Bild und Fall Ophthalmologe 2015 · 112:171–173 DOI 10.1007/s00347-014-3156-3 Online publiziert: 8. November 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Lukashevich · C. Mayer Augennheilkunde, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

Glaskörperblutung außergewöhnlicher Ursache Anamnese Ein 44-jähriger Patient stellte sich in unserer Klinik mit einem seit ca. 5 Tagen bestehenden „Schattensehen“ am linken Auge vor. Vor 4 Jahren erfolgte eine operative Neuroblastomentfernung im Bereich der Nasennebenhöhlen links. Außerdem berichtete der Patient von einem 10 Jahre zurückliegenden Schädel-HirnTrauma mit mehreren Frakturen. Weitere Erkrankungen waren nicht bekannt.

Klinischer Befund und Diagnostik Bei der klinischen Untersuchung betrug der bestkorrigierte Visus beidseits 0,9. Der Augeninnendruck lag mit 11 mmHg rechts und 10 mmHg links im Norm-

Abb. 1 8 Fundusfotografie mit subhyaloidaler Glaskörperblutung unterhalb der Papille mit Aussparung der Makula

bereich. Die vorderen Augenabschnitte zeigten einen regelrechten Befund mit klarer Linse beidseits. Der Fundus am rechten Auge war unauffällig, am linken Auge zeigte sich eine subhyaloidale Glaskörperblutung (. Abb. 1). In der optischen Kohärenztomographie (OCT) stellte sich die Makula links unauffällig dar (. Abb. 2). In der Fluoreszenzangiographie zeigten sich am linken Auge Neovaskularisationssegel mit Leckage, Mikroaneurysmata sowie ausgedehnte ischämische Kapillargebiete (. Abb. 3a,b). Auf eine erneute gezielte Nachfrage gab der Patient an, unmittelbar nach der Neuroblastomentfernung bei Verdacht auf einen Rest- bzw. Rezidivtumor eine postoperative additive fraktionierte Nachbestrahlung der entsprechenden

Regionen im Nasennebenhöhlenbereich mit einer Gesamtdosis von 60 Gy erhalten zu haben (. Abb. 4). Damit konnten die okulären Befunde erklärt werden.

Abb. 2 8 Regelrechte Makuladarstellung in der optischen Kohärenztomographie

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Abb. 3 8 a Frühphase in der Fluoreszenzangiographie mit Blockade bei subhyaloidaler Blutung in der unteren Hälfte und Mikroaneurysmata. b Spätphase in der Fluoreszenzangiographie mit Mikroaneurysmata, Neovaskularisationssegel und Leckage am oberen Gefäßbogen und ausgedehnten peripheren ischämischen Arealen

Abb. 4 8 Präoperativer Befund in der Magnetresonanztomographie (T2 FAT sat. axial) vor Neuroblastomentfernung: feinlobuläre diffus kontrastmittelaufnehmende Raumforderung im Bereich der Hauptnasennebenhöhlen, links bis zu den Conchae nasalis inferior reichend und große Anteile des Sinus maxillaris links verlegend

D Wie lautet Ihre Diagnose?

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Diagnose: Proliferative Strahlenretinopathie mit Glaskörperblutung nach einer Neuroblastombestrahlung Diskussion Die proliferative Strahlenretinopathie ist eine langsam progrediente, okklusive retinale Vaskulopathie, die eine mögliche Früh- bis Spätkomplikation nach therapeutischer Bestrahlung intraokularer und extraokularer Tumore darstellt. Für die Entwicklung einer Strahlenretinopathie spielen Faktoren wie die Gesamtdosis der Bestrahlung, die Fraktionierung und der Anteil der bestrahlten Netzhaut eine entscheidende Rolle [16]. Eine genaue Inzidenz ist wie ein Dosisschwellenwert der Strahlenretinopathie nicht bekannt. Die Gesamtdosis von 30 Gy mit einer täglich fraktionierten Dosis von 2 Gy stellt eher ein niedriges Risiko dar [15], obwohl auch einige Fälle einer Strahlenretinopa­ thie mit einer Gesamtbestrahlungsdosis 60 Gy nach fraktionierter Radiotherapie von Kopf-/Hals­ tumoren in 10 bzw. 30% der Fälle nach 5 Jahren [5]. Nach einer Plaque-Radiotherapie pos­teriorer Aderhautmelanome trat eine proliferative Strahlenretinopathie in 5,8% nach 5 Jahren und in 7% nach 10 bzw. 15 Jahren auf [2]. Die Latenzzeit von der Bestrahlung bis zur Diagnosestellung einer Strahlenretinopathie liegt zwischen 6 Monaten und 3 Jahren, kann aber auch kürzer oder länger sein und z. B. bei 15 Jahren liegen [3, 13]. Bei unserem Patienten kam es 4 Jahre nach der durchgeführten Bestrahlung zur klinischen Symp­ tomatik. Die Strahlenretinopathie kann in ein nichtproliferatives und ein proliferatives Stadium unterteilt werden. Histologisch kommt es zu einem frühen Verlust von Endothelzellen, erhöhter Gefäßpermeabilität und Verlust der BlutRetina-Schranke. Die vaskulären Schädigungen führen zu Mikroaneurysmata, harten Exsudaten, Cotton-Wool-Herden, Teleangiektasien und Kapillarverlusten, was dem klinischen Bild einer nichtproliferativen Strahlenretinopathie entspricht

[1, 8]. Der Visus bleibt in vielen Fällen lange erhalten. Je nach Dauer und Größe der betroffenen Fläche der Strahlenbelastung kann es zur Ausbildung von Ischämien, retinalen Blutungen oder zum Auftreten eines Makulaödems kommen [16]. Ausgedehnte Ischämien führen durch die Ausschüttung von „vascular endothelial growth factor“ (VEGF) zur Entstehung von Neovaskularisationen [1]. Aufgrund einer erhöhten Gefäßpermeabilität infolge hoher Bestrahlungsdosis kann sich eine exsudative Netzhautablösung entwickeln. Bei längerem Bestehen kann dies zu einer irreversiblen Atrophie der Photorezeptoren, einer Rubeosis iridis und als Folge zu einem Neovaskularisationsglaukom führen [8]. Alle diese Veränderungen zeigen das Bild einer proliferativen Strahlenretinopathie, die, falls sie mit einem Makulaödem, exsudativer Netzhautablösung oder einem Neovaskularisationsglaukom assoziiert ist, mit einer schlechteren Visusprognose einhergehen kann [10]. Klinisch kann die Strahlenretinopa­ thie eine diabetische Retinopathie imitieren, denn auch hier kommt es zu vaskulärer Schädigung mit dem Auftreten von

allen zuvor genannten Veränderungen, nur dass bei der diabetischen Retinopathie in erster Linie die Perizyten und nicht die Endothelzellen betroffen sind [1]. Bei der Strahlenretinopathie findet man auch weniger Mikroaneurysmata als bei der diabetischen Retinopathie [3, 15]. Zu den Risikofaktoren, die die Entstehung der Strahlenretinopathie begünstigen, zählen ein gleichzeitig bestehender Diabetes mellitus, eine arterielle Hypertonie, eine gleichzeitige oder eine zeitversetzte Chemotherapie sowie das junge Alter [15, 16]. Bei unserem Patienten wurden bei anamnestisch regelmäßigen Kontrollen durch den behandelnden Hausarzt weder ein Diabetes mellitus noch ein arterieller Hypertonus festgestellt, sodass die Diagnose einer Strahlenretinopathie gesichert ist.

Therapie und Verlauf Es stehen derzeit mehrere Therapiemöglichkeiten für die Behandlung der Strahlenretinopathie zur Verfügung. Um das Risiko der Entwicklung einer Strahlenretinopathie zu vermindern, sollte bei jeder Bestrahlung, welche die Augenpartien betrifft, eine möglichst geringe, fraktionierte Dosis gewählt werden [16]. Weitere wirksame Präventionen gibt es derzeit leider nicht. Ist es zu Komplikationen wie irreversiblen Gefäßschädigungen oder Ischämien gekommen, steht deren Behandlung im Vordergrund. So kann bei avaskulären Arealen sowie Neo­vaskularisationen eine Laserkoagulation der Netzhaut durchgeführt werden [7]. Kinyoun et al. [10] zeigten, dass 91% der Patienten mit einer proliferativen Strahlenretinopathie nach erfolgter panretinaler Laserkoagulation eine Regression der neu gebildeten Gefäße aufwiesen. Finger et al. [6] zeigten die Wirkung einer panretinalen Laserkoagulation bei frühen Stadien einer Strahlenretinopathie. Dabei kam es bei 64% der Patienten zu einer Regression der Strahlenretinopathie bei Zustand nach Bestrahlung eines Aderhautmelanoms in der Vorgeschichte. Je nach Ausprägung der Ischämie und Entwicklung eines radiogen induzierten Makulaödems kann eine intravitreale Therapie mit Anti-VEGF bzw. Kortikosteroiden erfolgen [7]. Mehrere Studien zeigten ei-

ne Reduktion des Makulaödems mit einer Visusverbesserung nach intravitrealer Behandlung mit Bevacizumab oder Triamcinolon [9, 11, 12, 14]. Die aktuelle Radi-Ret-Studie wird demnächst neue Daten bezüglich der Wirkung von Ranibizumab auf die Strahlenretinopa­thie nach Bestrahlung des Aderhautmelanoms erheben [17]. Unser Patient wurde bei gutem Funduseinblick mit einer panretinalen Laserkoagulation behandelt. Allerdings kam es einige Monate später zu einer erneuten dichten Glaskörperblutung, die operativ entfernt werden musste.

Fazit für die Praxis F Eine richtige Diagnose sollte anhand des klinischen Bildes unter Berücksichtigung von Symmetrie, Verteilung, begleitenden Gefäßveränderungen, Kontrolle des Blutdruckes und morphologischen Besonderheiten gestellt werden. Somit besteht die Möglichkeit, eine Strahlenretinopathie von anderen ischämischen Retinopa­thien, wie z. B. der diabetischen, vaskulären, hypertensiven und rheologischen Retinopathie, zu unterscheiden. F Eine präzise Anamnese hilft, eine mögliche Ursache einer Strahlenretinopathie zu identifizieren. F Die Therapie besteht in einer Netzhautlaserkoagulation der ischämischen Areale und einer Anti-VEGFTherapie bei strahlenbedingtem Makulaödem.

Korrespondenzadresse Dr. M. Lukashevich Augennheilkunde, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaningerstr. 22,   81675 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

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Interessenkonflikt.  M. Lukashevich und C. Mayer ­geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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