13 Thoraxchirurgie 25 (1977) 13-16 © Georg Thieme Verlag Stuttgart

Zum Krankheitsbild der kongenitalen Ösophago-Bronchialfistel Congenital Bronchoesophageal Fistula — A Case Study L. Rickeis, H.-J. Streicher

Zusammenfassung Es wird über einen Fall mit angeborener ÖsophagoBronchial-Fistel vom H-Typ berichtet, die erst im 43. Lebensjahr diagnostiziert werden konnte. Diese Mißbildung ist äußerst selten und kann, wenn sie nicht schon in den ersten Lebenstagen bemerkt wird, bis ins hohe Lebensalter unerkannt bleiben, obwohl sie oft die Ursache für rezidivierende Pneumonien oder lokalisierte sekundäre Bronchiektasen ist. Die Diagnostik ist schwierig und meist erst durch die Kombination mehrerer Untersuchungsmethoden möglich. Entscheidend ist die Kenntnis dieser Mißbildung. Die Resektion des Fistelkanals und der Fistelverschluß ist ein relativ einfacher operativer Eingriff.

Summary This report deals with a patient with a congenital bronchoesophageal fistula, type "H", which was diagnosed only at age 43. This is an extremely rare defect and, if not recognized shortly after birth, it usually will stay unrecognized despite the fact that it causes recurrent pneumonias or localized bronchiectasis. The diagnosis of such a case is difficult and usually only possible with the help of a variety of diagnostic tests. The deciding factor is the recognition of the congenital defect. The subsequent surgical treatment including resection of the canal and closure of the fistula is a relatively simple operative procedure.

Key-Words: Congenital Fistula - Bronchus - Esophagus

Mitteilungen über kongenitale Ösophago-Tracheal- oder Ösophago-Bronchial-Fisteln bei Erwachsenen sind bisher nur einzeln erschienen. Die Diagnostik dieses durch eine einfache Operation heilbaren seltenen Krankheitsbildes ist schwierig. Deshalb erscheint es sinnvoll, anhand einer eigenen Beobachtung hierüber zu berichten, zumal auf die Dauer die Fistel zu unausweichlichen pulmonalen Komplikationen führt und für den betreffenden Kranken bedrohlich werden kann. Fallbericht: Seit Jahren beobachtet der 42jährige Patient Sch.H., (Kr.-Bl. Nr. 106856/1973) Hustenreiz bei hastigem Trinken, insbesondere bei linker Seitenlage. Wenn er sich etwas nach rechts neigt oder im Stehen oder Sitzen langsam trinkt, kommt es nicht zu diesen Hustenanfällen. Wiederholt schon war er wegen Pneumonien in ambulanter und auch stationärer Behandlung. Erst anläßlich einer Kontrolluntersuchung wegen Beschwerden im Narbenbereich nach einer vorausgegangenen Cholezystektomie wird nach der Ursache dieser Schluckbeschwerden und rezidivierenden Pneumonien gefahndet. Hierbei wird der Verdacht auf eine Ösophago-Bronchial-Fistel erhoben und der Patient in unsere Klinik eingewiesen.

Bei der klinischen Untersuchung finden wir unauffällige Befunde. Die Röntgenuntersuchung des Thorax ergibt keine Besonderheiten. Der Ösophagusbreischluck zeigt in Hilushöhe ein nach links dorsal weisendes kleines Traktionsdivertikel, von dessen Spitze aus das Kontrastmittel in das linksseitige Bronchialsystem übertritt. Gleichzeitig tritt heftiger Hustenreiz auf (Abb. 1). Der Kontrastmittelübertritt läßt sich bereits bei leichter Linksneigung des Oberkörpers provozieren, während bei Rechtsneigung kein Kontrastmittel ins Bronchialsystem gelangt. Das Ösophagusschleimhautrelief ist durchlaufend. Bei der Ösophagoskopie findet sich 37 cm von der Zahnreihe entfernt eine nach links kranial verlaufende Fistel, an deren hinterem oberen Ende man eine Einengung auf Stecknadelkopfgröße erkennt, welche sich atemsynchron öffnet und schließt. Der Fistelkanal zeigt unauffällige Schleimhautverhältnisse, ohne Nachweis von Ulzeration. Mehrere Probeexzisionen aus der unmittelbaren Umgebung der Fistel sowie vom Grund der Fistel ergeben histologisch unauffällige Plattenepithelien. Bronchographisch finden sich im Bereich des apikalen Unterlappensegmentes sackförmige Bronchiektasen bzw. Abszeßbildung. Die übrigen Äste, insbesondere die Oberlappen- und auch basalen Äste, sind frei (Abb. 2). Lungenfunktionsprüfung und laborchemische Untersuchungen sind unauffällig.

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Chirurgische Klinik des Städtischen Ferdinand-Sauerbruch-Klinikums Wuppertal-Elberfeld (Direktor: Prof. Dr. H.-J. Streicher)

L. Rickeis, H.-J. Streicher

Abb. 1. Ösophagusbreischluck mit Darstellung der Ösophago-Bronchial-Fistel. Fig. 1. Demonstration of the bronchoesophageal fistula with barium-contrast. Operation: 30.8.73. Nach rechtsseitiger Thorakotomie findet sich die divertikelartige Ausziehung des Ösophagus etwa 3 QF unterhalb der Trachealbifurkation. Der Fistelgang ist etwa fingerdick und von Muskulatur bekleidet. Weder Knickbildungen noch Narbenbildungen oder Verwachsungen sind erkennbar. Auch sind keine Lymphknoten oder andere Zeichen früher abgelaufener Entzündungen im Bereich der Ausstülpung sichtbar. Die Umgebung ist völlig reizlos. Am Ende des etwas über 1 cm langen Kanals gelangt man direkt auf den linken Bronchus intermedius am Abgang des 6. Segmentes - entsprechend dem bronchographischen Befund. Auch am Bronchus bestehen keinerlei Entzündungserscheinungen. Die Fistel wird am Bronchus abgetrennt, und es zeigt sich hierbei, daß die Schleimhaut glatt ineinander übergeht. Resektion des divertikelartigen Fistelkanals, Übernähung von Bronchus und Ösophagus. Histologie: Fistelgang innen mit geschichtetem Plattenepithel, außen mit Muskulatur. Postoperativer Verlauf: Komplikationslos mit glatter Wundheilung, Entlassung. Die Röntgenkontrolle des Ösophagus am 15. Tage zeigt eine freie Passage mit glatten Konturen, ohne Stenose oder Narben. Bei einer Kontrolluntersuchung 15 Wochen nach der

Abb. 2. Bronchographie mit Darstellung der umschriebenen Bronchiektasen und der Abszeßbildung. Fig. 2. Bronchographie demonstration of the bronchieetasy and the abscess. Operation ist der Patient vollständig beschwerdefrei, es trat keinerlei Hustenreiz mehr auf (Abb. 3). Der Patient verstirbt 2 Jahre nach der Operation an den Folgen einer alkoholbedingten Leberzirrhose. Diskussion Die Häufigkeit von Ösophagusmißbildungen beträgt nach Haight etwa 1:4500, vorwiegend Ösophagusatresien mit oder ohne Fistel zur Trachea. Die Häufigkeit sogenannter H-Fisteln zwischen Ösophagus und Trachea, ohne gleichzeitige Ösophagusatresie, wie sie bei unserem Patienten vorlag, ist weit seltener und wird mit 1:150 000 angegeben. Die mit Atresie kombinierten Fisteln werden in den ersten Lebensstunden nach den typischen Symptomen des starken Speichelflusses und Hustenreizes beim Trinken diagnostiziert und in einem Großteil der Fälle heute sogleich operiert. Im Gegensatz zu den Atresien mit oder ohne Fisteln werden H-Fisteln oft erst nach Tagen diagnostiziert. Müller teilte 1966 10 Fälle vom Typ III b (nach Vogt) mit, die noch am Tage der Geburt diagnostiziert wurden, während eine Mißbildung vom H-Typ erst nach 27 Tagen

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Abb. 3. Ösophagusbreischluck 15 Wochen post operationem. Fig. 3. Barium-contrast 15 weeks after Operation.

ins Krankenhaus kam. Schneider zeigte in einer Sammelstudie von 71 Fällen des H-Typs, daß ein Teil in den ersten Lebenstagen, andere aber erst im Verlaufe des 2. Lebensmonats erkannt werden. Dies entspricht der wechselnd stark ausgeprägten Symptomatik dieser Ösophago-TrachealFisteln, die oft einen völlig normalen Schluckakt erlauben, der mehr oder minder häufig mit Hustenreiz vergesellschaftet ist. Der Hustenreiz richtet sich hierbei oft nach der Körperlage. Die Ursache der Ösophago-Tracheal- oder Ösophago-Bronchial-Fistel vom H-Typ ist eine angeborene Fehlbildung bei der Abtrennung der Lungenrinne aus dem Vorderdarm gegen Ende der 7. bis 8. Embryonalwoche (Brunner und Hecker). Das histologische Bild der Fisteln zeigt eine Innenauskleidung mit Plattenepithel (Imdaht) entsprechend dem Epithel des Ösophagus. Sie sind außen von Muskulatur umgeben. H-Fisteln können auch erworben in der Folge von Traktionsdivertikeln auftreten, die

vornehmlich durch vernarbende Lymphadenitis entstehen. Durch Einschmelzung eines solchen Lymphknotens kann es zum Divertikeldurchbruch mit nachfolgender Fistelbildung kommen (Deucher). Der Operationssitus und ebenso die histologische Untersuchung zeigen bei diesen sekundär entstandenen Fisteln typisches Schwielen- und Narbengewebe in der näheren Umgebung, während die kongenitalen Fisteln im völlig reizlosen Gewebe liegen. Bleibt eine solche H-Fistel wie bei unserem Patienten bis ins Erwachsenenalter bestehen, so ist hierzu die Voraussetzung, daß nur bei flüssiger Nahrung, sehr großen Schlücken und bei bestimmter Körperhaltung ein Übertritt des flüssigen Nahrungsmittels in den Bronchialbaum erfolgt. Die Folge hiervon sind rezidivierende Bronchopneumonien in Folge von Aspiration und schließlich die Ausbildung von Bronchiektasen. Diese pulmonalen Komplikationen, die meist Anlaß für eine gezielte Untersuchung und damit Voraussetzung der Diagnose sind, hängen in ihrer Intensität weitgehend von der Form

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Zum Krankheitsbild der kongenitalen Osophago-Bronchialfistel

L. Rickeis, H.-J. Streicher

der Fistel, insbesondere vom Verlauf der Fistel und von ihrem Lumen ab. Nach den Mitteilungen in der Literatur verlaufen sie immer schräg kraniokaudal von der Trachea oder dem Bronchus zum Ösophagus. Meist ist auch — wie bei unserem Fall — die Mündung am Bronchus wesentlich enger als am Ösophagus. Hieraus erklärt sich, daß diese Fisteln, wenn sie nur dünnkalibrig sind, in Einzelfällen bis ins hohe Lebensalter bestehen können, ohne jemals entdeckt zu werden, obwohl meist seit vielen Jahren rezidivierende pulmonale Komplikationen bestanden haben. Es gibt keine absolut sichere Methode, um eine H-Fistel nachzuweisen. Sowohl die endoskopischen Verfahren, wie Bronchoskopie und Ösophagoskopie, als auch die radiologischen Untersuchungen, wie Ösophagusbreischluck und Bronchographie, haben ihre Fehlermöglichkeiten. Bei der Ösophagoskopie kann eine Fistelmündung hinter einer Schleimhautlefze übersehen werden, bei Breischluck tritt das Kontrastmittel aufgrund des schräg nach oben gerichteten Fistelverlaufes nicht in die Fistel und vor allem nicht in das Bronchialsystem

über. Deshalb ist bei Verdacht auf eine solche Fistel — und sie wird nur dann diagnostiziert, wenn man daran denkt — die Röntgenuntersuchung in Seitenlage, evtl. in Seiten- und Kopftieflage, notwendig. Nur durch die Kombination aller genannten Untersuchungsmethoden ist eine Chance gegeben, die Diagnose zu stellen. Förster hat neuerdings empfohlen, den Ösophagus mit einem Ballonkatheter oberhalb der Fistel zu blockieren und dann den Ösophagus aufzufüllen, bei gleichzeitiger Kopftieflage. Das Kontrastmittel kann auf diese Weise nicht mehr durch Aspiration in die Trachea gelangen, so daß positiver Kontrastmittelbeschlag die Fistel beweist. Vor allem bei Kleinkindern scheint dieses Verfahren sehr sinnvoll zu sein. Bei Erwachsenen, wie bei unserem Patienten, ist es nicht notwendig. Mit der Diagnosestellung ist die Operationsindikation gegeben. Der Eingriff ist einfach und bewahrt den Patienten vor weiteren Pneumonien. Veränderungen der Lunge und des Bronchialsystems bilden sich — wenn sie nicht allzulange bestanden haben — zurück.

Literatur 1 Brunner, A.: Oesophago-bronchiale Fisteln. Münch. 7 Hecker, W.Ch.: Problematik und Klinik der conmed.Wschr. 45 (1961) 2181 genitalen Atresien des Digestionstraktes. Ergebn. 2 Deucher, F.: Allg. und spez. chir. Operationslehre, chir.Orthop. 44 (1962) 274 2.Aufl. Bd. 6/1. Springer-Verlag (1967) 824 8 Imdahl, H: Kongenitale Oesophagusatresie. Spez. 3 Förster, A.: Eine neue Methode zur sicheren LokaChir.Praxis 1 (1973) 705 lisation einer Oesophago-Tracheal-Fistel im Thorax- 9 Müller, E.: Beitrag zum Krankheitsbild der angebereich. Z.Kinderchir. 16 (1974) 445 borenen Oesophago-Trachealfistel und Oesophagus4 Groß, M.: Lehrbuch der Kinderchirurgie. Stuttgart atresie. Bruns Beitr.klin.Chir. 213 (1966) 441 (1957) 10 Schneider, K.M.: The H-type tracheooesophageal 5 Haight, C: Some observations on oesophageal fistula in infants and children. Surgery 51 (1962) atresias and tracheooesophageal fistulas of con677 genital origin. J.Thorac.Surg. 34 (1957) 141 11 Vogt, E.C.: Congenital oesophageal atresia. Amer. 6 Haight, C: Tracheooesophageal fistula without J.Roentgenol. 22 (1929) 463 oesophageal atresia. Ped.Surg. Vol. 1 (1962) 288 Dr. L. Rickeis, Prof. Dr. H.-J. Streicher, Ferdinand-Sauerbruch-Klinikum, 5600 Wuppertal 1

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[Congenital bronchoesophageal fistula--a case study (author's transl)].

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