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Warum sind Menschen mit Adipositas häufiger psychisch krank?

Autor

Astrid Müller

Institut

Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover

Schlüsselwörter ▶ Adipositas ● ▶ psychische Komorbidität ● ▶ Depression ● ▶ Impulsivität ●

Zusammenfassung

Abstract

Die Studienlage zeigt, dass Adipositas mit psychischen Erkrankungen einhergeht. Es handelt sich um ein komplexes Geschehen, das von biologischen, psychosozialen und Umweltfaktoren bedingt wird und das vom Schweregrad der Adipositas abhängt. So konnte bspw. ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen Adipositas und Depression nachgewiesen werden, d. h., dass Adipositas das relative Risiko für eine depressive Erkrankung erhöht und umgekehrt. Zudem besteht ein wachsendes Forschungsinteresse zur Rolle einer erhöhten Impulsivität bei Adipositas, was besonders für adipöse Menschen mit einer Binge-Eating-Störung relevant zu sein scheint.

Previous research has indicated a complex association between obesity and psychiatric disorders caused by biological, psychosocial and environmental factors and dependent from the severity of obesity. For example, empirical data confirmed a reciprocal link between depression and obesity. Obesity was found to increase the risk of depression and vice versa. There is further a growing body of research pointing towards the important role of impulsivity in obesity, particularly in obese individuals with a binge eating disorder.

Keywords ▶ obesity ● ▶ psychiatric comorbidity ● ▶ depression ● ▶ impulsivity ●

eingereicht 6. Oktober 2014 akzeptiert 9. Oktober 2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1394408 Psychother Psych Med 2015; 65: 36–38 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0937-2032 Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Medizinische Hochschule Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover [email protected]



Empirische Daten haben vielfach gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Gewicht und psychischem Befinden gibt. Dies trifft in besonderem Maße auf extreme Gewichtsausprägungen zu. Menschen mit Adipositas zeigen dabei ähnliche hohe Scores in der Symptom-Checklist-90 wie untergewichtige Personen [1]. Aus Untersuchungen an präbariatrischen Patienten ist zudem hinlänglich bekannt, dass diese Gruppe an einer relativ hohen psychischen Komorbidität leidet [2]. Die Gründe für die hohe psychische Komorbidität bei adipösen Menschen sind allerdings nicht eindeutig. Im Folgenden wird auf mögliche ­Aspekte eingegangen.

Individuelle und Kontextfaktoren



Das komplexe Zusammenspiel zwischen individuellen und Kontextfaktoren, das zur hohen psychischen Komorbidität bei adipösen Menschen beiträgt, ist bislang nur ansatzweise erforscht [3].

Müller A. Warum sind Menschen mit …  Psychother Psych Med 2015; 65: 36–38



Zu den individuellen Faktoren zählen Alter, Geschlecht, Schweregrad der Adipositas, somatische Erkrankungen, genetische Disposition und andere biologische Mechanismen sowie Selbstwertgefühl, Temperament, kognitives Funktionsniveau und individuelles Stigmatisierungserleben. Auch Ethnizität spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle und kann sich bspw. protektiv auswirken, wie eine rezente iranische Untersuchung an 5 528 Schülern (10–18 J.) aus 27 iranischen Provinzen verdeutlichte [4]. 7,9 % der Schüler waren übergewichtig und 8,8 % adipös. Mehr als die Hälfte der Schüler berichtete über Angst- (58,7 %) oder depressive (62,6 %) Symptome, ohne dass sich ein signifikanter Zusammenhang mit Übergewicht oder Adipositas nachweisen ließ. Nach Ansicht der Autoren könnte die fehlende Relation zwischen psychischem ­Distress und Übergewicht/Adipositas in den vermutlich positiven Einstellungen zu Beleibtheit im Familien- und Freundeskreis begründet sein. Bei den Kontextfaktoren werden Aspekte wie z. B. das ­jeweils vorherrschende Schönheitsbild und der

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Why Do Obese Individuals Suffer More Often from Psychiatric Disorders?

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Adipositas und Depression



Die wegweisenden Resultate einer Metaanalyse von Luppino et al. [5] lassen einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen Adipositas und Depression vermuten. Die Autoren werteten Daten aus 15 longitudinalen Studien aus (N = 58 745) und kamen zu dem Schluss, dass das Vorliegen einer Adipositas das Risiko erhöht, eine Depression zu entwickeln (unadjusted OR = 1,55; 95 % CI = 1,22–1,98; p 

[Why do obese individuals suffer more often from psychiatric disorders?].

Previous research has indicated a complex association between obesity and psychiatric disorders caused by biological, psychosocial and environmental f...
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