448

Fortschr. Röntgenstr. 130, 4

Die diagnostische Bedeutung von Mikroverkalkungen bei Hodentumoren

The diagnostic significance of microcalcifications in testicular tumors

Von R. Brandt, K. Wurster, V. Menges, und D. Fehrentz

The evaluation of total orchiectomy tissue specimens with malignant testicular tumors shows that microcalcifications can be found in a surprisingly high percentage by radiological and histological examinations. Small, often in several groups located calcifications in the parenchyma neighbouring the tumor are typical for seminoma, whereas in teratoma solitary microcalcifications and polymorphic types can also be seen. Microcalcifications are also present in not neoplastic testicular diseases butin a much smaller percentage and with a different type of calcification. The preoperative radiographic examination of testicular tumors of unknown origin seems ro be indicated as a noninvasive method able to provide further information about the presence of a malignant germ cell tumor. Regarding the genetic risks of the method, there is hope to avoid other more invasive examinations with their danger of tumor spreading and to enable a radical resection of the primary tumor before its metastatic formation by the mean of preoperative orchioradiography.

3 Abbildungen Universitäts-Strahlenklinik (Direktor: Prof. Dr. 1K. zum X'inkel), Pathologisches Institut (Direktor: Prof. Dr. W. Doerr) der Universität Heidelberg und Zentralinstirut fu r Radiologie und Nuklearmedizin (Direktor: Priv.-Doz. Dr. V. Menges) Theresienkrankenhaus Mannheim, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg

Die Untersuchung ganzer Semikastrationspräparate mit malignen Hodentumoren zeigt, daß in einem überraschend hohen Prozentsatz Mikroverkalkungen röntgenologisch und histologisch nachzuweisen sind. Kleine, häufig in mehreren Gruppen angeordnete Kaizifikationen in der tumorbenachbarten Parenchymzone sind für Seminome typisch, während bei Teratomen außerdem relativ häufig auch solitärer Mikrokalk und polymorphe Verkalkungsformen beobachtet werden. Mikroverkalkungen treten auch bei nichtneoplastischen Erkrankungen des Hodens auf, jedoch in einem wesentlich geringeren Prozentsatz und mit einem unterschiedlichen Verkalkungsmuster. Bei klinisch unklaren Hodentumoren erscheint die präoperative radiologische Untersuchung als eine nicht-invasive Maßnahme indiziert, um weitere Hinweise auf das Vorliegen einer malignen Keimzcllgeschwulst zu erhalten. Unter Beachtung des gesamtgenetischen Risikos besteht die Hoffnung, im Einzelfall eine so früh- und rechtzeitige Diagnose stellen zu können, daß weitere invasive Untersuchungsmaßnahmen mit der erhöhten Gefahr einer Tumorausbreitung zunehmend vermieden werden und durch die Mithilfe der präoperativen Orchioradiographie eine Radikalresektion des Primärtumors vor seiner Metastasierung möglich wird. Verkalkungen in Malignomen wurden erstmals 1913 von Salomon anläßlich röntgenologischer Untersuchungen von Mammaablationspräparaten beschrieben. 1951 erkannte Léborgne die pathognomonische Bedeutung bestimmter Verkal kungs-

muster beim Mammakarzinom, vor allem im Hinblick auf dessen Früherkennung. Untersuchungen von Levitan und Mitarb. (1964), Witt und Bürger (1968) sowie Menges und Mitarb. (1974), die malignomtypische Verkalkungsmuster in radiologisch-histologischen Korrelationsstudien erarbeiteten und damit eine entscheidende Verbesserung der Frühdiagnose dieses Tumors mit Hilfe der Mammographie ermöglichten, legten die Grundlagen für die klinische Anwendung radiologischer Untersuchungsverfahren zum Nachweis von Mikrokalzifikationen. Auch in der Schilddrüse gibt es bestimmte Verkalkungsmuster, die oft als erstes und einziges Zeichen auf ein Schilddrüsenkarzinom hinweisen (Akisada und Fujimoto, 1973). Juillard und Kermarek (1969) haben zum erstenmal Mikroverkalkungen bei einer testikulären Keimzellgeschwulst röntgenologisch nachgewiesen. Auf der prdoperativ angefertigten Rontgenaulnahme des tumorös veränderten Hodens eines 381ährigen Mannes waren zwei Herde von feinen, zahlreich vorhandenen, gruppenförmig angeordneten Verkalkungen zu erkennen. Histologisch handelte es sich um ein teilweise differenziertes Teratom. In einer zweiten Mitteilung berichten Juillard und Mitarb. (1971) über zwei Seminome mit radiologisch nachweisbaren Mikrokalzifikationen, wobei in einem Falle bei aus0340-1618/79 0432-0448

gedehnter retroperitonealer Metastasierung Mikrokalk allein im sonst klinisch unauffälligen linken Hoden auf den Sitz des Primärtumors hinwies. Dieser Befund ist in Übereinstimmung mit Azzopardi und Mitarb. (1961) nur so zu interpretieren, daß der Primärtumor im Sinne eines burned-out-Tumors spontane regressive Veränderungen durchmachte, die vorhandenen Verkalkungen jedoch seine ursprüngliche Lokalisation markieren. Besonders häufig werden Mikroverkalkungen offenbar in den

Gonadoblastomen beobachtet. Scully (1970), der 74 Fälle histologisch untersuchte, fand in 81% Verkalkungen in Form runder, laminierter, lanzettförmiger oder psammomähnlicher Körperchen, während er in reinen Getminomen nur Verkalkungen im Zusammenhang mit Nekrosen nachweisen konnte. Bei zwei Patienten ließen schon die Übersichtsaufnahmen des Beckens die beschriebenen Verkalkungen erkennen. Zahlreiche Psammomkörperchen fand ferner Küchemann (1974) im Falle eines papillären Zystadenoms des Nebenhodens. Da die männlichen Keimdrüsen, ähnlich wie die weiblichen Brustdrüsen, einer radiologischen Untersuchung leicht zugänglich sind, scheint es sinnvoll, die Grundlagen für eine unblutige Untersuchungsmethode zu erarbeiten, um bereits frühzeitig objektive diagnostische Hinweise auf das Vorliegen eines malignen Hodentumors zu erhalten. Die erste systematisch durchgeführte, vergleichende, radiologisch-morphologische Untersuchung histologischer Schnittpràparate und paraffineingebetteter Gewebeproben von

$ 03.00 © 1979 Georg Thieme Publishers

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Fortschr. Röntgenstr. 130, 4 (1979) 4411-453

Die diagnostische Bedeutung von Mikroverkalkungen bei Hodentumoren

Fortschr. Röntgenstr. 130, 4

449

Abb. la Radiogramm eines Hodens mit Seminom. Gruppenförmig angeordnete Mikroverkalkungen am Tumorrand Anzahl >10/cm2. Originalgröße.

129 Keimzellgeschwülsten wurde von Wurster und Menges (1977) vorgelegt. In diesem von den Autoren überprüften Untersuchungsgut fanden sich radiographisch in rund 46% der Gewebeproben von 69 Seminomen und in rund 68% der Gewebeproben von 60 Teratomen Mikroverkalkungen, die mit histologischen Untersuchungsmethoden allein nur halb so häu-

fig nachgewiesen werden konnten. Die Mikroverkalkungen konnten vier verschiedenen Typen zugeordnet werden: Psammomkörperchen von runder bis rundlicher Form mit einer Größe bis 0,4 mm, die in einer schalenartig den Tumor umfassenden Zone angeordnet sind, dystrophische Verkalkungen von polymorpher Gestalt und einer Größe bis 0,9 mm, die einzeln oder multipel in nekrotisehen Anteilen des seminomatösen oder teratoiden Tumorgewebes gelegen sind, verkalktes Knorpelgewebe und Knochenpartikel.

Kleine Knorpel- und Knochenpartikel, die in differenzierten, teilweise differenzierten und trophoblastischen Teratomen neben den beiden zuerst genannten Verkalkungstypen auftreten können, besitzen polymorphe Gestalt, lassen sich jedoch im Radiogramm nicht sicher voneinander trennen.

Abb. 1 c

Polymorphe dystrophische Verkalkungen im nekrotischen Tumorgewebe eines Seminoms. H. E. 30 X.

Die Untersuchungen von Wurster und Menges (1977) sind an archivierten Gewebeproben vorgenommen worden. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf Ergebnisse, die an frischen und ganzen Semikastrationspräparaten gewonnen worden sind mit der Fragestellung, inwieweit spezifische und für Hodentumoren pathognomonische Verkalkungsmuster existieren und bereits präoperativ entsprechende Hinweise auf das Vorliegen eines malignen Hodentumors geben könnten. Tabelle 1

Histologische Diagnosen und Differenzierung der 40 untersuchten Semikastrationspräparate mit malignen Tumoren Anzahl

Nachweis von Mikrokalk in %

Seminome Teratome differenziert teilweise differenziert e) undifferenziert d) trophoblastisch 3. Malignes Lymphom 1.

20

70

2.

19

84

1

10 7 1

1

100 (nur ein Falil)

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Abb. intratubuläreMikroverkalkunMikroverkalkunAbb.11bb Gruppenförrnig Gruppenförmig angeordnete angeordnete intratubuläre gen Seminoms. H. H. E. gen entlang entlang der der Randzone Randzone eines eines Seminoms. E. 30 30 X. X.

450

Fortschr. Röntgenstr. 130, 4

R. Brandt und Mitarb.

Material und Methodik Am Pathologischen Institut Heidelberg kamen innerhalb von zwei Jahren 40 Semikastrationspräparate mit Hodenmalignomen zur Untersuchung (Tab. 1). Im einzelnen handelte es sich um 20 Seminome und 19 Teratome sowie um ein malignes Lymphom. Zu Vergleichszwecken wurden während eines Jahres weitere 43 Semikastrationspräparate mit nicht-neoplastischen Affektionen entziindlicher und nicht entziindlicher Genese der Hoden und Nebenhoden radiographiert wie Orchitis und Epididymitis, Abszeß, Infarzierung, Hydrocele, Varicocele und Kryptorchismus, sowie u. a. auch ein Fall mit Aspergillose.

Die frischen Operationspräparate wurden vor der weiteren

Originalgroße

Tabelle 2 Form, Größe, Anordnung und Zahl der radiographisch nachgewiesenen Mikroverkalkungen bei 14 Seminomen Fälle

% der Fälle mit Mikrokalk

1. Form: a) rund, rundlich b) rundlich u. polymorph c) polymorph 2. Größe: a) und 0,5 mm 3. Anordnung: a) gruppenförmig b) diffus-einzelstehend c) solitär d) gruppenförmig, diffus-

cm2 im Semikastrationspräparat zu erkennen. fiber Form, 11

70

5

30

O

11

70

Größe, Anordnung und Zahl der radiographisch nachgewiesenen Mikroverkalkungen geben Tab. 2 und 3 Auskunft, dabei halten wir uns im wesentlichen an die von Wurster und Menges (1977) erarbeiteten Einteilungsprinzipien, die jedoch aus praktischen Gründen etwas vereinfacht sind.

o 5

30 6 6

5

30

9

58

einzelstehend und/oder solitär

Mzkrokalk bei entzündlich und nicht entzündlich erkrankten turn orfreien Hoden Zur Untersuchung gelangen 43 Semikastrationspräparate, die wegen chronischer, teilweise eitriger Orchitis und Epididymitis, Abszeßbildung, Infarzierung, Fibrosierung, Varikozelenund Hydrozelenbildung, Kryptorchismus und in einem Falle

wegen einer Aspergillose operiert wurden. In einer derart

4. Anzahl:

a) weniger als 10/cm2 b) mehr als 10/cm2 c) solitär

eine bis maximal zwei derartige Ansammlungen, wobei sich die Anzahl der Verkalkungen pro Gruppe bei beiden Geschwulstformen nicht wesentlich unterscheidet. Im Falle des malignen Lymphoms sind runde bis rundliche Verkalkungen kleiner als 0,5 mm in Gruppen von mehr und weniger als 10 Kalkpunkte/

4

26

7

44 30

5

heterogen zusammengestellten Gruppe von Hodenaffektionen ist mit einem einheitlichen Verkalkungsmuster nicht zu rechnen, wie die Zusammenstellung (Tab. 4) bestätigt. In 15 Fällen (35 %) finden sich radiographisch nachweisbare Verkalkungen, wobei neben runden und rundlichen Formen polymorphe

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Abb. 2 Radiogramm eines Hodens mit chronischer Orchitis und Epididymitis. Grobschollige Mikroverkalkungen > und und

[The diagnostic significance of microcalcifications in testicular tumors (author's transl)].

448 Fortschr. Röntgenstr. 130, 4 Die diagnostische Bedeutung von Mikroverkalkungen bei Hodentumoren The diagnostic significance of microcalcificati...
NAN Sizes 0 Downloads 0 Views