bericht Neuropsychiatr DOI 10.1007/s40211-013-0093-3

Zwangssterilisationen: Die Klagenfurter Psychiatrie im Nationalsozialismus Herwig Oberlerchner · Helge Stromberger

Eingegangen: 12. September 2013 / Angenommen: 22. November 2013 © Springer-Verlag Wien 2013

Compulsory sterilization: the psychiatric hospital of Klagenfurt under national socialism Ärzte verschiedenster Fachrichtungen, insbesondere aber auch Psychiater haben sich während des Dritten Reichs auf unterschiedlichste Weise an den destruktiven Zwangsmaßnahmen und Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes beteiligt. Diese Ärzte begutachteten für das Ehegesundheits- und Erbgesundheitsgesetz, nahmen Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen vor, unterschieden in lebenswertes und nicht lebenswertes Leben, ordneten Tötungen und Deportationen an, beteiligten sich in Konzentrationslagern an Experimenten an Menschen. Dieser menschenverachtende Zynismus der sich bereits vor dem nationalsozialistischen Regime und auch außerhalb Deutschlands entwickelnden rassenhygienischen und eugenischen Ideologien wurde im Dritten Reich formalrechtlich geregelt, fußte hauptsächlich auf dem Ehegesundheitsgesetz (Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935), dem Erbgesundheitsgesetz (Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.07.1933) und dem Euthanasie-Programm, der sogenannten T4-Aktion, die auf keinem Gesetz, sondern einem schriftlichen Erlass Hitlers vom Oktober 1939 beruhte. Die beiden erstgenannten Gesetze traten in Österreich mit 1.1.1940 in Kraft.

Prim. Mag. Dr. H. Oberlerchner, MAS, MD () Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Feschnigstr. 11, 9020 Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] Mag. H. Stromberger Freier Sozialwissenschaftler, Klagenfurt, Österreich

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Euthanasie im Nationalsozialismus Zwischen 1939 und 1945 wurden im „Dritten Reich“ zwischen zwei- und dreihundertausend Menschen im Rahmen der sogenannten „Euthanasie“ ermordet. Die Opfer waren meist behindert oder psychisch leidend, manchmal auch nur alt und gebrechlich oder zusätzlich körperlich krank. Ziel der äußerst umfangreichen und vielfältigen Aktionen war „der entschlossene Wille unserer Regierung, den Volkskörper zu reinigen und die krankhaften Erbanlagen allmählich auszumerzen“, so beschreiben die Autoren des Gesetzestextes, der Medizinalbeamte Arthur Gütt, der Psychiater Ernst Rüdin und der SS-Jurist Falk Ruttke die grundlegenden eugenischen Motive ([1] S. 5). Die Motive waren sowohl ideologischwissenschaftlicher Natur als auch ökonomischer. Die Datenlage bezüglich der Zwangssterilisationen und Euthanasiemorde in Kärnten ist recht unterschiedlich. Die Quellenlage zur NS-Euthanasie stellt sich zweifellos besser dar, denn vom Spätsommer 1945 an gab es in Klagenfurt die genaueste und umfassendste gerichtliche Untersuchung von Euthanasiemorden, die in österreichischen Krankenanstalten verübt wurden. Der Akt zum Verfahren gegen Dr. Niedermoser und andere Täter 18 Vr 907/45 befindet sich im Kärntner Landesarchiv (KLA) und besteht aus tausenden Seiten mit den verschiedensten Prozessunterlagen [2]. In zwei Hauptverhandlungen standen 1946 insgesamt fünfzehn MitarbeiterInnen des Klagenfurter Gaukrankenhauses vor Gericht, unter ihnen auch die drei HaupttäterInnen. Auf den Angaben in den Prozessakten zur Tötung von Menschen an der Abteilung einerseits und den Transportlisten von Klagenfurt nach Hartheim bei Linz andererseits beruht eine weitgehende Erfassung der Identität der Ermordeten, die der Zweitautor bisher erstellen konnte. Ein Überblick über die Ereignisse an der Klagenfurter Psychiatrie im Nationalsozialismus wurde bereits 2011 publiziert [3]. Eine detaillierte Dar-

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stellung der Transporte von und nach Klagenfurt ist in Vorbereitung.

Sterilisation Um einiges spärlicher erweist sich die Quellen- und Datenlage im Bereich der gewaltsamen Unfruchtbarmachung der sogenannten Erbkranken. Als erbkrank gemäß Absatz 2 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses galt, „wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, schwerer körperlicher Behinderung“. Im Absatz 3 heißt es: „Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet“ (hier zitiert nach [4] S.  482). Der Ausprägungsgrad der Erkrankungen spielte dabei eine untergeordnete Rolle, das wichtigere Kriterium war die Fortpflanzungsgefährlichkeit, worin die „Hauptgefahr“ für den „Volkskörper“ gesehen wurde ([5] S. 1). Die bislang ausgewerteten Dokumente zur zwangsweisen Sterilisierung in den einschlägigen Beständen des Landesarchivs und der Archive des Klinikum Klagenfurt am Wörthersee erlauben nicht viel mehr als eine umriss- und skizzenhafte Darstellung der Situation, die nur an wenigen Stellen auch ins Detail reicht und noch zahlreiche Unklarheiten enthält. Auf Basis der bislang eingesehenen Dokumente muss für den gesamten Geltungszeitraum des „Gesetzes zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses“ von einer Mindestanzahl von über 500 Zwangssterilisationen in Kärnten ausgegangen werden. Die tatsächliche Dimension der in Kärnten durchgeführten Sterilisationen durch operative Eingriffe an den Fortpflanzungsorganen bei angeblich Erbkranken ist derzeit noch nicht letztgültig bestimmbar. In einem breiten, von der Sanitätsabteilung der Reichsstatthalterei administrierten Umfang ist das Sterilisierungsprogramm in Kärnten spätestens ab Sommer 1940 angelaufen, dabei spielten neben zwei Ärzten der Psychiatrie die Amtsärzte eine zentrale Rolle. Denn die Amtsärzte hatten nach Umstrukturierung und Anpassung des Gesundheitswesens folgende Aufgaben im Rahmen der Erb- und Rassenpflege: 1. Ausstellung von Ehetauglichkeitszeugnissen 2. Erstellen von Gutachten für Bewerber um Kinderbeihilfe 3. Erstellung von Gutachten für Ehestandsdarlehensbewerber 4. Erbbiologische Bestandsaufnahme mit Erstellung von Erbkarteien und Sippentafeln 5. Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ([6] S. 180 ff ). Diese Aufgaben versuchten sie durch Beratung und Begutachtung der Betroffenen selbst, aber auch durch Rückfragen in den Institutionen und Krankenanstalten zu erfüllen

und sie wurden dabei rege unterstützt von Hebammen, Gesundheitsfürsorgerinnen und anderen Ärzten. Die Amtsärzte wurden zumindest in den beiden letztgenannten Aufgabengebieten auch unterstützt von den Krankenhausärzten, die selbst Sippentafeln anfertigten und Anträge auf Zwangssterilisation, „der mächtigsten Waffe negativer Eugenik“ stellten ([7] S.  353). Die Anträge wurden dem Erbgesundheitsgericht übermittelt, eigene Gutachter bestätigten die „Fortpflanzungsgefahr“und das Vorhandensein von Erbkrankheiten, eine Berufung bzw. Beschwerde war grundsätzlich schriftlich oder mündlich innerhalb von 14 Tagen möglich. Erst nach einem formal rechtskräftigen Beschluss wurde dem Betroffenen eine Aufforderung zugesandt sich binnen 14 Tagen bei der zuständigen Krankenhausabteilung zu melden. Eine allfällig notwendige Zwangsvorstellung durch Polizei oder Gendarmerie war vorgesehen. PatientInnen der Landesirrenanstalt wurden zum Eingriff an die entsprechende Abteilung überstellt. Insbesondere die „Diagnose“ angeborener Schwachsinn wurde sehr großzügig gestellt. Man geht davon aus, dass die Hälfte aller Zwangssterilisationen in Österreich auf die Diagnose „Schwachsinn“ zurückging [8]. Bei vielen Frauen kam es durch den operativen Eingriff zu Komplikationen, es gibt Schätzungen von Mortalitätsraten bei Frauen von bis zu 1,2 % der Sterilisierten ([7] S.  363). Tausende Frauen überlebten die Unfruchtbarmachung nicht. Ob es in Kärnten bei Frauen über 38 Jahren – eine Gesetzesänderung sah dies in Deutschland ab dem 4.2.1936 vor – zu einer Sterilisation durch Röntgenbestrahlung gekommen ist, ist noch nicht geklärt. Es gibt Hinweise, aber bis dato keinen sicheren Nachweis, dass Kärntner Ärzte den „Erbkranken“ auch durch diffuse Verstrahlung der Ovarien die Fortpflanzungsfähigkeit genommen haben. So wollte beispielsweise im Sommer 1940 die Sanitätsabteilung der Reichsstatthalterei wissen, welche Krankenhäuser, Abteilungen und Ärzte für eine sogenannte „Röntgen-Kastration“ in Frage kommen. Eine der Antworten an die Sanitätsabteilung, datiert auf den 8.7.1940, lautete so: „Zur Ausführung der Rö.-Kastration bei Frauen aus eugenischen Gründen ist Herr Dr. Fritz Jarisch, derzeit Röntgenologe am Krankenhaus Villach zu nennen“ ([9] S. 157). Ob dieser Arzt dann auch tatsächlich solche Verstrahlungen durchgeführt hat, ist damit freilich noch nicht gesagt. Im Kärntner Landesarchiv konnten für die Jahre 1940 bis 1943 mehrere Unterlagen zum Thema Sterilisation gefunden werden, die aber nur schwer interpretierbar sind, da anhand dieser Akten und Schriftstücke nicht zwischen „Erbgesundheitssachen“ und tatsächlich durchgeführten Sterilisationen differenziert werden kann. Für die Jahre 1940 bis 1942 können jedoch folgende Sterilisationszahlen angegeben werden [10]: Jahr

Männer

Frauen

Gesamt

1940

4

11

15

1941

64

95

159

1942

101

41

142

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Nur für das Jahr 1942 gibt es eine recht exakte Auflistung [11]. 264 Anfälle von „Erbgesundheitssachen“ wurden im Gaukrankenhaus Klagenfurt und in den Gesundheitsämtern der Bezirkshauptstädte behandelt. 142 Unfruchtbarmachungen wurden im Jahr 1942 durchgeführt, anbei auch die angegebenen „Erbkrankheiten“. 1942 Männer Frauen

101

MDI

Schwachs.

Schizophr.

2

59

26

Fallsucht 6

Taubh.

Blindh.

Ohne Dg.

1

2

5

41

1

23

12

4

1





142

3

82

38

10

2

2

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Im Reichsgau Kärnten wurden folgende Ärzte mit der Durchführung der Sterilisationen betraut. In Klagenfurt Prim. Dr. Franz Palla und Prim. Dr. Viktor Hiess. Nach beiden sind in Klagenfurt noch Straßen benannt. Dr. Hiess hat ab Anfang 1944 auch noch routinemäßig Zwangsabtreibungen bei Ostarbeiterinnen durchgeführt, um den Ausfall von Arbeitsleistung für die Deutsche Kriegswirtschaft zu minimieren, eine der zahlreichen unmenschlichen Facetten der Arbeitspolitik des Dritten Reichs. Für das Gaukrankenhaus Villach wurde von der Reichstatthalterei in Kärnten am 30. Juli 1940 Dr. Adolf Lukeschitz für die Unfruchtbarmachung von Männern und Frauen betraut, im Krankenhaus Wolfsberg war es Prim. Dr. Arthur Rainer – nach dem in Wolfsberg ebenfalls eine Straße benannt ist – und im Krankenhaus Lienz Prim. Dr. Ernst Paul und Dr. Hermann Samonigg. Ob die vier letztgenannten Ärzte auch tatsächlich sterilisiert haben, ist bislang noch nicht untersucht. Am 19. April 1943 hat die Reichsstatthalterei Kärnten für das besetzte Gebiet Oberkrains das Krankenhaus Gallenfells bzw. den inzwischen avancierten Primararzt Dr. Hermann Samo-

nigg zum Operateur der „erbkranken“ Bevölkerung in Slowenien bestimmt. In gewissen Fällen hatten Frauen gleich in doppelter Hinsicht unter den Nachstellungen der Handlager der NS-Medizin zu leiden. Die von eugenischen Vorstellungen beherrschten Gesundheitsämter entdeckten die „Gefahr“ von „erbkrankem Nachwuchs“ in einigen Fällen erst, wenn eine „Erbkranke“ bereits schwanger war. In diesem Fall wurde zwangsweise abgetrieben und sterilisiert. Auch das war gesetzlich geregelt, gab es doch am 26.06.1935 eine Gesetzesänderung des GzVeN, die die Zulässigkeit und Indikation von eugenisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen regelte. Bezüglich der Zwangsabtreibungen bei Ostarbeiterinnen müssten überhaupt noch größere Anstrengungen unternommen werden, um eine breitere Quellenbasis und damit ein klareres Bild zu gewinnen. Bislang steht lediglich fest, dass auch in Kärnten spätestens ab Anfang 1944 Zwangsabtreibungen bei Ukrainerinnen, Russinnen u.  a. durchgeführt wurden und dass Abtreibungen bei schwanger gewordenen Zwangsarbeiterinnen, welche nach der rassistischen Ideologie der Nazis als minderwertig angesehen wurden, zumindest an der Gynäkologie des Gaukrankenhauses Klagenfurt und seiner bombenkriegsbedingten „Ausweichstelle Karawankenhof“ in Ferlach bis unmittelbar vor Kriegsende routinemäßig vorgenommen wurden.

Sterilisation in den Akten Welche Unterlagen bzw. welche Schriftstücke finden sich nun in den erhalten gebliebenen Krankenakten im Kärntner Landesarchiv zum Thema Sterilisation.

Abb. 1  Stempel auf dem Deckblatt einer Krankenakte

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1. Im Historischen Archiv der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, das im Rahmen eines Festaktes im Herbst 2012 dem Kärntner Landesarchiv übergeben wurde, finden sich in den Krankenakten Anfragen vonseiten der Amtsärzte bezüglich des allfälligen Vorhandenseins von Erbkrankheiten. 2. Auf vielen Deckblättern von Krankenakten befindet sich ein Stempel (Abb. 1), in dem die Daten des Antrages auf Unfruchtbarmachung, der Entscheidung des Erbgesundheitsgerichtes und die Durchführung derselben eingetragen wurden. 3. In einigen Krankenakten ist der umfangreiche Schriftverkehr bezgl. des Erbgesundheitsgesetzes erhalten geblieben. Wir fanden Anträge auf Unfruchtbarmachungen, Sippentafeln (Abb.  2), Gutachten, Durchführungsbescheide und ärztliche Berichte. Im Beschluss vom 14. Mai 1941 bezüglich Herrn F. R. – erhalten in dessen Krankenakt – steht zum Beispiel: „Das Erbgesundheitsgericht Klagenfurt hat heute in nicht öffentlicher Sitzung durch den Vorsitzenden LGR. Dr. Feldner und die Beisitzer Dr. Mulley und Dr. Steinhart auf Antrag des Amtsarztes beim Gesundheitsamt der Gauhauptstadt Klagenfurt beschlossen: F. R. ist wegen Schizophrenie unfruchtbar zu machen. Gründe: Auf Grund der Krankengeschichte der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke in Klagenfurt und auf Grund des ärztlichen Gutachtens des Hausarztes Dr. Niedermoser wird festgestellt, daß F. R. an Schizophrenie, somit an einer Erbkrankheit leidet. Um zu verhüten, daß er Kinder zeugt, welche ebenfalls erblich belastet sind, musste gemäß § 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses seine Unfruchtbarmachung angeordnet werden“. 4. In den Pflegedekursen finden sich meist nur kurze Einträge zur Durchführung der Sterilisation. In der Akte des Herrn W. J. steht am 4.2.1941: „Erstattung der Anzeige an das Erbgesundheitsgericht zwecks Sterilisierung, da ihn die Mutter im Frühjahr nach Hause nehmen will.“ 22.5.1941: „Wird auf der chirurg. Abtlg.

sterilisiert.“ Tatsächlich ist die Sterilisierung in vielen Fällen eine von den Krankenhausärzten geforderte Voraussetzung (Stichwort: Fortpflanzungsgefährlichkeit) für die Entlassung − meist gegen Revers − nach Hause. Im Jahr 1942 wurden laut einem Aktenvermerk von den 264 Erbgesundheitssachen 35 Anträge von Betroffenen selbst gestellt, was natürlich nicht als „freie Entscheidung“ der Betroffenen selbst interpretiert werden kann. 5. In seltenen Fällen haben PatientInnen der Landesirrenanstalt Einspruch gegen die Anordnung zur Sterilisation erhoben und ist der umfangreiche Schriftverkehr erhalten geblieben. Herr G. P. wurde bei bipolar affektiver Störung (im Krankenakt als „Zirkuläres Irresein“ bezeichnet) wiederholt stationär betreut. Anlässlich seines dritten Aufenthaltes wurde am 13.12.1941 ein Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt. Zuerst wollte der behandelnde Arzt laut Eintragungen im Akt von einem solchen Antrag noch absehen, war doch Herr G. zu diesem Zeitpunkt bereits 52 Jahre alt und sein letztes Kind bereits 8 Jahre. Nachdem aber eine Fürsorgerin des Gesundheitsamtes Villach angab, dass Frau G. schwanger sei – Herr G. leugnete der Vater zu sein – wurde der Antrag doch gestellt. Doch noch vor der Durchführung wurde Herr G. in gebessertem Zustand entlassen. Der zuständige Amtsarzt gab dafür die Erlaubnis, da „die Gefahr der Fortpflanzung bei G. derzeit nicht groß sei“. Mit Bescheid des Erbgesundheitsgesetzes vom 10.2.1942 wurde die Unfruchtbarmachung angeordnet (Abb. 3). Herr G. nahm sich einen Rechtsanwalt und erhob Einspruch. Er weigerte sich auch eine Verzichtserklärung auf das Rechtsmittel des Einspruchs, wozu ihn der Amtsarzt zwingen wollte, zu unterschreiben, woraufhin er wieder der Abteilung zugewiesen wurde (Abb. 4). Die Begründung: „G. hat gegen diesen Beschluss des EGG. (Erbgesundheitsgericht – Anm. der Autoren) durch einen Rechtsanwalt Einspruch erhoben. Dr. Scheiber (Amtsarzt in Villach – Anmer. der Autoren) hat, da G. eine Erklärung, daß er auf alle

Abb. 2  Sippentafel

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Abb. 3  Beschluss zur Unfruchtbarmachung

Rechtsmittel der Beschwerde verzichtet, nicht unterfertigte oder zu unterfertigen ablehnte, die sofortige Überführung in die Landes-Heil und Pflegeanstalt veranlasst. Da eine neuerliche Schwängerung der Frau des G. unter allen Umständen verhindert werden muss, ist G. keinesfalls vor Durchführung der U-Machung bzw. Abschluss der Verfahrens aus der Anstalt zu entlassen“. Herr G. wurde am 18.2.1942 vom Bürgermeister seiner Gemeinde an die Abteilung begleitet. Offensichtlich gab es vorher noch einen Versuch Herrn G. an die Chirurgische Abteilung zur Unfruchtbarmachung zu überstellen, was G. aber verweigerte. In der für den 25.3.1942 anberaumten Verhandlung am Erbgesundheitsobergericht in Graz kann Herr G. nicht erscheinen, er sei „derzeit so unruhig, verworren und auffällig“. Auch konnte man ihn aufgrund des Personalmangels nicht von zwei Pflegern begleiten lassen. Ob die ebenfalls geladene Gattin des G. an

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dieser Verhandlung teilnahm, geht aus der Akte nicht hervor. Am 19.5.1942 wurde Herr G. sterilisiert, am 4.8. in gebessertem Zustand entlassen. Am 28.12.1942 wird Herr G. zum sechsten Mal stationär aufgenommen. Eintrag am 29.12. in der Akte: „Nachts sehr unruhig, steht in der Zelle herum, schreit, schlägt mit aller Kraft gegen die Türe. Bekommt 1 ½  cm Modiskop. Wird morgens tot in seiner Zelle gefunden“.  

Schlussbemerkung Das bislang von den Verfassern eingesehene Dokumentenmaterial lässt für Kärnten also noch keine detaillierte Gesamtdarstellung dieses Aspekts der „Verhinderung erbkranken Nachwuchses“ zu. Derzeit lässt sich aber doch sagen, dass in Kärnten spätestens ab 1940 hunderte Männer und hunderte Frauen gegen ihren Willen an den Geni-

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bericht Abb. 4  Zuweisung zur stationären Aufnahme zur Durchführung der Unfruchtbarmachung

talien operiert, vielleicht auch starken Röntgenstrahlen ausgesetzt wurden, um ihre Zeugungs- und Geburtsfähigkeit zu zerstören. Die erhalten gebliebenen Akten erlauben aber einen umfangreichen Einblick in die organisatorischen Abläufe dieses menschenverachtenden Aspektes der NS-Ideologie und in einigen Fällen in den erschütternden Kampf um die Erhaltung der sexuellen Identität. Auch die im Kärntner Landesarchiv einsehbaren Dokumente im Bestand Sammlung Posch sowie im Bestand Reichsstatthalterei Sanitätsabteilung 18, Verhütung erbkranken Nachwuchses können für allfällig zukünftige Forschungsprojekte als reichhaltige Quellen dienen.

Nachbemerkung

Zitate und jene „Fach-(Terminologie)“ nur, um die menschenverachtende Gesinnung auch gekleidet in die Sprache jener Zeit transparent zu machen. Interessenkonflikt  Es besteht kein Interessenkonflikt.

Literatur  1. Gütt A, Rüdin E, Ruttke F. Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Gesetz und Erläuterungen. Berlin 1934, 5 (Vorwort).  2. Kärntner Landesarchiv (KLA). Landesgericht Klagenfurt Strafakten. Schachtel 182 bis 184; kriminalpolizeiliche Einvernahmen, Verhandlungsprotokolle und Verfahrensdokumente.

Die Autoren distanzieren sich natürlich von der inhumanen Diktion des Nationalsozialismus, sie verwenden

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bericht  3. Oberlerchner H, Stromberger H. Die Klagenfurter Psychiatrie im Nationalsozialismus. Psychiatr Psychother. 2011;7(1):7–10.   4. Nissen G. Kulturgeschichte seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart: Klett Cotta; 2005.   5. Steger F, Schmer B, Strube W, Becker T. Zwangssterilisation nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Nervenarzt. 2011.  6. Poier B. Erbbiologisch unerwünscht. Die Umsetzung rassenhygienisch motivierter Gesundheitspolitik in der Steiermark 1938–1945. In: Freidl W, Sauer W, Herausgeber. NS-Wissenschaft als Vernichtungsinstrument. Wien: Facultas; 2004.   7. Goldberger J. „Erb- und Rassenpflege“ in Oberdonau. In: Baader G, Hofer V, Mayer Th, Herausgeber. Eugenik in Österreich. Biopolitische Strukturen von 1900 bis 1945. Wien: Czernin Verlag; 2007. S. 345–67.

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 8. Malina P, Neugebauer W. NS-Gesundheitswesen und -medizin. In: Talos E, Herausgeber. NS-Herrschaft in Österreich. Wien; 2000. S. 696–720.   9. Stromberger H. Villacher Opfer der NS-Medizin. In: Haider Hans, Herausgeber. Nationalsozialismus in Villach. Edition kärnöl. Dritte erweiterte Auflage; 2008. S. 149–57. 10. Kärntner Landesarchiv (KLA). Sammlung Posch. Schachtel 1, Mappe1. 11. Kärntner Landesarchiv (KLA). Bestand Reichsstatthalterei. Sanitätsabteilung 18, Verhütung erbkranken Nachwuchses.

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