Originalarbeit - Klinisch-anatomische Untersuchung

Parodontale Verfinderungen nach orthodontischer Zahnbewegung - eine retrospektive h"lS tol O g"lS ch e St 11d"l e a m M e n s c h e n 2. Miiteiltmg H . W e h r b e i n , P. D i e d f i c h Klinik fi3xKieferorthop~idieder MedizinischenFakultiit der Reinisch-Westf~ilischTechnischen Hochschule Aachen (Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. P. Diedrich), Aachen

Einleitung Zur Gewebereaktion bei der orthodontisch induzierten Zahnbewegung in atrophierte Alveolarfortsfitze bzw. in einen Rezessus des Sinus maxitlaris liegen his heute keine histologischen Befunde vom Menschen vor. Durch die histologische Aufarbeitung der Maxilla einer Verstorbenen, die kieferorthop~idisch behandelt worden war und bei der sowohl ein horizontal atrophierter Alveolarfortsatz als auch ein Rezessus des SiEndgiilligeAnnahmedes Manuskripts:10.3.1992. 9 Urban &Voget Fortschr.Kieferorthop.53 (1992),203-210 (Nr.4)

nus maxillaris vorlagen, hatten wir die M6glichkeit, die feingeweblichen Auswirkungen einer orthodontischen Therapie beim Vorliegen derartiger Lokalbefunde am Menschen nachzuvollziehen. Ziel dieser Studie ist es, die Zahnbewegung, den makroskopischen Befund des Alveolarfortsatzes sowie den ROntgenbefund zu beschreiben und der feingeweblichen Analyse gegentiberzustellen.

Material und Methode Bei dem uns tiberlassenen Pr~iparat handelt es sich um die Maxilla eines mit einer Straight-wire-Apparatur 203

Wehrbein, Diedrich: Parodontale Veriinderungen nach orthodontischer Zahnbewegung- II. behandelten Individuums (19 Jahre, weiblich). Pr~iorthodontisch bestand in regio 025 (Nichtanlage 25) eine horizontale Alveolarfortsatzatrophie, in die der Zahn 26 hineinbewegt wurde (Abb. 1). R6ntgenologisch zeigte sich in Bewegungsrichtung vor dem Z a h n 27 ein basal pneumatisierter Sinus maxillaris (Abb. 2 und 3). Die uns zur Verfagung stehenden Behandlungsunterlagen, die metrische Auswertung der Zahnbewegungen, der kieferorthop~idische Behandlungsablauf und die histologische Aufarbeitung sind der 1. Mitteilung zu entnehmen [10].

Abb.2. Ausscbnitt des linken Oberkieferseitenzahnbereiches aus Anfangsorthopantomogramm.

Z u m besseren Verstfindnis sei die Methodik der semiquantitativen Bewertung der histologischen Ver~nderungen an den Zahnhartgeweben nochmals aufgefahrt (Tab~ 1 und 2).

Ergebnisse

Aufgrund der Vietffiltigkeit der Befunde werden sowohl far den Z a h n 26 als auch 27 das jeweilige Bewegungsmuster, der makroskopische Befund des Alveolarfortsatzes und der ROntgenbefund im Detail beschrieben und der qualitativen und semiquantitativen histologischen Analyse gegentibergestellt.

Abb. 3. R6ntgenbild des linken Seitenzahnsegmentes (Pr~iparat).

Zahn 26: horizontal atrophierter Aiveolarfortsatz - Bewegungsmuster Mesialbewegung: 5 mm. Rotation: 8 ~. 13ewegungstyp: Weitestgehend k6rperlich mit betonter

Wurzelresorptionen Stadien Symbol 0 1 2

0 + ++

3

+++

4

++++

HistologiscberBefund

- ~-

Keine Wurzelresorption Superfizielle Resorptionen Bis zu einem Drittel des Wurzelquerschnittes resorbiert Von einem Drittel bis zur HNfte des Wurzelquerschnittes resorbiert Ober die Hfilftedes Wurzelquerschnittes resorbiert

Tab. l. Semiquantitative histologischeBewertung der Wurzelresorptionen; Einteilung in Stadien.

Zementapposition Stadien S y m b o l HistologischerBefund

Abb. t. Anfangsmodell der Maxilla (Aufsicht), horizontale Alveolarfortsa~atrophie (Pfeile) in regio 025. 204

0

0

i 2

+ ++

Keine Zementapposifion : Dfinne Schicht Zementapposition Mehrere Schichten ,,baumrindenarfig" 9 Zementapposition

Tab. 2: Semiquantitative histologische Bewertung der Zementapposition; Einteilung in Stadien. 9 Urban & Vogel Fortschr.Kieferorthop. 53 (1992), 203-2t0 (Nr. 4)

Wehrbein, Diedrich: Parodontale Veriinderungen nach orthodontischer Zahnbewegung- II. Wurzelbewegmag. Lage des Rotationszentrums koronal des Zahnes in Richtung unendlich. - Makroskopischer Befund des Alveolarfortsatzes Anfangsmodell: Stark ausgeprfigte horizontale Atrophie des Alveolarfortsatzes regio 025, vestibukir und palatinal dicke Gingiva propria (Abb. 1). Pr~iparat: Verdfinnung der Gingiva propria, keine Dehiszenzen. R6ntgenbefund Verkfirzung der Wurzeln bis zum l]bergang vom apikalen zum mittleren Wurzeldrittel. Der Parodontalspalt und die Lamina dura sind stellenweise nicht eindeutig beurteilbar (Abb. 2 und 3). -

Histologischer Befund Insbesondere t~ber den vestibul~iren Anteilen der bukkalen Wurzeln zelgen sich im mittleren Wurzeldrittel ausgeprggte Resorptionen ohne nennenswerte reparative Vorgfinge (Abb. 4 und 6). Hingegen sind fiber der palatinalen Wurzel die ehemals bis ins Dentin reichenden Resorptionen bereits mit neuem Zement bedeckt ( a b b . 5). -

Periradikulfir haben die mesio- und distobukkale Wurzel fiber dem mittleren Wurzeldrittel die vestibul~re Kortikalis durchbrochen und ragen schiffbugartig in das den Alveolarfortsatz bedeckende Weichgewebe. Das Periost spannt sich zeltdachartig fiber die stark resorbierten Wurzelanteile (Abb. 4 und 6). Im Randbereich der Fenestration ist keine Knochenapposition zu erkennen (Abb. 6). Im Gaumenbereich hingegen fand vor dem Zahn eine deutliche Knochenapposition start. Die dttnne neugebildete Lamelle ist yon einem osteoblastenreichen Periost bedeckt (Abb. 5). I n allen Schnittebenen war palatinal keine Fenestration zu erkennen (Abb. 7). Das Ergebnis der semiquantitativen histologischen Analyse ist der Tabelle 3 zu enmehmen. Bewertung Die histologisch erkennbaren vestibul~iren Fenestrationen sind dem makroskopischen Befund nicht zu entnehmen. Der Alveolarfortsatz in diesem Bereich hat sich verbreitert. Das Ausmag der starken Resorptiohen fiber den vestibul~ren Anteiten der bukkalen Wurzeln geht aus dem R6ntgenbild nicht hervor. Die starken, radiologisch sichtbaren, apikalen Wurzelre-

-

9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop.53 (1992),203-210 (Nr. 4)

Abb. 4. ttorizontalschnitt;mittleresWurzeldritteldes Zahnes 26: ausgepr~igte Wurzelresorptionen fiber dem lateralen Anteil der mesiotrod distobukkalen Wurzel, welche die vestibul~ireKortikalis durchbrochen haben und schiffsbugartigin das den Alveolarfortsatzbedeckende Weichgewebe ragen. (Toinidinblauftirbung,Origmalvergr6Berung2 : 1.)

Abb. 5. Horizontalschnitt;mittleresWurzeldritteldes Zahnes 26: mesialer Bereich palatinale Wurzel; yon oben nach unten: submuk6ses Bindegewebe, Periost mit Osteoblastenkette (Pfeile), neugebildeter Knochen, Parodontalspalt, dtinne Schicht neugebildeten Zementes auf ehemals bis ins Dentin reichender Wurzelresorption.(Toluidinblauf~irbung,OriginalvergrOBerung32 : 1.) sorptionen werden dutch den histologischen Befund bestfifigt (Tab. 3).

Zahn 27: basalpneumatisierter Sinus maxillaris - Bewegungsmuster Mesialbewegung: 4 mm. Rotation: 0 ~ Bewegungstyp: Weitestgehend k6rperlich mit betonter Kronenbewegung, Rotationszentrum apikal des Zahnes. - Makroskopischer Befund des Alveolaffortsatzes Dicke Alveolarmukosa palatinal und vestibul/ir sowohl auf dem Anfangsmodell als auch im Pr~parat. 205

Wehrbein, Diedrich: Parodontale Veriinderungen nach orthodontischer Zahnbewegung- 11. - ROntgenbefund Parodontalspalt durchgehend, Verschm~ilerung der mesiobukkalen Wurzeln ab dem mittleren Wurzeldrittel nach apikal. Der Apex der mesiobukkalen Wurzel projiziert sich nach der Zahnbewegung in den KieferhOhlenbodenbereich bei durchgehendem Parodontalspar und kontinuierlicher Lamina dura (Abb. 2 und 3):

Abb. 6. Horizontalschnitt; mittleres Wurzeldrittet des Zahnes 26: mesialer Knochenperforationsrand der mesiobukkalen Wurzel. Das Periost (oben, Pfeile) ist dutch die den Knochen perforierende Wurzel yon der vestibul~iren Kortikalis abgehoben; auf der desmodontalen Seite des Knochenperforationsrandes befinden sich Resorptionslakunen. Wurzeloberfl/iche: Resorptionslakunen ohne nennenswerte Appositionsvorg/inge. (Toluidinblauf/~rbung, OriginalvergrOf~ertmg 32 : t.)

- Histologischer Befund Das Ausmal3 der resorptiven Vorg/inge ist in allen Schnittebenen an der mesiobukkalen Wurzel deutlich hOher als an der distobukkalen. Sowohl resorptive als auch reparative Prozesse liegen an den Wurzeln nebeneinander vor (Abb. 8 und 10). Im Bereich des Uberganges vom apikalen zum mittleren Wurzeldrittel zeigt die palatinale Wurzel auf der Druckseite Resorptionen ohne wesentliche reparative Vorg~inge, w/~hrend auf der Zugseite Zementappositionen stattfanden (Abb. 10). Im koronaten Wurzetdrittel zeigte die Wurzeloberfl~iche keine auff~illigen Wurzelresorptionen (Abb. 12, Tab. 4).

Abb. 7. Horizontalschnitt; koronales Wurzeldrittel des Zahnes 26: oberfl~ichliche WurzelresoFption auf tier Druckseite (oben), geringgradige Zementapposition auf der Zugseite (unten); keine knOcherne Perforation. (ToluidinblauNrbung, Originalvergr6gerung 2: 1.)

Wttrzeldrittel

Im Apexbereich hat die mesiobukkale Wurzei die KieferhOhlenkortikalis durcbbrochen (Abb. 9). Die KieferhOhlenschleimhaut ist im Vergleich zu anderen Regionen verdt~nnt. Die vor der mesiobukkalen Wurzel befindliche dtinne Knochenlamelle weist kieferhOhlenseitig Resorptionslakunen auf (Abb. 9). Am Ubergang vom apikalen zum mittleren Wurzeldrittel ist der kn6cherne Kieferh6hlenboden vor der mesiobukkalen Wurzel vorgewOlbt; es besteht jedoch keine Perforation (Abb. 10). Eine Ausschnittvergr6Berung der kieferhOhlenseitigen Knochenoberfl~iche zeigt unter dem

Wurzelresorption D ruckseite

Zugseit e

Zementapposition Dlnackseite Zugseite

Apikales Mittl eres Koronales

++++ ++ +

+ +

0 0 +

Wurzeldrittel

Wurzelresorption Druckseite

Zugseite

Zementappos] tion Druckseite Zugseite

+++ ++ +

+ + +

+ + +

Apikales Mittleres Koronales

206

+ + +

+ + + 9 Urban & Voget

Tab. 3. Semiquantitativer histologischer Befund des Zahnes 26.

Tab. 4. Semiquantitativer histotogiscber Befund des Zahnes 27. Fortschr. Kieferorthop: 53 (1992), 203 -210 (Nr. 4)

Wehrbein, Diedrich: Parodontale Veri~nderungen nach orthodontischer Zahnbewegung - IL

Abb. 8. Horizontalschnitt; apikales Wurzeldfittel des Zahnes 27: Die palatinale Wurzel ist vollst~indig, resorbiert, die mesi0bukkale Wurzel unterlag ausgepragteren Resorptionsvorg~ingen als die distobukkale. Mesial der mesiobukkalen Wurzel liegt zur Kieferh6hte eine kn6cherne Perforation vor; die Lamina propria der Mukosa des Sinus maxillaris ist verdiinnt: (Toluidinblaufarbnng, OriginalvergrN3erung 2 : 1.)

Abb. 10. Horizontalschnitt; Obergang vom apikalen zum mittleren Wurzeldrittel des Zahnes 27: maBig ausgepfiigte, gr68tenteils reparierte Wurzelresorptionen auf tier Druckseite der mesiobukkalen Wurzel, Auf tier Druekseite der palafnalen Wurzel haben Resorptionen ohne nennenswerte Zementappositionen stattgefunden. Keine kn6cherne Perforation zur Kieferh6hle: (Toluidinblauf~irbung, Offginalvergr6gerung 2: 1.)

Abb. 9. Horizontalschnitt; Ausschnittvergr68ertmg aus Abbildung 8 (Pfeil): Das ehemalige Periost spannt sich zeltdachartig tiber die mesiobukkale Wurzel. Unter dem Periost sind auf dem kieferhfhlenseifigen Knochenperforafionsrand Resorptionslakunen erkennbar (Pfeile). (Toluidinblauffirbung, Originalvergrtigerung 12,8 : 1.)

Abb. 11. Horizontalschnitt; AussetmittvergrBgeruzng aus Abbildung 10: ldeferht~hlenseitige Knoehenoberflgche vor mesiobukkaler Wurzel. Unter dem Periost sind in Resorptionslakunen multiple Osteoklasten erkennbar (Pfeile). (Toluidinblauf~rbung, OriginalvergrOgerung 80 : 1.)

Periost multiple Osteoklasten in Howshipschen L a k u nen ( A b b . 11).

I n dieser 2. Mitteilung soU erganzend erOrtert werden, welche B e d e u t u n g die spezielle anatomisch-topographische Ausgangssituation eines atrophierten A l v e o larfortsatzes bzw. eines basal pneumatisierten Sinus maxiUaris fOr die Z a h n b e w e g u n g hat.

Bewertung R6ntgenologisch stellt sich die Perforation der KieferhOhlenkortikalis im A p e x b e r e i c h nicht dar; das histologisch zu verifizierende A u s m a g der Wurzelresorptionen im apikalen Wurzeldrittel ist d e m R 6 n t g e n b e fund nicht zu e n t n e h m e n (Abb. 3, 8, 10). -

Diskussion

Hinsichtlich der Diskussion der M e t h o d i k sowie des Einflusses des Z a h n b e w e g u n g s t y p e s auf die G e w e b e reaktion sei auf die 1. Mitteilung verwiesen [10]. 9 Urban & Vogel Fortschr. Kieferorthop. 53 (1992), 203-210 (Nr. 4)

Z u r Z a h n b e w e g u n g in horizontal bzw. vertikal atrophierte Alveolarfortstitze liegen bis heute wenig histologische U n t e r s u c h u n g e n vor. D e r Z a h n 26 w u r d e weitestgehend translatorisch in einen stark horizontal atrophierten Alveolarfortsatzbereich hineinbewegt. D a b e i traten vestibul~ir tiber d e m mittleren Wurzeldrittel ausgeprfigte K n o c h e n f e n e s t r a t i o n e n auf. Ein Vortiegen y o n Fenestration v o r der Z a h n b e w e g u n g k a n n 207

Wehrbein, Diedrich: Parodontale tgeri~nderungen nach orthodontis'cher Zahnbewegung- II.

Abb. 12. Horizontalschnkt:koronales Wurzeldritteldes Zahnes 27: kleine oberfl/ichlicheWurzelresorptionensowohlatffder Druck- als auch Zugseite. die bereits mit ether dttnnen neuen Zementschieht bedecktstud. (Tohtidinblauf~irbtmg,Originalvergr6gerung2 : 1.)

zwar nicht ausgeschlossen werden, jedoch sprechen die umfangreichen Wurzelresorptionen tiber den lateralen Anteilen der bukkalen Wurzeln dafiir, dab eine Interaktion yon wenig umbaubereiter bukkaler Kortikalis trod Wurzeln abgelaufen ist. Tierexperimentell stelken Batenhorst et al. [1], Steiner [6]. und Engelking und Zachrisson [2] lest, dab es bet der Labialkippung von Ober- und Unterkieferinzisivi zu mnem Verlust an vestibul~irer Korfikalis kommen kann. Wehrbein et al. [11] zeigten experimentell, dab bet einer orthodonfisch induzierten, translatorisehen Zahnbewegung in einen atrophierten Alveolarfortsatz in Abh~ngigkeit yon der Bewegungsgeschwindigkeit ein partieller Wiederaufbau von Knochen vor dem Zahn m6glich ist. Auch Wingard und Bowers [14] verweisen darauf, dab fOx eine kompensatorische Faserknochenneubildung eine geringe Bewegungsgeschwindigkeit Voraussetzung ist. Dadurch, dab bet ether zu hohen Bewegtmgsgeschwindigkeit die desmodontale Resorption und periostale Apposition nicht mehr koordiniert stattfinden, kann eine ad~iquate Knochenmeubildung vor dem Zahn ausbleiben. Diese Hypothese wird durch den mikromorphologischen Befund fiber der palatinalen Wurzel des Zahnes 26 im mittleren Wurzeldrittel gestatzt. Durch die Mesialrotation (8 ~ wanderte die palatinale Wurzel in der gieichen Zeiteinheit weniger welt als die vestibulfiren Wurzeln. Vor dem Zahn kam es bier zu einer deutlichen Neubildung yon Knochen, der mit einer zellreichen Pefiostschicht bedeckt war (Abb. 5). 208

AuffNlig ist zudem, dab in der Druckzone der palatinalen Wurzel umfangreiche Zemenmeubildungen stattgefunden haben (Abb. 5). Diese Reparaturmechanismen sind jedoch an ein intaktes Parodont gebunden. Kommt es bei einer intraoss~tren Zahnbewegung zu Wurzelresorptionen und einem partiellen Verlust des Desmodontalfasersystems, k6nnen zumindest laterale Wurzelresorptionen durch Ersatzzementbildung trod Reorganisation des Fasersystems repariert werden [3]. Uber den Teilen der Wttrzel, die sich attl3erhalb des Knoehens befinden, kommt es hingegen zu einem deftnitiven, partiellen Verlusl des Zahnhalteapparates. Dieses ist im Bereich der vestibul~iren kn6chernen Perforation des Zahnes 26 der Fall (Abb. 4 and 6). Im Bereich der vestibulgren Anteile der bukkalen Wurzeln des Zahnes 26 lagen zudem ausgedehnte laterale Wurzelresorptionen vor (Abb. 4). Es ist nicht auszuschlieBen, dab an der Entstehung dieses Befundes der in der Endphase der Behandlung einligierte Vierkantbogen (017 x 025 stainless steel) mit beigetragen hat. M6glicherweise wurde infolge eines starken vestibulfiren Wurzeltorques der Quotient Kraft/Resorptionsflfiche tiber den vestibul~en Anteilen der bukkalen Wurzeln so erh{Sht, dab ausgepr~gte Wur~elresorptionen induziert wurden [4, 7]. Hinsichtlich der Zahnbewegung in den Sinus maxillar& liegen bis heute keine histologischen Befunde yore Menschen vor. Wehrbein et al. [8, 12] zeigte im Tiermodell, dab es sowohl bet der translatofischen als auch intrusiven Zahnbewegung in den kn6chernen Nasenboden des Hundes zu Wurzelresorptionen and Verlust an kn6chernem Stfitzgewebe kommen kann. Im Apexbereich des Zahnes 27 liegt eine knOcherne Perforation zum Sinus maxiUaris vor. Dutch die vorfibergehende Interaktion yon Kieferh6hlenbodenkorfikalis und mesiobukkaler Zahnwurzet ist diese stark resorbiert (Abb. 8 und 10). Hier liegt eine Analogie zu den Gewebsreaktionen bet der Zahnbewegung in vestibul~re bzw. palafinale Korfikalisstrukturen vor. Ein grund -sfitzlicher Unterschied besteht jedoch darin, dab in Zahnbewegtmgsnchmng unter dem antralen Periost elne Vielzahl von Osteoklasten zu finden ist (Abb. 11). Diese Beobachtung legt nahe, dab bei der Zahnbewegung im Bereich des Kieferh6hlenbodens konkurrierende resorptive Vorg~inge v o n d e r desmodontalen und yon der antralen Seite auftreten: Unter diesem Aspekt mug die Zatanbewegung in den Kieferh6hlenboden krifiseher bewertet werden als die vestibul~ire oder palatinale Kortikalisstrukturen. 9 Urban& Vogel Foctschr~Kieferorthop.53 (1992),203-210 (Nr.4)

Wehrbein, Diedrich: Parodontale Veriinderungen nach orthodontischer Zahnbewegung- II. Die Ursache ft~r die Resorptionsvorg~nge yon der Seite des Sinus maxillaris sind weitestgehend unbekannt. M6glicherweise wird die ft~r eine kompensatorische subperiostale Knochenapposition notwendige Differenzierung yon Osteoblasten durch den Aufbau und die spezifische Stoffwechsellage der Mukosa des Sinus maxillaris beeintr~chtigt. Strukturell besteht die NasennebenhOhlenschleimhaut aus einer Schicht yon mehrreihigem Zylinderepithel und einer Lamina propria mit kleinen gemischten und vereinzelten seromuk6sen Drt~sen [5]. MOglicherweise inhibieren glandulfire Sekrete die Osteoblastendifferenzierung. Auch die histologischen Verfinderungen bei der Interaktion yon Parodont und Kieferh6blenschleimhaut bei bereits resorbiertem Knochen sind ungekltirt [12]. Weiterhin k6nnte die fortschreitende Pneumatisierung in diesem Zusammenhang eine ursfichliche Rolle spielen, In einer Untersuchung zur morphologischen Ausgangssituation bei pneumatisiertem Sinus maxillaris fanden Wehrbein und Diedrich [13] in F~illen yon ausgepr~igtem Pneumatisationsgrad einen charakteristischen Aufbau der Kieferh6hlenbodenkortikalis: An der Oberflfiche zum Sinus zeigten sich unter dem Periost Resorptionslakunen, die mit vereinzelten Osteoklasten besetzt waren. Spongiosaseitig waren der Kortikalis Osteoids~iume anfgelagert. Dieser Befund stellt m6glicherweise das histologische Substrat einer fortschreitenden Pneumatisation dar. Wenn Resorptionsvorg~inge vom Sinus und vom Desmodont zusammenwirken, k6nnte auch dadurch eine appositionelle Knochenformation auf der Druckseite vor dem Zahn erheblich beeintrfichtigt werden. AuBerdem stellt sich die Frage nach dem Einflug eines basal pneumatisierten Sinus auf den Zahnbewegungstyp. In einer klinischen Studie wurde anhand zahlreichef Behandlungsabl~iufe belegt, dab bei einem Rezessus in Bewegungsrichtung vor dem Zahn mit einer eher kippenden Zahnbewegung zu rechnen ist [9]. Der zahn 27 erfuhr eine weitestgehende Translation, wobei jedoch die Krone um zirka 4 mm und die Wurzet um zirka 2 mm mesialisiert wurden. Ein Grund dafar k6nnte neben dem Einflug des biomechanischen Kraftsystems in dem speziellen anatomisch-topographischen Ausgangsbefund liegen. Selbst wenn das Kraftsystem eine translatorische Zahnbewegung vorgibt, vollzieht sich die Wurzelbewegung im apikalen Bereich (Kortikalis des Sinus maxillaris) langsamer als im spongiosareichen koronalen Wurzeldrittel, da die Bewegungsgeschwindigkeit yon der Knochendichte timitiert wird [4, ,.~ Urban&Vogel Fortschr.Kieferorthop.53 (1992),203-210 (Nr.4)

7]. Das Rotationszentrum des Zahnes verlagert sich nach apikal, wodurch der Zahn kippt. Aus unserer retrospektiven Studie nach einer orthodontischen Zahnbewegung in einen atrophierten A1veolarfortsatz (Zahn 26) bzw. basal pneumatisierten Sinus maxillaris (Zahn 27) geht hervor, dab die gezeigten histologischen Gewebeverfinderungen weit ausgepr~igter sind, als es die radiologischen und makroskopischen Befunde erwarten lassen. Wie am Beispiel des Zahnes 26 gezeigt wurde, konnte das AusmaB vestibulfir lokalisierter Hartgewebsschfiden r6ntgenologisch nicht erfaBt werden (Abb. 3 und 4). Die histologisch gezeigte Perforation der Wurzel des Zahnes 27 zum Sinus maxillaris entzieht sich ebenfalls der radiologischen Darstellung (Abb. 3 und 8). Auch bei der makroskopischen Betrachtung des Pr~parates ergaben sich keine Hinweise ft~r das Vorliegen vestibnl~irer Knochenpefforationen (siehe auch [10]). Die in der vorliegenden Studie dargestellten feingeweblichen Befunde zeigen auf, welche eingreifenden Gewebereaktionen durch eine orthodontische Zahnbewegung in einen atrophierten Alveolarfortsatz bzw. bar sal pnenmatisierten Sinus maxillaris bei einer routinemfiBig durchgeffihrten Multibandbehandlutl-g ausgel6st werden k6nnen. Dabei wird deutlich, dab insbesondere ein stark pneumatisierter Sinus maxillaris in Bewegungsrichtung vor dem Zahn AnlaB zu differentialtherapeutischen Uberlegungen geben sollte, urn progrediente Gewebeschfiden zu vermeiden.

L~eratur

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Korrespondenzanschrift: Dr. Dr. H. Wehrbein, Klinik fiir Kieferorthopi~die der Medizinischen Fakultiit der RheinischWestfiilisch Technischen Hochschule Aachen, Pauwelsstrafle 30, D-5100 Aachen.

9 Urban & Vogel Fortschr.Kieferorthop. 53 (1992), 203-210 (Nr. 4)

[The periodontal changes following orthodontic tooth movement--a retrospective histological study in man. 2].

The maxilla of an orthodontically treated deceased (19 years, female) could be taken in autopsy. Pretherapeutically atrophied alveolar bone and a basa...
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