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G. Stampfe!

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Fortschr. Röntgenstr. 128,3 (1978) 274-277

Die Nierenvenendiagnostik beim nephrotischen Syndrom des Erwachsenen Von G. Stampf el

6 Abbildungen Universitätsklinik für Radiologie, Innsbruck (Vorstand: Prof. Dr. E. Pirker)

An drei erwachsenen Patienten mit nephrotischem Syndrom werden die Problematik und die radiologischen Befunde aufgezeigt. Die Ursache des nephrotischen Syndroms waren einmal eine spontane Kavathrombose, einmal eine Medikamentenintoxikation mit nachfolgender Nierenvenenthrombose und einmal eine Glomerulonephritis ohne Nierenvenenthrombose. Wegen der therapeutischen Konsequenzen ist der radiologische Nachweis oder Ausschluß einer Nierenvenenthrombose unentbehrlich und sollte bei jedem nephrotischen Syndrom durchgeführt werden. Das nephrotische Syndrom umfaßt ein klinisches Erscheinungsbild, das durch Albuminurie, Hypoalbuminämie und Odeme gekennzeichnet ist. Dieses Syndrom tritt a!s Begleiterscheinung verschiedener Grundkrankheiten auf, wobei die Atiologie unbekannt ist (7). Als prädisponierende Faktoren gelten Allgemeinerkrankungen wie Lupus erythematodes, Amyloidose, toxische Nierenschädigung durch Medikamente oder Schwermetalle und Infektionskrankheiten sowie Glomerulonephritis und Nephrosk!erose. 0340-1618/78

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The investigation of the rena! veins in the nephrotic syndrome in adu!ts The problems in the radio!ogica! investigation of adults with the nephrotic syndrome are i!!ustrated by three patients. In one it was due to spontaneous thrombosis of the cava, in the second there was renal vein thrombosis from self-administered overdose and the third patient had glomerulonephritis without renal vein thrombosis. In view of the therapeutic implications, radiological investigation of the renal veins is essential and should be carried out in every patient with the (F. St.) nephrotic syndrome.

Auch Zirku!ationsstörungen, die den Nierenvenendruck erhöhen, können zu einem nephrotischen Syndrom Anla« geben; dazu gehören die Pericarditis constrictiva, die Throm-

bose der V. cava inferior oder der V. renalis, Kompression einer Nierenvene von außen und besonders bei Kindern die Exsikkose. Das nephrotische Syndrom des Erwachsenen als Folge einer Nierenvenenthrombose ist meist durch eine spontane Throm-

bose der V. cava verursacht. Bei Kindern entsteht eine

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Die Nierenvenendiagnostik beim nephrotischen Syndrom des Erwachsenen

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renale Thrombophlebitis häufig auf dem Boden einer aufsteigenden Infektion.

Die Nierenvenenthrombose kann Folge als auch Ursache eines nephrotischen Syndroms sein, kann aber auch im Rahmen dieses Syndroms fehlen. Maligne Nierentumoren sind die häufigste Ursache der Nierenvenenthrombose, die in dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben soll. Pathophysiologisch läßt sich beim nephrotischen Syndrom der Eiweißverlust so erklären, daß es zu Permeabilitätsstörungen der

und dadurch zu einer Albuminurie. Extrarenal gelegene Ursachen wie ein venöser Rückstau mit Druckerhöhung können ebenfalls zu einer Schädigung der peritubulären Kapillaren und dadurch zu einer Albuminurie mit einer konsekutiven Senkung des Eiweißspiegels im Blut führen (2).

Für die Therapie ist der Nachweis oder Ausschluß einer Nierenvenenthrombose beim nephrotischen Syndrom ausschlaggebend, wodurch dem Radiologen eine wichtige Aufgabe zufällt. Nur durch eine Phiebographie der Nieren oder der V. cava inferior läßt sich eine Nierenvenenthrombose sicher nachweisen oder ausschließen.

Das Urogramm oder die retrograde Pyelographie kann pathologische Veränderungen zeigen, die aber nur eine Verdachtsdiagnose gestatten.

Methode Die radiologische Darstellung der Nierenvenen kann auf direktem oder indirektem Wege erfolgen. Üblicherweise wird die selektive retrograde direkte Nierenvenendarstellung

angewendet, da sie kontrastreichere Bilder gibt als die indirekte. Es wird über die V. femoralis in Seldinger-Technik ein Katheter mit leicht gebogener Spitze ohne Seitenlöcher eingeführt. Vor dem Vorschieben des Katheters bis in die Nierenvene erfolgt eine Kontrastmittelinjektion zur Darstellung der Beckenvenen und der V. cava inferior, um dort allfällig haftende Thromben nicht zu übersehen und loszureißen. Sind die katheterisierte Beckenvene und untere

Abb. lb

Abb. la

Abb. la und b. Konturunregelmäßigkeiten und Lumenreduzierung der V. cava mf, von den Becken- bis zu den Nierenvenen, keine Kollateralvenendarstellung.

Hohlvene frei, kann der Katheter weiter vorgeschoben werden, bis seine Spitze in die V. renalis eindringt; dann wird manuell Kontrastmittel injiziert und eine gut eingeblendete Aufnahmeserie belichtet. Verbessert wird die Nierenvenendarstellung dadurch, daß der Blutdurchfluß durch die Nieren durch Injektion eines Vasokonstriktors in die Nierenarterie gedrosselt wird. Weniger gebräuchliche

Methoden der direkten Nierenvenendarstellung sind die transkutane Punktion einer Nierenvene sowie die Kontrastmittelinjektion in die linke V. spermatica bei mutmaßlichen Thrombosen der linken Nierenvene (5). Werden aber bei der oben beschriebenen ersten Kontrastmittelinjektion in die Beckenvenen Thromben in der V. cava inferior erkannt oder vermutet, so ist zunächst unbedingt eine Kavographie durchzuführen.

Nach Punktion beider Femoralvenen wird das Kontrastmittel unter gleichzeitigem mäßigen Pressen des Patienten injiziert, während Filmserien in zwei Ebenen (a.-p., seitlich)

belichtet werden. Sind die pathologischen Veränderungen in der V. cava nach kranial nicht abgrenzbar, so kann eine retrograde Darstellung der V. cava inferior dadurch erfolgen,

daß ein Katheter von einer Armvene aus transatrial in die V. cava inferior eingeführt wird. Sind auch Femoral- und Beckenvenen verschlossen, so kann die Kontrastmittelinjektion transossär über die Trochanteren erfolgen. Die indirekte oder prograde Nierenvenendarstellung nach einer selektiven Nierenarteriographie ergibt nicht so kontrastreiche Füllungen der Nierenvenen, daß verbindliche

Abb. le Abb. 1 c und d.

Abb. 1 d

Kontrolle des Therapieerfolges 4 Monate später,

Wandgláttung der V. cava inferior.

Abb. lad. Kavographie a.-p. schräg.

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Glomeruli durch verschiedene Nierenveränderungen kommt

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Abb. 2a

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Abb. 2h

Abb. 2c

Abb. 2ac. Kavographie a.-p., schräg. Kontrastmittelinjekrion von kaudal (a und b) und kranial (c). Thrombuszapfen aus den Nierenvenen ragend.

Aussagen über Thromben möglich sind und führt auf keinem Fall zu einer Darstellung der V. cava inferior. Kon-

trollaufnahmen der Nierenregion wenige Minuten nach der Kontrastmittelinjektion geben wertvolle Aufschlüsse über die Ausscheidungsfunktion der Nieren.

hat sich deutlich gebessert, die Konturen der Kava haben sich geglättet (Abb. le und d). Auch ist der tägliche Eiweißverlust im Ham

zurückgegangen.

Fall 2: In Geistesverwirrung verschluckt der 43jährige Patient eine Uberdosis Cortison. Nach Abklingen des Verwirrtheitszustands wird der Patient wegen zwischenzeitlich aufgetretener Beinödeme internistisch abgeklärt.

Kasuistik Fall 1: Ein 49jähriger Mann bekommt aus voller Gesundheit heraus plötzlich starke Rücken- und Kreuzschmerzen, die in beide Schulterblätter ausstrahlen. Zehn Tage später werden eine Proteinurie und subfebrile Temperaturen festgestellt und deswegen der Patient ins Spital eingewiesen. Befunde: Lid- und Beinödeme, Proteinurie, zeitweise auch Erythrozyten im Ham, Gesamteiweiß im Serum: 7,3 g%, das nach mehreren Wochen auf 4,5 g% absinkt.

BSG 76/115, Thrombozyren erniedrigt, RR und die übrigen Laborwerte im Normbereich. Nierenbiopsie: dringender Verdacht auf membranöse Glomerulonephritis. Im Thoraxbild kleiner Erguß beiderseits, im Infusionsurogramm große Nieren beiderseits mit gespreizten Kelchen. Drei Monate nach dem akuten Ereignis wird wegen Verdachts auf eine Nierenvenenthrombose bei nephrotischem Syndrom die Kavographic veranlaßt. Diese zeigt eine unregelmäßige Wandbegrenzung der V. cava vom Becken bis zu den Nierenvenen. Gegen eine Abflußbehinderung in der V. cava spricht das Fehlen eines Kollateralkreislauf s.

Ein Einstromphänomen aus den Nierenvenen ist nicht sichtbar (Abb. la und b).

Befunde: Ham: Albuminurie mit einzelnen Leuko- und Erythrozyten, Gesamreiweiß im Serum, 4,4 g%, BSG 58/105, RR 145/100, Puls 110, nierenbioptisch membranöse Glomerulonephriris. Das Thoraxbild ergibt einen Pleuraerguß links, ist sonst unauffällig. Wegen des nephrotischen Syndroms wird die Kavographie durchgeführr. Diese zeigt aus beiden Nierenvenen in die V. cava ragende Thrombuszapfen, im übrigen aber eine normallumige, glatt begrenzte Kavawand (Abb. 2a und b). Diagnose: Nierenvenenthrombose beiderseits mit Glomerulonephritis nach Medikamentenintoxikation (Cortison). Die indizierte

Thrombekromie lehnt der Patient ab. Zu weiteren Kontrollen erscheint er nicht mehr. Fall 3: Ein 3ojähriger Mann wird wegen beiderseitiger Knöehelödeme und allgemein langsam zunehmender Müdigkeit durchuntersucht. Es finden sich im Ham Leuko- und Erythrozyten

sowie hyaline Zylinder und ein Gesamteiweiß im Serum von 5,8 g%. BSG 72/100, RR 140/80, Puls 70. Als Diagnose wird eine

Glomerulonephritis angenommen und dies später durch eine Nierenbiopsie bestätigt. Das Thoraxbild ist unauffällig. Die Nierenphlebographie zeigt normale rechte Nierenvenen.

Links kommt es zu keiner Kontrastmittelfüllung der unteren Venengruppe, obwohl die Katheterspitze an richtiger Stelle im

Diagnose: Wandthrombose der V. cava inferior mit Nierenvenenthrombose und nachfolgendem nephrotischen Syndrom

Nierenhilus liegt (Abb. 3 a). Dieser Befund täuscht eine Thrombose vor, denn die anschließende selektive Venographie einer zweiten

mit Glomerulonephritis.

unteren Nierenvene ergibt einen normalen Befund (Abb. 3b). Diagnose: Glomerulonephritis mit nephrotischem Syndrom ohne Nierenvenenthrombose.

Nach vier Monaten wird der Erfolg der Therapie durch eine Wiederholung der Kavographie kontrolliert. Der Röntgenbefund

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Abb. 3a.

Fehlende Darstellung der kaudalen Nierenvenen eine

Thrombose vorr)iuschend. Abb. 3 a und b.

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Abb. 3b. Selektive Katheterisierung der kaudalen Nierenvene: normale Venenfüllung.

Nierenphlebogramm links.

Diskussion Die Therapieplanung beim nephrotischen Syndrom mit Glomerulonephritis hängt vom Fehlen oder Vorhandensein bzw. der Ursache der Nierenvenenthrombose ab. Daraus

ergibt sich die Indikation zu einer Nierenphlebographie bzw. Kavographie, die grundsätzlich bei jedem nephrotischen Syndrom gegeben ist.

Jeder der drei Fälle zeigte einen anderen radiologischen Befund der Nierenvenen und auch verschiedene Ursachen der Erkrankung. Der erste Patient hatte eine Wandthrombose der V. cava, die auf die Nierenvenen übergriff und so zum nephrotischen Syndrom führte. Beim zweiten war es durch eine Medikamentenintoxikation zu einer Nierenvenenthrombose gekommen, die schließlich bis in das Kavalumen vorwuchs und das nephrotische Syndrom verursachte. Der dritte Patient mit nephrotischem Syndrom nach Glomerulonephritis zeigte keine Nierenvenenthrombose. Bei jedem Patienten mit nephrotischem Syndrom sollte im Thoraxbild auf Zeichen einer Pulmonalembolie geachtet werden. Der erste Patient hatte beidseitig und der zweite linksseitig einen Pleuraerguß im Thoraxbild. Diese Ergüsse sind als Begleitsymptom bzw. Folgen einer Embolie

plikationen sind kaum zu erwarten oder meist nur geringfügig. Das Loslösen thrombotischen Materials läßt sich durch schrittweises Vorschieben des Katheters nach Kontrastmittelinjektion unter Durchleuchtungskontrolle weit-

gehend vermeiden. Vereinzelt kann durch ein Zurückschnellen des Katheters aus der Nierenvene während der Injektion ein subintirnales Kontrastrnitteldepot in der Venenwand entstehen, das sich meist schnell und komplikationslos resorbiert. Venöse Blutungen an der Einstichstelle lassen sich durch Kompression leicht stillen. Bei allen hier beschriebenen Patienten waren die Untersuchungen komplikationslos verlaufen. Literatur

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Biicheler, E., A. Düx, P. Thurn: Röntgendiagnostik der Nieren-

vcnenthrombose. Fortschr. Röntgenstr.

zu interpretieren. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, daß bei einer Hypoproteinämie Pleuraergüsse aufgrund der

106 (1967) 800

Reduzierung des kolloidosmotischen Druckes auftreten kön-

thrombosis. Radiology 90 (1968) 886 Gospodinow, G,, L. Topalow:

nen. Ein Lungenperfusionsszintigramm wurde bei beiden Patienten leider nicht durchgeführt. Beim dritten Patienten waren kein Pleuraerguß oder sonstige Zeichen einer Lungen-

Chait, A., L. Stoane, H. Moskowitz, H.

Z.

Mellins :

Renal

sein

Dic Phlebographie der Nierenvenen

auf dem Wege der

V.

spermatica

Gyepes, iv!.

in der Angiographie erfahrenen Radiologen allgemein als eine einfache und gefahrlose Untersuchung angesehen. Korn-

Desilets,

assisted renal senography in renal vein thrombosis: Report of two

adolescents with nephrotic syndrome. Radiology 93 (1969) 793

Janower, El. C.: Nephrotic syndrome secondary to renal vein thrombosis. Amer. J. Roentgenol. 95 (1965) 330

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reliaI

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Rösch, J., R. Antonovic, M. L. Goldman, C. T. Dotter: Epinephrine renal venography. Fortschr. Röntgenstr. 123 (1975) 501

embolie nachweisbar, es wurde auch im Nierenphlebogramm keine Thrombose nachgewiesen. Die Nierenphlebographie wird bei Ausführung durch einen

T., D. T.

R. K. Gray, R. M. Katz: Epinephrine

Dr. med. G. Stampfel, Institut für diagnostische Radiologie, lnselspital, CH-3010 Bern

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Die Nierenvenendiagnostik beim nephrotischen Syndrom des Erwachsenen

[The investigation of the renal veins in the nephrotic syndrome in adults (author's transl)].

Fortschr. Röntgenstr. G. Stampfe! 128, 3 Fortschr. Röntgenstr. 128,3 (1978) 274-277 Die Nierenvenendiagnostik beim nephrotischen Syndrom des Erwac...
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