Lent: Klärung renaler Raumforderungen

Nr. 20, 14. Mai 1976, 101. Jg.

Aktuelle Diagnostik

787

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 787-788

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Klärung renaler Raumforderungen

In der gegenwärtigen Medizin bestehen erhebliche Diskrepanzen zwischen dem technisch Möglichen, dem rationell Machbaren und dem tatsächlich Erreichten. Beispielsweise gelingt die Erkennung der bösartigen Nierengeschwülste dank neuerer Verfahren ab einem Durchmesser von etwa 1,5-3 cm in 90-95% der Fälle. Gerade die empfindlichsten von ihnen sind jedoch als ScreeningMethoden zu aufwendig. Beschwerden und Symptome hingegen zeigen meist einen fortgeschrittenen Prozeß an. Etwa jeder dritte Patient, der in klinische Behandlung kommt, hat bereits ausgedehnte Metastasen. Daher sind die Behandlungsergebnisse so unbefriedigend. Nur etwa 20-40% überleben durchschnittlich die 5-JahresGrenze.

Unter der Vielzahl renaler Raumforderungen stellen

tion, Aufbau und Gewebseigenschaft als Unterscheidungskriterien. Die verschiedenen Verfahren nutzen einen oder mehrere Teilbereiche. Die Ausscheidungsurographie zeigt neben der Organform die Ausscheidungsfunktion und das Abflußsystem. Letzteres allein erbringt die retrograde Pyelographie. Im Nierenszintigramm wird das funktionstüchtige Parenchym markiert. Durch die arterielle und venöse Angiographie stellt sich

das Gefäßsystem dar. Die Sonographie macht Unterschiede der Gewebsbeschaffenheit deutlich. In der Zusammenschau ergibt sich so ein relativ umfassendes Komplementärbild. Leider sind die Methoden mit der höchsten Aussagekraft zugleich die aufwendigsten und risikoträchtigsten. Angiographie und Urographie erfordern eine sorgfältige

die malignen eine Minderheit dar, spielen aber als Vorbereitung sowie die Beachtung gewisser KontraLebensbedrohung die Hauptrolle. Ihr Anteil an der indikationen wie schlechter Allgemeinzustand, GefäßKrebsletalität beträgt etwa 3%. Häufigste Tumorart ist mit 80-85% das Nierenzellkarzinom des Erwachsenen im vierten bis sechsten Lebensjahrzehnt. Aber auch gutartige verdrängende Prozesse der Niere können durch

sklerose und Kontrastmittelallergie. Auch in apparativer und personeller Hinsicht sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, um ein optimales Untersuchungsergebnis zu erzielen. In der Praxis hat sich eine gewisse Rei-

fortschreitende Organschädigung und -zerstörung Morbi-

henfolge bewährt, um unnötige Eingriffe ebenso wie

dität und Letalität verursachen; hierzu gehören vor allem zystische und entzündliche Veränderungen. Phantomtumoren schließlich sind Raumforderungen ohne nachweisbares pathologisches Substrat, meist hervorgerufen durch dystop gelegenes normales Nierengewebe

Fehldiagnosen zu vermeiden (Abbildung 1). Nierensaintigraphie

(retrograde Pyelographie)

(Tabelle 1). Der direkten körperlichen Untersuchung sind die Nie-

ren nur bei fortgeschrittenem Befund zugänglich. Aber

Raumforderung 'j,

Zystiacher Proaess

sie lassen sich mit geeigneten Techniken in -idealer

jSonoraPhie

solider Tumor

Weise sichtbar machen. Hierbei dienen Form und Funk-

Zystenpunktion

Arteriographie

Tab. 1. Klinisch wichtige renale Raumforderungen

Zystographie Zytologie

Venographie Cavographie

A. Bösartige Nierenzellkarzinom (Hypernephrom, Grawitz-Tumor) kindliches Nephroblastom (Wilms-Tumor) Nierenbeckenkarzinom B. Zystische solitäre und multiple Zysten polyzystische Nierendegeneration sekundäre Zysten (posttraumatisch)

C. Entzündliche Tuberkulose (Tuberkulom) unspezifischer Abszeß (Karbunkel)

L

Operation

Abb. 1. Klärung renaler Raumforderungen.

Ausgangspunkt und Basis jeder morphologischen Nierendiagnostik ist die Ausscheidungsurographie (als Infusion). Ihr Aussagewert wird in entscheidendem Maße

von technischen Faktoren bestimmt. Eine gründliche Vorbereitung mit Entleerung und Entgasung des Darmes

sowie Nahrungskàrenz werden im Vertrauen auf das hohe Kontrastmittelangebot nicht selten vernachlässigt. So bleibt die wichtige Abgrenzung der Nierenrandkonturen im ungewissen. Ihre Bedeutung bereits bei Beurteilung der Leeraufnahme wird dadurch belegt, daß sich

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V. Lent Urologische Abteilung (Leiter: Dr. V. Lent) der il. Chirurgischen Universitätsklinik, Köln-Merheim (Direktor: Prof. Dr. W. Schink)

Lent: Klärung renaler Raumforderungen

Deutsche Medizinische Wochenschrift

etwa 30-40% der Nierentumoren jeweils im oberen

Tumor gleichzeitig vorkommen oder der Tumor primär

oder unteren Polbereich entwickeln (6).

oder sekundär zystisch ist (S).

Die bogenförmige Verdrängung des kontrastierten Hohlraumsystems in seiner vielfältigen Variation ist für den platzgreif enden Parenchymprozeß typisch. Nicht zuletzt aus den schon genannten technischen Gründen er-

bringt die routinemäßig angewandte Schichtuntersu-

Versuche, die arteriographische Darstellung vor allem kleiner Tumoren durch gefäßaktive Substanzen (Adrenalin) zu verbessern (Pharmako-Angiographie), haben zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt. Zentral gelegene Malignome können zwar stärker hervorgehoben, periphere aber ausgelöscht werden.

des Kelchsytems oder verbergen sich hinter anderen, gutartigen, zum Beispiel stauungsbedingten Nierenveränderungen (maskierte Nierentumoren) (7). Insgesamt

Vielversprechend ist besonders bei arteriographisch gefäßarmen Tumoren die retrograde Nieren-Phlebographie unter hypotonen Bedingungen, hergestellt entweder durch gefäßaktive Substanzen (Pharmako-Phlebographie) oder durch Ballonblockade der Nierenarterie mittels Swan-Ganz-Einschwemmkatheter. Diese erlaubt

ermöglicht die unter optimalen Bedingungen angefertigte Ausscheidungsurographie eine richtige Verdachtsdiagnose in 85-95% der Fälle.

erleichtert das operationstaktisch richtige Vorgehen (1).

chung (Zono-Tomographie) eine um etwa SO% höhere Ausbeute (3). Nicht wenige Geschwülste wachsen jedoch überwiegend innerhalb des Parenchyms ohne Verzerrung

Die früher häufig durchgeführte retrograde Pyelographie ist heute nur noch indiziert bei ungenügender oder fehlender Ausscheidungsfunktion einer oder beider Nieren sowie bei Kontraindikationen von Urographie und (oder) Angiographie. Sie empfiehlt sich' auch deshalb nicht, weil schon durch geringe Druckerhöhung im harnableitenden System ein venöser Rückfluß mit Ausschwemmung von Tumorzellen provoziert werden kann (6). Als zweite gezielte Suchmethode steht die Nierenszin-

tigra phie zur Verfügung. Ihre Ergebnisse stimmen bei etwas geringerem Auflösungsvermögen mit denen der Ausscheidungsurographie in hohem Maße überein. Bei sogenannten maskierten Tumoren kann sie gelegentlich sogar zusätzliche Hinweise geben. Hauptvorteile sind die einfache, schnelle, nebenwirkungsfreie Anwendung und die geringe Strahlenbelastung (4). Bei der differenzierenden Diagnostik bereits bekann-

ter Raumforderungen sollte zunächst die Sonographie eingesetzt werden. Sie beruht auf der gewebsabhängig unterschiedlichen Reflexion von Ultraschall. Hauptindikation ist die Abgrenzung zystischer von soliden Prozessen. Die Treffsicherheit beträgt etwa 90-95%. Die Anwendung ist nicht nur einfach, schnell und risikofrei, sondern auch beliebig wiederholbar und billig (2).

Mit der transfemoralen selektiven Serienarteriographie wird in etwa 90-95% der Fälle eine Raumforderung zweifelsfrei als bösartig klassifiziert. Beweisend hierfür sind die verschiedenen Kriterien einer pathologischen Vaskularisation. Grenzbefunde zur Hypervaskularisation, zum Beispiel bei entzündlichen Prozessen

(Tuberkulose, Abszeß), können gelegentlich zu Fehldeutungen führen. Bei etwa S-10% maligner Geschwülste gelingt der Nachweis von Tumorgefäßen nicht. Ursachen hierfür sind ein tubulär-papillärer Gewebsaufbau sowie regressive Veränderungen und Blutungen. Zudem gibt es einen kleinen Prozentsatz zystischer, angiographisch negativer Befunde, in denen Zyste und

schließlich in Verbindung mit der Cavographie eine weitgehende Abschätzung der Tumorausdehnung und

Die weitere Klärung einer als zystisch erkannten Raumforderung

ist

problematisch.

Zystenpunktion,

Zystographie und zytologische Untersuchung des Zysteninhaltes werden empfohlen (8). Wegen des immerhin bis 10%igen Risikos einer Fehlbeurteilung wird bei entsprechender Lebenserwartung meist die Probe freilegung der Niere bevorzugt. Den Entschluß hierzu begünstigen der positive Effekt einer Dekompression gutartiger Zysten einerseits sowie vertretbare Operationsmorbidität und -letalität andererseits KS). Solange es noch keine ideale Screening-Methode zur

Früherfassung im heilbaren Stadium gibt, bleibt es eine dringliche Aufgabe, den Nierenkrebs bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu suchen oder auszuschließen. Dazu gehören unklare klinische Syndrome (Rückenschmerzen, subfebrile Temperaturen, Hypertonus), unklare Laboratoriumsbefunde (Senkungsbeschleunigung, Anämie, Polyglobulie, LDH-Erhöhung, »Hepatopathie «,

Hypercalcämie, Erythrozyturie) und jede aus einem anderen Grunde veranlaßte Urographie. Literatur Altwein, J. E., M. Georgi, R. Günther, M. Marberger: Simultane flow-gesteuerte Hochdruck-Kontrastmitreldarstellung der Vena cava, Nierenvene und Vena suprarenalis beim Hypernephrom. Verh. dtsch. Ges. Urol. 26 (1975), 96.

Bartels, H., K. F. Albrecht: Die Bedeutung der Ultraschalldiagnostik für die Urologie. Urologe B 15 (1975), 177.

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heit der verschiedenen radiologischen Untersuchungsmethoden bei Nierentumoren. Urologe 8 (1969), 138. Riedel, B., H. Bautngärtel, D. Bachmann, S. Grohme: Gefäßarme Nierenrumoren. Klinisches Erscheinungsbild und histologische Charakteristika. Urologe A 11)1972), 60. Schmitz, W.: Zur Klinik und Therapie der Nierengeschwülste. Urologe 6 (1967), 139. Sigel, A.: Maskierte Nierentumoren. Urologe 4 (1965), 86. Viamonte, V. V., S. Roen, M. M. Raskin, J. Lepage, E. Russell, M. Viamonte: Why every renal mass is not always a surgical lesion. The need for an orderly, logical, diagnostic approach. J. Urol. (Baltimore) 114 (1975), 190.

Dr. V. Lent Urologische Abteilung der II. Chirurgischen Universitätsklinik 5000 Köln 91, Ostmerheimer Str. 200

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[Diagnosis of renal tumors].

Lent: Klärung renaler Raumforderungen Nr. 20, 14. Mai 1976, 101. Jg. Aktuelle Diagnostik 787 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr...
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