Medizin aktuell Internist 2014 · 55:1242–1250 DOI 10.1007/s00108-014-3575-x Online publiziert: 3. September 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Bauer · D.A. Groneberg

Die heutige Arbeitswelt im Krankenhaus ist oft von Situationen mit erhöhtem Stresspotenzial geprägt. Neben dem Stresspotenzial, das der Profession natürlicherweise inne wohnt, haben auch die Rahmenbedingungen erheblichen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit der Angestellten. Gerade auch im Hinblick auf geänderte Erwartungen der jungen Mediziner ist eine Evaluation der stressbezogenen Arbeitsbedingungen von großer Bedeutung.

zurück, von 2411 im Jahr 1991 auf 2041 im Jahr 2011 [21]. In diesem sich stetig ändernden Be­ rufsumfeld bleibt auch das Fachgebiet der Inneren Medizin nicht verschont. So stieg beispielweise die Zahl der im Kran­ kenhaus tätigen hauptamtlichen Ärzte im Fachgebiet der Inneren Medizin von 10.629 im Jahr 1994 auf 18.235 im Jahr 2011 [21]. Wie aber verhält es sich mit der Berufs­ zufriedenheit und den psychologischen Belastungen in diesem sich ändernden Berufsumfeld. Eine Umfrage aus dem Jahr 2009 [7] unter 729 Assistenzärzten zeigte, dass die größte Unzufriedenheit (57,2% der Teilnehmer) in Bezug auf den Stress im Berufsalltag besteht. Bereits 1996 er­ gab eine Untersuchung [8], dass unter In­ ternisten Anzeichen von Burnout weitver­ breitet sind.

Im vergangenen Jahrzehnt haben immer häufiger marktwirtschaftliche Konzep­ te Eingang in die Organisation der Kran­ kenhäuser in Deutschland gefunden. Die­ se Ökonomisierung der Medizin hat Aus­ wirkungen auf die Krankenhäuser und in der Folge auch auf die dort beschäf­ tigten Ärzte. Ihnen werden im Kranken­ haus zwei unter heutigen Bedingungen nur sehr schwer vereinbare Rollen auf­ gedrängt: einerseits die Rolle als ökono­ mischer und andererseits die Rolle als so­ zialer Leistungserbringer. Letztere Rolle wird vom Patienten erwartet, erstere vom Krankenhausträger bzw. der kaufmänni­ schen Leitung [13]. Mittlerweile hat allerdings der öko­ nomische Druck vielfach Überhand ge­ nommen, weshalb sich ein Wandel des ärztlichen Handelns vollzogen hat, den der Freiburger Medizinethiker G. Maio als „Wandel von der sozialen zur markt­ wirtschaftlichen Identität“ bezeichnet [15]. Ein Beispiel für die Auswirkung auf die Krankenhauslandschaft ist die gesunkene Zahl der Krankenhäuser: In den letzten 20 Jahren ging ihre Zahl kontinuierlich

1242 | 

Der Internist 10 · 2014

Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität, Frankfurt a.M.

Disstress und Berufszufriedenheit unter Klinikärzten der Inneren Medizin

»

Der ökonomische Druck hat vielfach Überhand genommen Generell lässt sich sagen, dass Stress im­ mer dann entsteht, wenn ein Ungleich­ gewicht zwischen Stressoren und Bewäl­ tigungsstrategien besteht. In dieser Stu­ die werden zwei anerkannte Stressmo­ delle verwendet, das Job-demand-con­ trol(JDC)-Modell von Karasek [10] und das Effort-reward-imbalance(ERI)-Mo­ dell von Siegrist [19]. Da die Stressentste­ hung individuell aber sehr unterschied­ lich ist und jedes Modell für sich immer nur bestimmte Aspekte der Stressentste­ hung widerspiegelt, ist keines der genann­ ten Modelle allgemein gültig. Die vorliegende Studie stellt die Wahr­ nehmung der stressbezogenen Arbeitsbe­

dingungen unter Ärzten der Inneren Me­ dizin in deutschen Krankenhäusern dar.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden Die vorliegende Studie ist Teil der iCeptStudien (iCept: Neologismus, abgelei­ tet von „I percept“), deren vollständiges Studienprotokoll [1] sowie Auswertun­ gen einzelner weiterer Fachrichtungen [2, 3, 4] bereits publiziert wurden. Insgesamt wurden in der iCept-Studie 39.052 Kran­ kenhausärzte in Deutschland per E-Mail zur Studienteilnahme eingeladen. Es wur­ den 7181 Fragebogen abgegeben, wovon 7090 vollständig ausgefüllt waren und zur Auswertung herangezogen werden konn­ ten. Als Basis für die Untersuchung wer­ den, wie oben bereits erwähnt, folgende Stressmodelle verwendet: JDC-Modell und ERI-Modell. Das JDC-Modell nach Karasek stellt zwei Faktoren gegenüber. Auf der einen Seite steht die Kontrolle der Arbeit („con­ trol“) in Form eigener Handlungsspiel­ räume. Auf der anderen Seite stehen die Arbeitsanforderungen („job demand“). Ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Faktoren zugunsten der „job de­ mands“ (JDC-Verhältnis >1) führt zu einer psychischen Belastung (Disstress) oder zu sog. „mental strain“ [10, 11]. Das zweite hier verwendete Stressmo­ del, das ERI-Modell, verweist auf zwei weitere Parameter der Stressentstehung, die ebenfalls im Verhältnis betrachtet Auskunft über das Vorliegen von Disstress geben. Diese Parameter sind der wahrge­ nommene Einsatz („effort“) in der Arbeit und die entsprechend wahrgenommene Belohnung („reward“). Negative Auswir­

Tab. 1  Interpretation der ER/JDC-Werte   ER JDC

Interpretation

Verhältnis 1 Persönlicher Einsatz ↑ Belohnung ↓ Anforderungen ↑ Handlungsspielraum ↓

Balance

Disstress

ER „Effort/reward“; JDC „job demand/control“.

kungen auf Psyche und Physis entstehen bei einem ungleichen Verhältnis zuguns­ ten des Einsatzes (ER-Verhältnis >1). Die vorliegende Studie wurde als ano­ nymisierte Online-Befragung konzipiert und durchgeführt. Der hierbei verwen­ dete iCept-Fragebogen besteht aus Items zweier etablierter und validierter Frage­ bogen. Zum einen wurde der Kurzfra­ gebogen zur Arbeitsanalyse (KFZA) von Prümper et al. [17] verwendet, zum ande­ ren der ERI-Fragebogen von Siegrist et al. [20]. Den Stresstheorien von Siegrist und Karasek entsprechend wurden verschie­ dene Items des iCept-Fragebogens zu Ska­ len zusammengefasst. Anhand dieser Ska­ len wurden die zugehörigen Skalenwerte berechnet, die entsprechend der Anzahl an Items variieren können: F Skalenwert „effort“ (xeff ): 4≤xeff≤16 F Skalenwert „job demand“ (xjob): 4≤xjob≤16 F Skalenwert „reward“ (xrew): 5≤xrew≤20 F Skalenwert „control“ (xcon): 3≤xcon≤12 Diese Skalenwerte werden in ein Verhält­ nis zueinander gebracht. Dabei werden zwei Korrekturfaktoren für die Anzahl an Items eingeführt: ceri=1,25 (5/4) für die Skala „effort“ und cjdc=0,75 (3/4) für die Skala „job demands“. Mit folgender For­ mel wird das Verhältnis dann daraus be­ rechnet:

gen von gesundheitsschädigendem Stress (Disstress) hin [9, 20]. Wie aus den Berechnungen des ER/ JDC-Verhältnisses ersichtlich ist, kann der Wert des Verhältnisses zwischen 0,25 (1/4) und 4 (4/1) variieren. . Tab. 1 stellt die sich ergebenden Charakteristika dar, die sich durch die beiden dargestellten Stressmodelle auf Basis der hier berech­ neten Werte ergeben. Um eine valide und sichere Aussage über die Prävalenz von Disstress treffen zu können, wird im Folgenden nur dann von tatsächlichem Disstress ausgegangen, wenn sowohl das ER- also auch das JDCVerhältnis >1 ist. Neben dem ER/JDCVerhältnis bilden die verbliebenen Items des Fragebogens den psychosozialen As­ pekt des Stresses in Form der Skalen Zu­ sammenarbeit, sozialer Rückhalt und so­ ziales Klima ab. Die statistische Datenanalyse wurde mithilfe von SPSS Version 21 durchge­ führt. Hierbei wurden folgende statisti­ sche Testverfahren verwendet, um signi­ fikante Unterschiede zwischen einzelnen Subgruppen herauszuarbeiten: MannWhitney-U-Test für 2 Messreihen, Krus­ kal-Wallis-Tests für >2 Messreihen und der χ2-Test. Zusätzlich wurde das Quo­ tenverhältnis [Odds Ratio (OR)] der Dis­ stressprävalenzen mit dem dazugehöri­ gen 95%-Konfidenzintervall (95%-KI) be­ rechnet. Darauf basierend lässt sich eine Aussage über die Richtung und Stärke der Unterschiede machen.

Ergebnisse

Im Folgenden werden stets die bereits um den Korrekturfaktor bereinigten Ska­ lenwerte angegeben. Ein ER- bzw. JDCVerhältnis >1 weist dabei auf das Vorlie­

Insgesamt wurden 1696 ausgefüllte Fra­ gebogen von Ärzten der Inneren Medizin ausgewertet. Methodisch bedingt kann dabei im Rahmen der iCept-Studien keine Rücklaufquote angeben werden, da nicht bekannt ist, an wie viele Ärzte speziell der Inneren Medizin der Fragebogen verteilt

wurde. Hier lässt sich lediglich ein unge­ fährer Rückschluss von der Gesamtrück­ laufquote der iCept-Studien auf die Quo­ te ziehen; sie betrug 18,2%. Als Datenquel­ le für die Zahlen der Grundgesamtheit, d. h. die Krankenhausärzte in Deutsch­ land im Fachgebiet der Inneren Medizin, werden Daten des Statistischen Bundes­ amts [21] und teilweise die Ärztestatis­ tik der Bundesärztekammer [6], jeweils des Jahres 2011, herangezogen. In den ge­ nannten Statistiken wird allerdings nicht die Zahl der Ärzte in Weiterbildung für das Fachgebiet der Inneren Medizin erho­ ben. Daher lässt sich nicht sagen, wie vie­ le Ärzte in Deutschland zurzeit ihre Wei­ terbildung in diesem Fachgebiet absolvie­ ren. Darüber hinaus besteht zwischen den Zahlen des Statistischen Bundesamts und den Zahlen der Bundesärztekammer eine Diskrepanz, die auf methodische Unter­ schiede zurückzuführen ist. Um trotzdem die Repräsentativität der Daten der vorlie­ genden Studie beurteilen zu können, wur­ den nur Ärzte mit abgeschlossener Wei­ terbildung in die Vergleichsbetrachtung einbezogen und dabei die Zahlen des Sta­ tistischen Bundesamts verwendet. Es zeigte sich eine deutliche Über­ einstimmung mit der Grundgesamt­ heit in Bezug auf das Geschlecht, das Al­ ter und die funktionelle Stellung im Be­ ruf (. Abb. 1). Das Durchschnittsalter der Befragten in der Stichprobe betrug 38,3 Jahre (Bereich: 25–58 Jahre; Stan­ dardabweichung: 8,9 Jahre). Das Durch­ schnittsalter aller Krankenhausärzte in Deutschland lag 2011 fachgebietsübergrei­ fend bei 41,4 Jahren [6, 21]. Nun wurden die stressbezogenen Arbeitsbedingungen analysiert, die in der Übersicht in . Tab. 2 dargestellt sind. Es zeigte sich, dass fast zwei Drittel der Be­ fragten (62,1%; 95%-KI: 59,8–64,5) Dis­ stress (ER/JDC-Verhältnis >1) im Kran­ kenhaus erlebten. Gleichzeitig war aber auch die Hälfte der Befragten (48,1%; 95%-KI: 45,7–50,5) sehr zufrieden mit ihrem Beruf. Unter denjenigen Ärzten, die keinerlei Disstress (ER/JDC-Verhält­ nis 1) im Vergleich zu den männlichen Kollegen führte (OR: 1,68; 95%-KI: 1,25– 2,10). Auch waren signifikant mehr Ärz­ te als Ärztinnen sehr zufrieden mit ihrem Beruf (OR: 1,27; 95%-KI: 1,05–1,54). Kei­ ne signifikanten Unterschiede zeigten sich allerdings beim Anteil an Ärzten und Ärz­ tinnen, die trotz Disstress sehr zufrieden mit ihrem Beruf waren: Hier waren bei beiden Geschlechtern etwa 30% sehr zu­ frieden.

Auswirkung der beruflichen Position auf die Stresswahrnehmung Die Berücksichtigung der Position im Be­ ruf lässt darauf schließen, dass trotz der größer werdenden Verantwortung im Verlauf des Berufs der wahrgenommene Stress signifikant abnimmt. In . Abb. 2 werden die funktionellen Stellungen im Beruf bezüglich der Stressprävalenzen verglichen. Die Analyse zeigte, dass über die ver­ schiedenen funktionellen Stellungen im Krankenhaus die Disstressprävalenz von Chefärzten zu Assistenzärzten von 38,3 auf 69,1% zunahm (OR: 7,17; 95%KI: 3,91–13,16). Betrachtet man die Ska­ la für den Handlungsspielraum („con­ trol“), wird der Unterschied zwischen As­ sistenz- und Chefärzten besonders deut­ lich: Der Skalenwert bei den Assistenz­ ärzten lag hier mit 6,81 (Standardabwei­

1244 | 

Der Internist 10 · 2014

Internist 2014 · 55:1242–1250  DOI 10.1007/s00108-014-3575-x © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 J. Bauer · D.A. Groneberg

Disstress und Berufszufriedenheit unter Klinikärzten der Inneren Medizin Zusammenfassung Hintergrund.  Die veränderten Rahmenbedingungen im Krankenhaussektor geben Anlass zur Frage, inwieweit Ärzte im Fachgebiet der Inneren Medizin ihre stressbezogenen Arbeitsbedingungen wahrnehmen und welche Auswirkungen dies auf die Berufszufriedenheit hat. Diese Fragen will die vorliegende Studie klären. Methoden.  In der Online-Studie wurden Fragebogen von 1696 Ärzten der Inneren Medizin ausgewertet. Dem verwendeten Fragebogen liegen das Effort-reward-imbalance(ERI)-Modell von Siegrist et al. und das Jobdemand-control-Modell von Karasek et al. zugrunde. Beide dienen der Beschreibung von Disstress (d. h. lang andauerndem starkem Stress) am Arbeitsplatz. Ergebnisse.  Anzeichen für Disstress zeigten 62,1% der Befragten [95%-Konfidenzintervall (KI): 59,8–64,5]. Des Weiteren zeigte eine Analyse der Subgruppen signifikante Unterschiede in Bezug auf die Disstressprävalenz zwischen den Geschlechtern [65,9% der Ärztinnen gegenüber 58,6% der Ärzte;

p=0,002; Odds Ratio (OR): 1,37; 95%-KI: 1,12– 1,66] und zwischen Altersgruppen (69,3% der unter 35-Jährigen gegenüber 56,6% der 35- bis 59-Jährigen). In der Analyse der verschiedenen funktionellen Stellungen im Beruf zeigten 38,3% der Chefärzte Anzeichen für Disstress, während dies bei 69,1% der Assistenzärzte der Fall war (OR: 7,17; 95%-KI: 3,91–13,16). Bezogen auf die Berufszufriedenheit gaben 48,1% aller Befragten an, sie seien allgemein betrachtet sehr zufrieden mit ihrem Beruf. Schlussfolgerung.  Die dargestellten Ergebnisse können als Aufforderung verstanden werden, die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern für Ärzte im Fachgebiet der Inneren Medizin zu verbessern, um das vorhandene Personal zu binden und neues gewinnen zu können. Schlüsselwörter Krankenhaus · Fragebogen · Arbeitsanforderungen · Belohnung · Arbeitsbedingungen

Distress and job satisfaction among hospital physicians in internal medicine Abstract Purpose.  How physicians within the specialty of internal medicine perceive their stressrelated working conditions, especially due to a changing health system with an impact on workflows and working hours, is examined in this study. Methods.  A total of 1696 online questionnaires completed by internists were analyzed. The questionnaire was based upon the Effort–Reward Imbalance (ERI) model by Siegrist et al. and the Job-Demand-Control model (JDC) by Karasek et al. Results.  Working conditions in the specialty of internal medicine seem to have a high risk of leading to distress. As a result 62.1% [95% confidence interval (CI): 59.8–64.5] of the respondents described working conditions with unfavorable stress (distress). Analyzing the distress prevalence in subgroups, there were significant differences between

chung: 1,57) um 1,74 niedriger (95%-KI: 1,27–2,20) als bei den Chefärzten. Damit hatten Chefärzte in dieser Studie einen mit p1 JDC-Ver1249 (73,6) hältnis >1 ER- und 1054 (62,1) JDC-Verhältnis >1 – davon 326 (30,9) „sehr zufrieden“ OR   ER-Ver– hältnis >1 JDC-Ver– hältnis >1 ER- und – JDC-Verhältnis >1 JS 1: „sehr – zufrieden“

Alter (Jahre)

Position

Signifikanz MannWhitney-U

59

Signifikanz KruskalWallis

AA

FA

OA

CA

n=726 MW (SD)

n=918 MW (SD)

n=52 MW (SD)

16,01 (2,41) 13,30 (2,52) 8,85 (1,60) 6,94 (1,54)

0,613

0,006

16,32 (2,29) 13,53 (2,45) 9,06 (1,52)

0,001

6,87 (1,52)

15,67 (2,63) 13,37 (2,71) 8,49 (1,63) 7,23 (1,74)

n=933 MW (SD)

n=330 MW (SD)

n=386 MW (SD)

n=47 MW (SD)

15,70 (2,40) 12,46 (2,70) 8,74 (1,59) 7,15 (2,24)

[Distress and job satisfaction among hospital physicians in internal medicine].

How physicians within the specialty of internal medicine perceive their stress-related working conditions, especially due to a changing health system ...
738KB Sizes 0 Downloads 5 Views