im proximalen Ffinftel durch die A. recurrens tibialis posterior aus der A. tibialis anterior versorgt, die im kranialen Bereich des Condylus lateralis durch die A. inferior lateralis genus aus der A. poplitea unterstfitzt werden kann. Scapinelli [16] beschreibt nicht explizit die Periostarterien, berichtet aber allgemein fiber die Versorgung des vorderen Aspekts der Knieregion sowie des lateralen Condylus durch die A. recurrens tibialis anterior und die A. recurrens tibialis posterior zusammen mit einem von ihm als A. recurrens fibularis bezeichneten Gef/ig. Die folgenden 3/10 der Tibia (proximale Diaphyse) werden auf der Facies lateralis durch 5-12 Rr. periostales unterschiedlicher Verlaufsrichtung aus der A. tibialis anterior versorgt. Dagegen fand Prescher nur 2 8 dieser Periostgeffige, die er als regelm/iBig schrfig ansteigend beschreibt. Ubereinstimmung besteht darin, dab die arteriellen PeriostgeffiBe yon 2 ven6sen Gef/igen flankiert werden [15]. Trueta [17] berichtet fiber vorwiegend absteigende Periostalarterien ohne detaillierte Angaben fiber deren Lokalisation. Die Rr. periostales reichen teilweise bis auf die Facies medialis und anastomosieren dort mit Rr. periostales aus der A. tibialis posterior, die aul3erdem die Facies posterior zusammen mit )ksten aus der A. nutricia versorgen. Im proximalen Diaphysenabschnitt liegen neben vertikalen auch segmentale, ringf6rmige Anastomosen semizirkulfirer *ste der A. tibialis anterior und der A. tibialis posterior vor. Die A. nutricia tibialis kommt hfiufig aus der A. tibialis posterior, manchmal aus der A. tibialis anterior, selten aus der A. poplitea. Variationen werden in der Literatur beschrieben. Nach Lang u. Wachsmuth [11] entspringt die A. nutricia tibialis meist aus dem Truncus peroneotibialis posterior, weniger h/iufig aus der A. tibialis posterior und am seltensten aus der A. tibialis anterior. Dagegen weist Henle [6] auch auf einen nicht seltenen Ursprung aus der A. tibialis anterior hin. Die anschliel3enden 3/10 ab der Tibiamitte (distale Diaphyse) werden ausschliel31ich durch Aste aus der A. tibialis anterior versorgt, die zirkul/ir und vertikal anastomosieren. Die Facies lateralis versorgen Rr. periostales, die auf die Facies medialis reichen und dort mit Rr. periostales perforantes kommunizieren. Diese entspringen ebenfalls aus der A. tibialis anterior und versorgen die Facies posterior. Die yon uns gefundene Anzahl (2-4) dieser perforierenden Zweige deckt sich mit den Angaben von Henle [6], der 3 - 5 Rami beschreibt. Im kaudalen Ffinftel der Tibia wird die Lateralseite um die Incisura fibularis in 2/3 der F/ille von einem R. perforans aus der A. fibularis versorgt. Der mediale Teil des kaudalen Ffinftels der Lateralseite wird durch Rr. periostales der A. tibialis anterior versorgt. In 1/3 unserer F/ille versorgen die Rr. periostales der A. tibialis anterior die gesamte laterale Seite in diesem Abschnitt.

Der R. perforans fehlt dann, und ein kaliberstarker R. periostalis kopiert seinen Verlauf. )kste der Rr. periostales reichen auf die Facies medialis. Die Variabilit/it des R. perforans ist 1864 von Hyrtl beschrieben worden [8]. Das kaudale Ffinftel der Facies posterior wird haupts/ichlich durch einen R. periostalis tibialis aus der A. fibularis versorgt, der sich nach einem transversalen Verlauf dichotom aufspaltet und kleine )kstchen zur Facies medialis abgibt, die dort mit den *stchen aus den Rr. periostales anastomosieren. Bei unseren Pr/iparaten zeigt sich auch eine Unterstfitzung der arteriellen Versorgung im kaudalen Abschnitt der Facies posterior durch Aste der A. tibialis posterior. Die Facies lateralis wird haupts/ichlich von Asten der A. tibialis anterior versorgt. Die Facies posterior wird von unterschiedlichen Gef/igen versorgt, von )ksten aus der A. tibialis anterior, der A. tibialis posterior und zum geringen Teil aus der A. fibularis und A. poplitea. Sowohl die Facies lateralis als auch die Facies posterior erhalten eine direkte Versorgung durch Rami aus den Hauptgef/igen, im Gegensatz zur Facies medialis, die nur durch Gef/il3e v o n d e r Facies lateralis bzw. posterior mitversorgt wird. Zusammenfassend lfil3t sich die A. tibialis anterior als das Hauptgef/il3 ffir die arterielle Versorgung des Tibiaperiosts postulieren, die im distalen Diaphysenabschnitt durch zirkul/ire )kste ein autonomes Versorgungsgebiet besitzt (Abb. 7).

A. p o p l i t e a - A. inf. lat. g e n u s - A. inf. med. g e n u s - A. tib. ant. - - A. r e c u r r , tib. ant. - L A. r e c u r r , tib. post.

A. rib. ant. A. tib. post.

( ~

A. tib. ant.

dors. lat.

med.

A. tib. ant. A. fibul. A. tib. post.

vent.

Abb. 7. Periostale Gefiigversorgung. Ansicht auf die Ventralflfiche

der Tibia mit ihrer sektoriellenperiostalenAngioarchitektur,die die Gebiete mit einfacher und mehrfacher arterieller Versorgung des Periosts und der fiuBerenKortikaliszeigt. In der distalen Diaphyse, dem einzigen einfach versorgten Sektor, sollte eine Osteo- oder Kortikotomie vermiedenwerden. Wir empfehlenffir diese Verfahren die proximale Diaphyse, und zwar zum einen oberhalb der Tibiamitte, zum anderen an der Grenze zwischen dem Tibiakopf und der proximalen Diaphyse

234 Unsere Beobachtungen zum F o r a m e n nutricium, in 90% der F/ille ein einziges F o r a m e n dorsolateral in der durchschnittlichen H 6 h e von 33% der Tibialfinge, dekken sich mit Beschreibungen von Forriol C a m p o s et al. [5], wonach bei 30 Tibiae der Eintritt der A. nutricia in die K o m p a k t a auf der Dorsalfl/iche durchschnittlich bei 35% der Tibial/inge erfolgte. Longia etal. [12] und Ajmani [2] fanden das F o r a m e n meist im oberen Drittel der Tibia. Nach Lang uo Wachsmuth [11] verl/iuft die A. nutricia im Canalis nutricius schr/ig zu der Epiphyse, die als erste verkn6chert, bei der Tibia also naeh kaudal. Bei unseren Untersuchungen stellte sich ein 1/ingerer intrakompakt/irer Verlauf dar. Weiterhin ist der intramedul1/ire Verlauf des Hauptgef/iBes der A. nutricia endostal, am dorsalen Innenrand der Tibiakompakta. Ein Verlauf in der Mitte des Marks bei der menschlichen Tibia ist nach unseren Befunden eine Seltenheit. Auff/illig ist die Korrelation zwischen dem a u t o n o m e n Versorgungsgebiet der A. tibialis anterior (distale Diaphyse) und der Lokalisation angeborener und erworbenet Pseudarthrosen. So werden Tibiapseudarthrosen vor allem in der distalen Diaphyse, in einem Gebiet, das sich von 5 4 - 8 1 % der Tibial/inge erstreckt, mit einem Maxim u m bei 66%, gefunden [14]. In diesem Bereich liegt auch die schlechteste Durchblutung der Tibia vor [14]. Diese Befunde veranlassen uns zu der Empfehlung, eine Kortikotomie oder eine Osteotomie in der distalen Tibiadiaphyse zu vermeiden. Weiterhin zu schonen ist die A. nutricia: so sind giinstige Stellen fiir eine Kortikotomie etwas oberhalb der Tibiamitte und die Grenzzone zwischen dem T i b i a k o p f und der proximalen Diaphyse. D a die A. tibialis anterior das Hauptstammgef/iB fiir das Tibiaperiost ist, ist sie bei Muskeltransplantationen zu schonen; insbesondere bei distalen F r a k t u r e n entsteht sonst die Gefahr einer Pseudarthrosebildung. Die Schonung der Gef/iBe, um dadurch einen guten HeilungsprozeB zu erhalten, bietet unter den Osteosyntheseverfahren aus anatomischer Sicht der Fixateur externe, so daB seine Indikation gegeniiber Platten und Markn/igeln groBziigig zu stellen ist. Ist jedoch eine Marknagelung indiziert, so bieten dreieckige Markn/igel die M6glichkeit, endostale Gef/iBe zu schonen, und zwar durch den Verzicht auf eine A u f b o h r u n g der Markh6hle und durch die Ausrichtung

der Spitze des Dreiecks nach ventral. So bleibt intraossal im dorsalen Bereich der Tibia ein K a n a l ffir das endostale Hauptgef/iB erhalten. Literatur 1. Adler CP (1983) Knochenkrankheiten. Thieme, Stuttgart New York 2. Ajmani ML (1982) A study of the diaphysial nutrient foramen in human long bones. Anat Anz 151:305-314 3. AnseroffNJ (1934) Die Arterien der langen Knochen des Menschen. Z Anat Entwicklungsgesch 103:793-812 4. Brunner U, Kessler S, Cordey J, Rahn B, Schweiberer L, Perren SM (1990) Defektbehandlung langer R6hrenknochen durch Distraktionsosteogenese (Ilizarov) und Marknagelung. Unfallchirurg 93:244-250 5. Forriol Campos F, Gomez Petlico L, Gianonatti Alias M, Fernandez Valencia R (1987) A study of the nutrient foramina in human long bones. Surg Radiol Anat 9:251-255 6. Henle J (1868) Handbuch der Gef'~iBlehredes Menschen. Vieweg, Braunschweig 7. Hert J, Hladokova J (1961) Die Gef'~iBversorgungdes Haversschen Knochens. Acta Anat (Basel) 45:344-361 8. Hyrtl J (1864) (~ber normale und abnorme Verh/iltnisse der Schlagadern des Unterschenkels. Denkschrift der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 23:246-288 9. Ilizarov GA (1988) The principles of the Ilizarov method. Bull Hosp Jt Dis Orthop Inst 48:1-12 10. Ilizarov GA (1989) The tension- stress effect on the genesis and growth of tissue. Part I. The influence of stability of fixation and soft-tissue preservation. Clin Orthop 238:249-281 11. Lang J, Wachsmuth W (1972) Praktische Anatomic I4, Bein und Statik. Springer, Berlin Heidelberg New York 12. Longia GS, Ajmani ML, Saxena SK, Thomas RJ (1980) Study of diaphyseal nutrient foramina in human long bones. Acta Anat (Basel) 107:399-406 13. Macnab J, Haas WG de (1974) The role of periostal blood supply in healing of fractures of the tibia. Clin Orthop 105:27 - 33 14. Polster J (1968) Die funktionellen Verteilungsrgume der Knochendurchblutung und die Durchblutungswertigkeit von Femur und Tibia. Ergeb Chir Orthop 51:66-104 15. Prescher A (1991) Llber eigentiimliche Furchenbildungen auf der Facies lateralis tibiae. Verhandlungsband der Anatomischen GeseUschaft. 85. Versammlung. Fischer, Jena 16. Scapinelli R (1968) Studies on the vasculature of the human knee joint: Acta Anat (Basel) 70:305-331 17. Trueta J (1974) Blood supply and the rate of healing of tibia1 fractures. Clin Orthop 105:11-26

[The arterial blood supply of the tibial and practical consequences].

In the periosteum of the human tibia, the arterial blood supply shows a general sectorial angioarchitecture. There are 4 segments: proximal and distal...
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