Langenbecks Arch. Chir. 345 (Kongre6bericht 1977)

Langen =cks Arch Ohirurgie © by Springer-Verlag1977

64. Medikamentiise Thrombose-Prophylaxe mit Dextran H. Rahmer Chirurgische Universit~itsklinik, Caiwer Stral3e 7, D-7400 Tiibingen

Dextran for the Prophylaxis of Postoperative Thromboembolism Summary. Dextran has a well-documented antithrombotic effect that is due to a reduction in platelet adhesions, increased lysability of thrombi, and improved blood flow. Anaphylactoid reactions may occur during the first 30-50 ccm of dextran infusion. They have an incidence of 1:80000 during anesthesia. The main advantage of dextran prophylaxis is the lack of bleeding complications. It is extremely effective in lowering the incidence of lethal pulmonary embolisms. Key words: Dextran, anaphylactoid reactions - Dextran, effectiveness - Dextran, indications.

Zusammeniassung. Der antithrombotische Effekt von Dextran ist sicher dokumentiert und beruht auf der Herabsetzung der Pl~ittchenaggregation, einer vermehrten Spontanlyserate von Thromben und einer Verbesserung der Str6mungseigenschaften des Blutes. Dextran muB zur Thromboseprophylaxe bereits intraoperativ verabreicht werden. Anaphylaktoide Reaktionen treten nach Einlaufen der ersten 30-50 ml w~ihrend der Narkose in 1:80000 F~illen auf. Die entscheidenden Vorteile von Dextran sind das Fehlen von Blutungskomplikationen, wenig Kontraindikationen und eine hohe Wirksamkeit bei der Verhinderung t6dlicher Lungenembolien. Sddiisselwiirter: Dextranprophylaxe- Anaphylaktoide Nebenwirkung- Indikationsbereich.

Die thromboseverhindernde Wirkung von Dextran ist seit fiber 10 Jahren bekannt [12]. Zahlreiche klinische Studien haben sich mit der Dextran-Prophylaxe auseinandergesetzt [3, 11, 12]. Nachdem sich Mitteilungen fiber anaphylaktoide Reaktionen hfiuften, sah sich vor 2 Jahren die Arzneimittelkommission der deutschen )~rzteschaft veranlaBt, Vorsichtsma6nahmen bei der Anwendung kolloidaler Volumenersatzmittel zu empfehlen [1]. Besonderen Wert legte man dabei auf eine strengere Indika-

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H. Rahmer

Tabelle 1. H~iufigkeitvon Dextranzwischenfiillen Begleitumst/inde

Zahl

Autor

Prospektive Studie Retrospektive Studie Waeher Patient An~isthesierter Patient

1:149 1:390625 1:333 1:80000

Sch6ning u. Mitarb. (1975) Bauer u. Mitarb. (1975) Ring u. Mitarb. (1975) Ring u. Mitarb. (1975)

Tabelle 2. AntithrombotischeWirkung von Dextran Reduktion der Thrombocytenaktivit~it Ver~indemng der Fibrinstruktur Verbesserte Lyse von Fibringerinnseln Str6mungsverbesserung

Bygdeman (1969) Muzaffar (1972) Tangen (1972) Gruber (1968)

tionsstellung beim Volumenersatz. Obwohl die Thrombose-Prophylaxe als Indikation fiJr Dextran allgemein bejaht wurde, ist es erforderlich, den Stellenwert des Dextrans im Rahmen einer generellen Thrombose-Prophylaxe zu fiberpriifen. Die Genese der als anaphylaktoid bezeichneten l~berempfindlichkeitsreaktionen ist weitgehend ungekl~irt. Sie sind aber dureh die Tatsache charakterisiert, dab sie nur bei Erstkontakt - also w~ihrend der Infusion der ersten 30 ml auftreten [6-8, 10]. Die H~iufigkeitsangaben der Oberempfindlichkeitsreaktionen (Tabelle 1) zeigen erhebliche Unterschiede [4, 8, 10]. Besonders h~iufig werden solche Reaktionen angegeben bei wachen Patienten und bei prospektiven Studien, bei denen man mit solchen Reaktionen rechnet. Extrem selten sind die Reaktionen in Narkose, die offensichtlich selbst einen Schutzfaktor gegen die Freisetzung von Schockmediatoren darstellt. In der Tiibinger Studie konnten wir, bezogen auf ca. 3000 Patienten und ca. 15000 E Macrodex, in 10 F~illen leichte Reaktionen wie Ubelkeit, Riickenschmerzen und Hautr6tung beobachten. In 2 F'~illenwurde ein allerdings voll reversibier Schockzustand registriert. Entscheidend fiir den Verlauf einer l~berempfindlichkeitsreaktion ist die sofortige Behandlung mit Cortison [6, 8]. Fiir die praktische Anwendung der Dextran-Prophylaxe folgt daraus, dab die erste Infusion in Narkose und unter der Uberwachung durch den Anaesthesisten erfolgen sollte. Der Beginn der Thrombose-Prophylaxe geht damit in dessen Kompetenzbereich fiber. Dies macht entsprechende Absprachen erforderlich. Die Dextranwirkung (Tabelle 2) beruht im wesentlichen auf einer Hemmung der Pl~ittchenaggregation, einer Verbesserung der Fliel3eigenschaften des Blutes und einer Steigerung der k6rpereigenen Fibrinolyse. Das unter Dextran entstandene Fibringerinnsel weist ein gr6beres Netzwerk auf, und wird so der k6rpereigenen Fibrinolyse besser zug/inglich [3]. Dementsprechend wird die Dextran-Prophylaxe bei phlebographischen Untersuchungen, die 2-3 Wochen nach der Operation durchgefiJhrt werden, besser beurteilt [3, 11]. Wichtige Hinweise ffir den klinisehen Einsatz der Dextran-Prophylaxe zeigt der Vergleich zur Anticoagulantien-Prophylaxe. In der Tfibinger Studie (Tabelle 3) wurde die Anticoagulantien-Prophylaxe mit Liquemin 15 000 E pro Tag begonnen und mit Marcumar fortgesetzt. Thromboem-

Medikament6se Thrombose-Prophylaxe mit Dextran

367

"Iabelle 3. Postoperative Thromboembolienund substitutionsbediifftigeBlutungen. Randomisierte, prospektive Studie der Chirurgischen UniversifiitsklinikTiibingen (Liiders u. Mitarb., 1973) Patientenzahl

Prophylaxe

3014

Heparin-Marcumar 1,6% 0,36% letal Macrodex 1,6% 0,30% letal

2945

% Thromboembolien

Blutungen 1,12% / 0,61%J P < 0,05

"Iabelle 4. Vergleich zwischen Dextran und ,,low dose" Heparin in der Allgemeinchirurgie Patientenzahl

Prophylaxe

% TVT

Autor

128 128 130

keine Heparin Dextran 70

37 12 25

Ruckley et al. (1974) Ruckley et al. (1974) Ruckley et al. (1974)

95 83 83

keine Heparin Dextran 40

36 13,2 21,7

Gruber et al. (1975) Gruber et al. (1975) Gruber et al. (1975)

bolische Komplikationen waren in beiden Patientengruppen gleich h~iufig. Deutlich niedriger war jedoch die Zahl der Blutungskomplikationen unter Dextran. Die aufgefiihrte Zahl der Blutungskomplikationen bezieht sich nur auf schwere Blutungen, die Bluttransfusionen ertorderlich machten. Thromboembolische Komplikationen wurden klinisch ermittelt und erst dann phlebographisch best~itigt. Ihre Anzahl ist im Vergleich mit objektiven Priifmethoden zu niedrig. Sie entspricht jedoeh klinischer Effahrung und der Tatsache, dab etwa 80% der im Fibrinogentest nachgewiesenen Thrombosen klinisch stumm verlatden. Zusammenfassende Darstellungen ~iber die H~iufigkeit postoperativer Venenthrombosen unter Dextran wurden von der Arbeitsgruppe Gruber vorgelegt [3, 11]. Ausgewertet wurden hierbei nur prospektive, randomisierte Untersuchungen, die zugleich einen objektiven Nachweis der Thrombosen im Fibrinogentest oder im Phlebogramm enthielten. 28 derartige Studien entsprachen diesen Ardorderungen. Davon betraIen 11 Arbeiten das orthop~idisch-traumatologische Krankengut. Dabei zeigte sich ohne Zweifel, daB Dextran 70 wirksam war um die Anzahl von tiefen Venenthrombosen zu verringern. Allerdings war dieser Effekt nur bei phlebographischen Untersuchungen erkennbar und dies um so deutlicher, je sp~iter die Phlebographie nach der Operation durchgef~ihrt wurde. Beim sehr empfindlichen Fibrinogentest wurde innerhalb der ersten Woche weder bei Dextran noch bei Heparin oder Cumarinen eine signifikante Senkung der Thromboseh~iufigkeit erreicht. Die Studien ergaben auch im Bereich der AUgemeinchirurgie recht unterschiedliche Resultate. Eine signifikante Senkung der Thromboserate konnte nicht nachgewiesen werden, wenn die Dextran-Prophylaxe erst postoperativ verabreicht wurde. Greift man nun die zwei gleichartigen Studien (Tabelle 4) heraus, die auch einen Vergleich mit der ,,low dose" Heparin-Prophylaxe bringen, dann ergibt sich ein

368 Tabelle

H. Rahmer 5. T6dliche Lungenembolienaus 9 kontrolliertenStudien (Zusammenstellungbei Gruber,

•975) Kontrollen: 1238 Patienten Dextran 70:1196 Patienten

27 TLE = 2,1% 5 TLE = 0,4% Signifikanz: P < 0,001

'labelle 6. Thromboembolieprophylaxean der Chirurgischen Universit/itsklinikTiibingen Allgemeinchirurgie: Unfall-Extremit~itenchirurgie: Langzeitprophylaxe: Ambulante Gipsbehandlung

,,low dose" Heparin (Dextran 70) Dextran 70 (,,low dose" Heparin) Cumarine

/ ASS ab 2. postoperativenTag

ASS

recht/ibereinstimmendes Bild. Dextran 40 und Dextran 70 senken die Thromboseh~iufigkeit gegen/iber der Kontrollgruppe signifikant. Einen jedoch deutlicheren Effekt zeigt die Heparin-Prophylaxe, die die Thromboseh/iufigkeit auf 12 % (13,2 % ) reduzieren konnte. Die entscheidende Aussage zugunsten der Dextran-Prophylaxe 1/iBt sich machen, wenn man die H~iufigkeit t6dlicher Lungenembolien betrachtet (Tabelle 5). 9 kontrollierte Studien mit autoptischem Nachweis der Lungenembolien zeigten, dab die H~iufigkeit t6dlicher Lungenembolien von 2,1% auf 0,4% gesenkt werden kann. Diese H~iufigkeitsangabe entspricht auch den Werten der Tiibinger Studie. Es ist damit ohne Zweifel nachgewiesen, dab Dextran die H~iufigkeit t6dlicher Lungenembolien entscheidend reduzieren kann. Ein weiterer Vorteil und die Voraussetzung fiir eine generelle Thrombose-Prophylaxe ist die Tatsache, dab Dextran auBer der Herzinsuffizienz keine Kontraindikationen hat. Dem stehen folgende Kontraindikationen zu Heparin und der Acetylsalicyls~iure gegeniiber: H~imorrhagische Diathesen, Ulcera des Magen-DarmTraktes, Operation oder Trauma des ZNS und Allergie gegen ASS oder Heparin. Fiir die Praxis der Thrombose-Prophylaxe haben wir aus diesen Tatsachen heraus folgendes Schema (Tabelle 6) erarbeitet: Die intra- und unmittelbar postoperative Thrombose-Prophylaxe wird in der Allgemeinchirurgie mit Heparin vorgenommen. Das Dextran wird aber eingesetzt bei Kontraindikationen gegen die Heparin-Prophylaxe. Die unter Heparin h/iufiger auftretenden Blutungskomplikationen lassen sich im Bereich der Allgemeinchirurgie tolerieren. Anders liegt der Fall in der operativen Knochenbruchbehandlung, also im Bereich der Unfall- und Extremit~itenchirurgie. Hier kann fiber das H~imatom die Infektion und damit die Osteomyelitis mit all ihren schwerwiegenden Folgen gebahnt werden, so dab in diesem T~itigkeitsbereich der Vorteil der Dextran-Prophylaxe entscheidend wird. Das Heparin wird in diesem Bereich eingesetzt bei herzinsuffizienten Patienten. Da die meisten Thrombosen im unmittelbar postoperativen Bereich auftreten und eine Senkung der Anzahl t6dlicher Lungenembolien wahrscheinlich schon durch die Infusion von 2mal 500 ml Dextran erreicht wird [11], kann vom 2. postoperativen Tag an auf die Prophylaxe mit Acetylsalicyls~iure (ASS)

Medikament6se Thrombose-Prophylaxe mit Dextran

369

fibergegangen werden. Soil die Prophylaxe mit Dextran fortgefiihrt werden, geniJgt es, jeden 3. Tag 500 ml Dextran 70 zu verabreichen. Zur Langzeit-Prophylaxe sind die Cumarine nach wie vor das Mittel der Wahl. Fiir ambulante Behandlung mit ruhigstellenden Gipsverb~inden empfiehlt sich wegen der unproblematischen Handhabung die ASS. Behandlungsbediirftige tiefe Venenthrombosen in unserem Krankengut stammten iiberwiegend aus diesem Patientenkreis. Die Stellung des Dextrans im R a h m e n einer generellen Thrombose-Prophylaxe ergibt sich aus den versehiedenen Kontraindikationen der altemativen Prophylaxeformen. Wegen der bekannt gewordenen anaphylaktoiden Reaktionen ist aber die Erstinfusion unter 5xztlicher l~lberwachung und m6glichst in Narkose zu empfehlen.

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[Dextran for the prophylaxis of postoperative thromboembolism (author's transl)].

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