Intensivmedizin Verbrauchsorientierte Ernährungstherapie neurochirurgischer Patienten nach elektiven mittelliniennahen Eingriffen J. Piek, W. 1. Bock Neurochirurgische UniversitätsklinikDüsseldorf

Total Parenteral Nutrition of Neurosurgery Patients after Elective Midline Surgery Summary The authors report on their results of total parenteral nutrition (TPN) which was performed in a group of 11 comatose patients following elective neurosurgery of different midline lesions (e. g. tumours, aneurysms of the anterior communicating artery). Carbohydrates were adrninistered from day 1 postoperatively in a dose of 18-24 kcal/kg BW/day. Amino acids were given as a commercially available 12.5 O/o solution (1.4-1.83 g/kg BW/day). Daily routine laboratory values were measured as well as levels of total Serum protein, albumin, prealbumin, and retinol-binding protein. Free amino acids in plasma were measured on the day of operation and on day 3, 5, and 7 postoperatively. Renal nitrogen loss was high with maximal values up to 30 grn/day. By TPN cumulative nitrogen balance remained positive until day 2 and was reduced to -61.8 g at the end of the study period. Short-lived serurn proteins remained normal. Free FAA's in plasma increased steadily with their highest levels on day 5 and 7 (twice the normal range). Besides slight elevation of liver enzyrnes and mild hyperglycaemia, no severe changes were observed in routine laboratory Parameters. - The authors conclude that severe catabolism is a common feature in comatose patients after elective midline surgery and is comparable to catabolism following brain injuries. TPN is well indicated in this group as it preserves visceral protein levels and reduces nitrogen loss without severe side effects.

Fragestellung Die parenterale Ernährung neurochirurgischer Patienten hat in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse gefunden. Insbesondere beschäftigte man sich in diesem Rahmen mit der Ernährungsbehandlung von PatienAnästhesiol. Inrensivmed. Notfdlmed. Schmerzther. 26 (1991) 148-155 O Georg Thierne Verlag Stuttgart . New York

Zusammenfassung 11 Patienten, die elektiv wegen verschiedener Erkrankungen des ZNS im Bereich der Mittellinie operiert wurden (Aneurysmen, Hirntumoren), mußten wegen eines protrahierten postoperativen Verlaufs beatmet und parenteral ernährt werden. Das Ernährungsregime umfaßte ab dem 1. postoperativen Tag die Gabe von Zuckeraustauschstoffen und Glukose (18-24 kcal/ kg/Tag) sowie die Gabe von 1000 ml einer 12,s O/oigen Aminosäurenlösung (entsprechend 1,4-1,8 g/AS/kg/ Tag). Neben den Standardlaborparametern wurden als Parameter des Proteinstoffwechsels Gesamteiweiß, Albumin, Präalbumin und retinobindendes Protein täglich sowie das Pattern der freien Plasmaaminosäuren vor Ernährungsbeginn und am 3., 5. und 7. Tag bestimmt. Insgesamt zeigten sämtliche Patienten eine erhöhte renale Stickstoffausscheidung mit maximalen Werten von 20-30 g/Tag in der 2. Hälfte der Untersuchungsperiode. Durch parenterale Ernährung konnte die kumulative Stickstoffbilanz auf -61,8 g über die Studiendauer unter Bewahrung der kurzlebigen Funktionsproteine reduziert werden. Das Pattern der freien Plasmaaminosäuren zeigte maximale Abweichungen bis zum zweifachen des Normwertes einzelner Aminosäuren zwischen dem 5. und 7. Tag. Erhebliche Abweichungen der Standardlaborparameter fanden sich - bis auf eine mäßige Erhöhung der Leberenzyme - nicht. - Die Autoren schließen hieraus, daR Patienten nach elektiven neurochirurgischen Eingriffen im Mittellinienbereich sich in einer dem Schädel-Hirn-Trauma vergleichbaren katabolen Situation befinden. Unter einer verbrauchsorientierten Ernährungsbehandlung können die Veränderungen im Proteinhaushalt weitgehend normalisiert, die negativen Stickstoffbilanzen jedoch trotz hoher Zufuhr an Aminosäuren nur zum Teil ausgeglichen werden

ten mit Schädel-Hirn-Traumen, da die durch das Trauma hervorgerufenen pathophysiologischen und pathobiochemischen Veränderungen hier am ausgeprägtesten und eine Ernährungstherapie dieser Patientengruppe am sinnvollsten erschien. Die Ernährungstherapie anderer Patienten mit zentralen Regulationsstörungen hat demgegenüber wissenschaftlich kaum Beachtung gefunden, obwohl im neurochirurgischen Krankengut Patienten mit Schädel-Hirn-Trau-

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men nur einen relativ geringen Anteil ausmachen. So werden z.Z. auf der eigenen Intensivstation gegenüber 17-22% an Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen etwa 50 010 der Patienten nach elektiven neurochirurgischen Eigriffen und Ca. 20 O/o nach spontanen intrazrebralen Blutungen behandelt. Ein größerer Teil dieser Patienten muß zumindest vorübergehend - parenteral ernährt werden. Systematische Untersuchungen zur parenteralen Ernährung dieser speziellen Patientengruppen fehlen unseres Wissens nach in der Literatur.

Tab. 1 Daten der Patientengruppe Initialen

1 Diagnose

Geschecht männl.

l ~ u m o3. r Ventrikel Pericallosa-Aneurysma Comm. Ant. Aneurysma Comm. Ant. Aneurysma Comrn. Ant. Aneurysma Comm. Ant. Aneurysma frontomediales Angiom Kraniopharyngeom Pinealom Comm. Ant. Aneurysma Comrn. Ant. Aneurysma

weibl. männl. männl. weibl. weibl. männl. männl. rnännl. männl. weibl.

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es daher, den Effekt einer Ernährungsbehandlung bei Patienten nach elektiven neurochirurgischen Eingriffen zu untersuchen. Material und Methoden

Tab. 2 Verwendetes Ernährungsregime

Patientengrupbe

Tag 0: Tagl:

Untersucht wurden 11 Patienten, welche neurochirurgisch elektiv wegen verschiedener Erkrankungen operiert wurden und wegen einer verzögerten postoperativen Rekonvaleszenz während der ersten sieben postoperativen Tage parenteral ernährt werden mußten (Patientendaten in Tab. 1).

Behandlung Sämtliche Patienten wurden während des gesamten Untersuchungszeitraums aus pulmonaler oder neurochirurgischer Indikation kontrolliert oder mit einer SW-Frequenz von -lO/min assistiert beatmet. Die Adaptation an den Respirator wurde durch eine kontinuierliche Sedierung (Neuroleptanalgesie + ggf. Midazolam) erzielt. Patienten mit Subarachnoidalblutungen erhielten Nimodipin in einer Dosis von 5- 10 ml/h. Die spezielle neurochirurgische Behandlung urnfaßte neben dem Primäreingriff die Anlage einer Ventrikeldrainage wegen eines sich entwickelnden Hydrozephalus in zwei Fällen. Die Ernährungsbehandlung wurde nach diesem Eingriff weitergefuhrt. Erhöhte Hirndruckwerte wurden durch kontrollierte Hyperventilation mit PCOr Werten um 30 mmHg, ggf. durch Liquordrainage und einzelne Bolusgaben von 20 Oloiger Mannitlösung, therapiert. Alle Patienten erhielten Dexarnethason (3-4x 8 mg/die).

+

freie Flilssigkeit Elektrolyte 1000mlGU(24% 500 ml AS 12,5 Olo Tag 2: 1000 ml GLX 40 % 1000mlAS 12,5% 500 ml G D 40 YO Tag 3: 500 rnl GLC 40 % 1000 ml AS 12,5 OO / ab Tag 4: 1000 ml GLC 40°/o 1000rnlAS 12,5%

+ Flüssigkeit. Elektrolyte, Blut(-bestandteile)nach Bedarf GU(=Glukose/Lävulose/Xylit-Lösung (2:l:l) GLC=Glukoselösung AS=Aminosäurelösung Aminosäurelösung L-lsoleucin 7,31 g L-Leucin 7,80 g L-Lysin-Monoacetat 12,53 g L-Methionin 5.85 g L-Phenylalanin 6.75 g L-Threonin 6,25 g L-Tryptophan 2,50 g L-Valin 6,25 g L-Arginin 12,08 g L-Histidin 4,139 19.38 g L-Alanin L-(+)-Glutaminsäure 6,25 g Glycin 9,44 g

L-Prolin L-Ornithinmonohydrochlorid L-Aspartinsäure L-Serin N-Acetyl-L-Tyrosin Aminosäuren gesamt: in 1000 ml

938 g 3,02 g 2.39 g 0,84 g 250 g 125 g

Ernährungsbehandlung Meßparameter Die Patienten wurden einheitlich nach einem festen Ernährungsregime während des gesamten Untersuchungszeitraums voll parenteral ernährt (Tab. 2). Hierbei wurden am Operationstag nur k~hlenh~dratfreie Elektrolytlösungen und Blut(bestandtei1e) zugefuhrt. Die Energiezufuhr erfolgte ausschließlich durch Kohlenhydratlösungen, wobei diese in der Fnihphase des PostaggressionsstofC wechsels teilweise in Form von Zuckeraustauschstoffen vorgenommen wurde. Die Zufuhr von Aminosäuren erfolgte ab dem 1. postoperativen Tag in Form einer kohlenhydratfreien 12,s Oloigen Aminosäurenlösung (Aminomel 12,s O/o Salvia, Boehringer Mannheim GmbH) in einer Dosierung von 1,4-1,8 g/kg KG/Tag.

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Die Gewinnung der Blutproben erfoigte stets aus arteriellen Kanülen nach Verwurf von 5 ml Blut. Die Standardlaborparameter wurden direkt im klinkeigenen Labor gemessen. Für die Analyse der kurzlebigen Proteine sowie der Plasmaaminosäuren wurde Blut sofort Zentrifugiert und der Uberstand bei -28 "Ceingefroren.

Für die Analytik der Plasmaaminosäuren erfolgte zuvor eine Enteiweißung mit 10 O10iger Sulfosalizylsäure (1: 1). Zur Bestimmung der Urinparameter wurde der mit Thymol stabilisierte Sammelurin verwendet. Die Tagesurinmenge wurde gründlich vermischt und ebenfalls bis zur definitiven Analytik bei -28 "C gelagert.

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Verbrauchsorientievte Emährungstherapie

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J. Piek, W.J. Bock

Ergebnisse der Standardlaborparameter (signifikante Abweichungen vom Normalwert sind mit gekennzeichnet)

Parameter Einheit (Normwert) ~ämoglobin (12-16 gll) Hämatokrit (42-46 %) Leukozyten (4000-8000

X

106/L)

Thrombozyten (150-300 X 106/L) Glukose (2,8-5,3 rnrnolll) SGOT (5- 15 UII) SGFT (5- 19 UII) Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

alk. Phosph. (40-190 ull) LDH (120-240 UII) Y-GT (4-28 UII) Bilirubin ges. ( < 17,l ymolll) Harnstoff (3,O-8,3 mmolll) Kreatinin ( < 130 ymolll) Ges.-Eiweiß (65-80 gll) Natrium (130-1 51 mmolll) Kalium (3,8-5.0 mmolll) Calcium (2,O-2,6 mmol/l) Albumin (35-50 g/l) Präalbumin (0,l-0,4 gll) Rb-Protein (0,03-0,06 911)

Neben den üblichen Laborparametern wurden an Parametern des Eiweif3stoffwechsels täglich Gesamteiweiß, Albumin, von den kurzlebigen Funktionsproteinen Präalbumin und retinolbindendes Protein (radiale Immunodiffusion auf Partigenplättchen, Fa. Behring, Marburg) bestimmt. Ferner wurde vor Ernährungsbeginn sowie am 3., 5. und 7. Tag eine Analyse des Arninogramms der freien Plasmaaminosäuren (ionenaustauschchromatographische Bestimmung auf einem Autoanalysator Typ LC, Fa. Biotronik, München) vorgenommen. Aus dem mit Thymol stabilisierten 2Ch-Sammelurin wurde der Stickstoffgehalt nach K)eldahl (40) bestimmt und die tägliche renale Stickstoffausscheidung errechnet.

Die Bestimmung der Standardlaborparameter erfolgte im klinikeigenen Labor: Die Bestimmung von Hämoglobin, Härnatokrit und der übrigen korpuskulären Blutbestandteile wurde über das Prinzip der elektrischen Leitfähigkeitsmessung mit dem Zellcounter CC 180 (Toa Medical Electronics, Hamburg) vorgenommen. Die Messung von Natrium, Kalium, Glukose, Gesamtbilirubin, SGOT, SGIT, Harnstoff, Kreatinin und Gesamteiweii3 erfolgte auf dem Autoanalyzer Astra 8 (Beckman Instruments GmbH, München).

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Statistische Verfahren Da aufgrund der niedrigen Patientenzahl keine sicheren Aussagen über die Verteilung der Meßwerte getroffen werden konnte, wurde als verteilungsunabhängiger Test für unabhängige Stichproben zum Vergleich der beobachteten mit der theoretischen Verteilung der Kolmogoroff-Smirnoff-Test verwendet. Das Signifikanzniveau wurde hierbei auf p

[Total parenteral nutrition of neurosurgical patients following elective midline surgery].

The authors report on their results of total parenteral nutrition (TPN) which was performed in a group of 11 comatose patients following elective neur...
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