Originalarbeit 87

Multizentrische Evaluationsstudie zur medizinischberuflichen Rehabilitation (MEmbeR)

Autoren

J. D. Rollnik1, M. Sailer2, J. Kiesel3, H. Karbe4, J. Harms5, C. Busch6, R. Eckhardt7, M. Spranger8, D. Rixecker9, R. J. Knickenberg10, R. Weber11, H.-J. Hesselschwerdt12, K. Scheidtmann13, M. Köhler14, C. Müller15, T. Platz16, U. Specht17, T. Schmelter18, H. Hoff-Emden19, D. Urbach20, J. Lecheler21

Institute

Die Institutsangaben sind am Ende des Beitrags gelistet

Schlüsselwörter ▶ medizinisch-berufliche ● Rehabilitation ▶ MembeR ● ▶ Teilhabe ● ▶ Outcome ●

Zusammenfassung

Abstract

Einleitung: Bei der MEmbeR handelt es sich um eine prospektive multizentrische Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-beruflicher Rehabilitationseinrichtungen (BAG MBR Phase II). Methodik: In die Studie wurden n = 196 Rehabilitanden aus den Indikationsgruppen Neurologie, Psychiatrie/Psychosomatik, Orthopädie und Innere Medizin von 21 Zentren aus dem gesamten Bundesgebiet eingeschlossen. Primärer Outcome-Parameter war die berufliche Teilhabe. Des Weiteren wurden Lebensqualitätsparameter (SF12) und ein Mini-ICF-Rating durchgeführt. Der Beobachtungszeitraum umfasste 24 Monate nach Beendigung der Rehabilitationsbehandlung. Ergebnisse: Das mittlere Alter lag bei 34,1 (9,9) Jahren, die mittlere Verweildauer bei 150,0 (223,5) Tagen. Vor Beginn der Rehabilitation waren 69,9 % arbeitsunfähig, 24 Monate nach Entlassung waren es nur noch 5,6 %. Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der Arbeitssuchenden von 19,7 % auf 3,1 %. Insgesamt konnten nach 2 Jahren 78,1 % der Studienteilnehmer dem ersten Arbeitsmarkt zugeordnet werden. Berentet waren nur 14,3 %. Erfolgreich beruflich Integrierte hatten eine signifikant höhere Lebensqualität (SF-12 körperlicher Summenscore) und geringere Beeinträchtigungen im Item „Durchhaltefähigkeit“ des Mini-ICF-Ratings bereits zum Studieneinschluss. Rehabilitanden mit erfolgreicher beruflicher Teilhabe waren signifikant jünger (32,8 [9,7] vs. 38,5 [9,4] Jahre, p = 0,001) und hatten einen niedrigeren Grad der Behinderung (GdB) (20,0 [31,2] vs. 36,1 [33, 7], p < 0,05). Diskussion: Die Aussagekraft der MEmbeR ist durch das Fehlen einer Kontrollgruppe eingeschränkt, dennoch leistet die Studie aufgrund des multizentrischen und indikationsübergreifenden Designs einen wichtigen Beitrag zur Evidenzbasierung der medizinisch-beruflichen Rehabilitation.

Introduction: MEmbeR is a prospective multicenter study on medical-occupational rehabilitation in Germany. Methods: 196 neurological, psychiatric, orthopaedic, and internal medicine patients from 21 rehabilitation centres all across Germany have been enrolled and followed-up for 2 years after discharge. Primary outcome parameter was defined as return to work. Further, the SF-12 and a Mini-ICF-Rating have been used. Results: Mean age was 34.1 (9.9) years, length of stay 150.0 (223.5) days. Prior to occupational rehabilitation, 69.9 % were unable to work, 2 years after discharge only 5.6 %. Rate of participants seeking a job was reduced from 19.7 % to 3.1 %. In summary, 78.1 % returned to work. Employed participants were younger (32.8 [9.7] vs. 38.5 [9.4] years, p = 0.001) and less disabled (Degree of Disablement [GdB]: 20.0 [31.2] vs. 36.1 [33.7], p < 0.05). Conclusion: The multicenter cohort study MEmbeR provides further knowledge about the outcome of medical-occupational rehabilitation in Germany.

Key words ▶ vocational rehabilitation ● ▶ MEmbeR study ● ▶ employment ● ▶ outcome ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1347231 Online-Publikation: 19.11.2013 Rehabilitation 2014; 53: 87–93 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Jens D. Rollnik Institut für neurorehabilitative Forschung (InFo) der BDH-Klinik Hessisch Oldendorf Greitstraße 18–28 31840 Hessisch Oldendorf [email protected]





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The MEmbeR Multicenter Study on Medical-Occupational Rehabilitation

Einleitung



Die berufliche Teilhabe von Rehabilitanden stellt ein vorrangiges Rehabilitationsziel dar, das durch die UN-Behindertenrechtskonvention wie auch durch nationales Recht legitimiert ist [1]. Einrichtungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation (Phase II) kommt dabei als Bindeglied zwischen der medizinischen Rehabilitation (Phase I) und der beruflichen Rehabilitation (Phase III) eine herausragende Bedeutung zu [2]. Selbstverständlich müssen bereits in der medizinischen Rehabilitation berufliche Aspekte berücksichtigt werden [3, 4]. Das MBOR-Konzept (medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation) der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sieht vor, dass neben der Basisversorgung (Stufe A), z. B. in der Anschlussrehabilitation, Schwerpunkteinrichtungen bei „besonders ausgeprägten beruflichen Problemlagen“ (Stufen B und C) frequentiert werden [4]. Einrichtungen der Phase II erfüllen aufgrund ihrer besonderen personellen und strukturellen Voraussetzungen (z. B. durch das Vorhalten von Werkstätten sowie die Beschäftigung von Berufstherapeuten und Pädagogen) [5, 6] seit Jahrzehnten diese Anforderungen. Ihr Behandlungsspektrum geht aber noch darüber hinaus: In der Phase II werden Rehabilitanden betreut, die nach einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme noch nicht beruflich integriert werden können und einen längeren Rehabilitationsprozess zur Erreichung dieses Teilhabezieles benötigen. In einer medizinisch-beruflichen Rehabilitation (mbR) sind im Vergleich zu einer medizinischen Rehabilitation beruflich-orientierte Therapien von Beginn an im Vordergrund, wohingegen medizinische Leistungen im Verlauf zunehmend reduziert werden können. Leistungsrechtlich bewegt sich die mbR an der Nahtstelle zwischen „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ (§ 26 SGB IX) und „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (§ 33 SGB IX) [5]. Einrichtungen der Phase II sind über die Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-beruflicher Rehabilitationseinrichtungen (BAG MBR Phase II) organisiert (siehe: www.mbreha.de) und bilden ein flächendeckendes und alle wesentlichen Indikationsbereiche umfassendes Versorgungsnetz in der Bundesrepublik Deutschland [2]. Die BAG MBR definiert u. a. Voraussetzungen zur Struktur- und Prozessqualität von Phase-II-Einrichtungen [6]. Unter ihrer Einbindung wurden 2011 auch von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) „Empfehlungen zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation in der Neurologie“ publiziert [7]. Trotz der wachsenden Bedeutung der Phase II in einer demografisch alternden Bevölkerung gibt es nur wenige Outcome-Studien zur mbR. Diese stammen ausschließlich aus dem neurologischen Indikationsgebiet. In einer Publikation aus Bremen-Friedehorst wurden Ergebnisse der Behandlung junger Rehabilitanden (Median 22 Jahre) mitgeteilt [8]. Die Untersuchung schloss 95 Rehabilitanden ein, davon n = 54 nach einem Schädel-HirnTrauma. Ein Jahr nach Entlassung waren ca. 50 % auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert, etwa 8 % in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), ein Drittel ging keiner Beschäftigung nach [8]. Nach Ablauf von 5 Jahren waren 40 % auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig, weitere 30 % in Ausbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen und 20 % ohne Beschäftigung [8]. In einer weiteren Studie aus Hessisch Oldendorf konnte gezeigt werden, dass etwa 10 Jahre nach einer neurologischen oder neurochirurgischen Erkrankung (und ca. 7 Jahre nach einer mbR) 59,9 % der ehemaligen Rehabilitanden dem ersten Arbeitsmarkt (davon

9,3 % arbeitssuchend) zuzuordnen waren [2]. Nur 28,7 % waren nach dieser Zeit berentet [2]. Da es die mbR in dieser Form nur in Deutschland gibt, stehen keine vergleichbaren internationalen Studien zur Verfügung. Allerdings liegen Daten zur beruflichen Teilhabe nach neurologischen Erkrankungen (v. a. Schlaganfälle) vor. Daten aus der NINDS-Datenbank (National Institute of Neurological Disorders and Stroke, USA) zeigten, dass von den Patienten, die zum Zeitpunkt des Schlaganfalls in einem vollzeitigen Beschäftigungsverhältnis standen (n = 203) nach einem Jahr nur noch n = 58 (28,6 %) berufstätig waren [9]. Vor allem ein jüngeres Lebensalter wirkte sich dabei prognostisch günstig aus. Ein vergleichbarer Anteil erfolgreich beruflich Integrierter (26,7 %) zeigte sich in einer weiteren Untersuchung [10]. In einer Untersuchung von Schädel-Hirn-Traumatisierten erreichten nach einem Jahr 40,7 % und nach 2 Jahren 40,8 % die berufliche Teilhabe [11]. Aufgrund des vorliegenden Mangels an Evidenz beschloss die BAG MBR Phase II auf ihrer Mitgliederversammlung im Oktober 2008 die Durchführung einer multizentrischen Studie zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation (mbR). Die vorliegende Arbeit fasst die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen.

Methodik



Die MEmbeR wurde als indikationsübergreifende, multizentrische und prospektive Studie durchgeführt. Die Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) äußerte keine Bedenken gegen die Durchführung. Einschlusskriterien waren: Alter zwischen 16 und 50 Jahren, Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens, ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, unterschriebene Einverständniserklärung. Primär ausgeschlossen wurden stark Hör- oder Sehbehinderte und Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Im Zeitraum vom 1.7.2009 bis zum 30.5.2010 wurden in 21 medizinisch-beruflichen Rehabilitationszentren n = 220 Studienteilnehmer rekrutiert. Von diesen komplettierten n = 196 Probanden die Studie nach einem Beobachtungszeitraum von 2 Jahren (Drop-out: 10,9 %). In die statistische Auswertung wurden nur die Teilnehmer einbezogen, die die Studie ordnungsgemäß abgeschlossen haben. Rehabilitanden wurden gegen Ende der mbR in die Studie eingeschlossen, um den weiteren Verlauf der beruflichen Integration nach Entlassung zu verfolgen. Dazu wurde ein Basisbogen von der meldenden Einrichtung ausgefüllt, der person- und umweltbezogene Kontextfaktoren (u. a. Familienstand, Wohnsituation, Schulabschluss, Berufsausbildung, Migrationshintergrund) beinhaltete [12]. Neben demografischen Daten umfasste er insbesondere auch Informationen zur durchgeführten Maßnahme, eine Sozialanamnese, eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung (analog zum ärztlichen Reha-Entlassungsbericht der DRV [13]), Informationen zu weiteren geplanten Maßnahmen, ICDDiagnosen und einen Barthel-Index [14]. Zusätzlich wurden ein Mini-ICF-Bogen [15] und ein standardisiertes Instrument zur Beurteilung des Gesundheitszustandes bzw. der Lebensqualität (SCF-12) [16] eingesetzt. Beim Mini-ICF handelt es sich um ein auch im beruflichen Kontext zu verwendendes Instrument zur Beurteilung von Fähigkeitsstörungen, das primär für Menschen mit psychischen Störungen entwickelt wurde [15]. Dabei werden 13 Dimensionen, die einen Bezug zu Aktivitätsstörungen der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit,

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Tab. 1 Top-20-Hauptdiagnosen der Rehabilitanden (in absteigender Häufigkeit). Diagnosen

n

%

1. Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 2. zerebrale Ischämie (Schlaganfall) 3. Wirbelsäulenerkrankungen (Bandscheibenvorfall u.ä.) 4. Depression 5. multiple Sklerose 6. schizophrene Psychose 7. Persönlichkeitsstörung 8. Asthma bronchiale 9. Tumoren des zentralen Nervensystems 10. Epilepsie 11. bipolare/schizoaffektive Störung 12. hypoxischer Hirnschaden 13. Meningitis/Enzephalitis 14. intrazerebrale Blutung 15. Querschnittlähmung 16. posttraumatische Belastungsstörung/ Anpassungsstörung 17. Handverletzungen/-frakturen 18. Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen 19. Subarachnoidalblutung 20. Schulter-Arm-Verletzungen/-Frakturen

28 26 19

14,3 13,3 9,7

15 9 8 8 7 7 6 6 5 5 4 4 4

7,7 4,6 4,1 4,1 3,6 3,6 3,1 3,1 2,6 2,6 2,0 2,0 2,0

3 3 2 2

1,5 1,5 1,0 1,0

Ergebnisse



Von den n = 196 Rehabilitanden waren 113 männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter lag zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses bei 34,1 (9,9) Jahren (Range 16–50 Jahre, Median: 35); n = 125 waren ledig, 52 verheiratet, 15 geschieden und 4 getrennt lebend. Zur Wohnsituation gaben n = 81 (41,3 %) an, mit einem Partner zusammen zu leben, 59 (30,1 %) wohnten noch bei Eltern bzw. Verwandten, 52 (26,5 %) lebten allein und 4 (2,0 %) in einer anderen Wohnsituation (z. B. Wohngemeinschaft). Im Mittel hatten die Studienteilnehmer 0,5 (0,9) Kinder. Einen Migrationshintergrund gaben n = 14 (7,1 %) der Studienteilnehmer an, von denen sich n = 12 schon länger als 10 Jahre in Deutschland befanden. Zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses war bei n = 77 (39,3 %) der Rehabilitanden bereits ein Grad der Behinderung (GdB) festgelegt worden. Im Mittel betrug der GdB 23,6 (32,4) v. H. Bei immerhin n = 61 (31,1 %) lag ein GdB von 50 oder mehr und damit eine Schwerbehinderung im Sinne § 1 SchwbG vor. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, gesetzliche Unfallversicherung) war nur bei 2 Probanden (MdE 20 bzw. 100 v. H.) festgelegt worden. Der mittlere Barthel-Index bei Entlassung aus der Rehabilitation lag bei 99,1 (4,0) Punkten, sodass Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens vorlag. ▶ Tab. 1 gibt die Top-20-Hauptdiagnosen der Rehabilitanden ● wieder, die den Indikationsgruppen Neurologie (n = 114, 58,2 %), Psychiatrie/Psychosomatik (n = 43; 21,9 %), Orthopädie (n = 30; 15,3 %) und Innere Medizin (n = 9; 4,6 %) zugeordnet wurden. Die mbR wurde im Mittel 49,5 (77,9) Monate (Median 13,5), d. h. durchschnittlich etwa 4 Jahre nach Erkrankungsbeginn durchgeführt. Die mittlere Dauer der mbR lag bei 150,0 (223,5) Tagen (Median: 43). Das Alter der Probanden und die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme korrelierten negativ miteinander (r = − 0,467; p < 0,001). Der häufigste Kostenträger war die DRV (n = 129; 65,8 %), gefolgt von der Bundesagentur für Arbeit (n = 35; 17,9 %), der gesetzlichen Unfallversicherung (n = 20; 10,2 %) und der gesetzlichen Krankenversicherung (n = 11; 5,6 %). Rehabilitanden in

der Inneren Medizin hatten mit 786,6 (385,5) Tagen signifikant längere Verweildauern als in den anderen 3 Indikationsgruppen (ANOVA, F = 43,3; p < 0,001). Am kürzesten war die Verweildauer in der orthopädischen Rehabilitation mit 70,5 (162,9) Tagen; in der Neurologie lag sie im Mittel bei 121,3 (148,3), in der Psychiatrie/Psychosomatik bei 148,2 (180,7) Tagen. Die Probanden bewerteten die mbR-Maßnahme mit der Durchschnittsnote 2,l (0,9), n = 152 (77,6 %) Teilnehmer vergaben die Schulnoten „gut“ oder „sehr gut“. In der untersuchten Stichprobe hatten nur n = 4 (2,0 %) keinen Schulabschluss. Über einen Haupt- oder Volksschulabschluss verfügten n = 64 (32,7), über die mittlere Reife n = 75 (38,3 %) und über die (Fach-)Hochschulreife n = 24 (12,2 %); n = 22 hatten sogar ein abgeschlossenes (Fach-)Hochschulstudium und n = 7 (3,6 %) einen anderen Abschluss. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügten zum Zeitpunkt der mbR n = 138 (70,4 %). Der offizielle Status bei Antritt der mbR war bei n = 39 (19,9 %) arbeitssuchend (Bundesanstalt für Arbeit – BA) und bei n = 137 (69,9 %) lag Arbeitsunfähigkeit vor. Im Mittel waren die Studienteilnehmer seit 17,7 (20,7) Monaten, d. h. seit ca. 1,5 Jahren, auf Arbeitssuche und seit 11,9 (13,2) Monaten (ca. 1 Jahr) arbeitsunfähig. In der zum Ende der mbR vorgenommenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung wurde nur einem Drittel (29,6 %) attestiert, dass die letzte berufliche Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens 6 Stunden ausgeübt werden kann. Immerhin 74,5 % war jedoch eine leidensgerechte Tätigkeit im Umfang von 6 Stunden und mehr zuzumuten. Die Haupteinschränkungen bezogen sich auf die geistig-psychische Belastbarkeit (60,7 %) und den Bewegungs-/Haltungsapparat (60,2 %). Als primär arbeitsfähig wurden n = 89 (45,5 %) aus der mbR entlassen, wobei aber zusätzlich bei n = 31 (15,8 %) eine stufenweise Wiedereingliederung empfohlen wurde, für deren Dauer sozialrechtlich Arbeitsunfähigkeit besteht. Der mittlere Stundenumfang im Rahmen der Wiedereingliederung lag in Woche 2 bei 3,8

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Behinderung und Gesundheit) aufweisen, mit 0 („keine Beeinträchtigung“) bis 4 („vollständige Beeinträchtigung“) von einem Untersucher bewertet. Die sechste Dimension „Durchhaltefähigkeit“ bezieht sich z. B. auf die Fähigkeit des Probanden, hinreichend ausdauernd während einer Tätigkeit zu bleiben und ein durchgehendes Leistungsniveau aufrecht zu erhalten. Die in die Studie eingeschlossenen Probanden wurden in halbjährlichen Intervallen über 2 Jahre mit einem standardisierten Telefoninterview nachuntersucht. Primärer Outcome-Parameter war die berufliche Teilhabe (Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt). Dabei wurden wie in einer früheren Publikation [2] dem ersten Arbeitsmarkt zugeordnet: festes Arbeitsverhältnis, Ausbildung/Weiterbildung/Umschulung, Teilnahme an einer Integrationsmaßnahme und Arbeitssuchende. Des Weiteren wurden auch Probanden, die angaben, sich in Elternzeit zu befinden (bzw. als Hausmann/-frau tätig zu sein), dieser Gruppe zugeordnet. Als nicht erfolgreich auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert galten Rehabilitanden, die in einer WfbM arbeiteten oder berentet waren [2]. Auch Arbeitsunfähige wurden dieser Gruppe zugeschlagen. Bei der Darstellung der Ergebnisse wurden – sofern nicht anders bezeichnet – jeweils Mittelwert und (in Klammern) Standardabweichung angegeben.

(0,9), in Woche 4 bei 5,2 (1,4), in Woche 6 bei 5,9 (1,0) und in Woche 8 bei 6,2 (0,4) pro Arbeitstag. Bei den als primär arbeitsunfähig entlassenen Rehabilitanden wurde eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung nach im Mittel 144,1 (139,4) Tagen prognostiziert, d. h. ca. 5 Monate nach Entlassung. Im Anschluss an die mbR ▶ Tab. 2 wiedergegebenen Maßnahmen empfohwurden die in ● len. Bei nur n = 6 (3,1 %) Rehabilitanden wurde primär eine Eingliederung in eine WfbM vorgeschlagen. In n = 132 Fällen (67,3 %) fanden während der mbR Besprechungen mit dem Kostenträger der Maßnahme überwiegend persönlich statt. Zum bisherigen Arbeitgeber wurde in n = 51 Fällen (26,0 %) Kontakt aufgenommen, Arbeitsplatzbegehungen fanden bei n = 8 (4,1 %) statt. Bei n = 45 Rehabilitanden (23,0 %) wurde während der Rehabilitationsmaßnahme auch ein (externes) Betriebspraktikum durchgeführt, das im Mittel 4,0 (4,0) Wochen dauerte. Dieses verlief bei nur n = 10 negativ (vorzeitig abgebrochen oder Überforderung), bei n = 31 wurde hingegen eine befriedigende bis sehr gute Leistungsfähigkeit als Ergebnis des Praktikums festgestellt. Tab. 2 Vorgeschlagene (Anschluss-)Maßnahmen nach der mbR, nach absteigender Häufigkeit geordnet. Empfohlene Maßnahmen

n

%

keine weiteren Maßnahmen Aufnahme einer Ausbildung ambulante medizinische/psychotherapeutische Weiterbetreuung technische/organisatorische Änderungen am bisherigen Arbeitsplatz Berufsfindung Phase III (BBW* oder BFW*) sonstige LTA Umschulung innerbetriebliche Umsetzung Qualifizierungsmaßnahme Integrationsmaßnahme Unterstützung beim Wechsel des Arbeitgebers berufliches Training (BTZ*) Lehrgang/Schulung Summe

67 36 20

34,2 18,4 10,2

18

9,2

16 11 10 6 3 3 2 2 2 196

8,2 5,6 5,1 3,1 1,5 1,5 1,0 1,0 1,0 100,0

*BBW = Berufsbildungswerk, BFW = Berufsförderungswerk, BTZ = Berufliches Trainingszentrum (für psychisch Kranke)

Mini-ICF-Rating 1. Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen 2. Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben 3. Flexibilität und Umstellungsfähigkeit 4. Fähigkeit zur Anwendung fachlicher Kompetenzen 5. Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit 6. Durchhaltefähigkeit 7. Selbstbehauptungsfähigkeit 8. Kontaktfähigkeit zu Dritten 9. Gruppenfähigkeit 10. Fähigkeit zu familiären bzw. intimen Beziehungen 11. Fähigkeit zu außerberuflichen Aktivitäten 12. Fähigkeit zur Selbstpflege 13. Verkehrs- und Wegefähigkeit

Studieneinschluss

Im Mini-ICF-Rating zeigten sich im Vergleich zum Studieneinschluss nahezu in allen Bereichen signifikante Verbesserungen ▶ Tab. 3). Beim SF-12 verbessernach Ablauf von 24 Monaten (● ten sich sowohl körperliche als auch psychische Summenskalen ▶ Tab. 3). im Beobachtungszeitraum signifikant (● ▶ Tab. 4 fasst die Ergebnisse zur beruflichen Teilhabe zusam● men: Zum Studienende (24 Monate nach mbR) waren n = 153 (78,1 %) der Studienteilnehmer dem ersten Arbeitsmarkt zuzurechnen. Selbst nach Abzug der Arbeitssuchenden (3,1 %) verblieb eine Wiedereingliederungsquote von 75,0 %. Nach 24 Monaten waren nur 14,3 % berentet und 2,0 % arbeiteten an einem geschützten Arbeitsplatz (WfbM). Von den beruflich Integrierten standen 81 (41,3 %) ehemalige Rehabilitanden in einem festen Arbeitsverhältnis, davon arbeiteten n = 62 (31,6 %) wieder beim alten Arbeitgeber, n = 19 (9,7 %) bei einem neuen Arbeitgeber. Vor Antritt der medizinisch-beruflichen Rehabilitation lag der Anteil der Arbeitsunfähigen bei 69,9 %, sukzessive reduzierte ▶ Abb. 1). Auch der sich dieser bis zum Studienende auf 5,6 % (● Anteil Arbeitssuchender reduzierte sich von 19,7 % (vor der ▶ Abb. 1). Zum EntmbR) auf 3,1 % 24 Monate nach Entlassung (● lassungszeitpunkt war in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung die Dauer der weiteren Arbeitsunfähigkeit mit ca. 5 Monaten eingeschätzt worden. Passend zu dieser Prognose zeigte sich der stärkste Rückgang der Arbeitsunfähigkeit in den ersten 6 Monaten nach Entlassung, und zwar von 55,5 % auf 16,3 % (Differenz: − 39,2 %). ▶ Tab. 5 gibt einen Überblick über prognostische Faktoren. Er● folgreich Integrierte waren signifikant jünger, hatten einen niedrigeren Grad der Behinderung (GdB), eine höhere Lebensqualität (SF-12 zu Studienbeginn), geringere Beeinträchtigungen der Durchhaltefähigkeit (Mini-ICF zu Studienbeginn), eine längere Rehabilitationsdauer und wurden häufiger arbeitsfähig aus der Rehabilitation entlassen. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung spielte darüber hinaus auch die Beurteilung des zeitlichen Umfangs, in dem eine leidensgerechte Tätigkeit ausgeübt werden kann, eine Rolle. Während bei einem attestierten Leistungsvermögen von über 6 Stunden die berufliche Integration in 86,3 % der Fälle gelang, konnten von den Probanden mit einem zeitlichen Umfang von weniger als 3 Stunden nur 28,6 % integriert werden. Keinen Einfluss auf die berufliche Teilhabe hatten folgende Parameter: Geschlecht, Migrationshintergrund,

24 Monate nach mbR

Signifikanz*

0,4 (0,8) 0,8 (0,9)

0,2 (0,6) 0,5 (0,7)

p < 0,05 p = 0,001

0,9 (1,0) 0,6 (1,0) 0,7 (0,8) 1,2 (1,0) 0,9 (1,2) 0,6 (0,9) 0,6 (0,8) 0,8 (1,2) 1,0 (1,1) 0,3 (0,7) 0,6 (1,0)

0,5 (0,7) 0,2 (0,5) 0,5 (0,6) 0,6 (1,0) 0,1 (0,4) 0,3 (0,6) 0,4 (0,7) 0,3 (0,6) 0,9 (1,0) 0,2 (0,5) 0,7 (1,1)

p < 0,001 p < 0,001 p < 0,05 p < 0,001 p < 0,001 p < 0,001 p < 0,05 p < 0,001 n. s. n. s. n. s.

43,3 (11,6) 47,3 (12,0)

45,8 (9,7) 51,1 (12,6)

p = 0,001 p = 0,001

SF-12 (Lebensqualität) körperliche Summenskala (PCS) psychische Summenskala (MCS) *t-Test für verbundene Stichproben; n. s. = nicht signifikant

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Tab. 3 Mittelwerte des Mini-ICFRatings und des SF-12-Bogens (Lebensqualität), n = 196.

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Follow-up (Monate nach mbR): festes Arbeitsverhältnis Ausbildung/Umschulung/Weiterbildung Integrations- oder sonstige Maßnahme Elternzeit, Hausmann/-frau arbeitssuchend Summe 1. Arbeitsmarkt arbeitsunfähig berentet WfbM Summe nicht integriert

6

12

50 (25,5) 42 (21,4) 17 (8,7) 10 (5,1) 26 (13,3) 145 (74,0) 32 (16,3) 17 (8,7) 2 (1,0) 51 (26,0)

18

55 (28,1) 56 (28,6) 14 (7,1) 9 (4,6) 15 (7,6) 149 (76,0) 23 (11,7) 21 (10,7) 3 (1,5) 47 (24,0)

65 (33,2) 57 (29,1) 17 (8,7) 9 (4,6) 9 (4,6) 157 (80,1) 13 (6,6) 23 (11,7) 3 (1,5) 39 (19,9)

Tab. 4 Berufliche Teilhabe. In Klammern ist jeweils der prozentuale Anteil genannt.

Abb. 1 Anteil Arbeitsunfähiger (blaue Balken) und Arbeitssuchender (weiße Balken), in Prozent der Grundgesamtheit (n = 196).

80 70 60 50 40 30 20 10 0

vor mbR

6 Monate

12 Monate nach mbR

Alter GdB Dauer der Rehabilitation (Tage) Durchhaltefähigkeit (Mini-ICF), Studieneinschluss körperliche Summenskala (SF-12), Studieneinschluss psychische Summenskala (SF-12), Studieneinschluss Entlassung als arbeitsfähig Entlassung als arbeitsunfähig

18 Monate

24 Monate

erfolgreich

nicht erfolgreich

integriert

integriert

32,8 (9,7) 20,0 (31,2) 167,8 (246,8) 1,1 (1,0) 44,1 (10,6) 48,0 (11,6) 76/89 (85,4 %) 30/107 (28,0 %)

38,5 (9,4) 36,1 (33,7) 86,5 (79,5) 1,5 (1,2) 40,0 (13,9) 44,2 (13,5) 13/89 (14,6 %) 77/107 (72,0 %)

Signifikanz p = 0,001* p < 0,05* p < 0,05* p < 0,05* p < 0,05* p < 0,10* p < 0,05**

Tab. 5 Prognostische Faktoren für die berufliche Teilhabe, n = 196. Die Aussage „erfolgreich/nicht erfolgreich integriert“ bezieht sich auf den Zeitpunkt 24 Monate nach mbR.

* t-Test für unverbundene Stichproben, ** Chi-Quadrat-Test

Indikationsgruppe, Bildungsabschluss, Barthel-Index und Zeitraum zwischen Erkrankungs- und Rehabilitationsbeginn.

Diskussion



Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse der ersten prospektiven multizentrischen Evaluationsstudie zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation (MEmbeR) dar. Es handelt sich um eine nicht-kontrollierte Studie, was die Aussagekraft nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin einschränkt. Die Einführung einer Kontrollgruppe verbietet sich jedoch aus ethischen Gründen, da einem Probanden nicht das im SGB IX verbriefte Recht auf Rehabilitation aus Gründen des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns genommen werden darf. Bei den genannten Einschränkungen stellt der multizentrische und indikations-

übergreifende Ansatz sicher, dass einzelne einrichtungsspezifische Besonderheiten (z. B. Trägerschaft) nicht zu einer gerichteten Beeinflussung der Ergebnisse beitragen. Bisher publizierte Studien zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation (mbR) waren monozentrisch und auf das neurologische Indikationsgebiet beschränkt [2, 8]. Ein weiterer Kritikpunkt an der vorliegenden Studie ist die Heterogenität der Interventionen in der mbR. Die Autoren sind sich der Tatsache bewusst, dass medizinisch-berufliche rehabilitative Interventionen, z. B. im Vergleich jugendlicher Asthmatiker mit älteren Schlaganfallpatienten, ganz erhebliche Unterschiede aufweisen. Hierzu ist zu bemerken, dass eine Vergleichbarkeit von Phase-II-Einrichtungen zumindest durch die bindenden gemeinsamen Qualitätsanforderungen gegeben [6, 7] und die Heterogenität Preis des indikationsübergreifenden Ansatzes der MEmbeR ist. Künftige Untersuchungen zur mbR

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Anteil Arbeitsunfähiger/ Arbeitssuchender (%)

24 81 (41,3) 54 (27,6) 6 (3,1) 6 (3,1) 6 (3,1) 153 (78,1) 11 (5,6) 28 (14,3) 4 (2,0) 43 (21,9)

sollten auch externe Faktoren, z. B. die regionale Arbeitsmarktsituation, berücksichtigen [17]. Die mbR bietet vor allem denjenigen Rehabilitanden eine Chance, die nach erfolgter medizinischer Rehabilitation noch so schwerwiegende „berufliche Problemlagen“ aufweisen, dass sie Gefahr laufen, ohne weitere Rehabilitationsmaßnahmen berentet zu werden bzw. nur noch auf dem „zweiten“ Arbeitsmarkt eine Chance zu erhalten. Kostenträger der mbR sind in erster Linie die DRV, die BA und die gesetzliche Unfallversicherung. Auch die Krankenversicherung trägt mbR-Leistungen, wenn von anderen Trägern der Sozialversicherung solche Leistungen nicht erbracht werden können (§§ 40, 42 SGB V). Im Hinblick auf die Verweildauern fanden sich zwischen den Indikationsgruppen erhebliche Unterschiede. Während in der Neurologie, Psychiatrie und Orthopädie vergleichbare Verweildauern dokumentiert wurden, die zwischen 2 und 5 Monaten lagen, wurde in der Indikationsgruppe Innere Medizin eine mittlere Verweildauer von ca. 2 Jahren festgestellt. Hierbei ist die geringe Fallzahl zu berücksichtigen; außerdem handelte es sich hauptsächlich um jüngere Rehabilitanden mit einer chronischen Atemwegserkrankung, die eine länger dauernde Berufsausbildung in einer Phase-II-Einrichtung durchliefen. Im Mittel lag die Verweildauer über alle Indikationsgruppen mit 150 Tagen bei ca. 5 Monaten und damit im Bereich bisher publizierter Verweildauerdaten [2]. Des Weiteren zeigte die MEmbeR, dass Verweildauer und Alter der Rehabilitanden negativ korrelierten. Auch dieser Befund steht im Einklang mit den Ergebnissen der bereits zitierten Vergleichsstudie [2]. Ein Erklärungsansatz liegt nach Ansicht der Autoren in einer kostenträgerseitig vorgenommenen Ressourcenallokation. Zwar ist vor allem auf neurologischem Fachgebiet ausreichend belegt, dass ein hohes Lebensalter Prädiktor für ein negatives Outcome ist [18], die in der MEmbeR untersuchten Rehabilitanden waren jedoch mit im Mittel 34,1 Jahren so jung, dass eine altersbedingte signifikante Einschränkung des Rehabilitationspotenzials nicht anzunehmen ist. Inwiefern dieser Befund in Anbetracht des demografischen Alterns der bundesdeutschen Bevölkerung mit dem „Weg zu einem längeren Erwerbsleben“ [19] vereinbar ist, verdient eine weitergehende politische Diskussion. Im Hinblick auf die berufliche Teilhabe konnten nach Ablauf von 24 Monaten ca. 80 % der Studienteilnehmer dem ersten Arbeitsmarkt zugeordnet werden. Frühere – allerdings retrospektive (und damit methodisch nur schwer vergleichbare) – Studien haben geringere Integrationsraten gezeigt [2, 8]. Die Arbeitsunfähigen wurden der Gruppe der nicht erfolgreich Integrierten zugeordnet, wohl wissend, dass sie sozialrechtlich – solange noch keine Berentung erfolgt ist – dem ersten Arbeitsmarkt prinzipiell zur Verfügung stehen. Arbeitsunfähigkeit ist allerdings der bei medizinisch-beruflichen Rehabilitanden vorherrschende Befund, der die Erwerbsfähigkeit einschränkt und eine berufliche Integration verhindert. In der von uns untersuchten Studienpopulation waren vor Beginn der mbR immerhin ca. 70 % seit ca. einem Jahr (Mittelwert) arbeitsunfähig. Auch wenn zum Ende der mbR (Studieneinschluss) immerhin noch bei ca. 55 % Arbeitsunfähigkeit für etwa 5 Monate (Mittelwert) attestiert wurde, reduzierte sich der Anteil bereits zum ersten Follow-up-Zeitpunkt nach 6 Monaten deutlich auf 16,3 %. Es stellt sich die Frage, warum die Entlassung aus Phase-II-Einrichtungen nicht zu einem höheren Prozentsatz als arbeitsfähig erfolgte. Hierin drückt sich nach Ansicht der Autoren kein Mangel in der (Ergebnis-) Qualität aus, sondern zur (Wieder-)Erlangung der Arbeitsfähigkeit waren bei vielen Rehabilitanden neben einer stufenweisen

Wiedereingliederung noch andere Anschlussmaßnahmen erforderlich. Die Differenziertheit der Festlegung weiterer Maßnahmen ist nur durch einen genauen Vergleich der beruflichen Anforderungen mit dem Leistungsprofil des Rehabilitanden möglich. Daher wurden bei vielen Rehabilitanden neben Besprechungen mit dem Kostenträger auch Arbeitgeber kontaktiert, Betriebspraktika oder Arbeitsplatzbegehungen durchgeführt. Arbeitssuchende wurden in der Beurteilung des primären Outcome-Parameters ebenfalls der Gruppe des ersten Arbeitsmarktes zugeordnet, obwohl den Autoren der Studie bewusst ist, dass behinderte Menschen im Wettbewerb um Arbeitsplätze oft benachteiligt werden. Grundsätzlich stehen diese Menschen aber dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung. Der Anteil Arbeitssuchender reduzierte sich in der MEmbeR deutlich von 19,7 % (vor der mbR), was deutlich oberhalb der allgemeinen Arbeitslosenquote (7,3 %, Stand: 03/13, BA) lag, auf 3,1 % nach 24 Monaten (Studienende). Berentet waren nach 2 Jahren lediglich 14,3 % der Studienteilnehmer. Im Vergleich zu internationalen Studiendaten [9–11], die eine Integrationsrate von ca. 27–41 % belegen, waren die Ergebnisse der MEmbeR deutlich vorteilhafter. Für die Betrachtung möglicher prognostischer Faktoren spielt die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung eine wichtige Rolle. In der MEmbeR konnte gezeigt werden, dass bei einem Leistungsvermögen von mehr als 6 Stunden (für leidensgerechte Tätigkeiten) eine berufliche Teilhabe in fast allen Fällen (86,3 %) gelang, während von den Rehabilitanden, bei denen das Leistungsvermögen mit unter 3 Stunden bewertet wurde, nur ca. ein Drittel (28,6 %) erfolgreich integriert werden konnte. Dies unterstreicht die Bedeutung der ärztlichen Kompetenz in der mbR, die eine grundlegende Qualitätsanforderung an Zentren der Phase II darstellt [6, 7].

Kernbotschaft Die Ergebnisse der ersten multizentrischen prospektiven Studie zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation (MEmbeR) belegen ein positives Outcome, ca. 80 % der Studienteilnehmer waren 2 Jahre nach der mbR dem ersten Arbeitsmarkt zuzuordnen.

Danksagung



Die Autoren bedanken sich bei den beiden Study Nurses Pauline Scholz und Claudia Ammann für ihren unermüdlichen Einsatz bei der MEmbeR, der zu einer niedrigen Drop-out-Rate signifikant beigetragen hat.

Interessenkonflikt: Die vorliegende Studie wurde von der BAG MBR Phase II finanziert, deren Mitgliedseinrichtungen medizinisch-berufliche Rehabilitation (mbR) betreiben. Die Studienleitung oblag Prof. Dr. Jens D. Rollnik, Ärztlicher Direktor der BDHKlinik Hessisch Oldendorf, die ebenfalls eine Phase-II-Einrichtung ist. Institute Institut für neurorehabilitative Forschung (InFo) der BDH-Klinik Hessisch Oldendorf, Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover 2 Median Klinik NRZ Magdeburg 3 Bavaria-Klinik Freyung 4 Neurologisches Rehabilitationszentrum Godeshöhe, Bonn-Bad Godesberg 5 SRH-Klinikum Karlsbach-Langensteinbach 6 BDH-Klinik Braunfels 7 RKU Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm 1

Rollnik JD et al. Multizentrische Evaluationsstudie zur medizinisch-beruflichen … Rehabilitation 2014; 53: 87–93

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92 Originalarbeit

8

Neurologisches Rehazentrum Friedehorst ATZ/RPK-Zentrum für psychiatrische Rehabilitation, Saarland Heilstätten, Saarbrücken 10 Rhön-Klinikum, Psychosomatische Klinik Bad Neustadt 11 BDH-Klinik Vallendar 12 Theresienklinik Bad Krozingen 13 Hegau-Jugendwerk Gailingen 14 Helios-Klinik Hohenstücken 15 Stephanuswerk Isny 16 BDH-Klinik Greifswald, An-Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 17 Krankenhaus Mara, Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld 18 Erthal Sozialwerk, Haus St. Michael, Eisingen 19 KMG-Rehabilitationszentrum Sülzhayn 20 Klinik und Rehabilitationszentrum Lippoldsberg 21 CJD Asthmazentrum Berchtesgaden 9

Literatur 1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin: BMAS; 2011, verfügbar unter: www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/ PDF-Publikationen/a740-nationaler-aktionsplan-barrierefrei.pdf?__ blob = publicationFile 2 Rollnik JD, Allmann J. Berufliche Teilhabe von neurologischen Rehabilitanden – Langzeit-Ergebnisse eines medizinisch-beruflichen Rehabilitationszentrums (Phase II). Rehabilitation 2011; 50: 37–43 3 Deutsche Rentenversicherung Bund. Positionspapier Rehabilitation 2010. Berlin: DRV Bund; 2010, verfügbar unter: www.deutsche-ren tenversicherung.de/Allgemein/de/Navigation/3_Fachbereiche/01_So zialmedizin_Forschung/03_reha_wissenschaften/07_reha_konzepte/ positionspapier_reha_2010_node.html 4 Deutsche Rentenversicherung Bund. Anforderungsprofil zur Durchführung der medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung. Berlin: DRV Bund; 2012, verfügbar unter: www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/ contentblob/207024/publicationFile/50641/mbor_datei.pdf 5 Rollnik JD, Platz T, Böhm KD et al. Die medizinisch-berufliche Rehabilitation in der Neurologie. Aktuelle Neurologie 2013; 40: 274–278 6 Rollnik JD, Riedel K, Schmiedel B. Qualitätsanforderungen an Einrichtungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation (Phase II). Prävention und Rehabilitation 2013; 25: 14–17

7 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR). Empfehlungen zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation in der Neurologie. Frankfurt: BAR; 2011, verfügbar unter: www.bar-frankfurt.de/2835.html 8 Spranger M. Neurologische Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen. Prävention und Rehabilitation 2009; 21: 168–172 9 Wozniak MA, Kittner SJ, Price TR et al. Stroke location is not associated with return to work after first ischemic stroke. Stroke 1999; 30: 2568–2573 10 Wilz G, Soellner R. Work loss following stroke. Disabil Rehabil 2009; 31: 1464–5165 11 van Velzen JM, van Bennekom CA, Edelaar MJ et al. How many people return to work after acquired brain injury? A systematic review. Brain Inj 2009; 23: 473–488 12 Rollnik JD. Die MEmbeR-Studie (multizentrische Evaluationsstudie zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation) – Konzeption und erste (Baseline-)Ergebnisse. Prävention und Rehabilitation 2010; 22: 59–73 13 Deutsche Rentenversicherung Bund. Der ärztliche Reha-Entlassungsbericht. Leitfaden zum einheitlichen Entlassungsbericht in der medizinischen Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung 2009. Berlin: DRV Bund; 2009, verfügbar unter: www.deutsche-rentenver sicherung.de/cae/servlet/contentblob/215334/publicationFile/2078/ download_leitfaden_einheitl_e_bericht.pdf 14 Rollnik JD. Der Barthel-Index als Verweildauerprädiktor in der neurologischen Rehabilitation. Rehabilitation 2009; 48: 91–94 15 Linden M, Baron S. Das Mini-ICF-Rating für psychische Störungen (Mini-ICF-P). Rehabilitation 2005; 44: 144–151 16 Bullinger M, Kirchberger I. Der SF-12. In: Bullinger M, Kirchberger I. SF-36 – Fragebogen zum Gesundheitszustand. Göttingen: Hogrefe; 1998; 65–72 17 Hetzel C, Schmidt C. Regional classification of office specialists’ partial labour market for use in vocational rehabilitation. Rehabilitation 2013; 52: 27–33 18 Rollnik JD. Grundlagen der Prognosestellung. In: Rollnik JD, Hrsg. Die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation. Heidelberg: Springer; 2012; 368–370 19 Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Fortschrittsreport „Altersgerechte Arbeitswelt“. Ausgabe 1: Entwicklung des Arbeitsmarkts für Ältere. Berlin: BMAS; 2012, verfügbar unter: www.bmas.de/DE/ Service/Publikationen/fortschrittsreport-ausgabe-01.html

Rollnik JD et al. Multizentrische Evaluationsstudie zur medizinisch-beruflichen … Rehabilitation 2014; 53: 87–93

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Originalarbeit 93

[The MEmbeR Multicenter Study on medical-occupational rehabilitation].

MEmbeR is a prospective multi-center study on medical-occupational rehabilitation in Germany...
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