Kasuistiken Toxic-Schock-Syndrom (TSS) infolge Osteomyelitis M. Rey, D. Wölfel, J. Scharf, G. Zeilinger, J. Plettl-Maar Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. K. Stehr)
Zusammenfassung
Ein II % Jahre altes Mädchen erkrankte an einem Toxic-Schock-Syndrom (TSS) infolge einer Osteomyelitis. Die Symptomatik umfaßte einen massiven Blutdruckabfall mit Zentralisation, Petechien und Hämatomen v. a. an den unteren Extremitäten sowie eine Hyperämie der Mundschleimhaut und des Rachens; in diesem Bereich kam es innerhalb kurzer Zeit zu starken, lokal nicht stillbaren Blutungen. Innerhalb der ersten 24 Stunden mußten der Patientin ca. 15 I kolloidale Lösungen (350 ml/kg), hauptsächlich in Form von Gefrierplasma, zur Blutdruckstabilisierung infundiert werden. Die Gefahr der Verschlimmerung eines "adult respiratory distress syndrom" (ARDS) durch Rückflutung der v. a. interstitiell abgelagerten Flüssigkeit konnte durch den Einsatz der kontinuierlichen veno-venösen Hämofiltration (CVVH) abgewendet werden. Toxic-Shock-Syndrom (TSS) following Osteomyelitis
An 11% year old girl contracted ToxicShock-Syndrom following osteomyelitis. The symptomes comprised a severe fall in blood-pressure with centralisation, petechiae and haematoma particularly in the lower extremities, hyperaemia of the oral mucosa and of the throat with profuse and unstaunchable bleeding in this area within in a short period of time. In order to stabilise the blood-pressure the patient had be given approx. 15 I colloidal solution (350 ml/kg) intravenously, mainly frozen-plasma. The risk of aggravation of a pulmonary failure along the Iines of ARDS particularly due to the back ward flow of the interstitial deposited fluid was avoided by the use of continuous veno-venous haemofiltration (CVVH).
Einführung
1978 wurde erstmals von Todd und Mitarbeitern (22) ein TSS als akut auftretendes, schweres klinisches Krankheitsbild beschrieben, bei dem ein Zusammenhang mit Staphylococcus aureus-Infektion gefunden werden konnte.
Klin. Pädiatr. 203 (1991) 178-183 © 1991 F. Enke Verlag Stuttgart
In 830,10 der Fälle erkrankten junge Frauen während der Menstruation, ein signifikanter Zusammenhang mit Tamponbenutzung konnte nachgewiesen werden. Im Kindesalter wird das TSS selten diagnostiziert. Die Mehrzahl der beobachteten Fälle hatten einen schwereren Verlauf als bei Erwachsenen, insbesondere liegt eine höhere Inzidenz für die Ausbildung eines ARDS vor (27). Kleine Hautverletzungen, Pharyngitis und chirurgische Wunden waren die meistgenannten Eintrittspforten. Es soll der Fall eines II % Jahre alten Mädchens vorgestellt werden, das infolge einer Osteomyelitis im Bereich des linken Unterschenkels ein TSS entwikkelte.
Anamnese
Es handelt sich um das zweite Kind gesunder Eltern. Außer Scharlach, Keuchhusten, Windpocken, Masern und Mumps sei die Patientin noch nie schwer krank gewesen. Menarche noch nicht eingetreten. 5 Tage vor der Aufnahme habe sich das Kind am Knie gestoßen, am folgenden Tag bestanden heftige Knieschmerzen, daher Vorstellung bei einem Orthopäden. 3 Tage vor Aufnahme war das Kind fast gehunfähig, eine Röntgenaufnahme ergab keine Klärung, es erfolgte eine Therapie mit Diclofenac, was jedoch keine Besserung erbrachte. Noch am gleichen Tag trat ein fein fleckiges Exanthem auf, was als Allergie auf Diclofenac gedeutet wurde; die Therapie wurde mit Acetylhydroxyprolin fortgesetzt. Am Tag vor der Aufnahme waren die Knieschmerzen verschwunden, nachmittags traten heftige Bauchschmerzen ein. Am Morgen des Aufnahmetages wurden von den Eltern blaue Flecken im Glutealbereich beobachtet, der hinzugerufene Notarzt brachte die Patientin in ein auswärtiges Krankenhaus. Dort trat innerhalb von 2 Stunden ein Kreislaufschock ein, die Patientin wurde noch notfallmäßig oral intubiert und in die Universitätskinderklinik Erlangen verlegt.
Befund
Ca. 40 kg schweres, moribundes Mädchen. Orotracheal intubiert. Herzfrquenz 220/min, kein Herzgeräusch, Blutdruck nicht meßbar, keine tastbaren Pulse. Extremitäten weiß und kalt, Rekapillarisierungszeit ca. 5 sec. Zartes scarlatiniformes Exanthem, vor allem am Stamm. Petechiale Einblutungen vor allem an den unteren
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Toxic-Schock-Syndrom (TSS) in/olge Osteomyelitis
Klin. Pädiatr. 203 (1991)
Laborwerte: BKS 115/145 mm n. W., Hämoglobin 9,8 g/dl, Erythrozyten 4,25 Mio/mm 3 , Hämatokrit 31,4 OJo, Leukozyten 7000/mm 3 mit massiver Linksverschiebung (Differentialblutbild: 36% Stabkernige, 44% Segmentkernige, 10 % Lymphozyten, 10 % Metamyelozyten, toxische Granula), Thrombozyten 50000/ mm 3 • C-reaktives Protein 14 mg/dl, Gesamtbilirubin 1,3 mg/dl (direkter Anteil 0,4 mg/dl), Natrium 129 mval/I, Kalium 5,2 mval/I, Kalzium 1,2 mmol/I, Chlorid 81 mval/I. Harnstoff 65 mg/dl, Kreatinin 5,6 mg/dl, Gesamteiweiß 2,9 g/dl. Quick 41%, PTT 69,7 sec, Thrombinzeit 15,7 sec, Fibrinogen 302 mg/dl, Thrombincoagu-
Klinischer Verlauf ( 1. Woche) 250.--------------;============::;:-1 -
Pul. (1/.. ln(
-+- .. 1111.
200
AA (.... Hg(
150
100
lasezeit 12,6 sec. GOT 1314 U/I, GPT 420 U/I, CK 2860 U/I, gamma-GT und alkalische Phosphatase im Normbereich. Immunglobuline unauffällig. Blutkulturen: Staphylococcus aureus. Anti-Toxic-shock-Syndrom-Toxin-l (TSST-l)-Titer: Kleiner 1:25, bei Kontrolle kein Titeranstieg. Therapie und Verlauf Die ersten Tage waren gekennzeichnet durch einen massiven Volumenbedarf, bedingt durch ein Kapillarleck sowie durch extreme diffuse SchleimhautblulUngen in Mund-Nasen-Rachenraum und im Ösophagus. Therapeutisch wurden unter Kontrolle des zentralen Venendrucks Fresh-Frozen-Plasma, Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate sowie Humanalbuminlösungen verabreicht, insgesamt erhielt die Patientin in den ersten 24 Stunden 15 Liter kolloidale Lösungen entsprechend 350 ml/kg KG. Medikamentös mußten zur Unterstützung des Blutdrucks Dopamin, Dobutamin, Adrenalin sowie Noradrenalin eingesetzt werden, die beiden letzteren konnten am 2. Tag des stationären Aufenthaltes wieder abgesetzt werden. Wegen der massiven Blutung aus der Nase wurde eine Bellocq-Tamponade angelegt. Bei der Gastroskopie fand sich eine ausgeprägte ulzerierende Ösophagitis, der Magen war mit einem großen Blutkoagel ausgefüllt. Die wesentlichen Therapiernaßnahmen sind in der Abb. la, 1b dargestellt, darüber hinaus wurde die Patientin mit 10 E/ kg h heparinisiert. Es wurde Antithrombin III ersetzt, in den ersten beiden Tagen wurden Glukokortikoide (2 mg/
Therapie sealmung
Rel"lerung~
Schleimhautblutungen
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Perllonealdlalyee Petechien
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Pleuradrainagen
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Hllmollilralion Sedierung Dopamln Dlureae
25
Dobutamin
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Noradrenalin WN//!J'N//#/////#/;,:J Kon.erven (ca. 250 ml)
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20
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20
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Ery-Konqntr.t
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HI..oglobln 19/dll
2g"
-+- Leukozylen
30.'.
01000
1.7.
2.7.
- - Thro..bozylen 010000
26.6.
Abb. 1a
Klinischer Verlauf während der ersten Woche
27.6.
26.6.
29.6.
30.6.
1.7.
2.7.
Abb. 1b Die Wichtigsten Therapiemaßnahmen sowie die lnfusIonsmengen während der ersten Woche
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Extremitäten, großflächige Ekchymosen im Glutealbereieh. Hyperämie der Mund- und Rachenschleimhaut mit vereinzelten Blutungen. Konjunktivitis beidseits, Pupillen mittelweit, regelrechte Lichtreaktion. Geblähtes Abdomen, keine Darmgeräusche, keine Resistenzen. Rektal 38,9°C.
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Toxic-Schock-Syndrom (TSS) infolge Osteomyelitis
Diskussion 1978 beschrieben Todd und Mitarbeiter (22) eine Krankheitsentität als "Toxic-shock-Syndrom", bei dem ein Zusammenhang mit Staphylococcus aureus der Phagengruppe I gezeigt werden konnte. 1981 konnten 2 Arbeitsgruppen unabhängig voneinander ein Toxin isolieren und beschreiben (4, 18), für das 1984 der Name TSST-l akzeptiert wurde (3). Im Tierversuch erwies sich dieses Toxin als pyrogen (18), kardiodepressiv (9), nach subcutaner Injektion kam es bei sensibilisierten Kaninchen zunächst zu erythematösen und ödematösen Hautreaktionen, 4 bis 5 Tage später dann zu Hautabschälungen (17). Neben diesen Endotoxin-Wirkungen besitzt TSST-l einen sehr starken immunmodulatorischen Effekt; beeinflußt werden die Produktion von Interleukinen (11), Immunglobulinen (17), die Stimulation von T-Zellen (26), die Proliferation von B-Zellen (16), die bakterizide Funktion von Granulozyten (5). Die Gabe von Anti-TSST-l kann die Entwicklung der typischen Symptome dieser Erkrankung verhindern (14). Die pathogenetischen Schritte des TSS könnten folgendermaßen aussehen: Nach Besiedlung mit Staphylococcus aureus (z. B. Vagina, OP-Wunden, Pharyngitis) kann es zur Toxin-Produktion kommen. Patienten, die einen hohen Anti-TSST-l-Titer haben, entwickeln kein TSS, da bei ihnen das Toxin neutralisiert wird. Bei dem kleinen Anteil der Patienten, die keine Antikörper gegen TSST-l bilden, gelangt das Toxin in größeren Mengen in die Zirkulation. Über einen direkten toxischen Effekt an Epithelien und Endothelien kommt es zum Austritt von intravasaler Flüssigkeit ins Interstitium mit nachfolgender Hypotension. Ebenso wird das Herz direkt durch das Toxin geschädigt. Der immunmodulatorische Effekt des TSST-l über Macrophagen und T-Zellen führt u. a. zur Produktion von endogenen Mediatoren (z. B. Interleukine), durch welche eine weitere Schädigung an den verschiedenen Organen eintreten kann. Beim TSS handelt es sich aber nicht um eine neue Erkrankung, sondern bereits 1927 wurde von Stevens (20) die Krankheitsgeschichte von 3 Kindern ver-
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öffentlicht, bei denen im Rahmen einer Staphylokokkeninfektion ein scarlatiniformes Exanthem auftrat. Nach der Veröffentlichung von Todd (22) wurden zahlreiche Krankheitsfälle beschrieben, bei denen in 75- 100 010 der Fälle junge Frauen während der Menstruation betroffen waren, besonders wenn sie Tampons benutzten (19, 24, 25). Im Kindesalter wird das TSS selten diagnostiziert. Die Mehrzahl der beobachteten Fälle hatten einen schwereren Verlauf als bei Erwachsenen (13). Kleine Hautverletzungen, Pharyngitis und chirurgische Wunden waren die meist genannten Infektionsherde. Die Diagnose des Toxic-shock-Syndroms stützt sich vor allem auf klinische Symptome (s. Tab. 1), die wir auch bei unserer Patientin sahen. Nach Peters (15) ist letztlich der Nachweis der Fähigkeit zur TSST-I-Bil-
Tab. 1
Kriterien des Toxic-Shock-Syndroms (61
1. Temperatur über 38,9°C 2. generalisiertes feinfleckiges Exanthem 3. Desquamation an Fußsohlen und HandInnenflächen 1-2 Wochen nach KrankheitsbegInn 4. Hypotonie (syst. Blutdruck