Lohrmann: Therapie der Thrombozytopenien

Aktuelle Therapie

Dcutsche Medizinische Wochcnschrift

Redaktion: Prof. Dr. H.. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. loo (1975), 2494-2496 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Therapie der Thrombozytopenien

H.-P. Lohrmann Abteilung fOr Hämatologic (Prof. Dr. H. Heimpel, Prof. Dr. E. Kleihauer) des Zentrums für Innere Medizin und Kinderheilkunde der Universität Ulm

Thrombozytopenische Blutungen treten bei individuell stark unterschiedlichen Thrombozytenkonzentrationen des Blutes auf. Als Regel mag gelten, daß Blutungen bei Werten über 50 0004tl nur selten sind, während Werte unter 100004tl ein erhebliches Blutungsrisiko darstellen (3). Je jünger ein Patient ist, desto eher wird er eine Thrombozytopenie ohne Blutungen tolerieren; hierfür dürfte die mit dem Alter zunehmende Gefäßfragilität ausschlaggebend sein. Bei jenen Thrombozytopenien, die durch vorzeitigen Thrombozytenabbau zustande kommen, werden oft sehr niedrige Thrombozytenwerte ohne Blutungen toleriert; hier sind junge Thrombozyten im Blut anteilsmäßig vermehrt, die funktionell hochwertiger sind als ältere Plättchen. Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit einer Thrombozytopenie läßt sich somit nicht durch Beachtung starrer Regeln beantworten; so ist die Unterschreitung einer bestimmten Thrombozytenkonzentration (häufig wird ein Wert von 2O000/.d als »Schwellenwert« genannt) für sich allein noch kein Anlaß zur Einleitung einer Therapie. Die Behandlungsindikation ergibt sich vielmehr aus einer Gesamtbeurteilung von Thrombozytenzahl, Blutungsneigung, Alter, Pathogenese der Thrombozytopenie sowie Natur, Progredienz und Prognose der Grunderkrankung. Die an derPathogenese einerThrombozytopenieorientierte, gezielte Therapie wird im folgenden für die im

Erwachsenenalter wesentlichsten Erkrankungen erörtert. Unabhängig von der jeweiligen Pathogenese werden häufig niedrige Prednisondosen (15-20 mg/d) gegeben, um durch eine Verringerung der Gefäßfragilität eine Abnahme der Blutungsneigung zu erreichen.

Thrombozyten-Bildungsstörungen Bei verminderter Thrombozytenbildung ist eine auf die

Wiederherstellung einer normalen Hämopoese abzielende, kausale Therapie anzustreben. So werden bei Panmyelopathien Glucocorticoide und anabole Steroide gegeben in der Hoffnung, hierdurch die Rekonstitution der Hämopoese zu fördern; die Wirksamkeit dieser Therapie ist umstritten. Erfolgreiche zytostatische Therapie maligner, markinfiltrierender Prozesse (Leukämien, maligne Lymphome, Plasmozytome, metastasierende solide Tumoren) führt, häufig allerdings erst nach Durchlaufen einer therapie-induzierten Markaplasie, zur Wiederherstellung einer normalen Hämopoese. Bei diesen Erkrankungen muß also in Kauf genommen werden, daß es vor einer Besserung der Knochenmarkfunktion zu einer therapiebedingten Verschlechterung der Blutzellbildung kommt. Bei Mangelerkrankungen (perniziöse Anämie, Folsäuremangel) stellt die Substitution des jeweiligen Faktors die kausale Therapie einer Thrombozytopenie dar.

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Symptomatisch lassen sich Thrombozytenbildungsstörungen durch Thrombozytensubstitution behandeln. Thrombozytentransfusionen sind indiziert bei allen thrombozytopenischen Blutungen des Magen-DarmTraktes, der Ham- und Geschlechtsorgane, der Atemwege, des Augenhintergrundes und des Zentralnervensystems. Petechien, Zahnfleisch- und Nasenbluten sollten als Warnsignal verstanden werden, daß die vom Patienten tolerierte minimale Thrombozytenkonzentration unterschritten wird, und daher zu besonders aufmerksamer Überwachung Anlaß geben; für sich allein stellen derartige Blutungen wegen der Möglichkeit lokaler Blutstillungsmaßnahmcn nur selten cine Indikation zur Thrombozytentransfusion dar. Thrombozyten können durch erythrozytenkompatibles Frischblut, durch thrombozytenreiches Plasma oder durch Thrombozytenkonzentrate übertragen werden. Frischblut und gepooltes plättchenreiches Plasma verschiedener Spender bleiben der Notfalltherapie schwerer Blutungen vorbehalten. Finden Thrombozyten ausgewählter Einzelspender Verwendung, so lassen sich durch Plasmapheresetechniken innerhalb von etwa 3 Stunden die 3 bis 4 Einheiten (zu je 500 ml) Blut entsprechenden Thromhozytenmengen ohne für den Spender nachteilige Auswirkungen isolieren. ABO-Kompatibilität ist bei Verwendung derartiger Thrombozytenkonzentrate nicht erforderlich (4). Die einer Einheit entsprechende Thrombozytenmenge bewirkt bei nicht alloimmunisierten Erwachsenen einen Thrombozytenanstieg um etwa l00004tl; bei Fieber, Sepsis oder Splenomegalie kann der Anstieg jedoch weit niedriger aissfallen. Thrombozyten sind Träger der HL-A- (Transplantations-) Antigene; daneben sind thrornbozytenspezifische Antigene bekannt. Nach Transfusion bilden sich beim Empfänger gegen derartige fremde Antigene innerhalb weniger Wochen (Allo-)Antikörper. Mit der Entwicklung antithrombozytärer Alloantikörper verkürzt sich dic intravasale Verweildauer der Spenderthrombozyten im Empfängerkreislauf zunehmend, und der Thrombozytenanstieg nach Transfusion wird immer geringer (1). Bei stark alloimmunisierten Patienten läßt sich deshalb mit Thrombozyten unausgewählter Spender keine Substitution mehr vornehmen. Hier ist nur noch durch Transfusion HL-A-identischer oder HL-A-kompatiblcr Thrombozyten eine wirksame Substitution möglich (4, 5). Die Verwendung derartiger Spender wirft wegen der Vielfalt möglicher HL-A-Kombinationen (Phänotypen) große finanzielle und organisatorische Probleme auf. Prophylaktische Thrombozytensubstitution hat zum Ziel, durch regelmäßige Transfusionen die Thrombozytenkonzentration oberhalb der individuellen Blutungsschwelle zu halten und so das Blutungsrisiko zu vermindern. Prophylaktische Transfusion von Thrombozyten unausgewählter Spender ist wegen der unvermeidlichen Alloimmunisierung nur für begrenzte Zeit möglich, etwa während einer vorübergehenden Markaplasie nach zytostatischer Therapie. Wegen der kurzen ThrombozytenLebenszeit sind ein- bis zweimal wöchentlich die 3 bis 4 Einheiten Blut entsprechenden Thrombozytenmengen zu transfundieren; Alloimmunisierung, Fieber oder Sep-

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sis können jedoch weit häufiger Transfusionen erforderlich machen. Uber lange Zeit (etwa bei Panmyelopathie)

kann prophylaktische Thrombozytensubstitution nur durch Plättchen HL-A-kompatibler Spender erfolgen (4).

Vorzeitiger Thrombozytenabbau Thrombozytentransfusionen sind nur dann therapeutisch wirksam, wenn es durch Zirkulation von Spenderthrombozyten zu einem nachhaltigen Anstieg der Thrombozytenkonzentration im Blute des Empfängers kommt. Bei den durch einen vorzeitigen Thrombozytenabbau gekennzeichneten Thrombozytopenien werden üblicherweise Fremdthrombozyten ebenso rasch abgebaut wie patienteneigene Thrombozyten. Aus diesem Grunde sind hier Thrombozytentransfusionen wenig oder nicht wirksam und daher nicht indiziert. In Ausnahmefällen können jedoch massive Thrombozytentransfusionen (entsprechend der Thrombozytenmenge von 20 und mehr Einheiten Blut) über einen kurzfristigen Anstieg der Thrombozytenzahlen das Risiko operativer Eingriffe (Splenektomie, Entbindungen) vermindern. Eine erwähnenswerte Ausnahme stellt auch die kongenitale Isoimmunthrombozytopenie dar; hier führen mütterliche, gegen fetale thrombozytengebundene Antigene gerichtete Antikörper nach diaplazentarem Übertritt beim Feten zu einer schweren passageren Thrombozytopenie. Transfusion mütterlicher Thrombozyten kann hier eine lcbensrettende Maßnahme sein (2). Bei den durch Medikamente induzierten Immunthrombozytopenien kommt es in Abhängigkeit von Abbau und Ausscheidung des auslösenden Medikamentes nach dessen Absetzen zur Normalisierung der Thrombozytenzahlen. Da erneute Medikamentenexposition prompt zu einem Rezidiv der Thrombozytopenie führt, ist lebenslange Expositionsprophylaxe von Bedeutung. Bei chinin-induzierten Immunthrombozytopenien zählt hierzu die Vermeidung des Genusses chininhaltiger Bittergetränke (Tonic Water). Symptomatische Autoimmunthrombozytopenien bessern sich mit erfolgreicher Therapie des Grundleidens; daneben sind die im folgenden für die idiopathische Immunthrombozytopenie besprochenen Maßnahmen im Einzelfall zu erwägen. Bei der chronischen idiopathischen Immunthrombozytopenie (früher »Morbus Werlhof« genannt), einer Autoimmunerkrankung, stellen Corticosteroide die Mittel der ersten Wahl dar. Der Erfolg dieser Therapie wird neben einer fraglichen Suppression der Autoantikörperbildung vor allem auf eine Hemmung der Phagozytosefähigkeit der Zellen des retikuloendothelialen Systems zurückgeführt. Predniso (lo) n in Tagesdosen von 1-2 mg/kg Körpergewicht führt meist innerhalb von 1 bis 2 Wochen zum Anstieg oder gar zur Normalisierung der Thrombozytenzahlen. Die Steroiddosis darf dann nur ganz allmählich im Verlauf mehrerer Wochen reduziert werden; bei schnellerer Dosisreduktion besteht die Gefahr eines dann therapeutisch sehr viel schwieriger anzugehenden Rezidivs der Thrombozytopenie. Spricht die Thrombozytopenie auf Steroide nicht an oder sind unangemessen hohe Steroiddosen zur Erhaltung einer eben noch tolerierbaren Thrombozyten-

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Nr. 48. 28. November 1975, 100. Jg.

Kuhlmann, Rietbrock: Wechselwirkungen bei der antlinfektiösen Therapie

Deutsche Medizinische Wochenschrift

konzentration des Blutes erforderlich, so sind zwei therapeutische Möglichkeiten gegeben. Bei jüngeren Patienten mit idiopathischer Immunthrombozytopenie wird man zur Splenektomie raten, die bei etwa zwei Dritteln der Patienten zu weitgehender oder vollständiger Normalisierung der Thrombozytenzahlen führt. Bei älteren Patienten kann der Kombination von Steroiden und Immunsuppressiva (Azathioprin, Cyclophosphamid) der Vorzug gegeben werden; ein Thrombozytenanstieg kann gelegentlich erst Monate nach Beginn dieser Therapie eintreten. Beim Versagen der Splenektomie ist ebenfalls eine Kombinationstherapie mit Steroiden und Immunsuppressiva indiziert. Bei disseminierter intravasaler Gerinnung (Verbrauchskoagulopathie) führt wirksame Unterbrechung des Gerinnungsgeschehens durch Heparin prompt zum Anstieg der Thrombozytenzahlen; kausale Therapie des Grundleidens ist anzustreben.

strahlung der Milz ist dann zu erwägen, wenn ein malignes Lymphom mit Splenomegalie und Thrombozytopenie einhergeht. Bei Osteomyelofibrose sollte man mit Splenektomie oder Milzbestrahlung zur Korrektur einer Thrombozytopenie. außerordentlich zurückhaltend sein, da hier nicht selten die Hämopoese vorwiegend in der Milz lokalisiert ist.

Verteilungsstörungen

Dr. H.-P. Lohrmann Abteilung Hämatologie Department Innere Medizin der Universität 79 Ulm, Steinhövelstr. 9

Bei Hypersplenismus normalisiert sich die Thrombozytenzahl nach Splenektomie innerhalb weniger Tage. Be-

Literatur Adam, W., H. D. Fiad E. Marcard, H. Heimpel: Langzeirsubstitution von Thromhozyten bei Patienten mit Panmyelrpathie und schwerer Thrombozy. topenie. KIln. Wschr. 51(1973), 817. Adner, M. M., G. R. Fisch, S. G. Starobin, R. H. Aster: Use of «conspatibie, platelet transfusion in treatment of congenital isoimmune neonatal thrombocytopenic purpura. New Engl. J. Med. 280 (1969), 244. Gaydos, L. A., E. J. Freireich,

N. Mantel: The quantitative relation between platelet count and hemorrhage in patients with acute leukemia. New Engl. J. Med. 266 (1962), 905.

Lohrmann, H-P., M. 1. Bull, J. A. Decter, R. A. Yankee, R. G. Graw jr.: Platelet transfusions from HL-A-compatible unrelated donors to alloimmunized patients. Ann. intern. Med. 80 (1974), 9. Yankee, R. A., K. S. Graft, R. Dowling, E. S. Henderson: Selection of unrelated platelet donors by lymphocyte HL-A matching. New Engl. J. Med. 288 (1973), 760.

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Z496

[Therapy of thrombocytopenias].

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