© Klaus Rüschhoff, Springer Medizin

Internist 2015 DOI 10.1007/s00108-015-3681-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Redaktion:

H. Lehnert, Lübeck E. Märker-Hermann, Wiesbaden J. Meyer, Mainz J. Mössner, Leipzig (Schriftleitung) A. Neubauer, Marburg

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CME Zertifizierte Fortbildung B. Stratmann · D. Tschoepe Herz- und Diabeteszentrum NRW, Ruhr-Universität Bochum, Bad Oeynhausen

Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CMEPunkten zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig.

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Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskuläres Risiko Zusammenfassung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen die Morbidität und Mortalität in der Gesellschaft. Diabetes mellitus gilt als Risikofaktor für eine koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinsuffizienz und für vaskuläre Ereignisse. Die Mehrzahl der Patienten weist eine Risikokonstellation aus Hypertonie, Dyslipoproteinämie und (prä-)diabetischer Stoffwechsellage auf, die eine exponentielle Risikoerhöhung bedingt. Aus der Perspektive der Organerkrankung zeigen zwei Drittel der Patienten mit symptomatischer KHK Glukosestoffwechselstörungen. Umgekehrt haben bei Manifestation eines Myokardinfarkts 25–28% der Patienten keine Glukosestoffwechselstörung. Frauen sind häufiger betroffen und weisen eine schlechtere Prognose auf, wenn die Diabetesdiagnose und ein Gefäßereignis zusammenfallen. Diabetes mellitus ist signifikant häufiger mit Vorhofflimmern und dem Risiko einer Herzinsuffizienz assoziiert. Mit der unzureichenden Blutzuckereinstellung steigt das Risiko für vaskuläre Ereignisse überproportional an.

Schlüsselwörter

Diabetes mellitus · Glukosestoffwechselstörungen · Koronare Herzkrankheit · Herzinsuffizienz · Vorhofflimmern

Der Internist 2015

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CME

Lernziele Nach Lektüre dieses Beitrags F kennen Sie die Bedeutung von Diabetes mellitus als kardiovaskuläres Risikoäquivalent und können das Risiko von Diabetikern für ein Gefäßereignis beziffern. F wissen Sie um die Verbindung zwischen Prädiabetes und vaskulären Ereignissen und können das Risiko im Rahmen des metabolischen Syndroms einschätzen. F ist Ihnen die Assoziation zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Glukosestoffwechselstörungen bekannt. F sind Sie mit der diagnostischen Abklärung von Gefäßerkrankungen bei kardial asymptomatischen Patienten mit Stoffwechselstörung vertraut. F wissen Sie, wie Glukosestoffwechselstörungen die Progression einer Gefäßerkrankung beeinflussen. Zudem können Sie das Risiko für ein Folgeereignis bei Patienten mit Diabetes mellitus beurteilen. F kennen Sie die Verbindung des Vorhofflimmerns mit Diabetes mellitus und den Zusammenhang zwischen dem daraus abgeleiteten Ereignisrisiko und der Gesamtprognose. F können Sie das Risiko einer Herzinsuffizienz von Patienten mit Diabetes mellitus einschätzen und daraus Konsequenzen für die antidiabetische Therapiestrategie ziehen.

Herz- und Gefäßerkrankungen sind oftmals mit Glukosestoffwechselstörungen vergesellschaftet Bei Patienten mit (Prä-)Diabetes sollte das kardiovaskuläre Risiko abgeschätzt werden

Herz- und Gefäßerkrankungen befördern nicht nur in den westlichen Industrienationen die Morbidität und Mortalität. Diese Erkrankungen sind oftmals mit Glukosestoffwechselstörungen vergesellschaftet: Entweder ist ein Patient bereits bekannter Diabetiker und erleidet ein Gefäßereignis oder ein Patient mit Gefäßerkrankung weist eine bisher nicht diagnostizierte Glukosestoffwechselstörung auf. Beide Krankheitsentitäten bedingen und beschleunigen einander, weshalb der kardiovaskulär Erkrankte auch bezüglich des Kohlenhydratstoffwechsels untersucht werden sollte und beim Patienten mit (Prä-)Diabetes auch die kardiovaskuläre Risikoabschätzung eine bedeutende Rolle in der Therapie spielt. Als Handlungsleitfaden dient in diesem Zusammenhang die 2013 veröffentlichte Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD; [1]).

Glukosemetabolismus und kardiovaskuläre Störungen Im SWEETHEART-Register hatte ein Drittel der Patienten bei Manifestation eines Gefäßereignisses bereits einen diagnostizierten Diabetes

Störungen des Glukosestoffwechsels treten bei zwei von drei Patienten mit symptomatischer Herzkrankheit auf [2, 3]. Daten aus dem deutschen SWEETHEART-Register [4] belegen, dass bei Manifestation des Gefäßereignisses (Myokardinfarkt) bereits ein Drittel der Patienten einen bekannten Diabetes aufwies. Bei fast 17% wurde die Diagnose Diabetes mellitus (DM) erstmals gestellt und nahezu ein Viertel der Patienten hatte eine pathologische Glukoseintoleranz oder erhöhte Nüchternplasmaglukose-Werte. Lediglich etwa 28% der Patienten mit akutem Myokardinfarkt wiesen keine Gluko-

Infobox 1  Sinnvolle PraxisTools

Diabetes, prediabetes and cardiovascular risk

F UKPDS Risikorechner, zum Down-

Abstract

load bereitgestellt unter https:// www.dtu.ox.ac.uk/riskengine/download.php F Framingham-Score, berechenbar unter http://cvdrisk.nhlbi.nih.gov/ F euroSCORE, berechenbar unter http://www.euroscore.org/calcge. html F SYNTAX-Score, zum Download bereitgestellt unter http://www. syntaxscore.com/ F CHA2DS2-VASc-Score, berechenbar unter http://clincalc.com/cardiology/stroke/chadsvasc.aspx

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Cardiovascular diseases continue to be the mainstay in morbidity and mortality in modern society with diabetes mellitus being a known risk factor for coronary artery disease, heart failure and vascular events. Most patients present with a combination of hypertension, dyslipoproteinaemia and (pre)diabetic metabolism potentiating the risk. From the perspective of organ damage two of three patients with coronary artery disease present with impaired glucose metabolism. In case of myocardial infarction 25–28 % of patients do not present with impaired glucose metabolism. Women are more often affected than men and exhibit a more severe outcome, if diagnoses of vascular events and diabetes occur in parallel. Atrial fibrillation and heart failure are significantly associated with diabetes and significantly confer to the overall prognosis. Epidemiologically, the risk for vascular events is closely associated with the glucose burden of the affected patient.

Keywords

Diabetes mellitus · Glucose metabolism disorders · Coronary disease · Heart failure · Atrial fibrillation

CME sestoffwechselstörung auf. Besonders die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur etwa 55% der Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes bzw. 38% der Prädiabetiker eine Diabetestherapie erhielten (bevorzugt diätetische Empfehlung), zeigt den großen Handlungsbedarf in der therapeutischen und interdisziplinären Betreuung kardiovaskulärer Patienten [4, 5]. Deswegen empfiehlt die Leitlinie der ESC und EASD, bei allen Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) ohne bekannten DM im Sinne einer Risikostratifikation den Glukosestoffwechsel zu evaluieren. Bestimmt werden sollte der HbA1c-Wert oder die Nüchternplasmaglukose. Bei zweifelhafter Diagnose ist die Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests zur genaueren Abklärung der Stoffwechsellage angebracht [1].

Gemäß der ESC/EASD-Leitlinie sollte bei allen Patienten mit KHK, aber ohne bekannten DM der Glukosestoffwechsel evaluiert werden

Stoffwechselstörungen und kardiovaskuläres Risiko Das Risiko eines Typ-2-Diabetikers, einen Myokardinfarkt zu erleiden, ist vergleichbar mit dem eines Patienten ohne DM nach durchlebtem Infarkt [6]. Im Vergleich zu Nichtdiabetikern ist das Myokardinfarktrisiko bei Männern mit Diabetes etwa 2- bis 4-fach erhöht, bei Frauen noch stärker. Viele der bewusst erlebten Ereignisse sind Folge von bereits vorher abgelaufenen stummen Myokardinfarkten oder Myokardischämien und damit Zweitereignisse. Die nichtinvasive kardiologische Diagnostik ist daher nicht nur bei symptomatischen Patienten mit Stoffwechselstörung anzuwenden, sondern auch auf den kardial asymptomatischen Diabetiker auszudehnen. Die Abschätzung des vaskulären Globalrisikos unter Verwendung gängiger Risikorechner kann hier allerdings nur als Entscheidungshilfe dienen; eingesetzt werden der UK-Prospective-Diabetes-Study(UKPDS)-Risikorechner, der Framingham-Score und euroSCORE (. Infobox 1). Die Betreuung des Patienten mit Gefäßerkrankung oder Stoffwechselstörung setzt damit eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Diabetologen und Kardiologen voraus [1, 7]. Nach der neuen europäischen ESC/EASD-Leitlinie, die bewusst Prädiabetiker einschließt, werden Patienten mit Diabetes in Gruppen mit „hohem Risiko“ und „sehr hohem Risiko“ für kardiovaskuläre Erkrankungen eingeteilt. Ein sehr hohes Risiko besteht, wenn weitere Risikofaktoren gegeben sind oder bereits Endorganschäden vorliegen; alle anderen Menschen mit Diabetes fallen unter die Kategorie „hohes Risiko“ [1].

Das Myokardinfarktrisiko ist bei Männern mit Diabetes etwa 2- bis 4fach erhöht, bei Frauen noch stärker Die nichtinvasive kardiologische Diagnostik muss auch auf den kardial asymptomatischen Diabetiker ausgedehnt werden

Patienten mit Diabetes werden in Gruppen mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko eingeteilt

Kardiales Screening und Diagnostik bei Diabetes Das Risiko für einen Myokardinfarkt bzw. ein kardiales Ereignis wird über die Vortestwahrscheinlichkeit einer stenosierenden KHK abgeschätzt [1, 8]. Die Vortestwahrscheinlichkeit beschreibt dabei die Wahrscheinlichkeit, dass eine stenosierende KHK vorliegt. Das Ergebnis ist abhängig von (. Tab. 1) F der Familienanamnese, F dem Patientenalter, F dem Geschlecht, F der klinischen Symptomatik mit 1 nichtanginösem Thoraxschmerz und 1 atypischer/typischer Angina pectoris sowie von F Risikofaktoren wie 1 DM, 1 Dyslipoproteinämie, 1 arterieller Hypertonie oder 1 Nikotinabusus. Das kardiovaskuläre Risiko von Diabetikern allein mit Risikoscores abzuschätzen, die für die Gesamtbevölkerung entwickelt wurden, ist allerdings nicht empfehlenswert. Bei kardial beschwerdefreien Diabetikern gelingt der Ischämienachweis mit hoher Wahrscheinlichkeit (40–80%) mit der Stress-Echokardiographie, die Myokardszintigraphie ermöglicht in 22– 64% aller Fälle einen Nachweis. Ein routinemäßiges KHK-Screening mit myokardialer Belastungsperfusionsszintigraphie [“myocardial perfusion scintigraphy“ (MPS)] ist bei asymptomatischen Patienten jedoch nicht angezeigt. Die MPS unter pharmakologischer Belastung mit Adenosin erbrachte in der Detection-of-Ischemia-in-Asymptomatic-Diabetics(DIAD)-Studie mit 1123 Typ-2-Diabetikern keinen zusätzlichen Nutzen [11]. Im Nachbeobachtungszeitraum von fast 5 Jahren konnte die

Das Risiko für ein kardiales Ereignis wird über die Vortestwahrscheinlichkeit einer stenosierenden KHK abgeschätzt

Ein routinemäßiges KHK-Screening mit myokardialer Belastungsperfusionsszintigraphie ist bei asymptomatischen Patienten nicht angezeigt Der Internist 2015 

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CME Tab. 1  Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit aufgrund der Para-

meter Alter, Geschlecht und Symptome in Abhängigkeit vom Vorliegen weiterer Risikofaktoren. (Nach der Nationalen Versorgungsleitlinie für die koronare Herzkrankheit [9] und nach Pryor et al. [10])  

Typische Angina

Atypische Angina

Alter (Jahre) 35 45 55 65

Männer 30–88% 51–92% 80–95% 93–97%

Männer 8–59% 21–70% 45–79% 71–86%

Frauen 10–78% 20–79% 38–82% 56–84%

Frauen 2–39% 5–43% 10–47% 20–51%

Nichtanginöse Brustschmerzen Männer Frauen 3–35% 1–19% 9–47% 2–22% 23–59% 4–25% 49–69% 9–29%

Die erste Zahl gibt das Risiko für Patienten ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren an, die zweite Zahl das Risiko für Hochrisikopatienten mit Diabetes mellitus, Dyslipoproteinämie und Nikotinabusus.Alle Aussagen gelten für Patienten mit unauffälligem RuheEKG. Bei ST-Strecken-Veränderungen oder Q-Zacken steigt die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer koronaren Herzkrankheit weiter.

Die Mehrzeilen-CT-Koronarangiographie hat sich im Screening bei asymptomatischen Patienten mit Diabetes nicht bewährt

Die nichtinvasive Stufendiagnostik mit bildgebenden Verfahren ist Bestandteil kardiologischer Leitlinien

Unter bestimmten Voraussetzungen kann in der Frühdiagnostik der symptomatischen KHK auch primär die nichtinvasive CTA eingesetzt werden

Es ist wichtig, diabetesspezifische Organmanifestationen in einem frühen Stadium zu erkennen

Häufigkeit kardialer Ereignisse durch die Anwendung der Screeningmethode nicht signifikant reduziert werden, wobei allerdings die kumulative kardiale Ereignisrate mit nur 0,6% pro Jahr im untersuchten Patientenkollektiv deutlich geringer war als erwartet [12]. Hervorzuheben ist der negativ-prädiktive Wert für eine KHK beim Kalzium-Scoring auf Grundlage einer Mehrzeilen-Spiral-Computertomographie(CT)-Koronarangiographie; die diagnostische Genauigkeit beträgt 100%. Umgekehrt ist v. a. die Spezifität, also der positiv-prädiktive Wert für eine Diagnosestellung unzureichend. Daher hat sich die Mehrzeilen-CT-Koronarangiographie im Screening bei asymptomatischen Patienten mit Diabetes in der FACTOR-64-Studie nicht bewährt [13]. Da aber ein normales Belastungs-EKG eine stenosierende KHK nicht ausschließt, ist die nichtinvasive Stufendiagnostik mit bildgebenden Verfahren, wie der Stress-Echokardiographie, BelastungsMyokardszintigraphie oder Myokardperfusions-Magnetresonanztomographie (MRT), integraler Bestandteil der kardiologischen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der ESC. Empfohlen ist sie bei einer mittleren Vortestwahrscheinlichkeit von 10–90%; bei einem Wert >90% ist eine Koronarangiographie sinnvoll [1]. Die Stress-Echokardiographie, die Myokardszintigraphie und die Myokardperfusions-MRT mit körperlicher oder pharmakologischer Belastung durch Dobutamin oder Adenosin gelten als gleichberechtigte Verfahren [1, 14]. In der Frühdiagnostik der symptomatischen KHK kann aber auch primär die nichtinvasive CTKoronarangiographie (CTA) eingesetzt werden, wenn die Patienten methodisch geeignet sind (mittlere Vortestwahrscheinlichkeit von 10–90%) und die Indikationsstellung sowie Befundung in Kooperation mit einem Kardiologen erfolgen. Ist der CTA-Befund nicht auswertbar, z. B. bei starker zirkulärer Verkalkung der Koronararterien, sollte die Diagnostik um ein weiteres bildgebendes Verfahren unter Stressbedingungen ergänzt werden. Der Untersuchungsalgorithmus aus der Praxisleitlinie „Diabetes und Herz“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) berücksichtigt diese Verfahrenweise und gibt Handlungsanweisungen für die Untersuchung des asymptomatischen Patienten mit DM (. Abb. 1, [7]). Auf Bevölkerungsebene sind Herzkrankheiten von großer epidemiologischer Relevanz. Daher ist es wichtig, ein bestehendes Risiko früh zu identifizieren und Frühstadien der diabetesspezifischen Organmanifestationen zu erkennen. Bezüglich des kardiovaskulären Risikomanagements sollte früher mit Interventionen begonnen werden. Die Etablierung von mechanistischen Algorithmen ist erschwert, wenn das Hintergrundrisiko durch Lebensstil und Polypharmazie bereits niedrig ist. Die Integration klinischer, laborchemischer und diagnostischer Befunde erreicht nach klinischer Evaluation des vorgeschlagenen Algorithmus lediglich eine Sensitivität von 68% und eine Spezifität von 62% [15]. Die Kopplung antidiabetischer Interventionen an die Bestimmung des Koronarkalks in der Mehrzeilen-CT ist erwähnenswert. Eine minimale bis leichte Koronarkalzifikation mit einem Agatston-Score ≤100 wird als oberer Schwellenwert angegeben, bis zu dem eine intensivierte antidiabetische Intervention hocheffektiv ist [16].

Interventionelle Therapie der KHK bei Diabetikern Die arterielle Bypassversorgung wird gegenüber der PCI bevorzugt

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Bei fortgeschrittener komplexer KHK sollten Patienten mit DM einer elektiven Bypassoperation zugeführt werden, möglichst mit arterieller Bypassversorgung, von der Diabetiker insbesondere in den

CME Asymptomatische Patienten ohne weitere Risikofaktoren

EKG: normal

EKG: sqezifische Ischämie oder Infarktzeichen oder unspezifisch pathologischa

Jährliche Routinekontrolle

Jährliche Routinekontrolle • Körperliche Untersuchung • Biochemische Parameter für kardiovaskuläre Risikofaktoren • Ruhe-EKG

Zerebralsklerose/pAVK oder vor intensivem Trainingsvorhaben oder geringfügige STStrecken-Veränderung

EKG: spezifische Ischämie oder Infarktzeichen oder unspezifisch pathologisch

Echokardiographie, Belastungs-EKG

• Körperliche Untersuchung • Biochemische Parameter für kardiovaskuläre Risikofaktoren • Ruhe-EKG

unauffällig

Asymptomatische Patienten mit weiteren Risikofaktoren

unauffällig

pathologischb

Stressechokardiographie oder Myokardszintigraphie oder Stress-MRT

pathologisch

unauffällig

pathologisch

Jährlich: Echokardiographie, Belastungs-EKG

unauffällig

pathologischb

Stressechokardiographie oder Myokardszintigraphie oder Stress-MRT

unauffällig

Linksherzkatheter (Lävokardiographie, Koronarangiographie)

pathologisch

Abb. 1 8 Kardiologische Diagnostik bei asymptomatischen Diabetikern mit oder ohne weitere Risikofaktoren. Die unterschiedlichen Graustufen kennzeichnen die möglichen Schnittstellen zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgungsebene. a Untersuchung mit Linksherzkatheter, wenn Troponin I positiv ist oder akute Infarktzeichen vorliegen. b In Abhängigkeit von der Vortest- bzw. Nachtestwahrscheinlichkeit für eine stenosierende koronare Herzkrankheit ggf. direkte Entscheidung zur Durchführung der Linksherzkatheteruntersuchung. EKG Elektrokardiographie; MRT Magnetresonanztomographie; pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit. (Nach [7]; mit freundl. Genehmigung des Thieme-Verlags)

ersten 5 Jahren im Vergleich zur perkutanen koronaren Intervention (PCI) mit Drug-eluting-Stents (DES) profitieren. Insgesamt waren weniger kardiovaskuläre Ereignisse (Ausnahme Schlaganfall), Reinterventionen und Todesfälle zu verzeichnen [17]. Die PCI ist allerdings auch bei Diabetikern mit weniger komplexen Koronarbefunden nach wie vor eine gute Therapieoption [18]. Der SYNTAX-Score ist ein unabhängiger Prädiktor von kardiovaskulären Endpunkten bei interventionell behandelten KHK-Patienten. Er kann bei der Auswahl der optimalen Behandlung hilfreich sein und auch zur Identifizierung von Hochrisikopatienten nach PCI genutzt werden, da er die Komplexität der KHK erfasst (. Infobox 1; [19]).

Der SYNTAX-Score kann bei der Auswahl der optimalen Behandlung hilfreich sein

Herzinsuffizienzrisiko bei Stoffwechselstörung Bei Patienten mit DM Typ 2 wird die Diagnose Herzinsuffizienz bis zu 5-mal häufiger gestellt als bei Patienten ohne Diabetes [20]. In vielen epidemiologischen Studien, z. B. in der Framingham Study, Der Internist 2015 

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CME Viele epidemiologische Studien bestätigen das gehäufte Auftreten der Herzinsuffizienz bei Diabetikern

Das Krankheitsbild der diabetischen Kardiopathie ist die Summe verschiedener Schädigungsebenen

UKPDS, Cardiovascular Health Study und dem EuroHeart Failure Survey, ist das gehäufte Auftreten der Herzinsuffizienz bei Diabetikern bestätigt worden (Übersicht in [21]). Die UKPDS zeigt einen Anstieg von etwa 2,3 Herzinsuffizienz-assoziierten Ereignissen pro 100 Patientenjahre bei durchschnittlichem HbA1c-Wert von 6%; bei HbA1c-Werten um 10% beträgt die Ereignisrate sogar 11,9 pro 100 Patientenjahre. Mit jedem Prozentpunkt, um das der HbA1c-Wert ansteigt, erhöht sich die Rate der herzinsuffizienten Patienten um 8% [22, 23]. Entsprechend ist die Prävalenz der Herzinsuffizienz bei Diabetikern hoch, nimmt mit dem Alter weiter zu und ist zudem häufig mit einer KHK assoziiert. Betroffene haben mit einem medianen Überleben von 3,6 vs. 5,4 Jahren eine deutlich reduzierte Prognose [24, 25]. Das Krankheitsbild der diabetischen Kardiopathie ist die Summe verschiedener Schädigungsebenen. Wesentliche charakteristische Merkmale sind die endotheliale Dysfunktion als Vorstufe der Atherosklerose (Makroangiopathie), myokardiale Mikroangiopathie, periphere Insulinresistenz, linksventrikuläre Hypertrophie, myokardiale Fibrose, elektrophysiologische Defekte, Kalziumüberladung, Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems und die Sympathikusaktivierung. Als wesentliche Triebkraft steht dahinter eine veränderte myokardiale Energetik, die zu einem prolongierten relativen Energiedefizit führt und die energetische Adaptation an unterschiedliche Belastungsanforderungen erschwert. Als neues Schädigungskonzept hat sich die Bildung von reaktiven Glukosemetaboliten erwiesen, die einerseits zu dieser energetischen Diskrepanz beitragen und andererseits unmittelbare strukturelle myokardiale Veränderungen verursachen.

Risiko für Vorhofflimmern bei Stoffwechselstörung

Viele Beobachtungsstudien weisen auf eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Diabetes hin

Der CHA2DS2-VASc-Score sollte bei Patienten mit DM oder metabolischem Syndrom routinemäßig angewendet werden

Vorhofflimmern ist mit einem 4- bis 5-fach erhöhten Schlaganfallrisiko, einer 3-mal häufiger auftretenden Herzinsuffizienz, dem Verlust von Lebensqualität sowie einer erniedrigten Lebenserwartung assoziiert. Im Wesentlichen sind Alter, männliches Geschlecht und Bluthochdruck sowie eine Herzerkrankung ursächlich für Vorhofflimmern. Viele Beobachtungsstudien weisen auf eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Diabetes hin, die Odds Ratio für DM als Risikofaktor für Vorhofflimmern beträgt 1,4–2,2. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2011 mit insgesamt fast 1,7 Mio. Patienten konnten Huxley et al. [26] eine Risikoerhöhung von 34% für Vorhofflimmern durch DM errechnen. In der ADVANCE-Studie trat Vorhofflimmern mit einer Prävalenz von etwa 8% in der diabetischen Subgruppe auf und war mit einer erhöhten Mortalität (+61%), mehr kardiovaskulären (+77%) und zerebrovaskulären Ereignissen (+68%) sowie mit häufigerer Herzinsuffizienz (+68%) verbunden [27]. DM, HbA1c und eine schlechte Stoffwechseleinstellung können die Entstehung von Vorhofflimmern unabhängig begünstigen. DM war auch nach Adjustierung der anderen Kenngrößen in der Atherosclerosis-Risk-in-Communities(ARIC)-Studie signifikant mit der Entstehung von Vorhofflimmern assoziiert. Die Autoren fanden dabei bemerkenswerterweise keinen Unterschied zwischen Prädiabetes und diagnostiziertem Diabetes, konnten jedoch einen linearen Zusammenhang zwischen HbA1c und dem Risiko für Vorhofflimmern belegen. Für die Gruppe der Diabetespatienten fanden sie eine eindeutige Korrelation zwischen Nüchternglukose und Auftreten von Vorhofflimmern [28]. Stoffwechselerkrankungen wie DM können die o. g. morphologischen Veränderungen auch am Vorhofmyokard bedingen, hier mit vermehrter interstitieller Fibrosierung und myozytärer Apoptose, was das Vorhofflimmern begünstigt. Von Relevanz ist das v. a., wenn Komorbiditäten dieses Remodeling am Herzmuskel zusätzlich fördern. Hinzu kommt bei gleichzeitig vorliegender diabetischer Stoffwechsellage als prothrombotisches Geschehen die Erhöhung des Schlaganfallrisikos. Der CHA2DS2-VASc-Score (. Infobox 1) bildet dieses Risikoäquivalent ab und sollte daher bei Patienten mit DM oder metabolischem Syndrom routinemäßig angewendet werden. Entsprechend dem Ergebnis ist eine gerinnungshemmende Therapie einzuleiten [29].

Leitliniengerechte Therapieziele Empfohlen wird, die Ziele der Blutzuckereinstellung für jeden Patienten individuell festzulegen und dabei die Diabetesdauer, die Komorbiditäten und das Patientenalter zu berücksichtigen. Die normnahe Blutzuckereinstellung mit einem HbA1c-Wert

[Diabetes, prediabetes and cardiovascular risk].

Cardiovascular diseases continue to be the mainstay in morbidity and mortality in modern society with diabetes mellitus being a known risk factor for ...
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