Kasuistik | Case report

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Seltener solider abdominaler Tumor Uncommon solid abdominal tumor

Autoren

J. Papke1 M.G. Schreiber2 H. Witzigmann3 G. Haroske4

Institut

1 Onkologische Praxis und Tagesklinik, Neustadt/Sachsen 2 Radiologie, Sächsische Schweiz Klinik, Sebnitz 3 Klinik für Allgemein- und Visceralchirurgie, Städtisches Klinikum Dresden-Friedrichstadt, Dresden 4 Institut für Pathologie „Georg Schmorl“, Städtisches Klinikum Dresden-Friedrichstadt, Dresden

Anamnese und klinischer Befund: Eine 67-jährige Patientin erkrankte in den USA an akuten, kolikartigen Bauchbeschwerden. Nach symptomatischer Therapie wurde sie entlassen und stellte sich anschließend in Deutschland zur weiteren Abklärung und Therapie vor. Untersuchungen, Therapie und Verlauf: Nach abdominaler Sonografie, Computertomografie mit Kontrastmittel und ergänzender Gastroskopie ergab sich zunächst der Verdacht auf einen

gastrointestinalen Stromatumor (GIST). Daraufhin erfolgte eine Tumorexstirpation mit Cholezystektomie und atypischer Leberresektion. Erst postoperativ konnte histologisch die Diagnose eines solitären fibrösen Tumors gestellt werden. Es bestand keine Indikation zu einer adjuvanten Therapie. Folgerung: Nach dem internationalen Schrifttum sind solche Tumore selten. Konsens besteht in der Empfehlung, eine komplette Resektion anzustreben. Eine Datengrundlage für eine adjuvante Therapie existiert nicht.

Onkologie, Gastroenterologie, Chirurgie Kasuistik | Case report

Schlüsselwörter solider fibröser Tumor gastrointestinaler Stromatumor Cholezystektomie

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Keywords solitary fibrous tumor gastrointestinal stroma tumour cholecystectomy

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Einleitung ▼ Diese Kasuistik stellt eine Patientin vor, die während ihres Urlaubs in den USA akut erkrankte und sich mit dem bildgebend gestützten Verdacht auf eine solide abdominale Raumforderung zur weiteren Klärung und Therapie in Deutschland vorstellte. Der Fall gewinnt seine Besonderheit durch die „transatlantisch“ erfolgte Diagnostik und aufgrund der Rarität des Befundes.

Kasuistik ▼ Anamnese Die 67-jährige Frau hatte während eines Urlaubsaufenthalts in den USA plötzliche kolikartige abdominale Beschwerden, die zu einem Kollapszustand führten. Sie wurde mit dem Rettungsdienst in das dortige Krankenhaus eingewiesen. Am Aufnahmetag wurden laut Bericht des behandelnden Arztes bei der normosomen, klinisch bisher unauffälligen Frau folgende Befunde erhoben:

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Labor Blutzucker postprandial mit 132 mg/dl etwas erhöht (Norm: 70–110 mg/dl); Gesamteiweiß mit 5,9 g/dl (Norm: 6,2–8,3 g/dl) erniedrigt. Der Troponin-I-Test verlief mit 0,0 ng/ml negativ. Die übrigen Laborergebnisse lagen im Normalbereich. Bildgebung Die bei Aufnahme durchgeführte Thorax-Röntgenaufnahme in zwei Ebenen ergab keinen wegweisenden Befund. Die ebenso am Aufnahmetag in den USA durchgeführte Computertomografie von Abdomen und Becken erfolgte aus nicht mehr reproduzierbaren Gründen ohne i.v.-Kontrastmittel. Sie ergab folgende Befunde, die nur schriftlich vorliegen: 1. 11 cm messende, solide Raumforderung unter der Leber mit teils zystischen Anteilen 2. Etwas Aszites, möglicherweise auch mit Blut gemischt 3. Nebenbefundlich Nierenzyste rechts, kleine axiale Gleithernie 4. Lymphknoten, Nebennieren, Pankreas und Milz, Harnblase und Aorta unauffällig, keine auffälligen Veränderungen am Darm

eingereicht 26.03.2013 akzeptiert 20.06.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1349500 Dtsch Med Wochenschr 0 2013; 1380 0:2195–2198 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. med. Jens Papke Praxis und Tagesklinik Rosa-Luxemburg-Str. 6 01844 Neustadt in Sachsen Tel. 03596/58530 Fax 03596/585349 eMail [email protected]

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! n

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Zusammenfassung ▼

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Nach symptomatischer Therapie wurde die Patientin wieder entlassen und gebeten, sich nach ihrer Heimreise zur weiteren Abklärung und Therapie vorzustellen. Wenige Tage nach der Rückkehr aus dem Urlaub stellte sie sich in der internistischen Praxis vor.

Aktuelle Vorstellung in Deutschland Körperlicher Untersuchungsbefund Wir sahen die Patientin in reduziertem Allgemeinzustand und gutem Ernährungszustand. Körpergröße 1,67 m, Gewicht 73 kg; Körpertemperatur 36,6 Grad. Über beiden Lungen war reines Vesikuläratmen zu auskultieren; Cor: Frequenz normal, rhythmisch, Herztöne regelrecht. RR 135/75 mmHg. Keine manifesten kardiopulmonalen Dekompensationszeichen. Bauchdecken palpatorisch weich; diffuser Druckschmerz im Bereich des rechten Oberbauchs. Abdomensonografie Die in der internistischen Praxis durchgeführte Abdomensonografie (q Abb. 1) ergab eine vom rechten Leberlappen nach ventral ausgehende 10,5 × 9,7 cm große solide Raumforderung, die die Nachbarorgane einschließlich der Gallenblase komprimierte. Kaudal der Raumforderung etwas freie Flüssigkeit von 2,4 × 8,3 cm Ausdehnung. Gallenblase, Leber, Gallenwege, D. choledochus, Pankreas, Nebennieren und Nieren, hier bis auf eine unkomplizierte parapelvine Zyste rechts, V. portae und Aorta unauffällig, keine abdominellen Lymphknotenschwellungen.

Abb. 1 Sonogramm des Oberbauchs (Pfeil: Raumforderung).

Gastroskopie Die ebenfalls in der internistischen Praxis ergänzend durchgeführte Gastroskopie mit Probehistologien ergab letztlich bis auf eine kleine axiale Gleithernie und eine histologisch bestätigte chronische Antrum- und Korpusgastritis keinen anderen pathologischen Befund. Computertomografie Die anschließend in der Radiologischen Abteilung der Sächsischen Schweiz Klinik Sebnitz durchgeführte Computertomografie des Abdomens und Beckens (q Abb. 2,3,4) ergab folgende, auf den Tumor bezogene Befunde: 3 Im rechten Abdomen zeigte sich im Mittelbauch unter der Leber eine glatt begrenzte Raumforderung mit einer Größe von 10–12 cm. 3 Die Raumforderung war inhomogen und nahm massiv Kontrastmittel auf, sodass von einem hohen Vaskularisierungsgrad ausgegangen werden musste. 3 Die zum Teil gekammerte Raumforderung hatte zwar überwiegend solide Anteile, aber auch multiple gekammerte nekrotische Areale. 3 Der in der auswärtigen CT aus den USA beschriebene Herd ging mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht von der Leber aus. 3 Das Leberparenchym wurde am unteren vorderen linken Leberlappen erheblich verdrängt, möglicherweise kurzflächig beginnend infiltriert. 3 Gute Abgrenzbarkeit zum Magen, wobei hier am Magenausgang eine kurze Berührungsstrecke vorhanden war, die sich dann aber auf das Duodenum fortsetzte. Eine separierende Fettschicht war hier nicht erkennbar. Das Duodenum wurde aber eher bedrängt, als dass der Befund von ihm ausgegangen wäre. 3 Der Tumor wies keine Beziehung zum Kolon auf und gehörte nicht zur Niere und nicht zum Pankreas, sodass letztlich eine zweifelsfreie Zuordnung zu einem Organ nicht möglich war.

Abb. 2 CT venöse Phase, axiale Sicht (Pfeil: Raumforderung).

3 An erster Stelle handelte es sich vermutlich um einen mesenchymalen Tumor, wahrscheinlich einen gastrointestinalen Stromatumor (GIST). 3 Dorsal und nach kranial bis in den unteren Abschnitt unterhalb der Gallenblase war eine abgekapselte Flüssigkeitsregion erkennbar, die nicht zur Gallenblase gehörte, aber dem Tumor partiell anlag. Hier lag möglichwerweise eine entzündliche Einschmelzung oder auch eine abgegrenzte ältere Einblutung vor. 3 Keine Lymphknotenpathologie.

Weitere Untersuchungen Unter dem Verdacht auf einen GIST erfolgte die Tumorexstirpation mit Cholezystektomie und atypischer Leberresektion. Die pathologische-makroskopische Befundbeschreibung ergab ein 741 g schweres, 14 × 13 × 10 cm messendes, gekapseltes, knotiges Gewebsstück mit grauweißlicher, mittelfester, faszikulierter Schnittfläche. Keine Tumorinfiltration des mitresezierten Lebergewebes.

Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2195–2198 · J. Papke et al., Seltener solider abdominaler …

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Abb. 5 Immunhistologie (Objektiv 20 ×): Kräftige, überwiegend membranständige Reaktion der spindeligen Tumorzellen auf CD99. Ausrichtung der Tumorzellen auf ein zentral gelegenes Blutgefäß.

Therapie und Verlauf Nach postoperativer Vorstellung des Falls im interdisziplinären Tumorboard bestand keine Indikation zu einer adjuvanten Therapie; regelmäßige onkologische Nachsorgen wurden ebenfalls nicht empfohlen. Die Patientin stellte sich 6 Monate später symptomfrei zu einer sonografischen Verlaufskontrolle in der Praxis vor. Neben einem Zustand nach Cholezystektomie und der bereits beschriebenen Nierenzyste fand sich kein auffälliger Befund.

Diskussion ▼ Als solitäre fibröse Tumoren wird ein Spektrum von Neubildungen mesenchymalen Ursprungs bezeichnet, die nach der WHOKlassifikation von 2002 ein intermediäres biologisches Potenzial aufweisen; eine Metastasierung kommt selten vor. In der Literatur finden sich nur wenige kasuistische Mitteilungen über solide fibröse Tumoren. In einer kürzlich publizierten klinisch-pathologischen Studie wurden 110 Fälle erfasst, häufigste Manifestationsorte waren Pleura und Abdomen. Das krankheitsfreie Überleben über 5 bzw. 10 Jahre lag bei 89 bzw. 73 % [5]. Abb. 4 CT venöse Phase, 3D-Volumen-Rendering-Technik (Pfeil: Raumforderung).

Die histologische Untersuchung ergab eine zellreiche Variante eines solitären fibrösen Tumors (q Abb. 5), der im Gesunden entfernt wurde. Diese Tumorentität ist einer intermediär malignen Tumorgruppe zuzuordnen. Obwohl CD99 vor allem als ein Marker für Ewing-Sarkome und PNET bekannt ist, wird er auch von der Mehrzahl solitärer fibröser Tumoren exprimiert und wurde daher bei entsprechendem morphologischem Verdacht zur Diagnosesicherung eingesetzt.

In der englischen Literatur wurden bislang weniger als 40 Fälle beschrieben [5]. Als seltene Manifestationen wurden in der italienischen Literatur kürzlich Lokalisationen in der Parotis bzw. der Mundhöhle geschildert [1], aus Japan in der linken Wange [7]. Autoren aus Thessaloniki berichteten im deutschen Schrifttum über eine 64-jährige Frau mit einem solitären fibrösen Tumor der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen [3]. Eher häufig scheint die Lokalisation derartiger Tumore in der Pleura zu sein; aus Frankreich wurde kürzlich eine Studie über 157 komplette Resektionen in einem thoraxchirurgischen Zentrum veröffentlicht [4]. Erreicht man eine chirurgische Komplettresektion, ist dies als Prädiktor für ein günstiges Langzeitüberleben anzusehen; die Autoren beschreiben eine 5-Jahres-Überlebensrate von 96 % bei benignen fibrösen Tumoren gegenüber 68 % bei malignen Tumoren; Rezidive traten erwartungsgemäß in der Gruppe der malignen fibrösen Tumore mit 16 vs. 2 % häufiger auf und waren mit kürzerem Überleben assoziiert.

Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2195–2198 · J. Papke et al., Seltener solider abdominaler …

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Abb. 3 CT venöse Phase, koronare Sicht (Pfeil: Raumforderung).

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Konsens besteht bei allen Autoren in der Empfehlung, eine komplette Resektion anzustreben. Daten für eine standardisierte adjuvante Therapie existieren nicht. Stacchiotti et al. berichteten über einen positiven und anhaltenden Effekt des Tyrosinkinasehemmers Sunitinib auf die Progression im metastasierten Stadium: Bei 31 retrospektiv auswertbaren Patienten war in 18 Fällen eine Tumorkontrolle möglich (2 partielle Remissionen, 16 stabile Erkrankungen). Das mediane progressionsfreie Überleben lag bei 6 Monaten [6].

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Der berichtete Fall ist in seiner Diagnose eine Rarität. 3Er illustriert die alltägliche Versorgungsrealität von der Verdachtsdiagnose der erstversorgenden Akutklinik über das Zusammenspiel der Schnittstellen mit weiterführender Diagnostik und Planung des weiteren Vorgehens zwischen Praxis sowie spezialisierter ambulanter Klinikabteilungen bis hin zur gezielten Einbindung von Kliniken der Schwerpunktversorgung. 3Letztlich ergab sich eine im internationalen Schrifttum selten gestellte Diagnose, die diskutiert wird.

Literatur 1 Cristofaro MG, Allegra E, Giudice M. Two new localizations of solitary fibrous tumor in the italian population: parotid gland and oral cavity – review of the literature. J Oral Maxillofac Surg 2012; 70: 2360– 2367 2 Demicco EG, Park MS, Araujo DM et al. Solitary fibrous tumor: a clinicopathological study of 110 cases and proposed risk assessment model. Mod Pathol 2012; 25: 1298–1306 3 Kyriafinis G, Constantinidis J, Karkavelas G et al. [Solitary fibrous tumor of the nose and paranasal sinuses]. HNO 2006; 54: 962–966 4 Lahon B, Mercier O, Fadel E et al. Solitary fibrous tumor of the pleura: outcomes of 157 complete resections in a single center. Ann Thorac Surg 2012; 94: 394–400 5 Patra S, Vij M, Venugopal K et al. Hepatic solitary fibrous tumor: report of a rare case. Indian J Pathol Microbiol 2012; 55: 236–238 6 Stacchiotti S, Negri T, Libertini M et al. Sunitinib malate in solitary fibrous tumor (SFT). Ann Oncol 2012; 23: 3171–3179 7 Yamada H, Hamada Y, Fujihara H et al. Solitary fibrous tumor of the buccal space resected in combination with coronoidectomy. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol 2012; 114: e9–e14

Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

Abstract

Uncommon solid abdominal tumor ▼ History and admission findings: A 67-year-old female patient got ill during holidays in USA with acute abdominal pain. She was discharged after symptomatic treatment and presented afterwards in Germany for further clarification and treatment. Investigations, treatment and course: Following abdominal sonography, gastroscopy and CT scan with contrast medium, a gastrointestinal stromal tumor (GIST) was assumed. Thereupon a tumor extirpation with cholecystectomy and liver resection was performed. After laparotomy a solid fibrous abdominal tumor could be diagnosed histologically. There was no indication for an adjuvant treatment. Conclusion: In the international literature reports about these tumors are rare. A complete resection is essential; there is no data for an adjuvant treatment.

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[Uncommon solid abdominal tumor].

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