Übersicht

Therapiemöglichkeiten bei Nystagmus Treatment Options for Nystagmus

Autor

H. Tegetmeyer

Institut

Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig AöR

Schlüsselwörter " Neuroophthalmologie l " frühkindlicher Nystagmus l " erworbener Nystagmus l " Augenbewegungen l " Oszillopsie l

Zusammenfassung

Abstract

!

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Die Therapie des Nystagmus ist auf die Reduktion oder Beseitigung der folgenden typischen, mit dem Nystagmus verbundenen Beschwerden gerichtet: 1) Visusminderung (bei kindlichem Nystagmus Amblyopie möglich), 2) Kopfzwangshaltung (sekundäre Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule möglich), 3) Oszillopsie (oft verbunden mit Schwindel, Gang- und Orientierungsstörungen). Als Behandlungsmöglichkeiten stehen optische Hilfsmittel, operative Eingriffe und medikamentöse Therapien zur Verfügung, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Ursache des Nystagmus Anwendung finden. Operative Therapien: Als operative Möglichkeiten haben sich etabliert: 1) die kombinierte Konvergenzoperation am Führungsauge beim frühkindlichen Schielsyndrom mit Kopfzwangshaltung durch Nystagmus latens, 2) die Kestenbaum-Operation beider Augen bei frühkindlichem Nystagmus (Reduktion der Kopfzwangshaltung durch Verlagerung der Neutralzone in Primärposition), 3) die kombinierte Konvergenzoperation zur Erzeugung einer artifiziellen Exophorie bei frühkindlichem Nystagmus. Pharmakologische Therapien: Folgende Pharmaka haben günstige Effekte (Visusverbesserung) erzielt (off label use!): 1) Gabapentin (GABAerge und antiglutamaterge Wirkung): Dosierung bis 2400 mg/d bei frühkindlichem Nystagmus, auch bei erworbenem Fixationspendelnystagmus und okulopalatalem Tremor, 2) Memantin (antiglutamaterge Wirkung): Dosierung bis 40 mg/d bei frühkindlichem Nystagmus, auch bei erworbenem Fixationspendelnystagmus und okulopalatalem Tremor, 3) Baclofen (GABA‑B-Rezeptor-Agonist): Dosierung 3 × 5–10 mg/d bei periodisch alternierendem Nystagmus und bei Upbeat-Nystagmus, 4) 4-Aminopyridin (Blocker der spannungsabhängigen Kaliumkanalaktivierung insbesondere von Purkinje-Zellen im Kleinhirn):

The goal of treatment for nystagmus is to reduce or to abolish the typical symptoms associated with nystagmus. These are (i) reduction of visual acuity (and amblyopia in infantile nystagmus), (ii) abnormal head posture (with possible secondary changes of cervical spine) and (iii) oscillopsia (often connected with vertigo and disorders of gait and orientation). Treatment strategies include pharmacological treatment, surgical therapy and optical devices. Choice of treatment depends on the type of nystagmus and its characteristics. Surgical therapy: The following surgical procedures were successfully used as treatment of selected symptoms: (i) unilateral recess-resect surgery of the dominant eye in infantile esotropia with latent nystagmus for the relief of abnormal head posture, (ii) Kestenbaum operation of both eyes in infantile nystagmus syndrome with excentric null zone and abnormal head posture, (iii) recess-resect surgery to produce artificial exophoria in infantile nystagmus syndrome. Pharmacological treatment: Depending on the pathophysiology of different types of nystagmus, several drugs were effective in clinical application (off-label use): (i) gabapentin (non-selective GABAergic and anti-glutamatergic effect): up to 2400 mg/d in infantile nystagmus, acquired pendular nystagmus and oculopalatal tremor, (ii) nemantine (anti-glutamatergic effect): dosage up to 40 mg/d in infantile nystagmus, also in acquired pendular nystagmus and oculopalatal tremor, (iii) baclofen (GABA‑B-receptor agonist): 3 × 5–10 mg/d in periodic alternating nystagmus and in upbeat nystagmus, (iv) 4-aminopyridine (non-selective blocker of voltage-gated potassium channels): 3 × 5 mg/d or 1–2 × 10 mg Fampridin in downbeat nystagmus and upbeat nystagmus, (v) acetazolamide (carbonic anhydrase inhibitor): in hereditary episodic ataxia type 2.

Key words " neuro‑ophthalmology l " infantile nystagmus l " acquired nystagmus l " eye movements l " oscillopsia l

eingereicht 7. 5. 2014 akzeptiert 12. 5. 2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1368638 Online-publiziert 14.8.2014 Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 174–180 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Helmut Tegetmeyer Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebigstr. 10–14 04103 Leipzig Tel.: + 49/3 41/9 72 16 50 Fax: + 49/3 41/9 72 16 59 [email protected]

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Dosierung 3 × 5 mg/d bzw. 1–2 × 10 mg/d Fampridin (Fampyra®) bei Downbeat-Nystagmus und bei Upbeat-Nystagmus, 5) Acetazolamid (Carboanhydrasehemmer): bei hereditärer episodischen Ataxie Typ 2. Optische Hilfsmittel: 1) Kontaktlinsen werden bei frühkindlichem Nystagmus eingesetzt, um bei Seitblick, Kopfzwangshaltung oder bei höheren Refraktionsfehlern einen besseren Visus als mit Brille zu ermöglichen. 2) Prismen finden Anwendung zur Erzeugung einer artifiziellen Exophorie oder zur Verlagerung der Neutralzone des frühkindlichen Nystagmus bei leichten Kopfzwangshaltungen. 3) Vergrößernde Sehhilfen können zur Rehabilitation je nach Vergrößerungsbedarf eingesetzt werden.

Optical devices: (i) Contact lenses are used in infantile nystagmus in order to overcome negative effects of eye glasses in abnormal head posture, lateral gaze, and higher refractive errors, (ii) spectacle prisms are useful to induce an artificial exophoria (base-out prisms) or to shift an excentric null zone (base in direction of head posture) of infantile nystagmus with abnormal head posture, (iii) low vision aids may be necessary and should be prescribed according to magnification requirements.

Einleitung

tion des Seheindrucks beider Augen während der Entwicklung der Stereopsis (z. B. Schielen, monokulare Deprivation) verhindert. Dadurch bleibt die asymmetrische Reaktion des optokinetischen Reflexes bei monokularer Reizung mit Bevorzugung temporonasaler Stimuli erhalten und führt zu einer Drift des Bulbus nach nasal [1]. Die Amplitude des Nystagmus latens nimmt bei Abduktion des fixierenden Auges zu und bei Adduktion ab. Deshalb wird zur Beruhigung des Nystagmus häufig eine Kopfhaltung zur Seite des fixierenden Auges eingenommen. Die kombinierte Konvergenzoperation (Rücklagerung des M. rectus medialis, Resektion oder Faltung des M. rectus lateralis) wird bei Esotropie i. d. R. am nicht führenden Auge eingesetzt, wenn keine Kopfzwangshaltung vorliegt. Die Zielstellung der kombinierten Konvergenzoperation am Führungsauge besteht in der Beseitigung einer derartigen Kopfzwangshaltung, wenn sie durch einen erheblichen Nystagmus latens am Führungsauge bei frühkindlichem Strabismus verursacht wird. Die Operation kann dann eingesetzt werden, wenn eine Esotropie vorliegt und das Führungsauge des Patienten in Primärposition einen manifesten Nystagmus latens aufweist, der sich in Adduktion beruhigt. Dementsprechend nimmt der Patient eine Kopfzwangshaltung zur Seite des fixierenden Auges ein. Durch die kombinierte Konvergenzoperation werden der Esotropiewinkel reduziert und eine Beruhigung des Nystagmus latens am Führungsauge erreicht [2].

!

Die Behandlung der verschiedenen Nystagmusformen ist auf die Linderung oder Beseitigung der mit dem Nystagmus verbundenen Funktionseinschränkungen und Beschwerden gerichtet. Folgende typische, durch Nystagmus verursachte Beschwerden können isoliert oder in Kombination auftreten: 1. Eine Visusreduktion durch die Fixationsstörung, die von der nystagmusbedingten Bildverschiebung auf der Netzhaut verursacht wird. Beim frühkindlichen Nystagmus kann diese Fixationsstörung zusätzlich eine Amblyopie verursachen. 2. Eine Kopfzwangshaltung, die dann entsteht, wenn es durch eine Blickabweichung von der Primärposition zur Nystagmusberuhigung und damit zur Visusverbesserung kommt. Eine anhaltende Kopfzwangshaltung kann sekundär zu Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule und der Halsmuskulatur führen. 3. Eine Oszillopsie, die oft mit Schwindelerscheinungen, Gangstörungen und Orientierungsstörungen verbunden ist. Das Auftreten einer Oszillopsie ist für den erworbenen Nystagmus typisch und tritt beim frühkindlichen Nystagmus i. d. R. nicht auf. Zur Behandlung der genannten Beschwerden stehen operative und medikamentöse Behandlungsmethoden sowie die Verwendung optischer Hilfsmittel zur Verfügung. Die einzelnen Methoden sind i. d. R. nur bei ausgewählten Formen des Nystagmus erfolgreich. In den meisten Fällen ist nur eine Linderung der Beschwerden möglich.

Operative Therapieverfahren !

Als operative Therapieverfahren werden Augenmuskeloperationen zur Beruhigung der Nystagmusintensität oder zur Beseitigung einer nystagmusbedingten Kopfzwangshaltung bei frühkindlichen Nystagmusformen eingesetzt. Die folgenden 4 Operationsmethoden finden auf Grundlage theoretisch begründeter Wirkprinzipien bei ausgewählten Nystagmusformen Anwendung.

Die kombinierte Konvergenzoperation am Führungsauge beim frühkindlichen Schielsyndrom mit Nystagmus latens Beim Nystagmus latens handelt es sich um einen Rucknystagmus zur Seite des fixierenden Auges, der bei Abdecken des anderen Auges manifest wird oder verstärkt wird. Ursache dieser Nystagmusform ist die ausbleibende Entwicklung binokular erregbarer Neurone im primären visuellen Kortex durch fehlende horizontale Verbindungen zwischen den Dominanzkolumnen beider Augen. Die Entwicklung dieser Verbindung wird durch Dekorrela-

Die Kestenbaum-Operation beim frühkindlichen Nystagmus Der frühkindliche Nystagmus entsteht in den ersten Lebensmonaten und ist entweder idiopathisch (einschließlich hereditärer Formen) oder durch bereits in den ersten Lebensmonaten manifeste, visuseinschränkende binokulare Erkrankungen bedingt. Der Nystagmus ist überwiegend horizontal und meist pendelförmig. Eine Nystagmusberuhigung wird häufig durch die Konvergenzstellung der Augen bei Nahfixation oder durch die Einnahme einer bestimmten Blickrichtung (Null- oder Neutralzone) erreicht. Wenn die Neutralzone vom Geradeausblick abweicht, wird zur Nystagmusberuhigung eine Kopfzwangshaltung eingenommen. Zielstellung der Kestenbaum-Operation ist die Beseitigung derartiger Kopfzwangshaltungen bei frühkindlichem Nystagmus. Dabei wird die Ruhelage beider Bulbi (Parallelverschiebung) in Richtung der Kopfzwangshaltung verschoben. Dadurch verlagert sich die Neutralzone des Nystagmus in Richtung Primärposition. Die Kestenbaum-Operation erfordert eine Operation an insgesamt 4 Augenmuskeln, nämlich eine Resektion oder Faltung der Augenmuskeln beider Augen, die bei Kopfzwangshaltung gedehnt sind, und eine Rücklagerung der Augenmuskeln beider Augen, die bei Kopfzwangshaltung kontrahiert sind [3].

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Tab. 1 Aktuelle Empfehlungen zur oralen Pharmakotherapie bei Nystagmus [9, 39, 50]. Nystagmusform

empfohlene Therapie (orale Gabe)

periodisch alternierender Nystagmus (PAN) Downbeat-Nystagmus (DBN)

Baclofen (3 × 5–10 mg/d)

Downbeat-Nystagmus bei hereditärer episodischer Ataxie Typ 2 Upbeat-Nystagmus (UBN) erworbener Fixationspendelnystagmus (APN) okulopalataler Tremor (OPT) mit APN frühkindlicher Nystagmus

4-Aminopyridin (3 × 5 mg/d) oder Fampridin (10–20 mg/d) (als Ersatz Chlorzoxazone 3 × 500 mg/d) Clonazepam (3 × 0,5 mg/d) Baclofen (3 × 10 mg/d) Acetazolamid (250–1 000 mg/d) 4-Aminopyridin (3 × 5 mg/d) Baclofen (3 × 5–10 mg/d) 4-Aminopyridin (3 × 5 mg/d) Memantin (4 × 10 mg/d) Gabapentin (4 × 300 mg/d) Memantin (4 × 10 mg/d) Gabapentin (4 × 300 mg/d) Gabapentin (bis 2 400 mg/d) Memantin (bis 40 mg/d)

Bei großen Kopfzwangshaltungen über 30° werden Operationsstrecken bis zu 10 mm pro Augenmuskel erforderlich. Die Effektivität der Operation (Winkeländerung pro Operationsstrecke) bez. der Änderung der Kopfzwangshaltung entspricht der Änderung der Augenstellung bei kombinierten Strabismusoperationen [4]. Vor einem operativen Eingriff ist eine Testung mit Prismen Basis in Richtung Kopfdrehung erforderlich, um die Möglichkeit eines positiven Effekts der Operation zu verifizieren.

aber der Nystagmusfrequenz. Dabei konnte, wenn überhaupt, nur ein geringer Visusanstieg verifiziert werden [8]. Als Nebeneffekt muss mit Erweiterungen der Lidspalten und einer Reduktion der Bulbusmotilität gerechnet werden. Derartige Effekte treten bei der Abtrennung und Wiederanheftung der Augenmuskeln nicht auf.

Pharmakologische Therapie !

Zur medikamentösen Behandlung des Nystagmus sind eine Vielzahl von Medikamenten eingesetzt worden, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Ursache des Nystagmus bei einem Teil der Patienten eine Nystagmusberuhigung erzielen konnten [9]. Kontrollierte Studien an großen, homogenen Patientenkollektiven liegen jedoch noch nicht vor. Derartige Untersuchungen werden insbesondere beim erworbenen Nystagmus durch die große interindividuelle Variabilität von Lokalisation und Ausdehnung der jeweiligen zentralnervösen Läsionen erschwert. Die eingesetzten Medikamente haben bisher keine Zulassung für die Nystagmusbehandlung und werden deshalb im Off-Label-Gebrauch eingesetzt. Wegen der Beeinflussung neuronaler Transmittersysteme ist mit zentralnervösen Nebenwirkungen zu rechnen, die i. d. R. eine einschleichende Dosierung, eine neurologische Überwachung und ggf. auch einen Therapieabbruch erfordern. Die aktuellen Empfehlungen zur Pharmakotherapie des Nystagmus sind den Guidelines der European Federation of Neurological " Tab. 1. Sciences (EFNS) zu entnehmen [9], siehe auch l Im Folgenden sollen pathogeneseorientierte Prinzipien der Pharmakotherapie häufiger Nystagmusformen erläutert werden.

Die kombinierte Konvergenzoperation beim frühkindlichen Nystagmus ohne Strabismus Zielstellung dieses Eingriffs ist die Verbesserung des Fernvisus durch Nystagmusberuhigung bei Konvergenzinnervation. Dazu wird i. d. R. eine kombinierte Konvergenzoperation eines Auges durchgeführt. Durch die operative Erzeugung einer artifiziellen Exophorie wird eine fusionale Konvergenz zur Vermeidung der Diplopie erzwungen. Vor einem derartigen Eingriff muss die Visusverbesserung durch Konvergenz mit Prismen Basis außen verifiziert werden. Weiterhin muss präoperativ mit Prismen durch Bestimmung der Fusionsbreite das mögliche Ausmaß der Exophorie festgelegt werden, um eine postoperative Diplopie zu vermeiden. Die Nystagmusberuhigung kann auch eine Kopfzwangshaltung verbessern. Bei ausgeprägter Kopfzwangshaltung ist eine Kombination mit einer Kestenbaum-Operation möglich [5].

Die Tenotomie und Wiederanheftung aller 4 horizontalen Augenmuskeln bei frühkindlichem Nystagmus Durch diesen Eingriff soll eine Visusverbesserung bei frühkindlichem Nystagmus erreicht werden; bei Frühoperationen wird auch die günstige Beeinflussung einer Amblyopieentwicklung angestrebt. Das Wirkprinzip des Verfahrens ist eine Nystagmusberuhigung mit Verlängerung der Foveationsperioden (kurze Zeiträume mit geringer Augenbewegungsgeschwindigkeit und Möglichkeit der Objektfixation). Diese Nystagmusberuhigung wird offenbar durch die Beeinflussung der Propriozeption der Augenmuskeln erreicht [6]. Eine weitere Methode ist die ausgedehnte symmetrische Rücklagerung aller horizontaler Muskeln. Vorgeschlagen werden 12 mm Rücklagerungsstrecke für die horizontalen und 10 mm für die medialen Mm. recti [7]. Im Ergebnis dieser Operationen kommt es zu einer Reduktion der Nystagmusamplitude, nicht

Pharmakologische Therapie des erworbenen Nystagmus !

Peripherer vestibulärer Nystagmus Ursache eines anhaltenden (nicht paroxysmalen) peripheren vestibulären Nystagmus ist i. d. R. ein akuter einseitiger Ausfall der vestibulären Afferenz („Neuronitis vestibularis“). Als Ursache des Ausfalls wird eine Aktivierung einer latenten HSV-1-Infektion des Ganglion vestibulare diskutiert [10]. In der Folge kommt es zu einer Fallneigung nach ipsilateral sowie zu einem horizontalen und torsionalen Rucknystagmus nach kontralateral. Danach zeigen sich eine spontane Remission bei intakter zentraler vestibulärer Kompensation und auch eine teilweise periphere Restitution. Die Fixationssuppression des Nystagmus ist in Primärposition nach ca. 1 Woche, bei Seitblick nach ca. 3 Wochen möglich. Die Therapiemaßnahmen sind deshalb akut symptomatisch (pharmakologische Dämpfung von Nausea und Vertigo). Eine antiinflammatorische Therapie mit Kortikosteroiden (beginnend mit 100 mg/d) hat im Gegensatz zur virostatischen Therapie zu einer Verbesserung der Langzeitergebnisse der Gleichgewichtsfunktion geführt [11]. Begleitende kompensationsfördernde physiotherapeutische Maßnahmen sind ebenfalls wirksam (vestibuläres Training und Balancetraining) [12].

Zentraler vestibulärer Nystagmus Periodisch alternierender Nystagmus (PAN) Typische Schädigungen beim PAN sind Läsionen im Bereich des posterioren Vermis cerebelli (Nodulus und Uvula). Als Ursachen kommen Kleinhirndegenerationen, Tumoren des Kleinhirns, kraniozervikale Anomalien, multiple Sklerose, Hirnstamminfarkte,

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Downbeat-Nystagmus (DBN) Typische Schädigungen, die zu einem DBN führen, sind Läsionen im Bereich des Flocculus cerebelli [17]. Als Ursachen eines DBN wurden nicht nur Kleinhirnschädigungen (Atrophie, Tumor, Infarkt, entzündliche Demyelinisierungen), sondern auch ArnoldChiari-Malformationen, Hirnstamminfarkte, toxisch-metabolische Schädigungen und „idiopathische“ Fälle beschrieben [18]. Der pathogenetische Mechanismus des DBN besteht in einer Störung der Kleinhirnhemmung der Erregungen von den vorderen Bogengängen, die kompensatorische Augenbewegungen nach oben bewirken. Der Ausfall der hemmenden Wirkung durch die Purkinje-Zellen des Flocculus führt zu einer Tonussteigerung des ipsilateralen M. rectus superior und des kontralateralen M. obliquus inferior [19]. Als Folge tritt eine Drift der Bulbi nach oben verbunden mit einem spontanen vertikalen Rucknystagmus nach unten auf, der durch Fixation nicht unterdrückt werden kann. Aus diesem Grund ist eine Hemmung der vestibulären Kerngebiete durch die systemische Applikation GABAerger Medikamente versucht worden. Durch Gabe des GABA‑A-RezeptorAgonisten Clonazepam (2 × 1,0 mg täglich) wurden Befundbesserungen des DBN beobachtet [20], der Einsatz des GABA‑B-Rezeptor-Agonisten Baclofen war jedoch nicht erfolgreich [21]. Als therapeutisches Prinzip zu Behandlung des DBN durch Kleinhirnschäden ist deshalb eine Steigerung der Aktivität der PurkinjeZellen anzustreben. Das kann mit 4-Aminopyridin (4-AP), einem Blocker der spannungsabhängigen Kaliumkanalaktivierung, insbesondere von Purkinje-Zellen im Kleinhirn [22], erreicht werden. Dadurch kommt es zu einer Aktivitätssteigerung der Purkinje-Zellen im Flocculus, welche die Enthemmung im oberen und medialen Vestibulariskerngebiet wieder reduzieren.4-AP findet deshalb mit Erfolg Anwendung bei zerebellär bedingtem DBN. Der Effekt von 4-AP auf den DBN konnte in einer kontrollierten Studie gesichert werden. Es wird mit einer Dosierung von 3 × 5 mg täglich oder in der Retardform (Fampridin) 1–2 × 10 mg täglich eingesetzt [23]. 4-AP ist als Fampridin (Fampyra®) in Form von 10-mg-Retardtabletten verfügbar und in der Europäischen Union zur Behandlung von Gehbehinderungen bei multipler Sklerose zugelassen. Insgesamt sprechen ca. 50% aller Patienten mit DBN auf 4-AP an. Dieser Sachverhalt ergibt sich offensichtlich daraus, dass eine Störung der hemmenden Bahnen außerhalb des

Kleinhirns nicht durch eine Aktivitätssteigerung der PurkinjeZellen kompensiert werden kann [24]. Da 4-AP in höherer Dosierung zu Verlängerungen der QT-Zeit und Herzrhythmusstörungen führen kann, kommt bei gefährdeten Patienten als Ersatzpräparat Chlorzoxazone (3 × 500 mg) infrage [25], das ebenfalls die Aktivität zerebellärer Purkinje-Zellen modifiziert. Eine Sonderform des DBN liegt bei der hereditären episodischen Ataxie vom Typ 2 vor. Hierbei handelt es sich um eine autosomaldominant vererbte Erkrankung, die durch einen Defekt im CACNA1A-Gen zu einer Störung des spannungsabhängigen Kalziumkanals Cav2.1 P/Q führt. Der DBN geht mit anfallsweisen Attacken von Ataxie, Vertigo und Nausea einher. Als Standardtherapie hat sich die orale Gabe von 250 bis 1000 mg/d Azetazolamid bewährt [26]. Bei Unverträglichkeit, Nebenwirkungen oder Therapieversagen von Carboanhydrasehemmern kann auch 4-AP (Dosierung 3 × 5 mg/d) mit gutem Erfolg eingesetzt werden [27].

Upbeat-Nystagmus (UBN) Typische Schädigungen bei UBN sind Läsionen im Bereich des ventralen tegmentalen Trakts der Pons (Brachium conjunctivum) und medulläre Läsionen mit Beteiligung des Nucleus vestibularis medialis (MVN) und des Nucleus praepositus hypoglossi (NPH). Häufige Ursachen, die zu diesen Schädigungen führen, sind Kleinhirndegeneration, medulläre Läsionen, Tumoren (Medulla, Mittelhirn), Wernicke-Enzephalopathie, multiple Sklerose, Hirnstamminfarkte [13]. Dadurch bedingte Störungen der Erregungsübertragung vom Nucleus vestibularis superior zum M. rectus superior führen zum Überwiegen des Tonus des M. rectus inferior und damit zu einer Bulbusdrift nach unten. In der Folge tritt ein spontaner vertikaler Rucknystagmus nach oben auf, der sich durch Fixation nicht unterdrücken lässt. Tierexperimentelle Modelle zur Erklärung der Pathogenese des UBN wurden nicht publiziert. In den meisten Fällen sistiert der UBN spontan nach einigen Wochen. Bei schweren oder anhaltenden Fällen werden empfohlen: Baclofen (3 × 5–10 mg/d), das über eine Hemmung des vestibulookulären Reflexes wirkt [28] (siehe Abschnitt zu PAN) und 4-AP (3 × 5 mg/d), das über die Aktivierung der Purkinje-Zellen wirkt [29] (siehe Abschnitt zu DBN).

Nystagmus durch Störung der visuellen Blickstabilisierung Erworbener Fixationspendelnystagmus (APN) Typische Schädigungsorte, die einen APN auslösen, sind Läsionen im Bereich des MVN, des NPH und deren Verbindungen mit anderen Kerngebieten. MVN und NPH wirken als neuronaler Integrator und ermöglichen die Blickstabilisierung bei Objektfixation. Als häufige Ursachen derartiger Läsionen werden zentrale Myelinisierungsstörungen, multiple Sklerose (oft mit internukleärer Ophthalmoplegie), Morbus Whipple, Hirnstamminfarkte und spinozerebelläre Degenerationen beschrieben [30]. Patienten mit multipler Sklerose und APN zeigen häufig Hirnstammläsionen mit Beteiligung der paramedianen Traktus, die Augenbewegungssignale zum Flocculus des Kleinhirns übertragen [31]. Der pathogenetische Mechanismus des APN besteht in einer Störung der Blickstabilisierung und Objektfixation durch Fehlfunktion des neuronalen Integrators bzw. seiner neuronalen Verbindungen; tierexperimentell ließ sich durch pharmakologische Inhibition dieser Region mit Muscimol (GABA‑A-RezeptorAgonist) eine zentrifugale Drift der Augen auslösen. Dieser Effekt ließ sich durch Glutamat als depolarisierenden Transmitter umkehren [32]. Als Folge der beschriebenen Störungen tritt ein spontaner Pendelnystagmus in allen 3 Bewegungsebenen der Au-

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aber auch bilateraler Visusverlust infrage [13]. Die Pathogenese erklärt sich durch eine Störung des Geschwindigkeitsspeichers des rotatorischen vestibulookulären Reflexes (Steigerung der Zeitkonstante). Als Folge tritt ein spontaner horizontaler Rucknystagmus mit ständiger Richtungsumkehr (ca. 2-Minuten-Intervall) auf. Tierexperimentelle Untersuchungen belegen, dass Läsionen von Uvula und Nodulus zu einer Aufladung des Geschwindigkeitsspeichers für horizontale per- und postrotatorische Augenbewegungen (neuronales Netz mit kreisenden Erregungen im Bereich der medialen vestibulären Kerne unter Beteiligung der vestibulären kommissuralen Verbindungen) und damit zu einem verlangsamten Abklingen des Nystagmus nach Kopfrotationen führen [14]. Dieser Effekt entsteht durch den Wegfall der von GABA‑B-Rezeptoren vermittelten Hemmung durch das Kleinhirn (Nodulus, Uvula) und kann durch die Gabe von Baclofen (GABA‑B-Rezeptor-Agonist) aufgehoben werden [15]. Die Entladung des Geschwindigkeitsspeichers durch Baclofen wurde auch beim Menschen nach oraler Gabe von 20 mg nachgewiesen. Dementsprechend wird Baclofen in einer Dosierung von15 bis 30 mg/d (verteilt auf 3 Tagesdosen) zur Behandlung des PAN empfohlen [16].

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gen auf, der oft eine binokulare Phasenverschiebung zeigt (diskonjugierte Augenbewegungen). Der Therapieansatz bei der Pharmakotherapie des APN besteht in einer Enthemmung des neuronalen Integrators. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden [33], dass sich der APN sowohl mit Gabapentin (GABAerge und antiglutamaterge Wirkung) in einer Dosierung von 1200 bis 2400 mg/d (auf 4 Dosen verteilt) als auch mit Memantin (antiglutamaterge Wirkung) in einer Dosierung bis 40 mg/d günstig beeinflussen lässt. Gabapentin und Memantin können die GABAerge Hemmung des Integrators durch die Purkinje-Zellen des Kleinhirns vermindern, indem sie die erregenden NMDARezeptoren der Purkinje-Zellen hemmen und damit deren Aktivität herabsetzen [34, 35]. Damit werden die Zellen des NPH indirekt depolarisiert und der neuronale Integrator stabilisiert. GABAerge Pharmaka haben sich dagegen als nicht wirksam erwiesen.

Okulopalataler Tremor (OPT) Ein erworbener Fixationspendelnystagmus mit okulopalatalem Tremor tritt mehrere Monate nach Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkten im Guillain-Mollaret-Dreieck zwischen dem Nucleus ruber, dem Nucleus olivaris inferior und dem Nucleus dentatus cerebelli auf [36]. Die Pathogenese des Tremors wird durch eine Hypertrophie des Nucleus olivaris inferior nach Wegfall der GABAergen Hemmung durch die tiefen Kleinhirnkerne (Nucleus dentatus) über den Tractus tegmentalis centralis erklärt. Die Hypertrophie der unteren Olive geht mit einer oszillatorischen Aktivität durch elektrotonische Kopplung der Neurone einher. Diese Oszillationen von 2–3 Hz werden im Kleinhirn verstärkt [37]. Eine Blockade der NMDA-Rezeptoren im Kleinhirn durch Gabapentin oder Memantin kann zwar die Amplitude des APN bei OPT reduzieren, die Oszillationen durch die elektrotonische Kopplung in der unteren Olive können offenbar nur desynchronisiert, aber nicht aufgehoben werden [38]. Bei OPT sind Gabapentin und Memantin somit weniger wirksam als bei isoliertem APN. Da Baclofen auch bei OPT nicht wirksam ist, werden wie bei isoliertem APN sowohl Gabapentin in einer Dosierung von 1200 bis 2400 mg/d (auf 4 Dosen verteilt) als auch Memantin in einer Dosierung bis 40 mg/d empfohlen [39]. Weil die elektrotonische Kopplung über Connexine der Gap-Junctions hergestellt wird, bieten sich als mögliche Therapiealternativen Connexinblocker wie z. B. Chinin, Carbenoxolone oder Mefloquine an [38]. Eine Wirkung derartiger Substanzen bei OPT konnte bisher jedoch noch nicht nachgewiesen werden.

Pharmakologische Therapie des frühkindlichen Nystagmus !

Frühkindlicher Nystagmus kann sekundär bei Störungen der Augen und der Sehbahn (z. B. kongenitale Katarakt, Netzhauterkrankungen, Albinismus, Optikushypoplasie) oder im Zusammenhang mit neurologischen Syndromen auftreten. Bei idiopathischen Formen lassen sich jedoch keine ursächlichen Störungen diagnostizieren. Der idiopathische frühkindliche Nystagmus kann auch hereditär auftreten, ein Gendefekt (FRMD7) des x-chromosomalen hereditären frühkindlichen Nystagmus wurde bereits beschrieben [40]. Da die Phänomenologie des frühkindlichen Nystagmus bei idiopathischen und sekundären Formen ähnlich ist, kann von einer Störung des Fixationssystems unter Beteiligung des neuronalen Integrators im Hirnstamm ausgegangen werden. Dementsprechend kann eine Hemmung der glutamatergen Afferenzen

des NPH eine dämpfende Wirkung und eine Verlängerung der Foveationsperioden erzielen. Eine randomisierte Studie konnte die Wirkung von Gabapentin (bis 2400 mg/d) und Memantin (bis 40 mg/d) in jeweils langsam ansteigender Dosierung nachweisen, wobei jedoch deutliche interindividuelle Unterschiede der Wirksamkeit auftraten [41]. Einzelergebnisse über eine Nystagmushemmung durch lokal applizierte Carboanhydrasehemmer [42] konnten in größeren Studien noch nicht belegt werden.

Optische Hilfsmittel !

Brillen Eine adäquate Refraktionskorrektur durch Brillen oder Kontaktlinsen ist Grundlage der visuellen Rehabilitation bei Nystagmus. Bei frühkindlichem Nystagmus ist ein Refraktionsausgleich weiterhin zur Vermeidung einer akkommodativen Esotropie und zur Amblyopieprophylaxe erforderlich. Die Ordination sollte dabei immer nach objektiver Refraktionsbestimmung erfolgen [43].

Kontaktlinsen In verschiedenen Publikationen wurde über klinische Hinweise einer Nystagmusberuhigung durch Kontaktlinsen berichtet und dabei der Einfluss eines kontaktlinsenbedingten Trigeminusreizes diskutiert [44]. Dieser Effekt konnte jedoch mithilfe von Bewegungsaufzeichnungen der Augenbewegungen nicht verifiziert werden. Allerdings ermöglichen Kontaktlinsen gegenüber Brillen einen besseren Visus bei Seitblick und bei Kopfzwangshaltungen [45]. Insbesondere bei hohen Refraktionsfehlern sollte deshalb zur Vergrößerung des visuskonstanten Blickfelds immer das Tragen von Kontaktlinsen in Erwägung gezogen werden.

Prismen Prismen können nach den gleichen Grundsätzen wie operative Eingriffe nach dem Prinzip der Kestenbaum-Operation oder der artifiziellen Exophorie eingesetzt werden, wenn ein operativer Eingriff noch nicht erforderlich ist oder nicht gewünscht wird.

Prismenordination bei Kopfzwangshaltung Die Zielstellung der Prismenordination besteht in einer Besserung geringer Kopfzwangshaltungen bei frühkindlichem Nystagmus. Das wird durch den Einsatz von Prismen erreicht, deren Basis auf beiden Augen in Richtung der Kopfzwangshaltung zeigt. Durch die prismenbedingte Bildverschiebung zur Gegenseite kann die Kopfzwangshaltung bei gleichbleibender nystagmusberuhigender Blickrichtung (Neutralzone) reduziert werden. Der Ausgleich einer Kopfzwangshaltung durch parallelverschiebende Prismen ist nur in geringem Ausmaß möglich, da mit Gläsern lediglich ein Ausgleich von maximal 12pdpt (ca. 6°) praktikabel ist. Größere Bildverschiebungen können mit Fresnel-Prismenfolien erreicht werden, welche die optische Abbildung jedoch deutlich beeinträchtigen. Aus diesem Grund werden bei starken Kopfzwangshaltungen operative Verfahren (Kestenbaum-Operation) empfohlen.

Prismenordination zur Visusverbesserung Die Visusverbesserung durch Nystagmusberuhigung kann bei frühkindlichem Nystagmus ohne Strabismus erreicht werden, wenn eine Nystagmusberuhigung durch fusionale Konvergenz möglich ist. Dazu werden an beiden Augen Prismen mit Basis nach außen eingesetzt. Die dadurch erzeugte artifizielle Exophorie erzwingt zur Fusion eine Konvergenzstellung. Die Prismen-

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stärke ist vom Fusionsvermögen der Patienten abhängig, bei Überdosierung können asthenopische Beschwerden auftreten. Für die Erzeugung einer artifiziellen Exophorie werden initial bei nicht presbyopen Patienten beidseits Prismen Basis außen kombiniert mit − 1,0 dpt Nahzusatz empfohlen, um die Nahakkommodation bei verstärkter Konvergenz auszugleichen [46]. Bei multipler Sklerose tritt nicht selten ein erworbener Pendelnystagmus mit Verstärkung in Konvergenz auf [47]. In diesen Fällen kann die Lesefähigkeit durch die Ordination von Prismen Basis innen deutlich verbessert werden.

Vergrößernde Sehhilfen Zielstellung der Verordnung vergrößernder Sehhilfen ist die visuelle Rehabilitation bei starker Visuseinschränkung durch Nystagmus. Die Anpassung geeigneter Sehhilfen erfolgt nach dem jeweiligen Vergrößerungsbedarf. Als Hilfsmittel kommen z. B. Hellfeldlupen, Galileo-Lupenbrillen, Monokulare, elektronische Bildvergrößerungsgeräte und Computersoftware für eine vergrößerte Bildschirmdarstellung infrage, die vor Ordination vom Patienten erprobt werden sollten. Beim Vorliegen einer Oszillopsie, die für den erworbenen Nystagmus typisch ist, kann die wahrgenommene Bildschwankung durch die Bildvergrößerung verstärkt werden. Damit kann sich trotz der besseren Bildauflösung das Beschwerdebild des Patienten verschlechtern [48].

Bildstabilisierende Systeme Mithilfe von bildstabilisierenden Systemen soll eine Verbesserung von Visus und/oder Oszillopsie bei Nystagmus dadurch erreicht werden, dass die Bildverschiebung auf der Retina durch optische Systeme kompensiert wird. Dabei erfolgt die Erfassung der Augenbewegung mit einer Videokamera, diese Bewegung wird durch eine entgegengerichtete Bildbewegung ausgeglichen. Dazu werden z. B. verschiebbare Linsensysteme eingesetzt, die insbesondere zur Kompensation pendelförmiger Augenbewegungen (z. B. beim APN) geeignet sind. Obwohl derartige Systeme experimentell erprobt wurden, sind sie noch nicht kommerziell verfügbar [49].

Interessenkonflikt !

Nein.

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[Treatment options for nystagmus].

The goal of treatment for nystagmus is to reduce or to abolish the typical symptoms associated with nystagmus. These are (i) reduction of visual acuit...
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