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Die Embryologie der menschlichen Hüfte unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Labra Hans K . Uh/hoff

Zusammenfassung Die intrauterine Ent wicklun g der menschlichen Hüfte ist für den Kliniker von Bedeutung nicht zuletzt wegen möglicher Rückschlüs se au f die Path ogenese der kon genitalen Hüftluxation. In Föten unserer Sammlung war im allgemeinen da s P fannendach gut knorp elig au sgebildet , jed och bestand die hint ere Überdachung zum grö ßten Teil au s dem fibröse n Labrum . Da sich die Hüfte in utero in Beugestellun g befind et, muß sich ein auf das Knie ausgeübter Dru ck auf den hinteren Pfannenbereich und nicht auf das Pfannen-

dach übert ragen. Eine nicht selten bestehende Adduktion vermindert zusä tzlich die coverage des Femurkopfes. Beides kann die posteriore Subluxation erklären, welche in einem Fö ten beobacht et wurd e. Embryology of the Human Hip , with Special Consideration of the Development of the Labra For the clinician th e kno wledge of the intrauterine development of the hum an hip is o f grea t import ance particularly for an understanding o f the pathogenesis of congenita l hip displacem ent. Observations based on serial sections of fetal hips from Dur collection showed tha t the acetabular roof is generally weil develo ped. Th e posteri or wall, on the other hand, consists mo stly of the fibrous labrum and little coverage is provided by cartilage. Since the feta l hip is in a position of flexion, apressure exert ed on th e knee will be transmitted to the posterio r wall of the acetabulum and not to the acetabular ro of. An y additional adduction, often found in utero, will further decrease the coverage. Both, the relati ve weak posteri or structures and the position o f adduction, may explain the posterio r subluxation observed in one of our specimens .

Die Kenntnis der intrauterinen Entwicklung der menschlichen Hüfte ist eine not wendige Voraussetzu ng für ein Verständnis von Fehlbildungen . Dies trifft besonders für Veränderung en zu, die zur Dysplasie oder zur kon genitalen Hüftluxation führe n können. Wenige Studien wurden veröffentlicht , die sich mit der klinischen Bedeutung der Gelenkentwicklung der menschlichen Hüfte Z. Orthop. 128 (1990) 341-3 43 © 1990 F. Enke Verlag Stungan

befassen (Bad gley). Dies tri fft besond ers auf die Entwicklung der Labra zu. Auch scheint es keine, sich au f Präparate aller Entwicklungssta dien stützende, Veröffentlichun g zu geben, die den Grad der aceta bulären Ant eversion in uter o sowie den Grad der kaudal gerichteten Öffnung der Pfann e untersucht hab en. Die Beurteilu ng der Lage von Kontaktfl ächen zwischen Femurkopf und Acetabulum auf mikroskopischen Schnitten wird durch zwei Tat sachen erschwert. Erstens befindet sich die Hü fte in utero in Beugestellun g, deren Ausmaß wechselnd ist, und zweitens ist der Grad der Oberschenkelabduktion und -adduktion sowie der Inn enund Auß enrot ation sehr unterschiedlich . Für die gegenwärtige Studie wur den nur tran sversale (coronale) Schnitte des gesamten Beckens in Höhe der Coxo-femoralgelenke und Schnitt e in der front alen Ebene des Rumpfes, die die Mitt e des Gelenkes durchqueren, gewählt. Tr an sversalschnitte erlaub en eine Messung der acetabulären Anteversion wie auch eine Beurteilung der ventralen und der dor salen Labra. Schnitte in der Frontalebene dagegen ermöglichen eine Bestimmung der kranialen Bedeckun g des Femurkopfe s sowie eine Beschreibung der krani alen und kaud alen Labra. Sagitt alschnitte sind weniger aufschlußreich wegen der Neigung der acetabulären Öffnung in zwei Ebenen, was eine Beurteilun g der Überdachung des Femu rkopfes unmöglich macht. Jede Beckenhälfte ist in der sechsten Woche als eine Knor pelanlage erkennbar. Eine Unt erteilung in die drei Beckenk omponenten findet erst während der Knochenbildung statt. Methodik Die Studie stützt sich ausschließlich auf menschliche Embryonen und Föten der Sammlung des orthopädischen Fo rschungslaborato riums der Universitä t von Ott awa . Das Alter schwankt zwischen fünf Wochen und voller Reife. Die abgebildeten Schnitte wurden von Serienschnitten gewählt und entweder mit Haematoxylin-Eosin, Azan oder Goldner gefä rbt. Für eine Bestimmung der acetabulären Ante version wurden nur Schnitte verwandt, die das ganze Becken au fzeigen .

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Ouawa General Hospital, Onawa, Kanada

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Hans. K . Uhthaff

Bereits in einem Alter von sechs Wochen kann das zuk ünftige Hüftgelenk als eine Zo ne verdichtete r Blastemzellen erkannt werden , die zwischen den Knorpela nlage n des Becken s und des Femurkopfes liegt. Wenige Tage spät er lockert sich die Mitte dieser Zone auf (Abb. 1). Dadu rch werden drei Schichten erkennba r. Die beiden ä ußeren werden später den Gelenkkno rpel bilden . Ein flüssiger Übergang dieser Schichten besteht zum Perichon drium beide r Knorpelanlagen . Aus der mittleren Schicht entwickeln sich alle intraartiku lären Gelenkstrukturen . Die Entw icklung der eigentlichen Gelenk hö hle beginnt in der achten Woche. wenn mehr ere Spa lten, un abh ängig von

eina nde r, in der lockeren Mittel sch icht erkenntlich werden . Zu diesem Zeitpunkt sind die La bra als Zellko ndensa tion en zu erke nn en. Ein Zusa mmenfließen der Spalten führt zur Bildung der eigentlichen, von einer Synovialmembran ausgekleideten Gelenkhö hle während der zehnten Woche der intra uterinen Entwicklung . Schnitt e in de r fro ntalen Ebene, die eine Beurteilung der kranialen Bedeckung der vent ralen Fläche des Femur kop fes ermög lichen , zeigen regelmäßig eine gute Ausbildung des kno rpe ligen Randes und des kranialen Labrums (Abb. 2). Das kaudale Labrum ist stets mehr medial ; dies spiegelt die kaudal gerich tete Öffnung des Acetabulums wieder . Nur in einem Fa ll, der neben and eren MißAbb .3 Fetus 89. 11 'b: Woche n alt, Kopf- Steißlänge 70 mm . Dieser Frontalschnitt zeigt außer schw eren Mißbildungen der lumbo-sakralen W irbelsäule eine ungenüg ende Ausbildung des Pfannendaches . S = Sakrcilia kgelenk . L = krankales Labrum . Goldner . x S

Abb . 1 Embryo 123 , 7 Wochen alt, Kcpf-Steißlanqe 19 mm. Dieser Frontalschnitt zeigt die Auflocke rung des Gelenkblastems. Dadurch w erden drei Schichten erkennbar: je eine Schicht der Knorpelanlage aufliege nd und in der Mitte eine lockere Schicht. L = Labra. Goldner. x 40

Abb . 2 Embryo 198N , 9'. Wochen alt, Kopf Steißlänge 45 mm . In diesem Front alsch nitt ist die kraniale Bedeckung des Femurk opf es gut zu erkennen . Der W inkel der lateralen Öffnung beträgt 46 0 . S = Sym phys e. 0 = Ossifikation des os ileum . H.E. x 15 Abb.4 Fetus 39 2. 11 1b: Woc hen alt, Kopf- Steißlänge 75 mm . In diesem Transversalschnitt ist die acetabuläre Anteve rsion gut zu erkennen . Die an der Innenseite des Beckens laufende Linie gibt die ventro-dorsale Richtung an. Die grob unterbrochene Linie verbindet den ventralen mit dem dorsalen Knorpelrand. die Anteversion beträgt 14 °. Verbindet man dagegen die Spitzen beider Labia, erhöht sich der Wi nkel auf 22 °, S-Symphyse . Goldner. x 2

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Resultate

Die Em bryologie der menschlichen Hüfte unter Berücksichtung der Entwicklung der Labra

Schnitte in der transversalen Ebe ne zeigten vom A lter unabh än gige Unterschiede des Grades der acetabu lären Antever sio n, wenn beide Kno rpelränder a ls Bezugsp unkte benut zt wurden (Ab b. 4). Sie schwankten zwischen zwei und sechzehn Grad (Mi tte lwert neun Grad). Wurden dagegen die Spit zen des vent ralen und des do rsalen Labrum s zur Messun g gewä hlt , vergr öß ert e sich de r Winkel der Anteversion im Durchschnitt um ac ht Gr ad . Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen , daß da s dorsale Labrum stets lä nger a ls da s vent ra le war . Heide Labra sind freistehend , d . h . die Ge lenkka psel mü ndet nicht in ihre

A bb. 5

Fetus

115N. 20 Wochen alt, Kopl -Steißlä nge 18 5 mm. Dieser Tran sversal schnitt zeigt die geringe dorsale 8 edeckun g der kranialen Fläche des Femurkopfes. Die acetabuläre Ant eversion beträgt 9 0 • Das dorsale Labrum, stets läng er als das ventrale, bedeckt einen guten Teil des Kop fes. C = Fovea capitis m it li gam en t . Goldner. x 2

Fetus 82 N. 14 Wochen Abb . 6

alt, Kcp t-Steißlänge 10 5 m m . In diesem Fetus ist eine dorsale Subluxation erkennbar. Das ventra le La brum III ist einge schlagen. Der Obersc hen kel befindet sich in starker Addu ktion un d di e aceta buläre Ante version beträgt nur 2 0 • Transversal Schnitt . Goldner 4

x 7.5

Spit zen so ndern in ihre Basis ein. Die Labra führen zu einer Vertiefun g der Gelenkhöhl e (A bb. 5). Die Bedeckung de r nach do rsal gerichteten kranialen Fläc he des Fem urkop fes hin g zusä tzlich vo n dem Gr ad der Ab- un d Adduktion ab. Diese Festst ellungen zeigen deutl ich , daß die Gesamt bedeck un g um so geringer ist , je größer die Adduktion ist. In einem Fa ll konnte eine do rsale Subluxation festgestellt werden mit einem gleichzeitigen Einfa lten des ventralen Lab rums (Abb. 6). H ier befand sich der Femur in einer sta rken Adduktion, und der Winkel der Anteversion, a m Knorpelrand gemessen, betrug nur zwei Gr ad.

Disku ssion Unsere Beobachtungen der frühen Ge lenkentwicklung stimmen mit denen von Gardner und Gray überein . Au ch te ilen wir deren An sicht, daß diese Entwick lung nicht vo n mechan ischen Fa ktoren abhängt. Die H üft dyspl asie wird häu fig a uf eine primäre Unterentwicklung des P fan nend aches zurüc kgeführ t. Putti a ber wies bereits da ra uf hin . daß ein normales P fannendach am An fan g der Ent wick lung besteht, dieses a ber im Lau fe de r Entwicklun g defo rmiert wird . Som it hielt er von a ußen wirk ende Krä fte für die Ents tehung der P fannendachverformung vera ntwortlich , was spä ter von Badgley bestätigt wurde. Un sere Untersuchungen erlauben die gleichen Schluß folgerun gen. Der kr aniale Pfannenrand war stets kräftig au sgebildet. Das G leiche konn te nicht von der Ausbild ung der dorsa len Kopfbedeck ung gesagt werden. Sie besta nd zum größten Teil a us einem Labrum, das sich anfangs durch eine Zellk ondensation und spä ter sich durch ein Überwiegen von Kollagenfasern auszeichnete. Kommt dazu eine verstä r kte Addukt ion, kann der a uf den gebeugten Oberschenkel au sgeübte Druck in seiner Län gsach se zu einer do rsalen Subluxa tio n führen , was in einem Fall unwiderruflich dokumentiert werden ko nnte. Zu einer Bestimmung der acetabulären Anteversion bei Föt en so llten stets die Kno rp elrän der a ls Bezugspu nk te gewä hlt werde n . Beide Fakt o ren, eine Beugun g der Hüfte und eine Adduktion , wu rd en von Tönnis als Kräfte erwähnt , die zu einer Deformierung des dors a len Randes führen können . Eine solche Defo rmierung wird du rch eine relativ e Schw äche der dorsa len Pfan nenelemente erleichtert. Ein möglicher Einfluß einer femoralen Ante- oder Retroversion des Schenke lha lses auf die Entwicklung der Gelenkhö hle konnte in unserer Studie nicht bestimmt werd en .

Literatur Badgiey , c. E.: Eliology of co ngenita l dislocation o f the hip. J . Bone Joint Surg. 31A (1949) 341-35 6 Gardner, E.• D. J . Gray : Prenatal developmem of the hum an hip jo int. Am. J. Anal. 81 (1950) 163- 211 Putti, V.: Zilien von Tönnis Tönnis, D.: Co ngeniral dysplasia and dislocat ion of the hip . Heidelberg, eIC. : Springer Verlag, 1987

H. K. V h/ hoff 501 Smyth RD Ottawa/ Canada KIH8L6

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bildungen eine der lumbo-sa kr a len Wirb elsäul e a uf wies, war der krania le Knor pelra nd ungenügend a usgeb ildet und schien zu einer kr a nialen Subluxation zu führen (Ab b , 3).

Z. Orthop. 128 (1990) 343

[Embryology of the human hip with special reference to the development of the labra].

For the clinician the knowledge of the intrauterine development of the human hip is of great importance particularly for an understanding of the patho...
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