Neurochirurgia 20 (1977), 186-188 © Georg Thieme Verlag Stuttgart

Zur Formalgenese intrasellärer und intraventrikulärer Zysten K.-H. Holbach, F. Gullotta

Zusammenfassung Die histologische Natur der RtfiMeschen Zysten mit einer ein- bis mehrschichtigen Epithelwandauskleidung, Drüsen und Schleim sezernierenden Zellen weist auf ihre Herkunft aus der Mundbucht hin. Diese Zysten weisen morphologische und formalgenetische Ähnlichkeiten mit den sog. Foramina Monroi-Zysten (Kolloidzysten des dritten Ventrikels) auf, deren Abkunft aus abgesprengten Epithelresten des oberen Respirationstraktes (Stochdorpb) zurückgeführt werden kann. Summary Contribution to the Pathogenesis of Intrasellar and Intraventricular Cysts. The histological structure of Kathke's cyst having an epithelial mono- or multiple layer wall with glands and mucous secreting cells is indicative of rheir origin from rhe stomodaeum. These cysts are morphologically and genetically similar to the so-called cysts of the foramen of Monro (colloid cysts of the third ventricle). According to Stochdorph, the origin of the latter cysts is from ectopic cerebral inclusions of the upper respiratory tract.

Kasuistik: 1. Fall. 59jährige Frau. Seit 8 Monaten zunehmende Sehverschlechterung, jetzt bitemporale Hemianopsie, sonst neurologisch unauffällig. Die operativ entfernte Geschwulst bietet das klassische Bild eines chromophoben Hypophysenadenoms. Mitten im Tumorgewebe erkennt man zystische Formationen, die von einem einschichtigen Flimmerepithel ausgekleidet sind. Der Zysteninhalt besteht aus einer mukoiden Flüssigkeit und Zelldetritus (Abb. 1, 2). 2. Fall. 55jähriger Mann mit klinischem Bild eines Hypophysentumors und bei dem eine kugelige, intraselläre zystische Geschwulst entfernt wurde (diese Beobachtung ist schon ausführlich von Holbach, K. H., geschildert worden). Bei zahlreichen Schichtaufnahmen waren Unterbrechungen der Knochenstrukturen der Sella nicht nachweisbar. Die Geschwulst erweist sich als eine typische Rathkesdie Zyste: Histologisch ähnelt die Zystenwand einer Mucocele, sie besteht aus einer breiten Schicht gefäßführenden, lockeren Bindegewebes, nach innen ist sie durch ein teils ein-, teils mehrschichtiges Epithel ausgekleidet (Abb. 3). Man erkennt Drüsen, Flimmerepithelzellen und sezernierende Epithelzellen (exokrine Schleimbildung).

Diskussion Key words: Rathke's cleft cyst - colloid cysts malformation - ectopic tissue - embryology pituitary tumour - craniopharyngeoma

Die histologische Identifikation von M i k r o zysten in einem c h r o m o p h o b e n H y p o p h y s e n a d e n o m gibt uns erneut A n l a ß , ü b e r die Herkunft intrasellärer Zysten kurz zu berichten u n d diese Gebilde mit den s o g e n a n n t e n Kolloidzysten des dritten Ventrikels (Foramina M o n r o i - Z y s t e n ) formalgenetisch zu vergleichen.

In beiden B e o b a c h t u n g e n w u r d e n histologisch zystische S t r u k t u r e n nachgewiesen, die die typischen M e r k m a l e der R a t h k e s c h e n T a sche zeigen. Bei dieser h a n d e l t es sich bekanntlich u m Reste des S t o m o d a e u m s , die infolge der komplizierten embryologischen Entwicklung der H y p o p h y s e zwischen A d e n o u n d N e u r o h y p o p h y s e verlagert w e r d e n u n d in der n o r m a l e n H y p o p h y s e recht häufig identifiziert w e r d e n k ö n n e n (s. R o m e i s ; M ü l ler u. O s w a l d ; H o l b a c h - d o r t Literatur). Für ihre H e r k u n f t

aus d e m

Mundbucht-

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

Neurochirurgische Universitätsklinik Bonn (Direktor. Prof. Dr. P. Röttgen) Institut für Neuropathologie der Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. G. Kersting)

187

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

Zur Formalgenese intrasellärer und intraventrikulärer Zysten

Abb. 1 u. 2: Inmitten des Tumorgewebes (chromophoben Hypophysenadenoms) liegen Zysten unterschiedlicher Größe mit einem gelatinösen Inhalt, und deren Wände von einem meist einschichtigen Flimmerepithel ausgekleidet sind (Fall 1). Paraffin, Haematoxylin-Eosin, 25 : 1, 160 : 1.

Abb. 3: Fall 2. Die Zystenwand bildet stellenweise kleine Wärzchen, deren Auskleidung meist aus einem einschichtigen hochzylindrischen Flimmerepithel besteht. An anderen Stellen ist sie von einem mehrschichtigem Epithel ausgekleidet, in dessen Mitte zahlreiche Drüsen vorliegen. Paraffin, van Gieson, 64 : 1, 40 : 1. epithel spricht der typische Wandaufbau, der nicht selten zu feingeweblichen differentialdiagnostischen Schwierigkeiten mit einer Mucocele führt. In der Tat ist die Wand einer Mucocele gleich aufgebaut, so daß mikro-

skopisch oft keine Möglichkeit zur exakten Diagnose bestehen kann. Diese ist gegeben bei jenen Beobachtungen, wo die Zysten inmitten von Tumorgewebe liegen (unser Fall 1) oder dort, wo mit absoluter Sicherheit die

K.-H. Holbach, F. Gullotta

Geschwulst intrasellär liegt und eine Läsion der Sellawand ausgeschlossen werden kann (unser Fall 2). Über Morphologie und Herkunft dieser Zysten hat vor kurzem einer von uns (Holbach) berichtet. Wir beschränken uns daher hier auf eine Besprechung einzelner Punkte, die auf formalgenetische Analogien zwischen den Rathkeschen Zysten und den Kolloidzysten hinweisen. Bei den letzteren handelt es sich um zystische Gebilde unterschiedlicher Größe, die oft als Zufallsbefund festgestellt werden (so z. B. bei der Hirnsektion von H. Gushing) oder sich klinisch wie ein intraventrikulärer Tumor manifestieren können. Der Inhalt besteht aus einer gelatinösen Flüssigkeit, die Wand ist aufgebaut aus einem mehrschichtigen Zylinderepithel, oft mit Flimmerbesatz. Gelegentlich sind auch sezernierende Becherzellen nachweisbar. Über die Herkunft dieser in der Regel zwischen Fornixsäulen und Tela chorioidea ventriculi tertii liegenden Gebilde herrscht noch keine Einigkeit. Sie wurden schon als paraphysäre Bildungen oder als Plexusepithelzysten gedeutet: Beide Hypothesen haben aber an Gültigkeit verloren. Gegen die Plexusepithelnatur spricht ihre histologische Struktur und ihre Lokalisation oberhalb des Plexus; gegen die paraphysäre Herkunft spricht schon die Tatsache, daß die Paraphyse lediglich bei Fischen, Amphibien und Reptilien vorkommt und insbesondere kein Flimmerepithel besitzt. Die u. a. von Zülch, Henscben und jüngst von Chic und Zivin vertretene Auffassung, es handele sich um Ependym- resp. Neuroepi-

thelial-Zysten, wird einerseits unterstützt durch das Vorhandensein des Flimmerepithels (bei diesem könnte es sich um Ependymzellen handeln), andererseits ist es schwer zu vereinbaren mit dem Nachweis von Becherzellen, die eine mucoide, PAS-positive Substanz sezernieren. Stochdorpb dagegen vermutet, daß es sich hierbei um Gebilde handelt, die ebenfalls aus ektopischen Epithelzellen der Luftwege stammen. Ihre Lokalisation unterhalb des Balkens ließe sich durch entwicklungsgeschichtliche Vorgänge erklären. Zu einem sehr frühen embryologischen Zeitpunkt kommen das Prosencephalon und das »Bildungsfeld« der primären Nasenhöhle sehr nahe zusammen. Abgesprengte Abschnitte des Respirationsepithels können daher mit den Meningen in Kontakt treten und infolge der danach einsetzenden Vorwölbung und Einrollung der Hemisphären an völlig anderer Stelle verlagert werden, u. a. auch oberhalb der Tela chorioidea ventriculi tertii (eine intraventrikuläre Einstülpung der Leptomeningen), eingeklemmt zwischen ihr und dem sich später entwickelnden Balken. Die gleiche Erklärung gilt für die pialen Epi- und Dermoide. Stochdorpb schlägt daher für die Kolloidzysten die Bezeichnung Phlegmatodermoide (von phlegma = Schleim; und in Analogie zu den Epidermoiden) vor. Diese Hypothese ist unseres Erachtens die geeignetste, um die histologischen Analogien zwischen den Kolloidzysten der Foramina Monroi und den Rathkeschen Zysten formalgenetisch einleuchtend zu erklären.

Literatur Chic, L, l. Zivin: Neuroepithelial (colloid) cysts of the septum pellucidum. J. Neurosurg. 43 (1975) 69-73 Henscben, F.: Tumoren des ZNS u. seiner Hüllen. In: Hdbuch d. spez. path. Anatomie, Bd. XIII/3. Springer, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1955 Holbach, K. H.: Zur Herkunft intrasellärer raumfordernder Zysten. Zbl. Neurochir. 36 (1975) 19-26 Müller, W., F. Oswald: Über das Vorkommen von Zysten

in Hypophysentumoren. Zbl. Neurochir. 14 (1954) 272 bis 281 Romeis, B.: Hypophyse. In: Hdbuch d. mikr. Anatomie d. Menschen, Bd. VI/3. Springer, Berlin 1940 Stochdorpb, O.: Zur Abkunft der Foramen-Monroi-Cysten. Nervenarzt 34 (1963) 226-229 Zülch, K. ].: Biologie u. Pathologie der Hirngeschwülste. In: Hdbuch d. Neurochirurgie, Bd. III. Springer, BerlinGöttingen-Heidelberg 1956

Prof. Dr. K. Fl. Holbach, Neurochirurgische Klinik der Universität, 5300 Bonn-Venusberg

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

188

[Contribution to the pathogenesis of intrasellar and intraventricular cysts (author's transl)].

Neurochirurgia 20 (1977), 186-188 © Georg Thieme Verlag Stuttgart Zur Formalgenese intrasellärer und intraventrikulärer Zysten K.-H. Holbach, F. Gull...
631KB Sizes 0 Downloads 0 Views