Winkler: Bedeutung der Anamnese für die Diagnostik entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
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Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 1301-1306
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Die Bedeutung der Anamnese für die Diagnostik entzündlich-rheumatischer Erkrankungen Eine prospektive Studie bei loo Patienten P. Winkler I.
Medizinische Klinik des Krankenhauszweckverbandes Augsburg (Chefarzt: Prof. Dr. H. Kaiser)
Um die Bedeutung der Anamnese im Vergleich mit den übrigen klinischen Untersuchungsmethoden (körperliche Untersuchung, Röntgen, Laboratorium) für die Diagnose entzündlich-rheumatischer
Erkrankungen zu ermitteln, wurden bei loo klinischen Patienten auf der Grundlage eines umfangreichen Anamnesekonzepts » anamnestische Diagnosen« in begründeter Wahrscheinlichkeitsreihenfolge gestellt. Die anamnestisch als am wahrscheinlichsten gewertete Diagnose stimmte mit der im Arztbrief genannten Abschlußdiagnose in 72°/o der Fälle überein. Der Beitrag der übrigen diagnostischen Methoden war mit 5°/o neuen, anamnestisch nicht gestellten Diagnosen gering. Körperliche Untersuchung, Röntgen- und Labor atoriumsdiagnostik, in Einzelfällen auch spezielle Untersuchungsverfahren wie Nierenbiopsie, sind in erster Linie für die Diagnosesicherung (Hinzufügen oder Bestätigung diagnostischer Kriterien) und die Diagnoseauswahl (Ausschlußdiagnostik) von Bedeutung. Voraussetzung für den hohen diagnostischen Stellenwert der Anamnese ist jedoch, daß der untersuchende Arzt die rheumatologischen Krankheitsbilder einschließlich ihrer Epidemiologie, Alters- und Geschlechtsverteilung, Organbeteiligungen und Gelenkbefallsmuster kennt und sich Zeit für die Erhebung der Anamnese nimmt. Man kann die Diagnose als die zutreffendste Zusammenfassung der vorhandenen krankheitsbezogenen Merkmale unter ein oder mehrere definierte Krankheits0012-0472/79 0914 - 1301
The importance of historytaking in the diagnosis of inflammatory-rheumatic disease: a prospective study of 100 patients In a prospective study of 100 inpatients, uhistory-taking diagnosisz was analysed in terms of proven probability sequence, on the basis of an extensive history-taking plan. The most likely diagnosis, as obtained by history-taking, was the same as that in the final discharge letter in 72°/o of cases. In only SO/o did
new investigations establish a diagnosis not made by historytaking. Physical examination, radiological and laboratory tests, in some cases also special investigations such as renal biopsy, proved of importance, in the first instance in establishing the diagnosis (adding to or confirming diagnostic criteria) and the choice of diagnosis (exclusion diagnosis). It is a prerequisite for a high percentage of correct diagnoses by history-taking that the examining doctor is familiar with the clinical picture of rheumatic diseases, including their epidemiology, age and sex distribution, organ involvement and pattern of joint involvement, and takes time in obtaining a good history.
bilder auffassen. Aus dieser Sicht ist die Anamnese die einzige Möglichkeit, eine umfassende Darstellung nicht nur der augenblicklichen Krankheitserscheinung, son-
$ 02.00 © 1979 Georg Thieme Publishers
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Nr. 37, 14. September 1979, 104. Jg.
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Deutsche Medizinische Wochenschrifr
Tab. 1. Anamnestischer Gelenkstatus u
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I Kiefergel.
Schultern
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Ellbogen
Handgel. FGG (MCP) FMG (PIP) FEG (DIP)
re. li.
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Hüftgel. Kniegel.
Sprunggel.
ZGG (MTP)
re. li.
ZMG (PIP) ZEG (DIP) HWS
re. li
BWS
re. li.
LWS
"Erläuterungen: akut: subakut: chronisch: beschwerdefreies Intervall: Schwellung: Bewegungseinschränkung:
Morgensteifigkeit:
plötzlich, anfailsartig, über Nacht, innerhalb von Stunden Entwicklung der meist ausgeprägten Symptomatik innerhalb von Tagen langsam, schleichend, innerhalb von Wochen und Monaten im Unterschied zum schubartigen oder wellenförmigen Verlauf vollkommen beschwerdefrei. Restbeschwerden sind (mit R) zu kennzeichnen :>Schwe1lung: ist von einer allmählich sich entwickelnden Arthrose, einer Adipositas oder von Odemen bei Herzinsuffizienz zu unterscheiden. Auch eine knöcherne Proliferation ist keine Schwellung in diesem Sinn. ist die Schwellung mit einer Zunahme der anderen Gelenksymptome verbunden? nach alltäglichen Funktionen fragen (Kaffee kochen, Brot streichen, Dose öffnen, anziehen, treppensteigen, aus der Badewanne steigen, bücken) morgendliche Funktionseinbuße (Kraftlosigkeit, Bewegungseinschränkung) mit dem Empfinden schmerzbedingter Bewegungshemmung. Gefühl des Lösens, Auftauens?
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Cl)
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dem des gesamten Verlaufes einer Erkrankung zu geben. Mit ihr können krankmachende Faktoren der Umgebung
und Krankheitsdispositionen aufgedeckt und kann die individuelle Ausprägung der Krankheit dargestellt werden. Ein Hauptproblem der Anamnese ist die individuell sehr verschiedene subjektive Beurteilung eines KrankheitsVorganges. Weiter wird die Anamneseerhebung durch die Persönlichkeit des Arztes, die psychische und körperliche Verfassung des Patienten, durch die Untersuchungsund Befragungssituation, durch Vorerfahrungen des Kranken und psychodynarnische Beziehungen zwischen Arzt und Patient beeinflußt. Deshalb verlassen sich viele Ärzte bei der Diagnosestellung lieber auf die »objektiven« Befunde, welche sich bei der körperlichen Untersuchung oder der Röntgen- und Laboratoriumsdiagnostik ergeben. Nach Angaben vonSiegenthaler (3) führt die Anamnese in der Hälfte der Fälle zur richtigen Dia-
gnose, während die körperliche Untersuchung in 30% und die Laboratoriumsdiagnostik nur in 20% der Fälle diagnosebestimmend sind. Hampton und Mitarbeiter (2) hatten sogar eine »Trefferquote« von 83% anamnestisch richtig gestellter Diagnosen (allerdings unter Einbeziehung der Briefe der einweisenden Ärzte); lediglich
Tab. 2. Vergleich von anamnestisch gestellten Diagnosen und Abschlußdiagnosen. Von 100 Patienten war die Diagnose in 38 Fällen bereits «bekannt«: chronische Polyarthritis (n = 23), Lupus erythematodes disseminatus (n = 6), Psoriasis-Arthritis (n = 3), M. Reiter (n = 2), Sarkoidose (n = 1), Polymyalgia rheumatica (n = 1), Polymyositis (n = 1), chronisch-aggressive Hepatitis (n 1) bei Patienten 38 Patienten mit bereits n = ,' «bekannten« Diagnosen
Übereinstimmung der wahrscheinlichsten anamnestisch gestellten Diagnose (D1) mit der Abschlußdiagnose
72
29 (76°/o)
Übereinstimmung der zweitwahrscheinlichsten anamnestisch gestellten Diagnose (D2) mit der Abschlußdiagnose
9
6 (16°/o)
Übereinstimmung der drittwahrscheinlichsten anamnestisch gestellten Diagnose (D3) mit der Abschlußdiagnose
3
2
Übereinstimmung weiterer anamnestisch gestellter Diagnosen (D4) mit der Abschlußdiagnose
1
-
(5°/o)
bei je 9% der Patienten führten körperliche und klinischchemische Untersuchungen zu einer neuen Diagnose. Diese Studie hat zum Ziel, den Stellenwert der Ahamnese bei der Diagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen zu ermitteln.
die hohe Trefferquote durch diese bereits gestellten Diagnosen zu erklären sei. Die Tabelle 2 zeigt jedoch, daß die
Patienten und Methodik
diesen 38 Patienten 37 Diagnosen in der anamnestischen
Bei loo Patienten, die während eines halben Jahres wegen rheumatischer Beschwerden zur Diagnostik oder zu einer Kontrolluntersuchung in die Klinik eingewiesen wurden, wurde eine ausführliche Anamnese erhoben. Jeder Patient wurde grundsätzlich als neuer Fall betrachtet, auch wenn bereits eine Diagnose gestellt war. Die Anamnese gliederte sich in einen «freien« Bericht über die jetzigen Beschwerden und deren Hintergründe aus der Sicht des Patienten und eine systematische Erhebung unter Benutzung eines 20 Seiten umfassenden Fragebogens (zum Beispiel Tabelle 1: anamnestischer Gelenkstatus). Bei jedem Patienten wurde versucht, aufgrund dieser anamnestischen Daten möglichst exakte Diagnosen in begründeter Wahrscheinlichkeitsreihenfolge zu stellen.
Ergebnisse Vergleich von anamnestisch gestellter Diagnose und Ab-
schlußdiagnose. Die Tabelle 2 zeigt das Ausmaß der Übereinstimmung der anamnestisch gestellten Diagnosen mit den im Arztbrief genannten Abschlußdiagnosen. Unklare Fälle und unzureichend gesicherte Diagnosen
wurden ein halbes Jahr nach Abschluß der Anamneseerhebung nochmals überprüft und, falls sich jetzt eine definitive Abschlußdiagnose ergab, zum Vergleich übernommen. Die anamnestisch aufgrund festgelegter Kriterien und zusätzlicher subjektiver Auswertung der anamnestischen Erhebungen erstellten Diagnosen stimmten
bei 72 von 100 Patienten mit der Abschlußdiagnose überein, wenn ausschließlich die wahrscheinlichste anamnestische Diagnose berücksichtigt wurde. Die zweitund drittwahrscheinlichsten Diagnosen führten bei wei-
Übereinstimmungsquote bei 38 Patienten mit bereits gesicherter Diagnose nicht signifikant höher war als bei der Gesamtzahl der Patienten. Es fällt aber auf, daß bei
Diagnoseliste erscheinen (97%), während es bei der Gesamtzahl der Patienten nur 85% der Diagnosen sind. Tabelle 3 zeigt einen Vergleich des Spektrums der an erster und zweiter Stelle genannten anamnestischen Diagnosen und der Abschlußdiagnosen. Dabei ergibt sich, daß die meisten in der anamnestischen Diagnosestellung nicht berücksichtigten Diagnosen entweder unspezifisch waren (»polyartikuläres Beschwerdebild«) oder es sich um degenerative Erkrankungen handelte (Fingergelenkspolyarthrose, degenerative Wirbelsäulenveränderungen). Die Anzahl der unspezifischen diagnostischen Beschreibungen im Arztbrief (Abschlußdiagnosen) ist bei den nicht übereinstimmenden anamnestischen Diagnosen signifikant häufiger als bei den Patienten, bei denen eine eindeutige Übereinstimmung von Abschlußdiagnose und anamnestischen Diagnosen bestand (Signifikanzniveau P < 0,05). In der anamnestischen Diagnosestellung ergibt sich verständlicherweise eine zunehmende Zahl unspezifischer Beschreibungen bei den an zweiter, dritter oder vierter Stelle genannten Diagnosen. Anwendung festgelegter Kriterien bei der Auswertung der Anamnese. Bei der Auswertung der Anamnese wurden, soweit möglich, festgelegte Kriterien verwendet. Bei
chronischer Polyarthritis waren dies a) die Kriterien für mögliche chronische Polyarthritis (S), b) die klassischen ARA'>-Kriterien (5).
Die Anwendung dieser Kriterien erfolgte unter anderem aufgrund einer detaillierten Gelenkanamnese (Tateren 13 Kranken zum »richtigen« Ergebnis. Da bei belle 1). Besondere Gelenke wie Sternomanubrialgelenk einem Teil der Patienten die Diagnose bereits bekannt und Cricoarytenoidalgelenk wurden in der Anamnese war (Kontrolluntersuchung), könnte man vermuten, daß * ARA = American Rheumatism Association
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Deutsche Medizinische Wochenschrift
Tab. 3. Spektrum der anamnestisch gestellten Diagnosen D1/D2 und der Abschlußdiagnosen (Arztbrief). D1 = wahrscheinlichste anamnestische Diagnose, D2 = zweitwahrscheinlichste anamnestische Diagnose /o der Patienten bzw. Diagnosen
Diagnose
Abschlußdiagnose I
5
10
I
15
D1
I
D2
I
20°/o
I
10
S
15
chronische Polyarthritis
M.Rejter Fingergelenkspolyarthrose Polymyalgia rheumatica Polyarthrose Sarkoidose-Arthrirjs Dermatomyositis/Polymyositis paraneoplastisches Syndrom mit Gelenkbeteiligung Karpaltunnelsyndrom Periarthropathia humeroscapularis Panarteriitis nodosa Algodystrophie Hüft-Dysplasie Arzneimittelallergie M. Scheuermann
Lendenwirbelsaulen-syndrom degenerative Wirbelsaulenveranderungen arthrotische Veränderungen beider Sprunggelenke polyarthritische Beschwerden einseitige infektiöse Sakroiliitis Zustand nach Reiter-Arthritis Verdacht auf Arthritis urica allergisches Rheumatoid palindromer Rheumatismus rheumatjsches Fieber Psoriasis-Spondylitis Chondrocalcinose :mixed connective tissue disease»
10
15
20°/o
13
36 8
11
8
4 4
-3
-2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -1 -I
2
13
5
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9
8
6
6
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-1
3
7
2
-2 -2
-2
-
-1 -1
-1
-
-1 -1
-- 1 -
zusätzlich berücksichtigt. Die Feststellung der anamnestischen Diagnose erfolgte jedoch nicht ausschließlich nach den genannten Kriterien, sondern auch unter Berücksichtigung aller anderen im individuellen Fall vorhandenen Aspekte: So lautete die wahrscheinlichste Diagnose in dem Fall einer eindeutigen chronischen Polyarthritis (S ÄRA-Kriterien erfüllt), bei dem mehrere Familienmitglieder eine Psoriasis hatten, ein Finger einen Gelenkbefall im Strahl aufwies und der anamnestische Verdacht auf eine mild verlaufende Sakroiliitis bestand, »Psoriasis-Arthritis bzw. Psoriasis-Spondylitis « und erst die zweitwahrscheinlichste Diagnose war »chronische Polyarthritis «.
5
3
-2 -I -I -I
-1 -1
weitere Diagnosen,
- 3 die nur in dieser
-1
Spalte vorhanden waren, sino nient aufgeführt
Die Zuverlässigkeit der zusätzlichen anamnestischen Anwendung der ARA-Kriterien geht aus der Abbildung 1 hervor. Sie zeigt, daß die Erfüllung von vier oder mehr ARA-Kriterien bei der chronischen Polyarthritis
mit einer hohen Trefferquote verbunden ist, wobei in allen Fällen zusätzliche anamnestische Kriterien wie Familienanamnese oder Gelenkbefallsmuster berücksichtigt wurden. Unter den vier nicht übereinstimmenden Diagnosen mit einer eindeutigen chronischen Poly-
arthritis (5 ARA-Kriterien erfüllt) sind zwei Fälle mit Lupus erythematodes, die anamnestisch in erster Linie als chronische Polyarthritis anzusehen waren. Bei der chronischen Polyarthritis lieferte der Röntgenbefund in
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Lupus erythematodes disseminatus Spondylitis ankylosans Psoriasis-Arthritjs Gicht Arthralgien
20°/o
38
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22 Fällen und das Laboratorium in fünf Fällen ein zusätzliches, in der Anamnese noch nicht erfaßtes ARAKriterium. Beim Lupus erythematodes disseminatus ist erwartungsgemäß das Laboratorium mit zehn zusätz-
die schwerwiegende anamnestische Fehldiagnose »rheumatisches Fieber« an Stelle »paraneoplastisches Syndrom
bei Kollumkarzinom Stadium III«. Die Bedeutung der nicht-anamnestischen Untersuchungsmethoden für die Diagnosesicherung (zusätzliche, für die Diagnose sprechende Kriterien) und für die
lichen ARA-Kriterien wegweisend.
Ausschlußdiagnostik
anamne-
stisch gestellter Diagnosen erder Röntgenbefund einschließlich der Szintigraphie und weniger anderer technischer Unter-
Anzahl der mit der Abschlußdiagnose übereinstimmenden anamnestischen Diagnosen (nur die wahrseheinlichste und zweitwahrschein lichste anamnestische - Diagnose wurde berücksichtigt)
suchungen mit insgesamt 52 Befunden, die für die anamnestisch
gestellten Diagnosen sprechen,
an der Spitze. Den Laboratokommt
riumsuntersuchungen
Anzahl der mit der
eine dominierende Rolle beim
Abschlußdiagnose nicht úbereinstimmenden anamnestischen Diagnosen (nur die wahrscheinlichste anamnestische Diagnose
Ausschluß anamnestisch gestell-
Abb. 1. Anamnestische Anwendung der ARA-Kriterien bei der chronischen Polyarthritis
ter Diagnosen zu. Die körperliche Untersuchung konnte zur Sicherung von 22 bzw. 29 Diagnosen beitragen, während die Zahl der der Anamnese widersprechenden Befunde mit drei
(weiße Säulen) und dem Lupus erythematodes disseminatus (graue Säulen)
erstaunlich gering ist.
wurde berücksichtiqt) H
1
3
4
H
E)
Anzahl der erfüllten ARA-Kriterien
Bedeutung von körperlicher Untersuchung, Röntgenund Laboratoriumsdiagnostik. Mit diesen Untersuchungsmethoden wurden insgesamt fünf neue, in der Anamnese nicht genannte Diagnosen gestellt, darunter
Diskussion Die Übereinstimmung der wahrscheinlichsten anamnestisch gestellten Diagnose mit der Abschlußdiagnose war
Tab. 4. Relativer Beitrag von körperlicher Untersuchung, Röntgendiagnostik und Laboratorium zur Diagnosestellung, Diagnosesicherung wahrscheinlichste anamnestische Diagnose, D2 zweitwahrscheinlichste anamnestische Diagnose, D3 = oder Ausschlußdiagnostik. D1 drittwahrscheinlichste anamnestische Diagnose, D4 = viertwahrscheinlichste anamnestische Diagnose neue Diagnosen (in der anamnestisch gestellten Diagnose nicht ge-
nannt oder nur als vorhanden)
zusätzliche Diagnosen (Dupuytren, Pityrsasis versicolor),
in den anamnestisch gestellten Diagnosen nicht
genannt
Patienten
ins-
ge-
ge-
ge-
ge-
gesamt
samt loo
samt
samt
samt
60
33
27
D1
D2
D3
D4
6
3
-
-
105
Abschlußdiagnose
körperliche Untersuchung Röntgendiagnostik und andere Untersuchungen Laboratorium körperliche Untersuchung und (oder) Röntgendiagnostik und (oder) Laboratorium
der anamnestisch gestellten Diagnose oder Abschlußdiagnose widersprechende Befunde (nur die wichtigsten Befunde sind berücksichtigt, vor allem bei den weniger wahrscheinlichen Diagnosen)
Diagnosesicherung der Abschlußdiagnose und (oder) der anamnestisch gestellten Diagnose
gesamt 100Patienten Abschlußdiagnose
ge-
D1
D2
D3
D
1
2
-
-
3
samt
2
S
22
20
3
2
45
42
9
-
1
5
3
3
2
2
11
-
1
39
37
11
-
-
2
10
9
7
2
20
S
8
64 (61°/o)
62 18 (62°/o) (300/o)
3 (9°/o)
1
(4°/o)
6 (6°/o)
13 8 12 4 (12°/i) (22°/o) (24°/i) (15°/o)
23
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gibt sich aus Tabelle 4. In der Diagnosesicherung liegt
Winkler: Bedeutung der Anamnese für die Diagnostik entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
mit 72% überraschend, zumal ausschließlich Angaben der Patienten verwendet wurden. (Sie wurden allerdings in vielen Fällen aufgefordert, sich bei Vorliegen entsprechender Hinweise bei ihren Angehörigen oder ihrem früheren bzw. behandelnden Arzt zu erkundigen.) Der Gedanke, die hohe »Trefferquote« sei durch die vielen bereits bekannten Diagnosen bedingt (mit entsprechender Einflußnahme auf die Auswertung), war nicht zutreffend, da sich kein signifikanter Unterschied in der Ubereinstimmungsquote von 38 Patienten mit bekannter Diagnose und der Gesamtzahl der Patienten feststellen
läßt (P < 0,05). Allerdings hängt der hohe Grad der Übereinstimmung sicher auch damit zusammen, daß in die Klinik im allgemeinen fortgeschrittene und schwere
Fälle von rheumatischen Erkrankungen kommen, die anamnestisch leichter zu diagnostizieren sind. Wie groß die Treffsicherheit der Anamnese bei den nicht so stark ausgewählten Kranken einer poliklinischen Ambulanz ist,
werden die Ergebnisse einer bereits laufenden Untersuchung zeigen. Weiterhin ist interessant, daß bei 30% der Patienten die ausführliche Anamnese die endgültige Diagnose beeinflußte. Die wichtigsten Anamnesedaten wurden, besonders in zweifelhaften oder neuen Fällen, dem Stationsarzt zur Verfügung gestellt, in einigen Fällen zusammen mit Diagnosevorschlägen. Dieser Einfluß spiegelt sich vor allem in Differentialdiagnosen der Arztbrief epikrisen wider. Tab. 5. Anamnestische Fehidiagnosen wahrscseinlichste anamnestssch gestellte Diagnose paraneoplastisches Syndrom mit Gelenkbeteiligung rheumatisches Fieber inkoniplettes Reiter-Syndrom inkomplettes Reiter-Syndrom Spondylitis ankylosans wahrscheinliche chronische Polyarthritis
Abschlußdiagnose (Arztbrief) Sarkoidose
paraneoplastisches Syndrom bei Kollum-Karzinom M. Scheuermann Panarteriitis nodosa LendenwirbelsäulenSyndrom, angedeutete Hüftdysplasie beiderseits Fingerpolyarthrose
basis haben sich Diagnosekriterien (ARA-Kriterien usw.) als außerordentlich nützlich erweisen. Im Einzelfall wur-
den die Kriterien angewandt und zusätzliche Aspekte (zum Beispiel Ulnardeviation und andere Deformitäten
bei chronischer Polyarthritis, Diskrepanz von subjektiver
und objektiver Ausprägung des Gelenkbefalles beim Lupus erythematodes disseminatus, Geschlechts- und Altersverteilung) bei der Begründung der Wahrscheinlichkeitseinstufung verwendet. Entscheidende Probleme bei der Anamneseerhebung sind der Zeitaufwand (im Durchschnitt 11/2 Stunden), die Erfassung der Symptome des Patienten (Sprachbarrieren, mangelnde Ausdrucksfähigkeit, Angst, versteckte Aggressionen) und die Wertung dieser Symptome während der Anamnese,
die Auswertung der anamnestischen Daten und Aufstellung einer Wahrscheinlichkeitsreihenfolge anamnestischer Diagnosen. Eine Verkürzung des Zeitaufwandes ist durch Ausfüllen eines Fragebogens durch den Patienten und computergesteuerte Auswertung möglich, aber hinsichtlich der Beurteilung der Symptome problematisch. Jedoch ist dadurch eine Vorauswahl gegeben, die eine gezielte Zusatzanamnese ergänzen und bewerten kann. Der Einsatz
des Computers in der Auswertung ist aufgrund der gleichbleibenden Kriterien sinnvoll, aber wohl nur im Zusammenhang mit einem die einzelnen Symptome bewertenden Punktesystem. Vergleichsstudien computergesteuerter und rein manueller Auswertung wären von großem Interesse, vor allem hinsichtlich des Einflusses intuitiver, nicht durch eindeutige Kriterien zu erfassender Bewertungsmaßstäbe.
Auf der Grundlage der ausführlichen Anamnese, die beispielsweise eine in alle Einzelheiten gehende Schmerzanalyse, Familienanamnese oder die Analyse des Tagesablaufes und die Beziehung zur Umgebung enthält, er-
gibt sich ein intensiver Kontakt zum Patienten, der das individuelle Erscheinungsbild der Symptome besser verständlich macht und so in vielen Fällen zu einer richtigen Diagnose beiträgt. Literatur
Die hauptsächlichen anamnestischen Fehldiagnosen sind in Tabelle S aufgeführt. Die Fehldiagnosen »inkomplettes Reiter-Syndrom« und »Spondylitis ankylosans« waren der Anlaß, die Zuverlässigkeit eines anamnestisch eruierten Sakroiliakalgelenkbefalles zu überprüfen. Sowohl die Anamnese als auch der körperliche Befund zeigten eine sehr hohe Rate an falsch-positiven (etwa 40%) und fraglichen oder falsch-negativen Befunden (30-40%). Voraussetzung für die hohe »Trefferquote« von 72% anamnestisch richtig gestellter Diagnosen ist neben genauer Kenntnis der rheumatologischen Krankheitsbilder die Berücksichtigung epidemiologischer Daten, der Geschlechts- und Altersverteilung, des Gelenkbefallsmusters und der Organbeteiligung. Als einheitliche Auswertungs-
Deutsche Medizinische Wochenschrift
De Sèze, S., A. Ryckewaert: Le Diagnostic en Rhumatologie (Masson: Paris 1978).
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Dr. P. Winkler I. Medizinische Klinik Westkrankenhaus 8900 Augsburg, Langemarckstr. 11
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