Arch. orthop. Unfall-Chir. 90, 265--274 (1977)

Archiv f Jr orthopadische und Unfall-Chirurgie © J F. Bergmann Verlag 1977

Therapeutische Magnahmen bei der Osteogenesis imperfecta K. J. Miinzenberg Orthopfidische Universit~itsklinik (Direktor: Prof. Dr. H. R6ssler), D-5300 Bonn-Venusberg, Bundesrepublik Deutschland

Therapeutic Measures in Osteogenesis Imperfecta Summary. The treatment of osteogenesis imperfecta with magnesium is theoreticaly sound, but usually works in a few individuals. There are greater expectations with calcitonin, which reduces the overall osteolysis. The treatment of fractures should, whenever possible, be concervative. Internal fixation by plates is not indicated, because the plate should span from metaphysis to metyphysis, which leads to a softeming of the underlying cortex. Because of the weak bone, srews do not hold well. For operative treatment of the lower limb, the Kt~ntscher nail is the fixation of choice, as well as for treatment of deformity by multiple fragmentation. Rapidly progressive scoliosis should be treated operatively from 9 years of age on. Zusammenfassung. Die Behandlung der Osteogenesis imperfecta mit Magnesium ist theoretisch zwar gut begrt~ndet, ist abet offenbar nur in EinzelfNlen bedingt wirksam. Mehr Hoffnung macht das H o r m o n Calcitonin, das allgemein die Knochenabbaurate bremst. Die Frakturbehandlung sollte - wenn irgend m6glich - - konservativ sein. Die Plattenosteosynthese ist nicht angezeigt, well die Platten immer yon Metaphyse zu Metaphyse reichen sollten und dann in fast ganzer Ausdehnung des Schafts zu einer Spongiosierung der Corticalis unter dem Metall ffihren, also zum zus&itzlichen Knochensubstanzverlust. Die Schrauben k6nnen sich auch in dem nicht sehr widerstandsf~ihigen Knochen vorzeitig lockern. Fiir die operative Behandlung ist der Kiintschernagel an den unteren Extremit~iten das Mittel der Wahl, auch ft~r die Fragmentierung zur Behandlung von Deformit~iten. Stark progrediente Skoliosen sollten ausnahmsweise schon vom 9. Lebensjahr an operativ behandelt werden.

Die therapeutischen M6glichkeiten bei der Osteogenesis imperfecta liegen auf zwei ganz unterschiedlichen Gebieten. Die Behandlung kann aUgemein medikament6s sein, und sie mug immer die lokalen Frakturen berticksichtigen.

266

K.J. Mgnzenberg

Medikament6se Behandlung Der Versuch, die Knochenbruchanf'~illigkeit medikament6s zu beeinflussen, ist sicherlich ~ilter als die in der Literatur belegte Verabreichung hoher Phosphatgaben aus dem Jahre 1897. Seitdem ist das wissenschaftliche Schrifttum voll von immer wieder neuen enthusiastischen Berichten fiber unterschiedlichste MaBnahmen. Uber positive Langzeitergebnisse aber berichtet es kaum. Mit begeisterter Hoffnung wurden Vitamin D, Thymusextrakte, Oestrogene, Androgene, Corticosteroide, Vitamin C, Vitamin A, R6ntgenstrahlen, Aluminium oder gar Milch von ovarektomierten Ziegen angepriesen (nach Albright 1976) und sogar deren Wirksamkeit beschrieben. Der kritischen Nachprtifung aber hielten die Ergebnisse im allgemeinen nicht stand. Uberraschen mug die mangelnde Wirksamkeit der Sexualhormone (Cattell u. Mitarb., 1968). Mit dem Eintritt der Pubert~it n~imlich nimmt gew6hnlich die Bruchfrequenz ganz erheblich ab, bisweilen sogar bis zur scheinbaren Ausheilung. Bis heute wissen wit nicht, warum Sexualhormone vor dem Eintritt der Pubert~it so wenig effektvoll sind, wie wir letzten Endes fiber die genaue Wirkung der Steroidhormone auf den Knochen insgesamt noch immer nur sehr wenig wissen. Dennoch ist die medikament6se Behandlung nicht mehr ganz ohne Aussicht auf Erfolg. Zei unterschiedliche Substanzen machen uns Hoffnung: Magnesium und Calcitonin.

Magnesium Solomons und Styner ffihrten 1969 Magnesium in die Therapie ein. In voraufgegangenen in vitro Untersuchungen hatten sic beobachtet, dab Knochenkollagen von Osteogenesis-imperfecta-Kranken als regelrechter Hemmstoff der Verkalkung wirkte. Diese Hemmwirkung des pathologischen Kollagens konnte im Reagenzglas durch Zugabe von Magnesiumionen aufgehoben werden. Hinzukam, dab Solomons und Styner bei den Erkrankten immer erh6hte Serumpyrohosphatspiegel fanden; und Magnesium soil die Konzentration des Pyrophosphat signifikant senken. Ein erhShter Pyrophosphatspiegel hemmt allgemein die Proteinsynthese. Magnesium k6nnte auf zwei Wegen hier normalisierend wirken: r0ber die Aktivierung der alkalischen Phosphatase, die Pyrophosphat in zwei Anteile Orthophosphat spaltet und tiber die Aktivierung der Synthetasen auf der ersten Stufe der Eiweigsynthese, wo Aminos~iuren durch ATP in eine energiereichere Form fiberftihrt werden. Nicht ausgeschlossen ist, dab Magnesium auch dadurch wirkt, dab es die knochenresorbierende Wirkung des Parathormons bremst (Macintyre, 1963). Wie in der voraufgegangenen Arbeit auseinandergesetzt wurde, mug man namlich auch davon ausgehen, dag bei der Osteogenesis imperfecta die Resorptionsrate des Knochens erh6ht ist und dadurch die Nettobilanz an neugebildetem Knochengewebe weniger positiv wird als unter normalen Umstanden. Nach der Publikation von Solomons und Styner begannen wir 1970, einen Teil unserer Patienten nur mit Magnesium zu behandeln. Mittlerweile sind es insgesamt 7, die wir tiber einen Zeitraum von lgnger als 21/2 Jahren fiberblicken.

Therapeutische Magnahmen bei der Osteogenesis imperfecta

267

Frakturen

pro Jahr

>10

Mg

$

lO

8

6

4

Abb. 1 a. Bruchfrequenz unter dem Einflu6 von 15mg Magnesium pro Kilogramm K6rpergewicht und Tag bei einem Jungen. Deutliche Besserung

2 , 1

Frakturen pro J a h r

Abb. 1 b. Bruchfrequenz bei zwei Kindern unter Magnesiumbehandlung. Nur leichte Besserung

Jahre 2

3

4

5

6

8

10 ] l

12

.Mg

Jahre

Wir gaben pro Tag und Kilogramm K6rpergewicht 15 mg Magnesium, jedoch nicht als Oxid, wie Solomons und Styner, sondern als Gemisch yon Glutamat, Zitrat und Nicotinat (Magnesium Verla). Abgesehen von vort~bergehenden Magen-Darm-St6rungen, die uns in einem Falle zwangen, das Medikament ganz abzusetzen, traten keine Nebenwirkungen ein, insbesondere auch keine einschl~ifernde Wirkung. Unsere Ergebnisse sind nicht einheitlich. Bei 3 der 7 Patienten kam es zu einer deutlichen Reduzierung der Frakturh~iufigkeit. In einem Falle (Abb. I), bei einem 6j~ihrigen Jungen, der an der dominant-autosomalen F o r m litt, ging die Bruchfrequenz schon im ersten J a h r deutlich zurt~ck. Im 2. Behandlungsjahr k a m es zu keinen Brtichen mehr; und im 3. Jahr der Behandlung zog sich der Junge nut einmal beim Spiel aus relativ nichtigem Anlal3 einen Oberschenkelbruch zu. Spfiter kam es zu keinen Brt~chen mehr. Mittlerweile sind 5i/z Jahre seit Behandlungsbeginn vergangen, und der Junge steht jetzt am Ende seines 12. Lebensjahres. Bei den beiden anderen Kindern war die Knochenbruchfrequenz (Abb. 2) nach dem Einsetzen der Behandlung zwar insgesamt deutlich gemindert, nicht aber so eindrticklich wie im ersten FalIe. Insbesondere kam es bei diesen Patienten niemals zu einer ganz zufriedenstellenden Knochenfestigkeit.

268

K.J. Mfinzenberg

Abb. 2. Teleskopartige Marknageltypen miissen immer sehr gelenknah eingebracht werden und k6nnen dabei zu einseitigen Verletzungen der Wachstumsfuge fiihren

Bei 4 Patienten hat die Therapie offenbar ganz versagt, unabh/ingig vom Schweregrad des Leidens; die Bruchneigung war selbst nach wenigstens 2~/2Jahren Behandlung unbeeinflugt geblieben. Sicher und eindeutig laBt sich das Versagen der Therapie mit Magnesium bei diesen F~illen nicht erkl~iren. Insbesondere wissen wir nicht, ob durch diese Behandlung immer die Calcifizierbarkeit des gebildeten KnochenkoUagens durch Ver~inderung der Struktur wesentlich gebessert werden kann oder ob - - was sehr wahrscheinlich ist - - noch andere pathophysiologische Mechanismen bei der Osteogenesis imperfecta vorliegen, die durch Magnesium nicht beeinflui3t werden k6nnen, insbesondere, ob die vermehrte Resorptionsrate dutch eine Bremsung des Parathormons mit Magnesium ausreichend beeinfluf~t wird.

Calcitonin Ein erh6hter A b b a u von Knochensubstanz w/ire eine Indikation zur Calcitoninbehandlung. Dieses H o r m o n der Schilddrtise hemmt w gewissermaBen als Antagonist des Parathormons - - effektiv die Knochenresorption, bei Kindern in st/irkerem MaBe als bei Erwachsenen. Folgerichtig hat denn Castells 1972 begonnen, seine Patienten mit Calcitonin zu behandeln. A u f einem Symposium im Jahre 1975 berichtete er tiber hoffnungsvolle Ergebnisse bei 22 Patienten. 36 Monate nach Therapiebeginn sah er sogar einen fast normalen Knochenmineralgehalt. In jedem Falle war die Zahl der Knochenbrtiche eindrucksvoll zurtickgegangen. Wir konnten erst ab Mitte 1976 Calcitonin einsetzen. Zun/ichst verwandten wit Calcitonin v o m Schwein~; in den letzten Monaten steht uns auch synthetisiertes Lachscalcitonin 1 zur Verfiigung. Bei 2 Patienten verabreichten wir wie Castells an 3 Tagen in der Woche eine Dosis entsprechend 2 Einheiten Lachscalcitonin pro 1

Calcitonin der Firma Armour-Pharmuka GmbH, Baden-Baden

Therapeutische Magnahmen bei der Osteogenesis imperfecta

269

Kilogramm K6rpergewicht subcutan. Einer der Patienten leidet an der dominanten, der andere an der rezessiven Form. Ein knappes Jahr ist zwar zu kurz, um schon ein endgfiltiges Urteil geben zu k6nnen. Eindrucksvoll aber war im Falle der rezessiven Form, dab nach schon 2 Monaten die Bruchanffilligkeit bei dem 11/2jfihrigen Kinde stark zurtickgegangen war. Wfihrend noch vor Behandlungsbeginn eine schwere Bettdecke allein ausreichte, um am Oberarm oder an den unteren Extremit~iten eine Fraktur zu produzieren, kam es nach 3 Monaten nur noch einmal zum Knochenbruch, als der Vater das Kind etwas heftiger am Arm fassen muBte. Seit 8 Monaten ist kein Bruch mehr eingetreten. Unbeeinflugt blieb die bronchiale Infektionsanffilligkeit des Kindes; auch das Wachstum zeigte nach dem Einsetzen der Behandlung keinerlei Stimulation. Die Eltern hatten eher den Eindruck, als bliebe der Junge sogar noch mehr im Wachstum zurfick. Genaue K6rpermessungen waren wegen der Unruhe des Kindes nicht m6glich. Auch radiologisch konnte in dieser Zeit noch keine Verdichtung des Knochens nachgewiesen werden. Auch beim anderen Patienten, der zuvor ergebnislos mit Magnesium behandelt worden war und der an der autosomal-dominanten Form litt, kam es 5 Monate nach der Calcitoninbehandlung zu keinen weiteren Briichen mehr. Bei diesem 10jfihrigen Patienten lag die Bruchfrequenz bei durchschnittlich 3 bis 4 im Jahr. Vorsichtig und noch vorlgufig formuliert, k6nnen wir sagen, dab mit Magnesium und Calcitonin uns zwar keine Wundermittel in die Hand gegeben sind, dab aber mit der einen oder anderen Substanz die medikament6se Behandlung der Osteogenesis imperfecta nicht mehr ganz so aussichtslos ist, wie sie es noch vor Jahren war.

Vitamin C

1970 ffihrten Winterfeldt u. Mitarb. erneut Vitamin C in die Behandlung ein. Bereits 1935 wurde versucht, die Bruchanf~illigkeit damit zu beeinflussen (zit. nach Albright, 1976), offenbar jedoch ohne Erfolg. Winterfeldt u. Mitarb. geben 25 bis 50 mg pro Kilogramm K6rpergewicht und Tag. Die Ascorbins~iure soll den Zinkstoffwechsel beeinflussen. Zink vermehrt die Aktivit~it der alkalischen Phosphatase (Prasad, 1966). Da jedoch die alkalische Phosphatase nicht nur im Knochen entsteht, sondern auch in verhfiltnism~igig gr6geren Mengen in der Leber, der Niere und im Dfinndarm, spiegeln Konzentrationen der alkalischen Phosphatase im Serum nicht immer nur den Knochenstoffwechsel wider. Offenbar lag der wieder eingeffihrten Verabreichung yon Vitamin C auch der AnalogieschluB zugrunde, dab Ascorbins~iure bei der Umwandlung des Prolins in Hydroxyprolin wghrend der Kollagenbildung mitwirkt, wenn nicht gar die ph/inomenologische )khnlichkeit der exzessiven Kallusbildung nach Knochenbrfichen bei der Osteogenesis imperfecta mit verkalkenden subperiostalen H/~matomen beim Morbus M611erBarlow an eine Vitamin C-Behandlung denken lieB. 1975 berichtete Eyring auf dem II. Symposium fiber Osteogenesis imperfecta t~ber 8 Patienten, die zwischen 16 und 62 Monaten mit Vitamin C behandelt worden waren. Injedem dieser F~ille soll es zu einem deutlichen Rfickgang der Frakturh/infigkeit gekommen sein; nur bei einem Patienten war wegen weiterer Knochenbrfiche im Alter von 3~ Jahren die

270

K.J. Mfinzenberg

Schenkelhalsnagelung erforderlich. Auch Jani und Ganz (1977) berichteten tiber gute Ergebnisse an 7 Patienten nach knapp 2 Jahren. Wit selbst haben Vitamin C zweimal bei Patienten versucht, die bereits ergebnislos mit Magnesium behandelt worden waren. Nach 13 beziehungsweise 10 Monaten sahen wir keinerlei Beeinflussung der Bruchanfglligkeit.

Frakturbehandlung Konservative Behandlung Auch die Frakturbehandlung hat bei der Osteogenesis imperfecta einige Besonderheiten. Wenn man berticksichtigt, dab nur sehr selten das Periost beim Frakturvorgang einreiBt und dab die Brtiche im allgemeinen tiberdurchschnittlich schnell und fest heilen, dann ergibt sich, dab nicht in jedem Falle unbedingt die operative Behandlung indiziert ist. Auf der anderen Seite aber sind 1/ingere Immobilisationszeiten unbedingt zu vermeiden, um es nicht zu einer zus~itzlichen Inaktivit~itsatrophie kommen zu lassen. Dem komrnt die im allgemeinen schnelle Heilungstendenz der Osteogenesis-imperfecta-Frakturen entgegen. Frakturen ohne wesentliche Fehlstellungen pflegen wir deshalb, wenn irgend mSglich, in einem Gips ruhigzustellen. Die Muskel- und nachfolgende Knochenatrophie versuchen wir dutch alsbaldige statische Muskeltibungen hintanzuhalten. Sehr frtihzeitig auch sollen die Kinder stehen - - was selbst im Beckengips mSglich ist - - , u m dem Knochen auch ad~iquate mechanische Reize zu vermitteln. FOr absolut kontraindiziert halten wir die in der Literatur immer wieder empfohlene Extensionsbehandlung (Wessinghage u. Mitarb., 1970) - - ob als Drahtextension oder als Extensionsgips. Eine zus~itzliche Dehnung der schon prim~ir tiberdehnbaren Band- und Kapselanteile bei der Osteogenesis imperfecta hat ftir die Funktion der Gelenke, insbesondere ftir die Ern~ihrung des Knorpels immer nachteilige Folgen. Eine verst~irkte Arthrosebildung w~ire dann unausbleiblich. Jede konservative Frakturbehandlung hat selbstverst~indlich peinlich darauf zu achten, dab keine Fehlstellung eintritt, ob durch Muskelzug oder durch falsche Lagerung. Die Frakturen mtissen besonders gut in der Achsenrichtung eingerichtet werden, weil die Summation yon Achsenfehlstellungen yon eventuell nachfolgenden Frakturen zu schwersten Deformierungen ftihrt, die dann die operative Korrektur n6tig machen.

Operative Behandlung Zur Verhtitung der Achsenabweichung eignet sich der Ktintschernagel am besten. Der innere Krafttr~iger muB immer lang genug sein, um grSBeren Hebelwirkungskr~iften wirksam standzuhalten, also von Metaphyse zu Metaphyse reichen (Mau, 1971). Im Wachstumsalter wird er dann mehrfach zu kurz und muB durch einen l~ingeren ausgetauscht werden, meist ein Eingriff yon wenigen Minuten. Ftir die Ktintschernagelung wird der Markraum nicht aufgebohrt, um die Perforation der dtinnen und wenig widerstandsf~ihigen Corticalis zu vermeiden. Immer muB der dickste Nagel ausgew~ihlt werden. Mitwachsende, teleskopartige Marknageltypen

Therapeutische Magnahmen bei der Osteogenesis imperfecta

271

(Abb. 2) verwenden wir nicht (Rodriguez u. Wickstrom, 1971). Sie mfigten, um fiberhaupt wirken zu k6nnen, yon Epiphyse zu Epiphyse reichen und dann die Wachstumsfuge an beiden Knochenenden durchbohren. Beim Einbringen solcher N~gel kann es zu einseitigen Verletzungen der Wachstumsfuge und gelegentlich zu B~inderlfisionen kommen, was zu zusfitzlichen Deformierungen oder zum Schlottergelenk ffihren kann.

Fragmentierung bei starken Schaftverbiegungen Schon 1921 berichtete Springer fiber den operativen Ausgleich hochgradiger Knochenverbiegungen durch multiple Osteotomien, ein Verfahren, das yon Sofield u. Millar 1959 wieder aufgegriffen wurde. Die Osteotomiestficke werden von einem inneren Krafttrfiger aufgef~idelt. Dabei ist es nicht erforderlich, daB, wie Springer es angab, die einzelnen Segmente um ihre eigene Achse gedreht werden. Das ffihrt immer zu einer mehr oder weniger starken Entbl6Bung der Knochenstiicke vom bedeckenden Periost und kann die Heilung verz6gern. Wir pflegen an den unteren Extremit~iten als erstes den Nagel in den Markraum einzuftihren und an der Stellle, wo der Nagel mit seiner Spitze an der Markrauminnenwand stecken bleibt, zu osteotomieren. Ein solches Vorgehen hat den Vorteil, dab die N~gel verhNtnismggig stabil verankert werden k6nnen und ein postoperativer Gipsverband unn6tig wird; die Fragmente sitzen an ihren beiden Enden ~ibungsstabil auf dem inneren Krafttrfiger. Wenn das Periost fiber den Osteotomiestellen wieder verschlossen werden kann, heilen die entstandenen Knochenlficken subperiostal wieder sehr schnell aus. Keilosteotomien sind deshalb unn6tig. Durch das Vorgehen, das die H6he der Osteotomie durch den sich einklemmenden Marknagel bestimmt, kommt es auBerdem zu einem gewissen Ausgleich der meist recht erheblich verk~rzten Schaftknochen. Mit inneren Krafttrfigern k6nnen Knochen vom dfinnen und auch vom dicken Typ behandelt werden.

Plattenosteosynthese nicht angezeigt Nach unserer Meinung ist die Plattenosteosynthese bei der Osteogenesis imperfecta kaum indiziert. Bereits Mau (1971) hat darauf hingewiesen, dab auch die Platten wenigstens yon Metaphyse zu Metaphyse reichen und mindestens his zum Wachstumsende belassen und dann auch von Fall zu Fall ausgewechselt werden mfiBten. Solche Operationen sind immer sehr eingreifend und haben die breite Freilegung des Knochens zur Voraussetzung. Gerade unsere Kenntnisse fiber die histologischen Verfinderungen am Knochen unter der Platte abet miiBten noch mehr der Anwendung solcher Platten bei Osteogenesis imperfecta widerraten. Es kommt n~imlich unter den Platten immer zur Spongiosierung der Corticalis, also zu einem weiteren Knochensubstanzverlust; und der wird sich immer spfitestens nach Entfernung des Osteosynthesematerials in den biomechanischen Festigkeitseigenschaften nachteilig auswirken. Hinzu kommt noch ein drittes Argument gegen die Plattenosteosynthese. Die in den Knochen eingebrachten Schrauben k6nnen sich sehr viel schneller lockern als normalerweise, und dann muB das Metall entfernt oder neu befestigt werden. Die eine oder andere Klinik ist deshalb

272

K.J. Mfinzenberg

dazu t~bergegangen, auch bei der Plattenosteosynthese einen Gips prophylaktisch anzulegen. Damit aber entfallt der wichtigste Vorteil: Die frt~hzeitige Bewegungst~bung. In einigen Erkrankungsfallen, insbesondere beim sogenannten ,,dickenKnochen-Typ" sind die Schrauben nicht einmal prim~ir im Knochen fest zu verankern, sondern haben von Anfang an freies Spiel im Bohrloch, wie wir selbst einmal sehen mugten. Aus all diesen Grt~nden sind wir bei der Osteogenesis imperfecta - - den Literaturangaben zum Trotz - - keine Anh~inger der Plattenosteosynthese.

Skoliosen und Versorgung mit Orthesen Ein spezielles Problem sind die durch Knochenbriache, Wachstumsanomalien und vor allem durch den lockeren Bandapparat entstandenen Skoliosen, die auch noch nach dem Wachstumsalter, besonders in der zweiten Lebensh~ilfte wieder, progredient sein kSnnen. Etwa vom 9. Lebensjahr an kann man versuchen, ihr Fortschreiten operativ durch Einbringen des Harringtoninstrumentariums und durch kn6cherne Fusion zu verhindern. Das Harringtonmaterial sollte aber nicht unter Spannung gesetzt werden, weil dem der wenig widerstandsf~ihige Knochen nicht gewachsen w~tre. Bis zum 9. Lebensjahr miissen die Skoliosen konservativ behandelt werden. Trotz einiger Bedenken (Donaldson u. Benson, 1976) halten wir das Milwaukeekorsett fiir besonders geeignet. Es ist leicht zu tragen und beschwert die Patienten darum verhaltnism~igig wenig. Kieferdeformit~iten dtirften zwar kaum h~tufiger sein als auch sonst; trotzdem aber ist auf eine sich entwickelnde Okklusionsanomalie von Anfang an besonders zu achten. Verhindern kann das Milwaukeekorsett die Progression einer einmal aufgetretenen Skoliose nicht, wohl abet verlangsamen (Cook, 1976). Die Versorgung mit Orthesen ist eine besonders schwierige Aufgabe, weil bei der Osteogenesis imperfecta die Spielbreite des klinischen Erscheinungsbildes besonders groB ist, was die Bruchbereitschaft und die Deformierungen anlangt. Jede Art Orthese daft unter keinen Umst~inden die Lokomotorik einengen; sie muff sie vielmehr erleichtern oder gar erst erm6glichen. Kinder, die schon gehen k6nnen, abet sehr stark bruchgefiihrdet sind, k6nnen mit Kunststoffhiilsen versorgt werden, die nicht schwer im Gewicht und schnell zu handhaben sind. Sie sind auch leicht anzumessen. DaB sie gelenkig verbunden werden, ist nicht notwendig. Der klassische Schienenhiilsenapparat fiir das ganze Bein ist zu schwer und zu aufwendig, zumal er im Wachstumsalter zu oft erneuert werden mug. Wenn das Kind erst zu stehen beginnt, kann ihm das Gehen durch ein Parapodium sehr erleichtert werden. Bei sehr starker Bruehanfalligkeit und der Unm6glichkeit, sich selbst~indig fortzubewegen, sollte yon vornherein ein elektrischer Fahrstuhl verordnet werden. In diesen Fallen sollte beim Erwachsenen, falls die Bruchbereitschaft der Knochen nicht nachgelassen hat, auch ein Rahmensttitzkorsett angepaBt werden. Callus luxurians In Ausnahmef~illen heilen die Knochenwunden nicht nur ~iugerst schnell, sondern unter exorbitanter Callusbildung. Dieser Callus luxurians kann wie autonom und

Therapeutische MaBnahmen bei der Osteogenesis imperfecta

273

wie eine b6sartige Geschwulst weiterwachsen (Baker, 1946; Laurent u. Salenius, 1967), ohne dab er in sensu stricto die Charakteristika eines Sarkoms tr~igt. Insbesondere metastasiert er nicht. Nicht selten wurden solche Callusformationen denn auch als Osteosarkom fehldiagnostiziert. Ein Callus luxurians muB behandelt werden, wenn er zu wachsen nicht aufh6rt und der Patient nicht an Auszehrung zugrunde gehen soll. Das Mittel der Wahl ist die R6ntgenbestrahlung mit einer Dosierung von 500 bis 1000rad (Eltze u. Lennartz, 1969).

Nichtorthopiidische Komplikationen Die bei der Osteogenesis imperfecta an~isthesiologisch m6glichen Komplikationen tiberschreiten zwar den orthop~idischen Fachbereich. Es sei aber erw~ihnt, dab hier die Gefahren nicht so sehr in Ventilationsst6rungen durch die Thoraxverbiegungen liegen als vielmehr in der tiberdurchschnittlich groBen Gefahr der malignen Hyperthermie durch Atropintiberempfindlichkeit (Solomons u. Mitarb., 1973). Daneben gibt es noch andere Gefahren und Sch~iden, die nicht nur im Risiko oder in den Folgen einer erh6hten Bruchanf~lligkeit liegen. Es soll hier nur an die erh6hte Blutungsbereitschaft, die vermehrten Bauchwandbrfiche und die Unbequemlichkeiten einer Innen-Mittelohrschwerh6rigkeit erinnert werden. Da die Thrombozytenaggregation bei der Osteogenesis imperfecta gest6rt ist, sind Aggregationshemmer, beispielsweise Acetylsalicyls~iure, kontraindiziert. Die operative Behandlung der Schwerh6rigkeit erfolgt heute nicbt mehr durch eine Fensterung, bei der neben dem ovalen Fenster eine ktinstliche Bogenfistel angelegt wird, auf die der Schalldruck ohne Transformation dutch die Geh6rkn6chelchen fiber das Mastoid auftritt, sondern durch eine Stapesplastik (M. Crueger, pers6nliche Mitteilung). Nicht nur ffir den Orthop~iden sind die Kranken also Problempatienten. An ihrer Rehabilitation mag der Orthop~ide wohl maBgebenden Anteil haben. Solange wir aber noch nicht endgfiltig kausal behandeln k6nnen, werden auch der Otologe, der An~isthesist, der Chirurg und der Internist daran beteiligt bleiben mfissen, wie die Krankengymnastin und der Orthop~idiemechaniker. Ffir die unmittelbare ~irztliche Aufgabe und ffir weiter gesteckte Forschung bleibt noch immer sehr viel zu tun.

Literatur

Albright, J. A.: Systemic treatment of osteogenesis imperfecta--historical review. Clin. Orthop. 116, 258 (1976) Baker, S. L.: Hyperplastic callus simulating sarcoma in two cases of fragilitas ossium. J. Path. Bact. 58, 609 (1946) Castells, S., Reddy, C. M., Hashemi, S. E.: Synthetic salmon calcitonin: Long term effects on osteogenesis imperfecta. Clin. Orthop. 116, 263 (1976) Castells, S., Inamdar, S., Baker, R., Wallach, S.: Effects of porcine calcitonine in osteogenesis imperfectatarda. J. Pediat. 80, 757 (1972) Cattell, H. S., Clayton, B.: Failure of anabolic steroids in the therapy of osteogenesisimperfecta. J. Bone Jt. Surg. 50 A, 123 (1968)

274

K.J.M~nzenberg

Cook, R. S.: Scoliosis occuring in patients with osteogenesis imperfecta. Clin. Orthop. 116, 259 (1976) Donaldson, D. H., Benson, D. R.: The nature history of the spine on osteogenesis imperfecta. Clin. Orthop. 116, 260 (1976) Eltze, K., Lennartz, J.: Callus luxurians bei Osteogenesis imperfecta unter dem Bild des Sarkoms. Z. Orthop. 106, 463 (1969) Eyring, E. J.: Effects of vitamin C on osteogenesis imperfecta. Clin. Orthop. 116, 263 (1976) Jani, L., Ganz, R.: Osteogenesis imperfecta. Frakturen- und Deformit~itenbehandlung sowie medikament6se Therapie. Orthop~ide 6, 19 (1977) Laurent, L. E., Salenius, P.: Hyperplastic callus formation in osteogenesis imperfecta. Report of a case simulating sarcoma. Acta orthop, scand. 38, 280 (1967) Maclntyre, I.: An outline of magnesium metabolism in health and disease: a review. J. chron. Dis. 16, 201 (1963) Mau, H.: Prinzipien der Nagelung und Verplattung bei der operativen Behandlung der Osteogenesis imperfecta. Z. Orthop. 109, 650 (1971) Prasad, A. S.: Zinc metabolism: Metabolism of zinc and its deficiency in human subjects, p. 250. Springfield (ILL): Charles C. Thomas 1966 Rodriguez, R. P., Wickstrom, J. K.: Osteogenesis imperfecta: A preliminary report on resurfacing of long bones with intramedullary fixation by an extensible intramedullary device. South. Med. J. 64, 169 (1971) Sofield, H. A., Millar, E. A.: Fragmentation, realignment, and intramedullary rod fixation of deformities of the long bone in children. J. Bone Jt. Surg. 41 A, 1371 (1959) Solomons, C. C., Myers, D. N., Gordon, R. A., Britt, B. A., Kalow, W.: Hyperthermia of osteogenesis imperfecta and its relationship to malignant hyperthermia, p. 319. Springfield (Ill.): Charles C. Thomas 1973 Solomons, C. C., Styner, J.: Osteogenesis imperfecta: Effect of magnesium administration on pyrophosphate metabolism. Calc. Tiss. Res. 3, 318 (1969) Springer: Operativer Ausgleich hochgradiger Knochenverbiegungen durch Zers~tgung in Scheiben (Segmentierung). Verh. Dtsch. Orthop. Ges. 15, 118 (1921) Wessinghage, D., Schweikert, C.-H., Rahmanzadeh, R., Hofmann, S.: Osteogenesis imperfecta. Krankheits- und Frakturentstehung. Dtsch. reed. Wschr. 95, 222 (1970) Winterfeldt, E. A., Byring, E. J., Vivian, V. M.: Ascorbic acid treatment for osteogenesis imperfecta. Lancet 1970 I, 1347 Eingegangen am 2. August 1977

[Therapeutic measures in osteogenesis imperfecta (author's transl)].

Arch. orthop. Unfall-Chir. 90, 265--274 (1977) Archiv f Jr orthopadische und Unfall-Chirurgie © J F. Bergmann Verlag 1977 Therapeutische Magnahmen b...
614KB Sizes 0 Downloads 0 Views