Übersichtsarbeit

Wie erreichen Präventionsprojekte ihre Zielgruppen? Auswertung einer Befragung der im Rahmen des BMBFFörderschwerpunkts Präventionsforschung geförderten Projekte

Autoren

T. Brand, S. Böttcher, I. Jahn

Institut

Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS, Prävention und Evaluation, Bremen

Schlüsselwörter ▶ Präventionsforschung ● ▶ Zugang ● ▶ Rekrutierung ● ▶ Programmreichweite ●

Zusammenfassung

Abstract

Ziel: Zugangswege zur Zielgruppe in den Projekten des Förderschwerpunktes Präventionsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden untersucht. Methodik: Eine schriftliche Projektbefragung wurde durchgeführt. Gefragt wurde nach den genutzten Zugangs- und Kommunikationswegen, den eingesetzten Teilnahmeanreizen, dem Erreichungsgrad der Zielgruppe sowie nach Strategien, die sich bei der Zugangsgestaltung als erfolgreich bzw. hinderlich erwiesen haben. Ergebnisse: 38 von 60 angeschriebenen Projekten schickten einen ausgefüllten Fragebogen zurück. Der Zugang zu den Zielgruppen erfolgte am häufigsten über Institutionen (z. B. Kitas, Schulen, Betriebe). Die Projekte nutzten multiple Kommunikationskanäle und Anreize; am häufigsten erfolgte eine schriftliche Ansprache und es wurden monetäre Anreize vor allem für die Teilnahme an der Evaluation geboten. Nur wenige Projekte gaben den Erreichungsgrad der Zielgruppe an; erfolgte der Zugang über Institutionen, war der Erreichungsgrad besonders hoch. Ein aktives Zugehen durch persönliche Kommunikation mit der Zielgruppe und den Multiplikatoren erwiesen sich aus der Sicht der Befragten als erfolgreiche Strategien. Schlussfolgerung: Der Beitrag bietet einen Überblick zu Zugangstrategien in aktuellen Präventionsprojekten. Mehr systematische Forschung zum Erreichungsgrad ist notwendig.

Aim: The aim of this study was to assess methods used to access target groups in prevention projects funded within the prevention research framework by the German Federal Ministry of Education and Research. Methods: A survey with prevention projects was conducted. Access strategies, communication channels, incentives, programme reach, and successful practical recruitment strategies were explored. Results: 38 out of 60 projects took part in the survey. Most projects accessed their target group within structured settings (e. g., child day-care centers, schools, workplaces). Multiple communication channels and incentives were used, with written information and monetary incentives being used most frequently. Only few projects were able to report their programme reach adequately; programme reach was highest for programmes accessing the target groups in structured settings. The respondents viewed active recruitment via personal communication with the target group and key persons in the settings as the most successful strategy. Conclusion: The paper provides an overview on recruitment strategies used in current prevention projects. More systematic research on programme reach is necessary.

Einleitung

und Risiken betroffen sind, auch erreicht werden. Dies sind häufig Bevölkerungsgruppen in sozial benachteiligten Lebenslagen, mit geringer Bildung oder Migrationshintergrund, die in den Angeboten oft unterrepräsentiert sind bzw. davon in geringerem Maße profitieren [1–3]. Dies kann zur Folge haben, dass Präventionsangebote zu einer Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheit

Key words ▶ prevention research ● ▶ access ● ▶ recruitment ● ▶ programme reach ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1381992 Online-Publikation: 2014 Gesundheitswesen © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Dr. phil. Tilman Brand Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS Prävention und Evaluation Achterstraße 30 28359 Bremen [email protected]





Die Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen gehört gemäß § 20 SGB V zu den zentralen Aufgaben der Primärprävention. Eine wesentliche Voraussetzung für eine insofern erfolgreiche Prävention ist, dass Zielgruppen, die von gesundheitlichen Belastungen



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How do Prevention Projects Reach their Target Groups? Results of a Survey with Prevention Projects

Übersichtsarbeit

sowie das Schwerpunktheft ‚KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung‘ (Das Gesundheitswesen, im Erscheinen).

Vorgehen Im Rahmen der KNP-Arbeitsgruppe ‚Soziale und gesundheitliche Ungleichheit‘ wurde im Jahr 2009 vereinbart, eine Projektbefragung zu den Erfahrungen mit Zugängen zu den Zielgruppen durchzuführen. Ein Selbstausfüllfragebogen wurde entwickelt und über die KNP-Geschäftsstelle an der Medizinischen Hochschule Hannover im Oktober 2010 an die Projektleiter/innen per E-Mail verschickt. Der Rücklauf der ausgefüllten Fragebögen erfolgte bis Mitte November 2010.

Fragebogen Der von der Arbeitsgruppe ‚Soziale und gesundheitliche Ungleichheit‘ entwickelte Fragebogen umfasste 12 Fragen. Zur Beschreibung des Projekts wurde nach dem Handlungsfeld sowie der angestrebten Zielgruppe des Projekts gefragt. Ferner wurde gefragt, ob die Erprobung von Zugangswegen zu den Projektzielen gehörte und aus welcher Perspektive der Fragebogen beantwortet wurde (Wissenschaft/Praxis). Bezüglich der Zugänge wurden die realisierten Zugangswege, die genutzten Kommunikationskanäle und die eingesetzten Teilnahmeanreize erhoben. Die Abfrage erfolgte nach vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, ergänzt um ein Freitext-Feld. Unterschieden wurde bei diesen Fragen, ob es sich um einen Zugang für die Intervention oder die Evaluation handelte. Der Erreichungsgrad der Zielgruppe (Response) wurde in einem freien Antwortfeld erfragt. Auch die positiven und negativen Erfahrungen in der Gestaltung der Zugangswege wurden mittels freier Antwortfelder erhoben.

Auswertung Es erfolgte eine deskriptive Auswertung der Daten mittels SPSS 19. Unterschiede im Zugang zwischen Projekten mit unterschiedlichen Schwerpunkten wurden exploriert. Die freien Antworten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet, indem sie zusammengefasst und kategorisiert wurden.

Ergebnisse



Beschreibung der Präventionsprojekte Methodik



Grundgesamtheit dieser Untersuchung waren die 60 Projekte des Förderschwerpunktes Präventionsforschung. Die Schwerpunkte der Projekte waren sehr unterschiedlich. Neben Interventionsstudien wurden auch Präventionskampagnen und Strukturbildungsmaßnahmen evaluiert sowie Instrumente zur Qualitätsentwicklung und Evaluation entwickelt. Die Maßnahmen setzten in verschiedenen Lebensräumen an (Familie, Kita, Schule, Quartier, Betrieb oder Pflegeheim) und richteten sich an unterschiedliche Zielgruppen (z. B. Kinder und Jugendliche, Eltern, ältere Menschen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit einem Migrationshintergrund). Auch die Handlungsfelder waren sehr divers. So wurden bspw. Angebote in den Bereichen Bewegungsförderung, gesunde Ernährung und Bewältigungskompetenzen durchgeführt, aber auch screeningbasierte Maßnahmen in der Diabetesprävention. Einen umfassenden Überblick zu den Projekten bieten die Projektdatenbank (www.knp-forschung.de)

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Insgesamt wurde für 38 von 60 Projekten ein Fragebogen ausgefüllt (Response 63 %). Bezüglich der Perspektive der Befragten ist festzustellen, dass die überwiegende Mehrheit (n = 33) die wissenschaftliche Seite in den Präventionsprojekten repräsentierten. In 4 Fällen gaben die Befragten an, sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus praktischer Perspektive zu antworten. Ein Fragebogen wurde nur in der Praxisperspektive beantwortet. Ungefähr die Hälfte der Projekte, für die ausgefüllte Fragebögen vorlagen, richtete sich an Erwachsene (n = 18), ca. ein Drittel an Kinder oder Jugendliche (n = 11) und die übrigen Projekte (n = 7) waren sowohl für Kinder oder Jugendliche als auch Erwachsene zugänglich (n = 2 fehlende Angaben). Bezüglich unterschiedlicher Aspekte von sozialer Benachteiligung gaben über die Hälfte an (n = 21), sich gezielt an Personen mit einem geringen Bildungsstatus zu richten. Fast ebenso viele Projekte richteten sich an Personen mit einem geringen Einkommen (n = 20) und ca. ein Drittel richtete sich an Alleinerziehende (n = 13). Geschlechterspezifische Angebote waren kaum vertreten: 2 Angebote richteten sich ausschließlich an Mädchen oder Frauen, eines ausschließlich an Jungen oder Männer. Insgesamt 11 Projekte waren

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führen, anstatt diese zu beseitigen (Präventionsdilemma) [4]. Zugänge zu sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu schaffen, gehört daher zu den Qualitätsmerkmalen von primärpräventiven Angeboten und ist eine wichtige Aufgabe für die Etablierung gesamtgesellschaftlich erfolgreicher Prävention und Gesundheitsförderung [5]. In der umfangreichen Sammlung des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit wird das Thema Zugang an verschiedenen Stellen in den Good Practice-Kriterien berührt, etwa in den Kriterien der niedrigschwelligen Arbeitsweise, dem Setting-Ansatz und dem Multiplikatoren-Konzept. Es finden sich dort zudem viele Beschreibungen der Zugangswege zu sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen in einzelnen Themen- und Handlungsfeldern [6] (siehe auch: http://www.gesundheitlichechancengleichheit.de/praxisdatenbank/). Eine systematische Auswertung im Hinblick auf Zugänge liegt allerdings bislang noch nicht vor. Im Förderschwerpunkt Präventionsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden zwischen 2004 und 2012 insgesamt rund 60 Projekte gefördert und im Rahmen des Metaprojektes „Kooperation für nachhaltige Präventionsforschung (KNP)“ 2009–2013 zusammengefasst, vernetzt und ausgewertet (http://www.knp-forschung.de). Die Forschungsprojekte waren darauf ausgerichtet, die Wirksamkeit und Qualitätssicherung von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung zu prüfen sowie neue Zugangswege zu Zielgruppen oder Lebenswelten zu erproben [7]. Eine Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis gehörte dabei zu den Voraussetzungen für die Förderung. In diesem Beitrag werden die Erfahrungen dieser Projekte mit den erprobten Zugangswegen exploriert. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: ▶ Welche Zugangswege haben die Präventionsprojekte genutzt? ▶ Über welche Wege haben die Projekte den Kontakt zur Zielgruppe hergestellt? ▶ Welche Teilnahmeanreize wurden von den Projekten eingesetzt? ▶ Welcher Anteil der Zielgruppe wurde erreicht (Response)? ▶ Welche Strategien haben sich aus Sicht der Projekte bewährt und welche nicht?

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Erprobung Zugang war Ziel

Altersübergreifend (n= 7)

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Abb. 1 Zugangserprobung als Projektziel nach Altersbereichen (n = 36).

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Migrationsspezifisch (n= 11) Erprobung Zugang war Ziel

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Abb. 2 Zugangserprobung als Projektziel nach Migrationsstatus (n = 36).

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Abb. 4 Kontaktaufnahme mit der Zielgruppe in den Projekten (n = 38); Mehrfachantworten möglich.

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Abb. 3 Zugangswege in den Projekten (n = 38); Mehrfachantworten möglich; bei der Frage nach den direkten Zugängen wurde nicht nach Evaluation und Intervention unterschieden.

speziell auf Menschen mit einem Migrationshintergrund ausgerichtet. Die häufigsten Handlungsfelder waren gesunde Ernährung, Bewegung und Entspannung sowie die Förderung von Bewältigungskompetenz. Die Erprobung von Zugangswegen gehörte bei ungefähr der Hälfte der Projekte (n = 20) zu den Projektzielen. Eine Auswertung unterteilt nach Zielgruppenspezifika ergab, dass die Erprobung von Zugangswegen eher in den Projekten zu den Zielen gehörte, die sich an Erwachsene oder an Menschen

▶ Abb. 1, 2). Wobei mit einem Migrationshintergrund richteten (● auch in Projekten die nicht speziell auf Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet waren, n = 11 von n = 25 die Erprobung von Zugangswegen zum Ziel hatten.

Realisierte Zugangswege In den Projekten wurden unterschiedliche Zugangswege realisiert. Am häufigsten erfolgte der Zugang über Institutionen wie bspw. Kitas, Schulen, Betriebe oder Pflegeheime. Auch Multiplikatoren und Multiplikatorinnen, wie niedergelassene Ärzte/Ärztinnen, waren in zahlreichen Projekten (n = 24) an der Schaffung von Zugängen beteiligt. Z. T. ergaben sich Unterschiede im Zugang im Hinblick darauf, ob die Teilnehmer/innen für die Intervention oder die Evaluation gewonnen werden sollten. So wurde der Zugang über den Sozialraum oder über Vereine und Kirchen eher dann gewählt, wenn Teilnehmer/innen für die Intervention ▶ Abb. 3). erreicht werden sollten (●

Genutzte Kommunikationskanäle Die überwiegende Mehrheit der Projekte (n = 34) nutzte mehrere Kommunikationskanäle in der Kontaktaufnahme. Am häu▶ Abb. 4). figsten erfolgte eine schriftliche Kontaktaufnahme (● Auch eine persönliche oder telefonische Ansprache wurde von mehr als der Hälfte der Projekte genutzt, ebenso wie eine Kontaktierung über die Praktiker/innen im Feld. Die Kontaktaufnahme über Laien oder einen Hausbesuch wurde eher selten gewählt.

Teilnahmeanreize Mehr als zwei Drittel der Projekte (n = 31) setzte mindestens eine Form von Teilnahmeanreiz in mindestens einem Bereich (Intervention oder Evaluation) ein. Im Durchschnitt wurden 1,5 Teilnahmeanreize angegeben. Zu beachten ist, dass die Projekte sehr verschieden waren: in allen wurde eine Evaluation durchgeführt, in einigen erfolgte sowohl die Intervention als auch die Evaluation. Aus diesem Grund beschränken wir uns im Folgenden auf die Darstellung nach Art des Anreizes und differenzieren innerhalb nach Intervention und/oder Evaluation. ▶ Abb. 5). Am häufigsten wurden finanzielle Anreize eingesetzt (● Die Geldbeträge lagen zwischen 5 und 90 € (Median = 15 €) und Brand T et al. Wie erreichen Präventionsprojekte ihre … Gesundheitswesen

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Abb. 5 Genutzte Teilnahmeanreize in den Projekten (n = 38); Mehrfachantworten möglich.

wurden entweder an die vermittelnden Institutionen bzw. Multiplikatoren/Multiplikatorinnen gezahlt oder direkt an die Teilnehmer/innen. Wenn das Geld direkt an die Teilnehmer/innen ging, so geschah dies in der Regel als Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an einer Befragung oder Untersuchung. In seltenen Fällen wurden auch Geldbeträge für die Teilnahme an der Intervention (z. B. für Sitzungen oder umfangreiche Diagnostiktermine) bzw. an Ärzte für die Rekrutierung von Teilnehmenden für die Intervention gezahlt. Auch Sachprämien oder die Teilnahme an Verlosungen waren Anreize, die in erster Linie im Rahmen der Evaluation eingesetzt wurden. Als Sachprämien wurden bspw. Bücher oder Kinogutscheine für Erwachsene und Spielsachen für Kinder ausgegeben. Verlost wurden z. B. Navigationsgeräte, Handys und Wellness-Wochenenden. Wenn es um die Teilnahme an der Intervention ging, wurde am häufigsten die Möglichkeit zur Partizipation als Anreiz genutzt. Realisiert wurde dies, indem die Teilnehmer/innen in die Planung der Intervention einbezogen, Ideenwerkstätten oder Fokusgruppendiskussionen veranstaltet oder Zielgruppenbefragungen durchgeführt wurden. Die Projekte, welche eine Erprobung von Zugängen zum Ziel hatten, setzten insgesamt weniger Teilnahmeanreize ein. Insbesondere finanzielle Anreize wurden in diesen Projekten seltener eingesetzt.

Response-Rate Nur wenige Projekte konnten das Verhältnis zwischen der Anzahl erreichter Teilnehmer/innen zur Grundgesamtheit möglicher Teilnehmer/innen angeben (Response-Rate). Bei den Projekten, die konkrete Angaben zur Responserate machten, schwankte diese zwischen 2 und 100 %. Besonders hoch war die Response in den Projekten, in denen die Intervention in Institutionen, z. B. Schulen, stattfand und dort bspw. in den regulären Unterricht integriert war. Schwieriger gestaltete sich dagegen der Zugang bei Individualangeboten oder Setting-Ansätzen, bei denen keine zentrale Institution beteiligt war.

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Ein aktives persönliches Zugehen war aus Sicht der Befragten ein wesentlicher Faktor zum Erfolg des Zugangs zu Zielgruppen. Dazu wurde auf der einen Ebene der direkte persönliche Kontakt mit der Zielgruppe im jeweiligen Setting gezählt. Darüber hinaus wurde auf einer übergeordneten Ebene der direkte Kontakt und die Kooperation mit Multiplikatoren und Multiplikatorinnen – z. B. Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erzieher sowie Schlüsselpersonen innerhalb kultureller Gemeinschaften oder etablierte Praxisanbieter im Sozialraum – als wichtiger Erfolgsfaktor zur Erreichung der Zielgruppe betrachtet. Wenn das Projekt innerhalb einer Institution oder Organisation, wie z. B. in der Schule oder in einem Industriebetrieb, umgesetzt wurde, waren aus Sicht der Befragten der frühe Kontakt und die Unterstützung durch höhere Funktionsebenen wichtig für den Erfolg. Neben dem direkten Kontakt wurde von den Befragten auch eine breite Öffentlichkeitsarbeit im Setting und die Einbeziehung der lokalen Medien empfohlen. Bezüglich der Art und Weise der Ansprache wurde es als wichtig erachtet, den Multiplikatoren und Multiplikatorinnen den Sinn und Nutzen des Projekts zu erläutern, um sie für eine Kooperation zu gewinnen. Sich „im Dienste von Wissenschaft und Forschung“ zu beteiligen, reichte dabei als Motivation oft nicht aus. Darüber hinaus war die kontinuierliche Kommunikation bspw. in Form von individuellen Rückmeldungen oder Zwischenberichten zum Projektstand wichtig, um die Kooperation aufrecht zu erhalten. Das Internet wurde dann als erfolgreicher Informations- und Zugangsweg gewertet, wenn sich das Projekt individuenbezogen auf ein bestimmtes Erkrankungsbild bezog, wie bspw. in der Diabetesfrüherkennung. In anderen Projekten, bspw. zur Adipositas-Prävention, erwies sich das Internet nicht als hilfreicher Zugangsweg. Inhalt und Konzeption der Intervention wurden von einigen Befragten ebenfalls als entscheidender Faktor beim Zugang und für die weitere Teilnahme angesehen. Ernährung wurde hier bspw. als gut akzeptiertes Thema benannt. Auch das direkte Thematisieren des Dickseins wurde von den Befragten als erfolgreiche Konzeptgestaltung bewertet. Nicht erfolgsversprechend war aus Sicht der Befragten die schriftliche Ansprache als alleinige Form der Kontaktaufnahme oder eine reine Komm-Struktur in der Aufnahmepraxis. Die Rekrutierung über niedergelassene (Kinder-)Ärzte/Ärztinnen wurde ebenfalls als wenig erfolgreich beschrieben. Der Zugang über diese Mediziner/innen schien nur gegen eine vergleichsweise hohe Honorierung zu gelingen. Als weitere Hürde wurde ein hohes Maß an Verbindlichkeit in der Kursteilnahme identifiziert. Auch Sprachbarrieren, die sich für Teilnehmer/innen mit Migrationshintergrund im Rahmen von Forschungsinterviews ergaben, führten zu Schwierigkeiten im Zugang zu dieser Gruppe. Als schwierig erwies es sich auch, wenn entweder die Partner-Organisationen (z. B. Industriebetriebe) noch keine Erfahrungen mit der Durchführung von gesundheitsförderlichen Angeboten hatten oder die Praktiker/innen noch keine Erfahrung mit dem jeweiligen Setting hatten. In diesen Fällen empfahlen die Befragten, eine ausreichend lange Pilotphase für einen gelingenden Zugang einzuplanen. Projekte, die im ländlichen Raum durchgeführt wurden, gaben zudem die Empfehlung, in der Planung genügend personelle und finanzielle Ressourcen zu berücksichtigen, um den durch die räumliche Entfernung bedingten Mehraufwand zu bewältigen.

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Erfahrungen mit den Zugängen zu Zielgruppen 18

Diskussion



In diesem Beitrag wurden die Vorgehensweisen und Einschätzungen des Zielgruppenzugangs in verschiedenen Projekten zur Prävention und Gesundheitsförderung aus der Perspektive der beteiligten Wissenschaft und/oder Praxis untersucht. Die Projekte waren sowohl hinsichtlich der anvisierten Zielgruppe auch in den inhaltlichen Schwerpunkten heterogen. Dies erschwert es, generalisierende Schlussfolgerungen zu ziehen, bietet aber auch die Möglichkeit, Zugangsstrategien detailliert aufzuzeigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Erprobung von Zugangswegen insbesondere dann zu den Projektzielen gehörte, wenn sich die Angebote an Erwachsene oder speziell an Menschen mit einem Migrationshintergrund richteten. Dies legt umgekehrt nahe, dass der Zugang zu Jugendlichen und Kindern als eher etabliert angesehen wird. Berichtete Response-Raten von bis zu 100 % beim Zugang zu Kindern und Jugendlichen über die Settings Kita und Schule bzw. die Integration von Interventionen in den Kitabzw. Unterrichtsalltag untermauern diese Sicht. Somit wäre zu schlussfolgern, dass diese Settings optimale Zugänge für Angebote der Prävention und Gesundheitsförderung bieten. Dies gilt allerdings nur für die Zielgruppen, die sich in den Settings aufhalten (Kindergartenkinder, Schüler/innen). Insoweit die Programme auf den Einbezug von Eltern setzen (z. B. Elterntrainings), werden deutlich geringere Response-Raten von 10 bis 32 % berichtet [8] und die Teilnahme folgt oft einem sozialen Gradienten [9]. Bezüglich der Kontaktaufnahme zu den potenziellen Teilnehmern/Teilnehmerinnen zeigte sich eine große Übereinstimmung zwischen den Befragten dahingehend, dass der direkte persönliche Kontakt im Gegensatz zur ausschließlich schriftlichen Kontaktaufnahme als erfolgreichere Zugangsstrategie bewertet wurde. Diese Einschätzung steht im Einklang mit Forschungsergebnissen zu den Kommunikationsvariablen in der Rauchentwöhnung [10] und auch mit einem Cochrane-Review zu Methoden, die Beteiligung an postalischen Befragungen zu erhöhen [11]. Demnach erhöht sich die Response durch Vorbenachrichtigung über die Befragung und persönliche Follow-up Kontakte. Die hier befragten Projekte setzten dem gegenüber am häufigsten die schriftliche Kontaktaufnahme ein. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass für eine schriftliche Kontaktaufnahme deutlich weniger Ressourcen benötigt werden als für persönliche Einzelkontakte. Insgesamt wurde in den Projekten in der Regel auf mehrere Informationswege zurückgegriffen und dies wurde auch als nützliche Strategie empfohlen. Die Auswertungen legen darüber hinaus nahe, dass je nach Inhalt und Zielgruppe einzelne Wege der Kontaktaufnahme mehr oder weniger erfolgversprechend waren: Das Internet erwies sich in einem Projekt zur Diabetesfrüherkennung, welches sich an Erwachsene richtete, als sehr erfolgreicher Zugangsweg. Im Gegensatz dazu wurde dieser Zugang von einem Projekt zur Adipositas-Prävention im Kinder- und Jugendalter als wenig hilfreich erlebt. Die meisten Projekte nutzten für den Zugang zu den Zielgruppen Kooperationen mit Institutionen oder Multiplikatoren/Multiplikatorinnen, die im Kontext als bedeutsam erachtet wurden. Um diese für eine Kooperation zu gewinnen, war aus Sicht der Befragten wiederum der direkte persönliche Kontakt entscheidend. Mehrfach wurde von den Befragten in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich eine Kooperation mit niedergelassenen (Kinder-)Ärzten/Ärztinnen schwierig gestaltete. Ob

es abgesehen von Honoraransprüchen und Vorbehalten gegenüber jeglicher Mehrbelastung weitere Gründe gibt, warum gerade diese Berufsgruppe nach der Einschätzung der befragten Projektbeteiligten wenig Bereitschaft zeigt, sich beim Zugang sozial benachteiligter Zielgruppen zu präventiven Angeboten zu engagieren, wäre ein lohnenswertes Thema für zukünftige Forschung. Nur wenige Projekte haben im Rahmen der Befragung exakte Angaben zum Erreichungsgrad berichtet. Eine verlässliche Schätzung der Response würde eine bessere Beurteilung erlauben, inwieweit ein Präventionsangebot die angestrebte Zielgruppe bedarfsdeckend erreicht. Der RE-AIM (Reach, Efficacy, Adoption, Implementation, Maintenance) Ansatz bietet in diesem Zusammenhang ausgearbeitete Vorschläge, wie die Response bzw. Programmreichweite systematisch zu bestimmen und zu berichten ist (http://www.re-aim.hnfe.vt.edu/index.html). Ein Nachteil dieser Projektbefragung liegt sicherlich darin, dass die Befragten in erster Linie aus wissenschaftlicher Perspektive geantwortet haben bzw. sich die Befragten in einer (Forschungs-) Projektphase befanden. In diesem Zusammenhang stellt sich insgesamt die Frage der Übertragbarkeit von Ergebnissen auf die nachfolgende Programmimplementation im Regelbetrieb. Unterschiede zwischen den Implementationsphasen deuten sich bspw. in der Wahl der Teilnahmeanreize für Interventions- und Evaluationszwecke an. Wie bereits eingangs angesprochen, liegt mit der Praxisdatenbank des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit ein umfangreicher Fundus an Informationen über Zugänge vor, der zukünftig auch für wissenschaftliche Auswertungen genutzt werden sollte. Die Ergebnisse der hier vorgestellten Befragung sollten mit Expertinnen und Experten aus der Gesundheitsförderungspraxis und aus dem Good Practice-Prozess diskutiert werden, um vorhandene Erfahrungen und Ergebnisse als Grundlage für Empfehlungen zur Zugangsgestaltung zu nutzen.

Schlussfolgerung



Die vorliegende Untersuchung bietet einen Überblick zur Gestaltung der Zugänge in Projekten des vergangenen Förderschwerpunkts Präventionsforschung. Übergreifend erscheint der Einsatz multipler Zugangswege und Kommunikationskanäle als erfolgsversprechende Zugangsstrategie, wobei ein aktives Zugehen und persönlicher Kontakt zur Zielgruppe und zu den Multiplikatoren und Multiplikatorinnen gewährleistet sein sollte. Um den Public Health-Impact der Interventionen bestimmen zu können und erfolgreiche Zugänge zuverlässiger zu identifizieren, ist weitere systematische Forschung zur Erreichung der Zielgruppen notwendig.

Danksagung



Wir danken der KNP-Arbeitsgruppe ‚Soziale und gesundheitliche Ungleichheit‘ für die wertvollen Hinweise bei der Erstellung des Fragebogens. Darüber hinaus danken wir der KNP-Geschäftsstelle an der Medizinischen Hochschule Hannover, insbesondere Frau Dr. Martina Plaumann, für die Organisation der Befragung. Gefördert wurde die Auswertung der Befragung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

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Übersichtsarbeit

Übersichtsarbeit Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur

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1 Brzoska P, Voigtländer S, Spallek J et al. Utilization and effectiveness of medical rehabilitation in foreign nationals residing in Germany. Eur J Epidemiol 2010; 25: 651–660 2 Jordan S, von der Lippe E. Participation in health behaviour change programmes: results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1). Bundesgesundheitsbla 2013; 56: 878–884 3 Oldroyd J, Burns C, Lucas P et al. The effectiveness of nutrition interventions on dietary outcomes by relative social disadvantage: a systematic review. J Epidemiol Community Health 2008; 62: 573–579 4 Bauer U. Das Präventionsdilemma. Wiesbaden: VS; 2005 5 Rosenbrock R. Primäre Prävention zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen – Problemskizze und ein Politikvorschlag zur Umsetzung des § 20 SGB V durch die GVK. In: Rosenbrock R, Bellwinkel M, Schröer A, Hrsg. Primärprävention im Kontext sozialer Ungleichheit. Bremerhaven: Verlag für Neue Wissenschaft; 2004; 7–149

6 Lehmann F, Köster M, Brandes S et al. Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. Köln: BZgA. 2011; 7 Walter U, Plaumann M, Dubben S et al. Wirksamkeit, Qualität und Transfer: Weiterentwicklung der Prävention und Gesundheitsförderung durch Forschung. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 1488–1492 8 Eisner M, Ribeaud D, Jünger R et al. Frühprävention von Gewalt und Aggression. Zürich; Rüegger. 2008 9 Heinrichs N, Bertram H, Kuschel A et al. Parent recruitment and retention in a universal prevention program for child behavior and emotional problems: barriers to research and program participation. Prev Sci 2005; 6: 275–286 10 McDonald PW. Population-based recruitment for quit-smoking programs: an analytic review of communication variables. Prev Med 1999; 28: 545–557 11 Edwards PJ, Roberts I, Clarke MJ et al. Methods to increase response to postal and electronic questionnaires. Cochrane Database Syst Rev 2009; MR000008

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[How do Prevention Projects Reach their Target Groups? Results of a Survey with Prevention Projects].

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