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Mini-Review

Praxis 2014; 103 (17): 1001-1007

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Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie, Universitätsspital Zürich Claudia Sandra Weber, Tobias Kleinjung

Wichtige Infektionen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich Common Infections of the Ear, Nose, and Throat

Z u s a m m e n fa s s u n g

Infektionserkrankungen im Hals-Nasen-Ohrenbereich gehören sicher zu den häufigeren Gründen, weshalb Pati­ enten ihren Hausarzt konsultieren. Ziel dieses Mini-Reviews soll es deshalb sein, einen Abriss über die wichtigsten und häufigsten Infektionserkrankungen aus dem Hals-Nasen-Ohrenbereich, sowie deren Diagnostik und Therapie mit Re­ levanz für die Hausarztpraxis zu geben. Viele dieser Infektionen können durch­ aus durch den Hausarzt behandelt wer­ den und brauchen nicht in jedem Fall eine fachärztliche Beurteilung durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt. Ergänzen­ de Hinweise für das rechtzeitige Erken­ nen von Komplikationen und kompli­ zierten Verläufen, die eine Überweisung zum HNO-Arzt erfordern, werden ge­ geben. Schlüsselwörter: Otitis - Tonsillopharyngitis - akute Rhinosinusitis - Epi­ glottitis - Nekrotisierende Fasziitis

O t it is e x t e r n a

Bei der Otitis externa (auch «swimmers's ear» genannt) handelt es sich um einen Mischinfekt der Gehörgangshaut. Der am häufigsten dafür verantwortliche Keim ist Pseudomonas aeruginosa. Es können aber auch andere Keime wie Proteus, Anaerobier, Staphyloccocus epidermis oder Staphyloccocus aure­ us ursächlich sein [1], Dieses mögliche © 2014 V e rla g H a n s H u b e r, H o g re fe AG , B e rn

Keimspektrum sollte in den Behand­ lungsplan miteinbezogen werden. Risikofaktoren für eine Otitis externa sind eine Verschiebung der Mikroflora des Gehörgangs zugunsten der gramne­ gativen Bakterien und eine Zerstörung der schützenden Barriere von Zerumen und intakter Kutis. Mögliche Ursachen hierfür sind vermehrte Feuchtigkeit, Ver­ letzungen (z.B. durch Ohrstäbchen), Ge­ hörgangsokklusion (z.B. Beispiel durch Hörgeräte, Cerumen oder Oropax), eine allergische Kontaktdermatitis oder ande­ re Hauterkrankungen. Es handelt sich um eine diffuse Infek­ tion der Gehörgangshaut, gelegentlich kann auch das Trommelfell im Sinne einer Myringitis mitbetroffen sein. Da­ neben gibt es die seltenere Otitis externa circumscripta. In diesem Fall zeigt sich in der Otoskopie ein Furunkel im Ge­ hörgang, der durch die Einschmelzung von Haarfollikeln bei einer durch Sta­ phylokokken verursachten Entzündung zustande kommt. Hier wird nach dem Grundsatz gehandelt: «Ubi pus, ibi evacua» (Wo Eiter ist, dort entleere ihn). Klinisch äussert sich eine Otitis externa diffusa mit Juckreiz, Schmerzen vor al­ lem bei Zug und Druck an der Ohrmu­ schel und je nach Verlegungsgrad des Gehörgangs mit einer Schallleitungs­ schwerhörigkeit. Die Diagnose wird klinisch aufgrund der meist klassischen Anamnese und der Befunde bei der Inspektion und Otoskopie (im Idealfall Ohrmikrosko­ pie) gestellt (Abb. 1). Die Stimmgabel­ prüfung gibt weitere richtungsweisende Hinweise (Weber-Versuch lateralisiert

Abb. 1: O titis

e x te rn a m it g e s c h w o lle n e m u n d

b e le g te m ä u s s e re n G e h ö rg a n g u n d fe h le n d e r S ic h t a u f das T ro m m e lfe ll.

ins betroffene Ohr, der Rinne-Versuch ist eventuell negativ). Bei immunsupprimierten Personen oder solchen mit einer sehr stark ausgeprägten Otitis ex­ terna oder bei Nichtansprechen auf die initiale Therapie kann ein Abstrich der Gehörgangshaut mit Kultur und Resis­ tenzprüfung eine wertvolle Ergänzung der Diagnostik sein. Mögliche Komplikationen einer Otitis externa sind eine Ohrmuschelperichondritis oder ein Erysipel, das sich bis auf die Wange ausdehnen kann. Insbesondere sollte man bei Diabetikern oder immunsupprimierten Personen an die Otitis ex­ terna necroticans (Osteomyelitis des Fel­ senbeins) denken. Dabei handelt es sich um eine Ausdehnung der bakteriellen Infektion der Haut auf den Knochen und das Knochenmark. Diese Komplikation

Im Artikel verwendete Abkürzungen: CK Serum-Kreatinkinase EBV Epstein-Barr-Virus ORL Oto-Rhino-Lanyngologie DOI 1 0 .1 0 2 4 /1 6 6 1 -8 1 5 7 /a 0 0 l7 5 5

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kann potenziell tödlich sein. Hellhörig sollte man werden, wenn ein Patient mit Diabetes oder Immunsuppression über massivste, teils undulierende Schmerzen in der Temporalregion, fötide Ohrsekre­ tion und Schwerhörigkeit klagt. Wenn sich dann noch Granulationsgewebe am Gehörgangsboden im Übergangsbereich von Knorpel zu Knochen findet und im durchgeführten Abstrich ein Befall mit Pseudomonas aeruginosa nachgewie­ sen wurde, sollte zur Diagnosesicherung dringend ein CT und/oder MRI des Fel­ senbeins durchgeführt werden. Zudem ist die Überweisung des Patienten an den Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten indiziert. Die Therapie der simplen Otitis exter­ na besteht aus der lokalen Applikation von antibiotischen und/oder desinfizie­ renden Tropfenlösungen nachdem, falls möglich, eine gründliche Gehörgangs­ reinigung durchgeführt wurde. Häufig werden ciprofloxacinhaltige Ohrtropfen verwendet (z.B. Ciproxin HC®) [2]. Als Alternative können auch Mischpräpara­ te zum Einsatz kommen (z.B. Panotile®, Polydexa®). Es kann auch eine Therapie mit desinfizierenden Ohrtropfen ver­ sucht werden (z.B. Desomedin®, Etha­ nol, H20 2). Die Dosierung beträgt übli­ cherweise dreimal täglich drei Tropfen für sieben Tage. Bei ausgeprägten Fällen oder solchen mit Komplikationen ist unter Umständen eine systemische An­ tibiotikagabe erforderlich. Bei fehlen­ dem Therapieansprechen nach zwei bis drei Tagen ist die Überweisung an einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkun­ de indiziert. Für die Behandlung der Otitis externa necroticans ist eine lang­ dauernde (mehrere Wochen), systemi­ sche Antibiotkabehandlung und gegebe­ nenfalls ein chirurgisches Debridement erforderlich. O t it is m e d ia a c u ta

Bei der Otitis media acuta handelt es sich meist um eine über die Tuba audi­ tiva aufsteigende Infektion. Dabei sind in zwei Dritteln der Fälle Bakterien im

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Mittelohr nachweisbar (Streptococcus pneumoniae, Haemophilus infuenzae, Branhamella catarrhalis). Beim restli­ chen Drittel sind respiratorische Viren die Ursache (Adenoviren, Rhinoviren). Den Ohrschmerzen mit möglichem Fie­ ber und Otorrhö geht off ein Infekt der oberen Luftwege voraus. Die Diagnose wird mittels Otoskopie gestellt. Es zeigt sich ein getrübtes, gerötetes und ver­ dicktes Trommelfell, das vorgewölbt sein kann. Zusätzlich ist eine Schallleitungs­ schwerhörigkeit eventuell in Verbin­ dung mit einem rauschenden und pul­ sierenden Tinnitus vorhanden. Auf das Valsalva-Manöver sollte in der akuten Entzündungsphase verzichtet werden, um einer weiteren Keimverschleppung vorzubeugen. Eine bakteriologische Untersuchung beim intakten Trommelfell ist im All­ gemeinen nicht notwendig. Dies ändert sich bei spontaner Perforation oder Durchführung einer Parazentese. Bei einer neu aufgetretenen, unkom­ plizierten Otitis media kann initial mit einer analgetischen Therapie (NSAR, Paracetamol) begonnen und der Spon­ tanverlauf abgewartet werden. Ab­ schwellende Nasensprays können un­ terstützend verschrieben werden. Dieses Vorgehen ist auch bei Kindern möglich, um eine zu häufige Gabe von Antibiotika zu verhindern. Falls sich in der Verlaufs­ kontrolle nach zwei Tagen keine Besse­ rung zeigt, kann zu diesem Zeitpunkt immer noch eine antibiotische Thera­ pie (z.B. Amoxicillin mit Clavulansäure oder ein Cephalosporin) für sieben bis zehn Tage initiiert werden [3,4], Sollte die Besserung weiterhin ungenü­ gend bleiben, sollte eine Vorstellung bei einem ORL-Arzt in Erwägung gezogen werden. Dieser wird die Möglichkeit einer Parazentese mit bakteriologischer Untersuchung des Sekrets in Betracht ziehen, einen Hörtest durchführen und unter Umständen einen Wechsel der An­ tibiotikatherapie vollziehen. Bei Verdacht auf mögliche Kompli­ kationen der Otitis media, wie einer Mastoiditis (Klopfdolenz, Rötung und

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Abb. 2: A ng in a to n s illa ris m it typisch en «S tippchen» a u f den T onsillen.

Schwellung im Bereich des Mastoids auf der betroffenen Seite), einer Labyrin­ thitis (mit Schwindel, Spontannystag­ mus, Weber lateralisiert in das gesunde Gegenohr), einer Fazialisparese, einer Sinusvenenthrombose, einer Meningitis oder einem Hirnabszess, stehen weiter­ führende diagnostische Massnahmen (Bildgebung des Felsenbeins) und in der Regel eine operative Therapie im Vor­ dergrund.

P h a r y n g it is /T o n s illit is / T o n s illo p h a r y n g itis

Bei Patienten mit Halsschmerzen kann es schwierig sein, eine Pharyngitis von einer Tonsillitis zu unterscheiden. Des­ halb wird häufig der Begriff der «Ton­ sillopharyngitis» verwendet. Wenn sich ein Patient mit Halsschmerzen vorstellt, handelt es sich meist um eine banale selbstlimitierende Infektion. In ca. 80% der Fälle sind Viren für die Infektion verantwortlich. Um nur einige mögli­ chen Viren zu nennen: Influenza-, Pa­ rainfluenza-, Adeno- und Rhinovirus. In ungefähr 1 bis 10% sind die Beschwer­ den durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) im Sinne einer Mononukleose (Pfeiffer­ sches Drüsenfieber, «kissing disease») verursacht. In den restlichen ungefähr 20% der Fälle sind Bakterien für die Halsschmerzen verantwortlich, dabei spielen vor allem die ß-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A eine Rolle. Leider lässt sich von der klinischen Un­ tersuchung nur selten auf die Ätiologie der Infektion schliessen. Die Patienten

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können sich neben ein- oder beidseitigen Halsschmerzen mit Fieber, pharyngealer Rötung, Petechien im Bereich des Gau­ mens, zervikaler Lymphknotenschwel­ lung, Tonsillenhypertrophie, eitrigem Exsudat im Bereich der Tonsillen und Schluckschmerzen bis hin zur Schluck­ unfähigkeit präsentieren (Abb. 2). Allerdings ist es durchaus wünschens­ wert, die Patienten richtig zu triagieren, damit keine antibiotische Übertherapie bei viralen Infekten stattfindet. Aus diesem Grund wurden die CentorKriterien als Prädiktor der Wahrschein­ lichkeit eines Streptokokken-Infektes entwickelt [6] (Tab. 1). Neben den Centor-Kriterien gibt es auch noch den Mclsaac-Score, der zusätzlich das Pa­ tientenalter miteinbezieht [6], Mit der antibiotischen Therapie der Streptokokken-positiven Tonsillopharyngitis möchte man vor allem StreptokokkenFolgekrankheiten wie das rheumatische Fieber, Komplikationen mit Eiterbil­ dung und die Übertragung verhindern bzw. reduzieren. Die Symptomdauer wird mit einer antibiotischen Therapie nicht wesentlich reduziert (ca. ein bis zwei Tage) [5,6]. Zur verbesserten Wahr­ scheinlichkeitsbestimmung kann in der Praxis ein Streptokokken-Schnelltest durchgeführt werden oder auch, was allerdings wesentlich länger dauert, ein Abstrich mit Bakterienkultur. Die Gui­ delines des American College of Physi­ cians geben Empfehlungen, wie man bei welchem Punktwert im Centor-Score diagnostisch und therapeutisch Vorge­ hen sollte (Tab. 1). Allerdings existieren gewisse Diskrepanzen bezüglich der Therapieempfehlungen im Hinblick auf die Guidelines der verschiedenen Fachgesellschaften in Europa und Nordame­ rika [7]. Zur Differenzierung eines Streptokok­ keninfekts von einer EBV-Infektion kann es nützlich sein, ein differenziertes Blutbild sowie die Bestimmung des Creaktiven Proteins und der Leberwerte durchzuführen. Der ultimative Nach­ weis des EBV-Infekts gelingt mit der Serologie. Klinisch können gräulich flä-

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Tab. 1: C e ntor Score Centor-Kriterien Sym ptom

Punkte

Fieber

1

Fehlen von H usten

1

V ergrösserte H a ls ly m p h k n o te n

1

T onsille ne xsud ate

1

Summe der Punkte = W ahrscheinlichkeit fü r einen Streptokokken-Infekt 1 = W a h rs c h e in lic h k e it bei 6-7% 2 = W a h rs c h e in lic h k e it bei 15% 3 = W a h rs c h e in lic h k e it bei 30-35% 4 = W a h rs c h e in lic h k e it bei 5 0 -6 0 % Centor-Kriterien Vorgehen 0 bis 1 Pkt. = Keine w e ite re n Tests, keine a n tib io tis c h e T herapie 2 Pkt. = A n tib io tis c h e T herapie bei p o sitive m S tre p to ko kke n -S ch n e llte st 3 Pkt. = A n tib io tis c h e T herapie bei p o sitive m S tre p to ko kke n -S ch n e llte st o d e r e m p irisch e a n tib io tis c h e Therapie o h n e D u rc h fü h ru n g eines S tre p to ko kke n sch n e llte sts 4 Pkt. = E m pirische a n tib io tis c h e B e h a n d lu n g o h n e D u rc h fü h ru n g eines S tre p to k o k k e n ­ s c h n elltests

chige Tonsillenbeläge (Abb. 3) und das jugendliche Lebensalter eher auf eine EBV-Infektion hinweisen. Wenn m an sich zu einer antibiotischen Therapie entschliesst, eignet sich bei nachgewiesener Streptokokken-positiver Tonsillopharyngitis bei Patienten ohne bekannte Allergie Penicillin V 1 Mio Einheiten dreimal täglich für insgesamt zehn Tage gut. Bei fehlen­ dem Streptokokkennachweis kann auch eine antibiotische Therapie mit einem breiteren Spektrum erfolgen (z.B. Am­ oxicillin mit Clavulansäure, Cefuroxim, Clindamycin). Bei Verdacht auf eine EBV-Infektion empfiehlt es sich, auf Aminopenicilline zu verzichten, da es unter diesen zu einem generalisierten Exanthem kommen kann. Bei fehlenden Hinweisen auf eine bakte­ rielle Ätiologie der Tonsillopharyngitis sollte eine symptomatische Behandlung durchgeführt werden. Bei ausbleibender klinischer Besserung unter Therapie nach ca. vier Tagen, soll­ te man an die Möglichkeit eines Peritonsillarabszesses denken. Dieser kann als Komplikation einer Tonsillopharyngitis auftreten. Klinische Hinweise für einen Peritonsillarabszess sind starke einseitige Halsschmerzen, ein einseitig geschwol­ lener und geröteter Gaumenbogen, die

Abb. 3: M o n o n u kle o se m it g rä u lic h -flä c h ig e n T onsillenbelägen.

Verdrängung der glasig geschwollenen Uvula zur Gegenseite, sowie eine klossige Sprache und Trismus. Hier muss in der Regel neben der antibiotischen Therapie eine chirurgische Abszesssa­ nierung im Sinne einer Inzision mit Eiter-Evakuierung oder gleich eine Abs­ zesstonsillektomie erfolgen. Bei begleitenden Beschwerden im Be­ reich der Gelenke, des Herzens oder der Nieren muss die Möglichkeit einer Streptokokken-Folgeerkrankungen in Erwägung gezogen werden. Erkrankun­ gen wie das akute rheumatische Fieber (selten, Inzidenz

[Common infections of the ear, nose, and throat].

Les maladies infectieuses de la gorge, du nez et des oreilles sont sûrement un fréquent motif pour les patients de consulter leur médecin de famille. ...
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