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Neurotoxizität von Benzodiazepinen J. Karkos Abt. Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Institut für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamtes

Molecular and elinical effects of benzodiazepines (BOZs) subsequent to their prenatal and postnatal application to animals and man are reviewed. BOZs interactions with neurotransmitter systems and with metabolic processes are presented and analysed. The experimental data obtained after prenatal application indicate that BOZs can cause malformations, functional deficits and long-lasting behavioural anomalies. The prenatal toxicity of BOZs is probably duc to thcir interaction with neurotransmitter systems. Moreover, a BOZs interaction with mechanisms regulating the excitability 01' cell membranes and protein synthesis could also playa role. Thc consequcnces 01' prenatal exposition to BOZs in man, particularly their behavioural aspects, have not been sufficiently investigated as yet. Postnatal BOZs application can bring about behavioural disturbances and neurological deficits in animals and man. Apart 01' this pathology can be compensated by means of the functional and structural redundance as weil as the tolerance. Limitations in functionul und morphological reserves of the nervous system can entail severe disturbances, e. g. eardio-respiratory insufficiency. The pharmacological and toxic BOZs effects could partly be due to their interactions with the same molecular meehanisms. These effects can possibly be mediated through BOZs receptors of the central and periphcral type. Regulatory mechanisms for excitability of cell membranes, cellular energetic processes and protein synthesis seem to be particularly sensitive to the BOZs impacts. A close dosis-effect relation for pharmacological und toxie BDZs effects docs not secm to exist.

I. Einleitung Jedes Xenobiotikum, das mit einem biologischen System in Kontakt tritt, kann Störungen der Homöostase in diesem System hervorrufen, die aus einer Interaktion der Fremdverbindung mit Enzymen, Rezeptoren, Makromolekülen bzw. Organellen resultieren. Fortschr. Neurol. Psychiat. 59(1991 )498-520 (Cl GeorgThieme Verlag Stuttgart· New York

Zusammenfassung

In der Arbeit wurden Literaturberichte über Wirkungen von ßenzodiazepinen auf Molekular- und klinischer Ebene nach prä- und postnataler Applikation bei Mensch und Tier dargestellt und diskutiert. Interaktionen von Benzodiazepinen mit Neurotransmittersystemen und metabolischen Prozessen wurden erörtert und analysiert. Die tierexperimentellen Untersuchungsergebnisse zeigen, daß Benzodiazepine nach pränataler Verabreichung Mißbildungen, Funktionsdefizite und dauerhafte Verhaltensanomalien hervorrufen können. Die Ursache dieser Verhaltenstoxizität resultiert wahrscheinlich aus einer Interaktion dieser Wirkstoffklassc mit Neurotransmittersystemen. Darüber hinaus käme eine Interaktion mit den Mechanismen, die die Membranerregbarkeit und Proteinsynthese regulieren, in Betracht. Oie Folgen einer pränatalen Exposition auf Benzodiazepine, insbesondere deren Langzeitauswirkungen auf Verhalten, wurden beim Menschen bislang nicht ausreichend untersucht. Bei Mensch und Tier treten nach postnataler Verabreichung von Benzodiazepinen Verhaltensstörungen und neurologische Defizite auf. Ein Teil dieser Störungen kann durch funktionelle und strukturelle Redundanz des Nervensystems sowie durch Toleranz kompensiert werden. Bei einer Einschränkung dcr funktionellen und strukturellen Reserve des Nervensystems können Benzodiazepine schwerwiegende Effekte hervorrufen, wie z. B. kardiorespiratorische Störungen. Ein Teil der pharmakologischen und toxischen Effekte von Benzodiazepincn resultiert möglicherweise aus deren Interaktion mit den gleichen molekularen Mechanismen. Teilweise könnten beide Effekte durch Benzodiazepinrezeptoren vom zentralen und peripheren Typ vermittelt werden. Regulatorisehe Mechanismen der Membranerregbarkeit, Zellenergetik und Proteinsynthese scheinen auf die Einwirkung von Bcnzodiazepinen besonders empfindlich zu reagieren. Sowohl für den pharmakologischen als auch für den toxischen Effekt von Benzodiazepinen scheint keine enge Dosis-Wirkungs-Beziehung zu existieren.

Bei derartigen Interaktionen handelt es sich einerseits um die Effekte des Organismus auf das Xenobiotikum (Absorption, Distribution, Metabolismus, Exkretion) und andererseits um die Effekte der Einwirkung des Xenobiotikums auf den Organismus. Diese können auf biochemischer, physiologischer, morphologischer Ebene und der Verhaltensebene nachgewiesen werden. Da die biologischen Prozesse einen dynamischen Charakter haben, können der initialen Antwort auf die Einwirkung eines Xenobiotikums weitere Ereignisse auf verschiedenen Ebenen fol-

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Neurotoxicity or Benzodiazepines

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59(1991)

gen, so daß dann keine Rückschlüsse mehr gezogen werden können auf die Spezifität des Wirkmechanismus der Fremdsubstanz.

liegen: Enzyminduktion, Änderung der Rezeptorendichte bzw. -affinität usw. (185).

Interaktionen von Xenobiotika mit biologischen Systemen können reversibel und irreversibel sein. Dieser Faktor ist oft für ljualitativ und quantitativ unterschiedliche Antworttypen verantwortlich, die aus einer Interaktion resultieren. Wenn ein bestimmtes Xenobiotikum einen schädlichen Effekt im lebenden System hervorruft, wird es im allgemeinen als toxisch bezeichnet. Der toxische Effekt kann sich z. B. als eine vorübergehende biochemische Änderung manifestieren. In den meisten Fällen liegt jedoch dann eine toxische Wirkung eines Xenobiotikums vor, wenn dauerhafte morphologische Veränderungen bzw. permanente Verhaltensveränderungen nachweisbar sind. Im Gegensatz zum toxischen Effekt sind beim pharmakologischen Effekt die Interaktionen eines Xenobiotikums mit biologischen Systemen reversibel und es treten keine morphologischen Veränderungen auf (245).

Wegen dieser Kompensationsmechanismen kann eine durch Verabreichung eines Xenobiotikums verursachte Schädigung des Zentralnervensystems symptomlos verlaufen bzw. eine Funktionsstörung schnell ausgeglichen werden, während eine biochemisch-morphologische Läsion fortschreitet (181, 182).

Solange Zusammenhänge zwischen biochemischmolekulären und physiologischen Prozessen, morphologischen Veränderungen, Verhaltensweisen und klinischen Symptomen nicht vollständig geklärt sind, lassen sich Kriterien für den pharmakologischen sowie den toxischen Effekt nicht präzisieren und somit die Grenzen zwischen beiden nicht festlegen. Bei den Benzodiazepinen wurden bereits viele Korrelate zwischen neurophysiologischen und klinischen Parametern gefunden. Doch wurde bislang keine Brücke zwischen ihnen und den biochemisch-morphologischen Parametern geschlagen. Der toxische Effekt kann sofort oder mit Verzögerung eintreten. Bei Wirkstoffen mit substanzeigener toxischer Wirkung, wie z. B. bei einigen Serotypen des Endotoxins von Clostridium botulinum, wird die Dosisstärke kaum eine Rolle spielen (232). Bei den meisten Wirkstoffen jedoch kann die Latenz, mit der der toxische Effekt auftritt, neben der Dosis auch von Applikationshäufigkeit, Expositionsdauer und betroffenem Organismus (Genotyp) abhängen. Zum Vergleich: Mensch, Katze und Hund reagieren auf die toxischen Effekte von Herzglykosiden im Unterschied zu Ratte und Maus sehr empfindlich (183). Broll'tI und Erdmann (31) zeigten, daß die Variabilität der Toxizität von Herzglykosiden auf die Interspeziesv3000 p. o. 140 s. c. 280-570

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2,6

1,89-12

14,9

10,9 208,5 153 (antikonfl.)

III. Toxizität l'on pränatall'erabreichten Benzodiazepinen

1. Verhaltenstoxizität Die durch Benzodiazepine hervorgerufenen Effekte hängen, ähnlich wie bei anderen Psychopharmaka, vom phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklungsgrad des Zentralnervensystems zum Zeitpunkt der Einwirkung ab. Abb. I verdeutlicht die Unterschiede im Tierverhalten und auf neurologischer Ebene, die nach pränataler Verabreichung von Diazepam beobachtet wurden. Nach Verabreichung an trächtigen Ratten bzw. in der frühen postnatalen Periode induziert Diazepam verschiedene, relativ spezifische, kurz- bzw. längerandauernde Veränderungen im Verhalten und Neurostatus der Tiere (55,56,82,83,102,132,133,134,149,214,226,230,231). Diese Problematik wird an einigen Beispielen erörtert. In verschiedenen Diskriminationstests wurde bei den Ratten eine Beeinträchtigung beobachtet, wenn Diazepam zwischen dem 14. und 20. Tag der Schwangerschaft verabreicht wurde. Die Abweichungen in den angewendeten Testverfahren traten jedoch nicht nach Vcrabreichung von Diazepam zwischen dem 8. und 14. Tag der Schwangerschaft in Erscheinung (85). Darüber hinaus war die Beeinträchtigung nur bei simultaner, nicht aber bei sukzessiver "brightness discrimination task" nachweisbar (87). Unter Anwendung verschiedener Versuchsbedingungen wurde gezeigt, daß bei den Ratten die pränatale Verabreichung von Diazepam dem Hyperaktivitätshöhepunkt vorbeugte bzw. ihn abschwächte. Dieser Hyperaktivitätshöhepunkt tritt bei den Ratten unter physiologischen Verhältnissen am Ende der 2. Woche auf(131). Ergebnisse einer Studie, in der Oxazepam Mäusen pränatal verabreicht wurde und dabei eine Reduzierung der "open field activity" und "active avoidance responses" beobachtet wurde, deuten auch darauf hin, daß Benzodiazepine ziemlich spezifische, wenngleich subtile Wirkungen auf die nervösen und Verhaltensfunktionen ausüben, die von mittlerer bis langer Dauer sind (3). Erwähnenswert sind auch die Studien, in denen eine veränderte Antwort der Tiere auf Streß (231), auf sensorische Reize (131, 133) und eine Beeinträchtigung der Lernvorgänge (102,247) beobachtet wurden.

Die zitierten Befunde zeigen, daß eine Exposition des Hirngewebes auf Diazepam zum Zeitpunkt der Zellteilung bzw. Zelldifferenzierung einen dauerhaften Einfluß auf dessen spätere Entwicklung haben kann. Es ist zu betonen, daß die meisten Verhaltensveränderungen noch zu einem Zeitpunkt vorhanden waren, bei dem der Wirkstoff im Hirngewebe nicht mehr nachweisbar war. An dieser Stelle sei erwähnt, daß in den letzten Tagen der Schwangerschaft (die Schwangerschaftsdauer beträgt bei der Ratte 21 Tage) eine rapide Differenzierung der Nervenzellen verbunden mit schnellem Wachstum des Hirngewebes abläuft. Dieser Wachstumsprozeß wird in den ersten postnatalen Wochen fortgesetzt. Im Hinblick auf das Entwicklungsstadium des Rattengehirnes entspricht die neonatale Periode grobgenommen dem letzten Schwangerschaftsdrittel beim Menschen (64).

2. Neurotoxizität Auf der neurologischen Ebene ist vor allem eine an Feten beobachtete Hemmung der sog. "respiratory-Iike activity" (RLA) zu erwähnen, die nach parenteraler Verabreichung von Diazepam an trächtigen Tieren bzw. direkt an Feten auftritt, Es wird angenommen, daß diese Aktivität ein "Lernprozeß" in der Entwicklung des respiratorischen Systems darstellen könnte. Parenterale Verabreiehung von Diazepam in der Dosis von 5 bis 10 mg an trächtigen Schafen bzw. an Feten über die V. saphena hatte eine sofortige Unterbrechung der RLA für durchschnittlich 57 min zur Folge. Eine intravenöse Infusion von 3 mg Doxapram bzw. von 10 bis 20 mg Coffeinzitrat führte zur sofortigen Wiederherstellung der RLA. Fetale Blutgase und pH waren unverändert. Da die verabreichten Arzneimittel einen zentralnervösen Angriffspunkt haben, muß angenommen werden, daß deren Wirkung auf die RLA über die zentralen atmungsregutatorischen Mechanismen zustande gekommen ist (198). Interessanterweise tritt nach chronischer i. m. Verabreichung von Diazepam in der Dosis von t 0 mg an trächtigen Schafen eine Hemmung der RLA erst 2- 3 h nach letzter Verabreichung auf. Direkt nach der Verabreichung wurde eher eine Zunahme der RLA beobachtet. Das verzögerte Auftreten der RLA-Hemmung steht wahrscheinlich mit der Pharmakokinetik von i. m. appliziertem Diazepam in Zusammenhang (verzögerte Absorption

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Neurotoxizität von Benzodiazepinen

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Abb. 1 Benzodiazepineffekte auf neurologischer und Verhaltensebene nach prä- und postnataler Verabreichung

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und Verteilung im Gegensatz zu i. v. Verabreichung). Eine Zunahme der RLA kann als ReboundefTekt interpretiert werden (263).

Die aus der toxikologischen Sicht wichtigsten Effekte, die unter Behandlung mit Diazepam auftreten, wurden in Abb. I aufgeführt.

Ähnliche Effekte einer parenteralen Diazepam-Applikation auf die RLA wurden auch beim Menschen beschrieben (21). Die Folgen einer RLA-Hemmung durch Diazepam auf die spätere Entwicklung der Atmungsvorgänge wurden weder am Tier noch am Mensch untersucht. Ebenfalls fehlen Untersuchungen zur Klärung der Frage, ob und in weichem Umfang Störungen der neuromuskulären übertragung zur Ateminsuffizienz, die zum klinischen Bild des sog. "floppy infant syndrome" bei Neugeborenen gehört (209), beitragen. (Im Zwerchfell der Ratte wurdcn Benzodiazepinrezeptoren nachgewiesen (266).) Ferner hedürfen cincr Klärung mögliche Störungen der Morphogenese der Skclettmuskeln und des Herzmuskels durch Benzodiazepine und deren Spätfolgen (s. Pkt. B. 10).

Klinische Studien zeigen, daß die pharmakologischen und toxischen Effekte von Renzodiazepinen bei gesunden Probanden und Patienten unterschiedlich sind (144). Weiterhin sind diese Effekte vom Applikationsweg abhängig (93). Ferner werden qualitativ und quantitativ unterschiedliche Effekte abhängig von der Behandlungsdauer beobachtet (23, 114). Auf einige dieser EfTekte entwickelt sich eine Toleranz.

Die angeführten Befunde sowie die Ergebnisse anderer Studien (258) zeigen, daß Benzodiazepine durch das Angreifen während der frühen Differenzierung der Neuralanlagen nach der Schließung des Neuralrohrs, der biochemischen Differenzierung des Gehirnes und der Organogenese, die Entwicklung des Zentralnervensystems und anderer Organsysteme stören können. Diese Störungen können sieh postnatal als Fehlbildungen, Funktionsdefizite und Verhaltensstörungen manifestieren. IV. Toxizität von postnatal verabreichten Benzodiazepinen Die pharmakologischen und toxischen Effekte von Benzodiazepinen nach akuter und chronischer postnataler Verabreichung wurden in verschiedenen Altersabschnitten bei Mensch und Tier umfangreich in der Literatur dokumentiert(60, 68,93,112,114,144,148).

Dies wird experimentell und klinisch besonders am Phänomen der Initialbehandlung deutlich (164). Mnestische, kognitive und emotionale Verhaltensstörungen scheinen jedoch nicht der Toleranz zu unterliegen, da diese sowohl während der Kurz- als auch Langzeitbehandlung auftreten. Bei chronischen Verhaltensstörungen kann daher ein dauerhafter morphologischer Hintergrund vermutet werden. Auf diese Möglichkeit weisen Hirnbefunde hin, die bei benzodiazepinabhängigen Patienten erhoben wurden (Hirnatrophie) (220). Den akuten und chronischen Verhaltensstörungen liegen möglicherweise unterschiedliche Mechanismen zugrunde, wie z. R. heim Mechanismus des Gedächtnisses angenommen wird (235). Unter Behandlung mit Benzodiazepinen treten produktiv-psychotische Erscheinungen (z. B. Halluzinationen) und paradoxe Reaktionen (z. B. aggressives Verhalten) auf. Ob diese Erscheinungen Ausdruck des toxischen Effektes der Benzodiazepine hei normalem bzw./oder nur bei vorgeschädigtem Gehirn (Halluzinationen) zu interpretieren sind oder ob primäre Persönlichkeitsmerkmale eine vorrangige Rolle zur Manifestation spielen (paradoxe Reaktionen), wurde bislang nicht geklärt (106). Störungen der nervösen Atmungsregulation stellen klinisch eine der schwersten Formen des neurologischen Defizits unter Behandlung mit Benzodiazepinen dar. In

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I Hlmatrophie1

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der Literatur wird oft deren Häufigkeit am Auftreten der extremen Form der Störungen, d. h. des Atemstillstandes, beurteilt. Die meisten Formen dieser Störungen können jedoch subklinisch verlaufen, insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Reserve im Bereich der regulatorischen Mechanismen der Atmung. Sie lassen sich jedoch in diesen Fällen unter Anwendung entsprechender Meßverfahren nachweisen. Die subklinischen Formen der Atmungsregulationsstörungen können manchmal erst unter einer starken Inanspruchnahme bzw. einer Erkrankung des respiratorischen Apparates manifest werden (70, 119,223,237). Eine Beeinträchtigung der funktionellen Reserve kann sowohl infolge einer Funktionseinschränkung der respiratorischen Integrationszentren als auch bei einer Störung im Bereich der Rezeptor- und Effektorgane auftreten. Dies wird an den nachfolgenden Beispielen veranschaulicht. Bei einer Minderung des vagalen propriozeptiven respiratorischen Antriebs aus den Lungen, z. B. bei einem Lungenemphysem, bei einer passiven Lungenhyperämie wie bei Cor pulmonale, bei einer Verminderung der Thoraxbeweglichkeit (Verringerung des somatisch-sensiblen respiratorischen Antriebes, Verminderung der Effektivität des motorischen respiratorischen Antriebs) kann eine Ateminsuffizienz rasch auftreten (36). Eine Verminderung des respiratorischen motorischen Antriebs kann sogar infolge von atrophischen Prozessen, die auf den zerebralen Kortex beschränkt sind, auftreten (70). Dies verdeutlicht die Bedeutung der Funktion der telenzephalen Strukturen bei der Atmungsregulation. Diese können unter Behandlung mit Benzodiazepinen im individuelI unterschiedlichen Ausmaß beeinträchtigt werden (für Details über die nervöse Atmungsregulation s. Übersicht (128)).

V. Mechanismen der neurotoxischen Wirkung von Benzodiazepinen

A. Toxizität info/ge von Interaktionen mit Neurotransmittern I. Al1gemeine Bemerkungen zu Bcnzodiazepinrezeptoren Benzodiazepine üben komplexe Effekte auf die Erregbarkeit der Neurone im Nervensystem aus. Es wird angenommen, daß deren Wirkmechanismus hauptsächlich in der Potenzierung der elektrophysiologischen Antwort der Neurone auf die Einwirkung des inhibitorischen Transmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) besteht. Über diesen Mechanismus verstärken Benzodiazepine die postsynaptisch inhibitorische Wirkung von GABA. Dies wurde wieder· holt in vitro und in vivo beobachtet (105, 150, 161). Benzodiazepine potenzieren auch eine durch GABA vermittelte präsynaptische Inhibition an den primären afferenten Bahnen (I 18, 20 1,221). Die Interaktion der Benzodiazepine am GABA-Rezeptor kommt durch hochaffine Bindung an eine Bindungsstelle, die sieh innerhalb des GABA-Ionophor-Komplexes im synaptischen Teil der Zel1membrane befindet ("Benzodiazepinrezeptor"). Über diese Bindungsstelle erhöhen Benzodiazepine die Affinität des GABA-Rezeptors für GABA und die Wirkung von GABA auf den CWorid-lonophor. Als Konsequenz der letztgenannten Wirkung wird die Frequenz der Kanalöffnungen erhöht. SowoW GABA-Rezeptoren als auch Benzodiazepinrezeptoren stellen eine heterogene Rezeptorengruppe dar: So läßt sich

J. Karko.\' pharmakologisch ein GABA-A-Rezeptor unterscheiden, der auf Bikukulin empfindlich reagiert und mit dem Benzodiazepinrezeptor und CWoridkanal gekoppelt ist. Dieser Rezeptor ist an den postsynaptischen Membranen lokalisiert (236, 251, 266). Ein GABA-B-Rezeptor reagiert nicht empfindlich auf Bikukulin, sondern auf Baclofen. Er ist mit Adenylatzyklase und Kalziumkanal gekoppelt und befindet sich wahrscheinlich an den präsynaptischen Membranen (24, 110, 127,260,262). Es werden zwei Benzodiazepinrezeptorentypen unterschieden: Typ I zeigt stärkere Affinität zu ß·Karbolinen und Triazolpyridazinderivaten wie z. B. CL 218.872 als der Typ II des Benzodiazepinrezeptors (27, 125,159). Der Benzodiazepinrezeptor, der sich am GABA-A-Rezeptor befindet, scheint pharmakologische Eigenschaften des Typ II zu besitzen (242). Die beiden Typen zeigen eine unterschiedliche anatomische Verteilung im Zentralnervensystem und vermitteln unterschiedliche Wirkprofile der Benzodiazepine. Benzodiazepine weisen gleiche Aktivität zu beiden Rezeptorentypen auf. Es wurden aber auch Bindungsstellen an nicht neu· ronalen Zellmembranen für Benzodiazepine gefunden. So wurden z. B. bei einigen inneren Organen, wie in den Nieren, Lungen, im Herzmuskel, im Skelettmuskel und an Mastzellen, Lymphozyten usw. Rezeptoren nachgewiesen (28, 163, 243), Im Gehirn ließen sich diese Rezeptoren u. a. an Ependymzellen, im Plexus chorioideus, Bulbus olfactorius markieren (28, 67, 243). Die peripheren Bindungsstellen sind vom GABA·Rezeptor unabhängig (187) bzw. sind einige von ihnen an die GA BA-Rezeptoren gekoppelt, jedoch nicht am Chloridkanal (ISS). Subzellulär wurden Benzodiazepinrezeptoren vom peripheren Typ bislang lediglich an der Außenmembran von Mitochondrien in den Nebennieren lokalisiert (5). Porphyrine sind als endogene Liganden an diesen Rezeptoren anzusehen (253), Diazepam weist gleiche Affinität zu Benzodiazepinrezeptoren vom zentralen und peripherenTypauf(91,162). Bislang ist es nicht überzeugend gelungen, dem jeweiligen zentralen Subtyp von Benzodiazepinrezeptoren ein bestimmtes pharmakologisches Wirkprofil zuzuordnen, An den Benzodiazepinrezeptoren vom peripheren Typ (Omega-3-Rezeptor) (138) konnte keine enge Korrelation zwischen Bindungsaffinität und biologischer Antwort festgestellt werden (5). Es gibt Hinweise dafür, daß die peripheren Bindungsstellen mit einem Kalziumantagonismus in Zusammenhang stehen könnten. Es wurde z. B. gezeigt, daß die Benzodiazepine, die an diesen Rezeptoren binden, die kalziumabhängige Aufnahme von Serotonin durch Thrombozyten und die Phosphorylierung des Membranproteins hemmen. Diese Phosphorylierung wird durch das Kalzium-Kalmodulin-System stimuliert (66). Weiterhin hemmen die Benzodiazepine, die am peripheren Rezeptor binden, die Zellproliferation in den Zellinien vom Thymoma, während Kalziumionen diese Proliferation in vitro und in vivo stimulieren ( 165). Ferner wurde gezeigt, daß die Blocker des Kalziumkanals aus der Dihydropyridingruppe (Nifedipin, Nitrendipin) in Herz, Gehirn und Nieren bei der Ratte an die gleichen Stellen binden wie die Benzodiazepine, die am peripheren Rezeptor binden (37). Diese Befunde implizieren die Bedeutung der Benzodiazepine in den kalziumabhängigen Zellphänomenen. Es wird vermutet, daß die peripheren Benzodiazepinrezeptoren neben Kalziumantagonismus, Immunmodulation, Regulation der Zellproliferation aueh endokrine Regulation vermitteln könnten (71). Da bei schlafgestörten Patienten im Alter die Bindungsaffinität von [3H]-PK 11195, einem Liganden der Benzodiazepinrezeptoren vom peripheren Typ, an Thrombozyten reduziert ist, wird angenommen. daß die Rezeptoren in die Pathogenese der Schlafstörungen involviert sein könnten. Bei gleichaltrigen Probanden ohne Sehlafstörungen war die Bindungsaffinität genauso wie bei jüngeren gesunden Probanden stark ausgeprägt. Einigen von den aufgeführten Effekten, die aus einer Interaktion von Benzodiazepinen mit dem Omega-3-Rezeptor resultieren, könnte eine toxikologische Bedeutung zukommen (s. aueh Pkt. B.7c).

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2. Interaktionen von Benzodiazepinen mit den Molekularprozessen, die in die Regulation der Erregbarkeit der Zellmembranen involviert sind Die Membranerregbarkeit kann durch Benzodiazepine nicht nur indirekt über deren Interaktion am GABA-Rezeptor beeinflußt werden. Es sind auch direkte Interaktionen zwischen diesen Wirkstoffen und Membranphänomenen bekannt. Dies kann kommen entweder durch eine Aktivierung der Ca 2+ -abhängigen K + -Konduktanz (38) oder durch eine Zunahme der Membrankonduktanz für CI-Ionen (10, 151) zustande. Darüber hinaus scheinen einige Benzodiazepine die Bildung von Aktionspotentialen durch die elektrisch erregbaren Zellen direkt zu unterbinden (45, 152, 256). Benzodiazepine setzen die Freisetzung von erregbaren Aminosäuren aus den Hirnschnitten herab (7). Weiterhin vermindern sie die erregende Wirkung von Glutamat im Rückenmark und im zentralen Kortex (6, 179). Die Wirkung auf die Erregbarkeit der extrasynaptischen Zellmembran ist bei Benzodiazepinen unterschiedlich ausgeprägt. Sie dürfte besonders bei Triazolam in Frage kommen, da dieses Triazolonbenzodiazepinderivat wahrscheinlich keine GABA-potenzierende Wirkung, die für 1,4-Benzodiazepine charakteristisch ist, besitzt (47). Jedoch zeigte Triazolam in entsprechenden Tiermodellen eine 10fach stärkere anxiolytische Wirkung als Diazepam; im Kampfverhalten bei den Mäusen war es jedoch dem Diazepam äquipotent. Es wird hinzugefügt, daß Wirkstoffe, die die GABA-Transminase inhibieren und dadurch den GABA-Gehalt im Gehirn erhöhen, wie z. B. Gamma-Vinyl-GABA, keine Effekte im Antikonflikttest zeigen (225). Diese Beispiele verdeutlichen, daß die pharmakologischen Effekte von Benzodiazepinen über mehrere Mechanismen zustande kommen. Aus toxikologischer Sicht scheint wichtig zu sein, daß ßenzodiazepine die Membranerregbarkeit direkt vermindern können. Dies könnte neben dem GABA-Mechanismus zusätzlich zur Hemmung der Atmungsvorgänge beitragen (170). 3. Interaktionen von ßenzodiazepinen mit Adenosinsystemen a. Interaktionen im Nervensystem Auf die Möglichkeit der Vermittlung der Benzodiazepineffekte durch Purinkörper wiesen Beobachtungen hin, daß Diazepam die dämpfende Wirkung von Adenosin auf die spontane Entladung der zerebralen kortikalen Neurone potenziert (192, 193). Weitere Untersuchungen zeigten, daß die dämpfenden Wirkungen von Flurazepam, einem weiteren Benzodiazepinderivat, auf die Entladung der Neurone durch Theophyllin, einen Adenosinantagonisten, blockiert wurden (195). Aufgrund anderer Untersuchungsergebnisse wurde gefolgert, daß die Interaktionen der Benzodiazepine mit purinergem System auf einer Potenzierung der Effekte des lokal freigesetzten Adenosin beruhen könnten. Es wurde u. a. gezeigt, daß Benzodiazepine die Aufnahme von Adenosin in die zerebralen kortikalen Synaptosome blockieren (197). Die inhibitorische Potenz der Benzodiazepine bezüglich der Adenosinaufnahme zeigte eine gute Korrelation mit deren klinischen anxiolytischen und Antikonfliktpotenz (194). Diese Ergebnisse wurden in einer Serie von Invivo-Modellen bestätigt (12). Dabei zeigte sich u. a., daß Ade-

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59(1991) 503 nosin die Freisetzung von "klassischen" Neurotransmittern, wie Azetylcholin, Dopamin, Serotonin, Glutamat und GABA inhibieren kann (196). Dadurch können u. a. respiratorische Antriebsmechanismen deutlich abgeschwächt werden (129). In den experimentellen und klinischen Studien, in denen Interaktionen zwischen Benzodiazepinen und Adenosinantagonisten (Koffein, Theophyllin) untersucht werden, hat sich herausgestellt, daß Koffein und Theophyllin eine durch Benzodiazepine beim Menschen induzierte Anästhesie bzw. tiefe Sedierung zur Umkehr bringen können (104, 157). Diese A1kylxanthine antagonisieren auch eine durch Benzodiazepine hervorgerufene psychomotorische Beeinträchtigung (146, 158,211). Ähnliche Ergebnisse wurden im Tierexperiment erzielt (200, 245). Da die durch Diazepam hervorgerufene Sedierung nach Verabreichung von Enprophyllin zur Umkehr nicht gebracht werden konnte, wurde daraus geschlossen, daß die dämpfende Wirkung von Benzodiazepinen durch einen Adenosinrezeptor vermittelt wird. Enoprophylin ist ein Methylxanthinderivat, das im Gegensatz zu den anderen Methylxanthinen Adenosinrezeptoren nicht blockiert (177). Der Antagonisierung der Diazepameffekte durch Methylxanthine könnte nur dann klinische Bedeutung zukommen (z. B. zur Behandlung einer durch Diazepam hervorgerufenen Ateminsuffizienz), wenn dieser Antagonismus in therapeutischen Dosen von Benzodiazepinen zustande käme. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen, daß dies der Fall sein könnte. Die ICso- und Ki-Werte für die Inhibition der Adenosinaufnahme durch Diazepam im Hirngewebe liegen zwar im Bereich 20 bis 100 11M (14, 46). Jedoch liegen die IC2o-Werte für viele Benzodiazepine im normalen Bereich (197). Darüber hinaus wurde nachgewiesen, daß eine 20%ige Inhibition der Adenosinaufnahme durch Diazepam die Effekte von Adenosin auf die isolierten Atria verdoppelt (116). Der Plasmaspiegel von Diazepam variiert deutlich abhängig von der Dosis und Behandlungsdauer. Nach i. m. Applikation von 10 mg Diazepam beträgt die Plasmakonzentration 100 bis 175 ng/rnl. Nach wiederholter Verabreiehung (10 mg alle 4 h) erreicht nach einigen Tagen der Plasmaspiegel von Diazepam 600 ng/ml (2,0 I1M/L) während der Plasmaspiegel des aktiven Metaboliten, N-Desmethyldiazepam 1.200 ng/rnl (4 I1M/L) überschreitet (74, 156). Nach Verabreichung von Diazepam an Tieren werden im Hirngewebe Konzentrationen erreicht, die 3- bis 7fach höher liegen als die im Plasma (86, 109). Utttersuchungen an peripheren Geweben bestätigen, daß Diazepam in niedrigen, mikromolaren Konzentrationen die Wirkungen von Adenosin potenziert (49, 160, 166). Es wurde z. B. gezeigt, daß Diazepam bereits in extrem niedriger Konzentration (3 x I0 ~") die Bildung des zyklischen AMP, die durch Adenosin hervorgerufen wurde, verstärkte (126). Diese Ausführungen zeigen deutlich, daß Diazepam bereits in therapeutischen Dosen unter Vermittlung von Adenosin andere Transmittersysteme beeinflussen und in dieser Weise die Funktion verschiedener regulatorischer Sy-

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Neurotoxizität von Benzodiazepinen

J. KarhJs

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59 (1991) Abb. 2 Hypothetischer Cl.- DAmpfung do

[The neurotoxicity of benzodiazepines].

Molecular and clinical effects of benzodiazepines (BDZs) subsequent to their prenatal and postnatal application to animals and man are reviewed. BDZs ...
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