Originalarbeit 369

Wie viele arbeitsbezogene Leistungen bekommen Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen? Analyse einer repräsentativen indikationsübergreifenden Stichprobe von Rehabilitanden How Many Work-related Therapeutic Services Do Patients with Severe Restrictions of Work Ability Receive? Analysis of a Representative Rehabilitation Sample across Indications

Institute

Schlüsselwörter ▶ medizinisch-beruflich ● orientierte Rehabilitation ▶ MBOR ● ▶ arbeitsbezogene Leistungen ● ▶ Klassifikation ● therapeutischer Leistungen ▶ KTL ● Key words ▶ work-related medical ● rehabilitation ▶ WMR ● ▶ work-related interventions ● ▶ classification of therapeutical ● services ▶ KTL ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1375643 Online-Publikation: 3.9.2014 Rehabilitation 2014; 53: 369–375 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0034-3536 Korrespondenzadresse Dr. Marco Streibelt Abteilung Rehabilitation Deutsche Rentenversicherung Bund Hohenzollerndamm 47 10704 Berlin [email protected]

M. Streibelt1, M. Brünger2 1 2

Abteilung Rehabilitation, Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Zusammenfassung

Abstract

Ziel: Es soll untersucht werden, wie viele arbeitsbezogene Leistungen in der medizinischen Rehabilitation im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund erbracht werden, ob Personen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) besondere Berücksichtigung finden und wie hoch der Erfüllungsgrad der im MBORAnforderungsprofil definierten Anforderungen ist. Methoden: Eine indikationsübergreifende repräsentative Stichprobe von Versicherten der DRV Bund im erwerbsfähigen Alter wurde vor Beginn der medizinischen Rehabilitation postalisch befragt. Arbeitsbezogene Leistungen wurden auf Basis der Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) erhoben. Ergebnisse: Für 2 232 Versicherte lagen vollständige Daten vor. Personen mit BBPL erhielten durchschnittlich 6,1 h arbeitsbezogene Leistungen. Die Unterschiede zwischen Personen mit und ohne BBPL waren auch für einzelne Kernangebote allenfalls gering (standardized mean difference, SMD = 0,12–0,34). In keinem Kernangebot konnten die im MBOR-Anforderungsprofil geforderten Mindestanteile erreicht werden. Differenzierte Analysen nach BBPL zeigten keine wesentlichen Unterschiede. Diskussion: Die Analyse deutet auf eine insuffiziente Ausgestaltung medizinischer Rehabilitationsleistungen in Bezug auf Häufigkeit und Intensität berufsorientierter Leistungen in der medizinischen Rehabilitation hin. Insbesondere die fehlende Bedarfsadäquanz verweist auf den erheblichen Bedarf der Implementierung von Leitlinien bei der Erbringung arbeitsbezogener Leistungen.

Objective: The aim of the study was to analyze how many work-related interventions were realised during medical rehabilitation on behalf of the German Federal Pension Insurance, whether persons with severe restrictions of work ability (SRWA) received more work-related treatments and if the requirements of the Implementation Guideline for work-related rehabilitation were met. Methods: A representative sample of working age persons insured in the German Federal Pension Insurance stratified by main diagnosis groups fulfilled a postal questionnaire before admission to their rehabilitation centre. Work-related interventions were measured by the Classification of Therapeutic Services (KTL), a German classification of treatments during medical rehabilitation. Results: The sample consisted of 2 232 persons with full data. Persons with SRWA received workrelated interventions by an average of 6.1 h. The standardized mean differences for the treatment dose of persons with and without SRWA were between 0.12 and 0.34 for different work-related modules. In none of the modules the required minimum level was met. There were no considerable differences in persons with and without SRWA receiving the required minimum level. Conclusions: The analysis clearly stated the insufficient frequency and intensity of work-related treatments in medical rehabilitation. Especially the missing link between SRWA and workrelated treatments indicates the strong need to further disseminate recently published guideline recommendations on the provision of work-related treatments.

Einleitung

Sechsten Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist es Aufgabe rehabilitativer Leistungen, „… Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst





Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit ist zentrales Anliegen der Rehabilitation im Auftrag der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Nach dem



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Autoren

dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern“ (§ 9 Abs. 1 SGB VI). Diesem sozialrechtlichen Anspruch stellt sich die GRV seit Jahrzehnten durch die Erbringung medizinischer sowie beruflicher Rehabilitationsleistungen. In aktuellen Übersichtsarbeiten zur Effektivität von Reha-Leistungen stellten sich Interventionen – etwa bei chronischen Rückenschmerzen – dann als effektiv in Bezug auf berufliche Outcomes dar, wenn sie inhaltlich einen klaren Bezug zur individuellen Arbeitssituation aufwiesen [1, 2]. In den letzten 10–15 Jahren wurde mit der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) auch in Deutschland eine stärker berufsbezogene Behandlungsstrategie in der medizinischen Rehabilitation entwickelt und untersucht. Die MBOR richtet den gesamten Reha-Prozess an den individuellen beruflichen Bedingungen einer Person aus. Diese Bedingungen schließen sowohl die Anforderungsseite des (angestrebten) Arbeitsplatzes als auch die individuellen Ressourcen und Barrieren der Person (Fähigkeitsseite) ein [3, 4]. Die zentrale Frage in der MBOR lautet, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Person unter Berücksichtigung 1. ihres Gesundheitsproblems sowie 2. ihrer individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen dauerhaft den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes gewachsen ist. Damit erlangen arbeitsbezogene diagnostische und therapeutische Leistungen eine herausragende Bedeutung in der MBOR. Es hat sich indikationsübergreifend gezeigt, dass die MBOR die Effektivität der herkömmlichen medizinischen Rehabilitation in Bezug auf die berufliche Wiedereingliederung steigern kann (Orthopädie: [5, 6]; Kardiologie: [7]; Psychosomatik: [8]). Allerdings sollte dies nicht für alle Personen verallgemeinert werden. Die nachgewiesene Evidenz konzentriert sich auf Personen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL). Dahinter verbergen sich Personen, deren berufliche Reintegration durch eine allgemeine Verbesserung des Funktionsstatus sowie des Gesundheitsverhaltens häufig nicht mehr erreichbar ist [9, 10]. Sie besitzen ein höheres Risiko späterer Erwerbsminderung und sind durch lange Arbeitsunfähigkeits- sowie Arbeitslosigkeitsphasen vor der Rehabilitation und eine negative subjektive Erwerbsprognose gekennzeichnet [9, 11–13] (zusammenfassend in: [14]). Aufgrund der guten Evidenzlage wurde durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) seit 2009 verstärkt die bundesweite Etablierung der MBOR-Philosophie in die Rehabilitationslandschaft betrieben [15]. Dies gipfelte in der Veröffentlichung des „Anforderungsprofils zur Durchführung der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung“ (MBOR-AP) [16, 17]. Im MBOR-AP sind u. a. konkrete inhaltliche Anforderungen an die Leistungserbringung im Rahmen der MBOR aufgeführt. Patienten mit BBPL sollten demnach arbeitsbezogene Mindestleistungen, sogenannte MBORKernangebote, erhalten, die sich auf eine ganzheitliche, anforderungsorientierte Diagnostik, die soziale Arbeit, berufsbezogene Schulungen und das Training berufsbezogener Handlungsmuster konzentrieren und eine definierte Therapieintensität besitzen. Vor dem Hintergrund des eingangs formulierten gesetzlichen Auftrages der DRV definiert die MBOR jedoch keine neue Maßnahmeart. Arbeitsbezogene Leistungen bilden seit Langem einen Schwerpunkt in den Konzepten der medizinischen Rehabilitation im Auftrag der DRV [18]. Erstmals hat Radoschewski in seiner grundlegenden versorgungsepidemiologischen PORTALStudie (Partizipations-Orientierte Rehabilitation zur Teilhabe am Arbeitsleben) die Relevanz arbeitsbezogener Leistungen in

der medizinischen Rehabilitation untersucht [19]. Er stellte anhand von Routinedaten der DRV sowohl für somatische als auch psychosomatische Indikationen fest, dass arbeitsbezogene Leistungen nur eine untergeordnete Stellung einnehmen und keine homogene und bedarfsadäquate Vergabe dieser Leistungen stattfindet. Es bestand ein geringer Zusammenhang zwischen dem Auftreten von BBPL und der Vergabe arbeitsbezogener Leistungen; die Durchführung der Rehabilitation in einer spezifischen Reha-Einrichtung erklärte jedoch weit mehr Varianz. Die Erkenntnisse der PORTAL-Studie beruhen auf Daten des Jahres 2003. Inwiefern die aufgezeigte Entwicklung im Rahmen der MBOR diesen ernüchternden Befund im Zuge der letzten 10 Jahre relativiert hat, ist bislang weitgehend ungeklärt. Diesem Forschungsdesiderat möchte die vorgestellte Untersuchung entgegentreten. An dieser Stelle sollen deshalb folgende 3 Fragen beantwortet werden: ▶ Wie viele arbeitsbezogene Leistungen werden erbracht? ▶ Lassen sich Unterschiede bei der Vergabe arbeitsbezogener Leistungen hinsichtlich des Vorliegens einer BBPL beobachten? ▶ Wie hoch ist der Erfüllungsgrad der im MBOR-AP definierten MBOR-Kernangebote für Patienten mit BBPL?

Methoden



Studiendesign Ein Selbstauskunftsbogen wurde im Zeitraum September bis November 2011 indikationsübergreifend an 7 800 Versicherte der DRV Bund zum Zeitpunkt der Bewilligung ihrer medizinischen Rehabilitation geschickt. Um Aussagen auf Ebene der einzelnen Indikationsbereiche treffen zu können, erfolgte die Stichprobenziehung geschichtet nach Diagnosegrundgruppen. Für die 7 häufigsten Diagnosegrundgruppen Orthopädie, Psychosomatik, Onkologie, Pneumologie, Kardiologie, Neurologie und Gastroenterologie wurden je n = 1 000 Personen ausgewählt, für die beiden Diagnosegrundgruppen Dermatologie und Urologie je n = 400 Personen. Ausgeschlossen wurden Anschlussheilbehandlungen und Versicherte über 65 Jahre. 7 669 Personen wurden postalisch erreicht und erfüllten die definierten Einschlusskriterien, von denen 2 736 (35,7 %) an der Befragung teilnahmen. Für 2 504 Studienteilnehmer konnten die Fragebogen mit den Angaben aus den standardisierten ärztlichen Entlassungsberichten [20] der zwischen September 2011 und Juni 2012 durchgeführten Reha-Maßnahmen verknüpft werden. Ausgeschlossen wurden weiterhin die Datensätze mit unvollständigen Angaben in den zentralen Untersuchungsmerkmalen.

Besondere berufliche Problemlage (BBPL) Eine besondere berufliche Problemlage (BBPL) wurde durch das Vorliegen eines der folgenden 3 Merkmale definiert: Erwerbslosigkeit (Arbeitslosigkeit oder aus anderen Gründen keinen Arbeitsplatz), Arbeitsunfähigkeitszeiten von über 3 Monaten in den 12 Monaten vor Studienteilnahme und eine negative Return-to-Work(RTW)-Prognose des Rehabilitanden („Ich denke, dass ich in der nächsten Zukunft wahrscheinlich in meinem Beruf nicht mehr arbeiten kann.“). Diese Kriterien entsprechen den Kernitems des Screening-Instruments zur Feststellung des Bedarfs an medizinisch-beruflich orientierten Maßnahmen (SIMBO-C) [21] und werden im MBOR-AP zur Definition für BBPL empfohlen [16].

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Arbeitsbezogene Leistungen wurden entsprechend dem MBOR▶ Tab. 1 zeigt eine Übersicht über AP der DRV klassifiziert [16]. ● die arbeitsbezogenen Kernangebote Berufsbezogene Diagnostik, Soziale Arbeit, Berufsbezogene Gruppen und Arbeitsplatztraining, die zugehörigen Codes der Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) sowie deren Mindestanforderung. Zudem werden die weiteren arbeitsbezogenen Leistungen der KTL aufgelistet [22]. Aus den standardisierten ärztlichen Entlassungsberichten wurden weiterhin die Reha-Dauer als Differenz von Entlassungsund Aufnahmedatum in Tagen sowie die Gesamttherapiedauer als Summe aller verordneten Leistungen gemäß KTL in Stunden berechnet.

Auswertung Zur Abschätzung der Repräsentativität der Stichprobe wurde eine Response-Analyse anhand der Merkmale Alter, Geschlecht und Reha-Dauer durchgeführt, die sowohl für Studienteilnehmer als auch Nichtteilnehmer vorliegen. Deskriptiv erfolgte die Berechnung von Prävalenzen einer BBPL und der 3 Einzelkriterien. In Abhängigkeit vom Vorliegen einer BBPL wurde weiterhin eine differenzierte Analyse von Reha-Dauer, Gesamttherapiedauer sowie der Dauer arbeitsplatzbezogener Leistungen durchgeführt. Unterschiede zwischen Personen mit und ohne BBPL und die dazugehörigen 95 %-Konfidenzintervalle wurden mit linearen Regressionsmodellen berechnet. Zur Berechnung standardisierter Mittelwertdifferenzen wurde der unstandardisierte Regressionskoeffizient an der gepoolten Standardabweichung (standardized mean difference, SMD) normiert [23]. In Anlehnung an Cohen lassen sich Werte ab 0,2, 0,5 bzw. 0,8 als gering, moderat bzw. hoch einordnen [24]. Für den Erfüllungsgrad der MBOR-Kernangebote wurde der Anteil der Personen mit tatsächlich verordneten Leistungen gemäß MBOR-Anforderungsprofil kalkuliert und mit den Soll-Werten des MBOR-AP verglichen. Relative Risiken sowie deren 95 %-Konfidenzintervalle geben an, um welchen Faktor sich der Erfüllungsgrad bei Vorliegen einer BBPL ändert. Neben Gesamtanalysen erfolgten auch Auswertungen stratifiziert nach Indikationsbereichen. Indikationsübergreifende Analysen wurden aufgrund der geschichteten Stichprobenziehung entsprechend der realen Diagnosegrundgruppen-Verteilung abgeschlossener Reha-Maßnahmen im sogenannten Heilverfahren der DRV Bund im Jahr 2011 gewichtet [25]. In deskriptiven Analysen erfolgte die Gewichtung mit der Methode des frequency weight, die Regressionsmodelle wurden mit der Methode des sampling weight durchgeführt. Alle Analysen wurden mit dem Softwareprogramm Stata 10.0 durchgeführt.

Ergebnisse



Stichprobenbeschreibung Die Analysestichprobe umfasste n = 2 232 Datensätze mit vollständigen Angaben in den zentralen Untersuchungsvariablen. Studienteilnehmer waren im Mittel 50,1 Jahre alt und zu 72,0 % Frauen. Das mittlere Alter der Stichprobe betrug 49,3 Jahre, der Frauenanteil 70,5 %. Die mittlere Reha-Dauer lag für die Studienteilnehmer bei 28,3 Tagen, für die Stichprobe bei 27,7 Tagen. In den 7 großen Indikationsbereichen wurden Fallzahlen zwischen 271 (Psychosomatik) und 311 (Onkologie), in den beiden

Tab. 1 Definition arbeitsbezogener Leistungen nach KTL. KTL-Codes

Mindestanforderung in Minuten

MBOR-Kernangebote gemäß MBOR-AP Berufsbezogene E200 Diagnostik Soziale Arbeit D01, D02, D03, D04, D051, D08 Berufsbezogene D051, F051, F054, F059 Gruppen Arbeitsplatztraining E020, E050 Kernangebote Gesamt Weitere arbeitsbezogene Leistungen* C041, C042, E085, E095, E100, E181, E191, E210, E230, E031, E032, E039, E040, E142, E220, G151, G152, G161, G162, H071

90 30 180 360 660 (11 h)

KTL – Klassifikation therapeutischer Leistungen, MBOR-AP – MBOR-Anforderungsprofil; 1

Der Code D05 wird im MBOR-AP sowohl für das Modul 2 als auch das Modul 3

vorgeschlagen. In der Gesamtsumme wurde der Code jedoch nur einmal verwendet; *basiert auf den Standardauswertungen zu arbeitsbezogenen Leistungen des Bereichs Reha-Qualitätssicherung, Epidemiologie und Statistik der DRV Bund

kleinen Indikationen 103 (Dermatologie) und 112 (Urologie) realisiert. Das durchschnittliche Alter reichte von 47,1 (Dermatologie) bis 52,2 Jahre (Kardiologie); der Frauenanteil war in der Kardiologie am geringsten (51,6 %) und in der Onkologie am höchsten (77,5 %). Die mittlere Reha-Dauer lag zwischen 23,1 (Onkologie) und 38,3 Tagen (Psychosomatik). In dieser Zeit wurden im Mittel 82,1 Therapiestunden dokumentiert (62,1– 109,8 h). Das bedeutet, dass pro Woche durchschnittlich 20,4 h Therapiezeit erbracht wurden (18,5–21,5 h). Die Prävalenz für eine BBPL gemäß den verwendeten Kriterien betrug 40,7 %; die niedrigste Prävalenz wies die Dermatologie auf (18,6 %), die höchste die Onkologie (60,5 %). Dabei spielte das Kriterium der langen Fehlzeiten in allen Indikationsbereichen die größte Rolle. Insgesamt 30,1 % aller Patienten erfüllten dieses Kriterium (11,7–52,1 %). Eine negative subjektive RTW-Prognose gaben insgesamt 14,4 % der Patienten an (6,8–22,4 %); 7,6 % waren bei Antragstellung arbeitslos bzw. erwerbslos (1,9–13,8 %) ▶ Tab. 2). (●

Erhalt arbeitsbezogener Leistungen in Abhängigkeit von einer BBPL Durchschnittlich wurden Patienten mit BBPL 29,9 Tage in der ▶ Tab. 3). Sie wiesen damit eine Reha-Einrichtung behandelt (● um 2,6 Tage längere Reha-Dauer auf als Patienten ohne BBPL. Für beide Gruppen wurden demgegenüber ähnlich viele Therapiestunden erbracht (BBPL: 83,4 h; keine BBPL: 81,1 h). ▶ Tab. 3 Im Vergleich der beiden Gruppen wurden in allen in ● ausgewiesenen Kategorien arbeitsbezogener Leistungen – mit Ausnahme des Arbeitsplatztrainings – signifikant höhere Werte für Patienten mit BBPL ausgewiesen. Die standardisierten Mittelwertdifferenzen deuten dabei auf kleine Unterschiede hin (SMD = 0,12–0,34). Patienten mit BBPL bekamen durchschnittlich 6,1 h arbeitsbezogene Leistungen. Das entspricht 1,4 h pro Woche oder einem Anteil an allen dokumentierten Leistungen von 6,7 %. Wenn man nur die im MBOR-AP geforderten Leistun-

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Arbeitsbezogene Leistungen und weitere Angaben aus den Entlassungsberichten

2 232

112 5,0 48,3 ± 9,0 72,3 23,5 ± 4,6 62,1 ± 22,3 45,5 10,7 32,1 16,1

50,1 ± 8,3 72,0 28,3 ± 8,9 82,1 ± 35,9 40,7 7,6 30,1 14,4

Gesamt (gewichtet)

gen des Kernangebotes betrachtet, waren es lediglich 3,7 h arbeitsbezogene Leistungen pro Rehabilitation und damit zwischen 15 % und 35 % der geforderten Leistungen im MBOR-AP (Mindest- sowie Maximalanforderung). ▶ Abb. 1 zeigt die Unterschiede im Erhalt der im MBOR-AP ge● forderten Kernangebote nach Indikationsbereichen. Statistisch signifikante Unterschiede auf sehr geringem Niveau konnten nur für die Psychosomatik (b = 2,5 h; 1,2–3,9 h) ausgewiesen werden. In allen anderen Indikationen konnten keine Unterschiede der Patienten mit und ohne BBPL hinsichtlich des Erhalts arbeitsbezogener Leistungen ermittelt werden.

In keinem der betrachteten Kernangebote konnten die im MBOR-AP geforderten Anteile von Patienten mit empfohlener ▶ Tab. 4). Mit 76,6 % bekamen Mindestmenge erreicht werden (● etwa drei Viertel der Patienten mit BBPL Leistungen der Sozialen Arbeit; gefordert wird hier aber ein Anteil von 100 %. Nur knapp verfehlt wurde der Mindestanteil im Modul Berufsbezogene Gruppen mit 23,2 % gegenüber geforderten minimal 25 %. Jedoch differiert das Bild innerhalb der einzelnen Indikationsgebiete. Während im Modul Soziale Arbeit je nach Indikationsgebiet 60–80 % (Ausnahme: Pneumologie mit 43,8 %) der Patienten mit BBPL die geforderten Mindestmengen bekamen, beruht der Gesamtwert bei den Berufsbezogenen Gruppen auf dem relativ hohen Anteil in der Psychosomatik. In den Modulen Berufsbezogene Diagnostik und Arbeitsplatztraining bekamen nur vereinzelt Patienten mit BBPL die entsprechenden Mindestmengen verordnet (1,8 % respektive 4,2 %). Einzig in der Neurologie wurden mit 13,9 % sowie 16,7 % überhaupt 2-stellige Anteilwerte erreicht. Die relativen Risiken für eine Leistungserbringung beim Vorliegen besonderer beruflicher Problemlagen zeigen auch hier das bereits skizzierte Bild: Patienten mit BBPL partizipierten häufiger an angemessen dosierten berufsorientierten Angeboten, allerdings auf insgesamt sehr geringem Niveau. Die stärkste Differenzierung war in der Psychosomatik mit relativen Risiken von 1,4 bis 3,7 nachweisbar. Das Risiko, bei einer BBPL auch die entsprechenden Mindestmengen an arbeitsbezogenen Leistungen gemäß MBOR-AP zu bekommen, stieg hier um das 1,4- (Soziale Arbeit, Berufsbezogene Gruppen) bis 3,7-fache (Berufsbezogene Diagnostik) an. Selbst in letzterem Fall erhielten aber nur 2,8 % der Patienten mit BBPL die empfohlenen Mindestmengen; die absolute Differenz betrug 2,1 Prozentpunkte.

Diskussion



Der Artikel gibt einen Überblick über die Vergabe arbeitsbezogener Leistungen in der medizinischen Rehabilitation im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung. Anhand einer indikationsübergreifenden repräsentativen Stichprobe von Versicherten der DRV Bund mit abgeschlossener medizinischer Rehabilitationsleistung in den Jahren 2011 und 2012 wurde eine Analyse der im Entlassungsbericht gemäß KTL dokumentierten therapeutischen Leistungen vorgenommen. Danach muss aktuell von einer insuffizienten Ausgestaltung medizinischer Reha-Leistungen in Bezug auf die Berücksichtigung beruflicher Fragestellungen ausgegangen werden. Die Anteile arbeitsbezogener Leistungen an allen therapeutischen Leistungen liegen im Allgemeinen nur knapp über 5 %. Im Rahmen des Modellprojekts MBOR-

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Dargestellt sind %-Angaben oder Mittelwert ± Standardabweichung; Analysen für Gesamt gewichtet nach Verteilung der abgeschlossenen Leistungen der DRV Bund 2011

306 13,7 49,7 ± 9,1 62,4 24,0 ± 5,1 70,2 ± 34,4 31,0 8,8 18,6 12,7 273 12,2 52,2 ± 8,3 51,6 25,6 ± 5,4 71,9 ± 29,4 32,2 5,1 21,2 15,8 N % (ungewichtet) Alter (Jahre) Frauen ( %) Reha-Dauer (Tage) Gesamttherapiedauer (Stunden) BBPL ( %) Erwerbslosigkeit ( %) AU-Zeiten > 12 Wochen ( %) Negative RTW-Prognose ( %)

303 13,6 50,8 ± 7,4 72,3 23,5 ± 4,3 69,4 ± 23,4 32,3 6,3 21,5 12,2

Gastroenterologie

281 12,6 50,7 ± 8,4 68,3 24,3 ± 4,5 68,1 ± 40,8 26,0 7,1 14,9 9,9

311 13,9 50,8 ± 7,4 77,5 23,1 ± 5,2 69,6 ± 31,5 60,5 13,8 52,1 11,9

272 12,2 49,1 ± 8,5 63,2 30,6 ± 6,4 81,1 ± 44,9 46,3 10,3 34,9 22,4

271 12,1 48,9 ± 9,1 76,3 38,3 ± 8,2 109,8 ± 35,0 52,0 7,7 41,7 18,1

103 4,6 47,1 ± 10,0 74,8 24,7 ± 4,6 75,9 ± 40,8 18,4 1,9 11,7 6,8

Erfüllungsgrad MBOR-Kernangebote

Kardiologie Orthopädie

Tab. 2 Beschreibung der Stichprobe.

Pneumologie

Onkologie

Neurologie

Psychosomatik

Dermatologie

Urologie

372 Originalarbeit

Originalarbeit 373

Tab. 3 Reha-Dauer, Gesamttherapiedauer und Erhalt arbeitsbezogener Leistungen nach BBPL. BBPL Reha-Dauer (Tage) Gesamttherapiedauer (Stunden) Arbeitsbezogene Leistungen Kernangebote gesamt (Stunden) Berufsbezogene Diagnostik (Minuten) Soziale Arbeit (Minuten) Berufsbezogene Gruppen (Minuten) Arbeitsplatztraining (Minuten) Arbeitsbezogene Leistungen gesamt (Stunden) Anteil MBOR-Leistungen an allen KTL ( %)

Schätzer

95 % CI

nein

ja

27,3 ± 8,3 81,1 ± 36,1

29,9 ± 9,6 83,4 ± 35,6

2,6 2,3

1,5–3,4 − 1,9–6,6

2,4 ± 3,7 3,1 ± 19,9 58,3 ± 88,1 67,2 ± 134,2 36,3 ± 130,8 3,7 ± 5,8 4,3

3,7 ± 5,2 5,8 ± 20,6 102,9 ± 193,6 108,4 ± 247,2 53,4 ± 168,2 6,1 ± 8,2 6,7

1,4 2,7 44,6 41,2 17,1 2,4

0,8–1,9 0,7–4,6 24,2–65,0 14,4–68,0 − 1,2–35,4 1,5–3,3

SMD

0,32 0,13 0,31 0,22 0,12 0,34

Mittelwerte ± Standardabweichungen; Schätzer: Lineare Regressionsmodelle; 95 % CI – 95 %-Konfidenzintervall; SMD – standardisierte Mittelwertdifferenz; Analysen gewichtet

Orthopädie Kardiologie Gastroenterologie Pneumologie Onkologie Neurologie Psychosomatik Dermatologie Urologie Gesamt (gewichtet) – 2,0

– 1,0

0,0

1,0

2,0

3,0

4,0

5,0

Unterschied bei Vorliegen einer BBPL (in Stunden)

Abb. 1 Unterschiede im Erhalt der MBOR-Kernangebote gemäß MBORAP nach BBPL. Multiple lineare Regressionsmodelle mit 95 %-Konfidenzintervall; Analysen für Gesamt gewichtet nach Verteilung der abgeschlossenen Leistungen der DRV Bund 2011

Management, das die Nützlichkeit und Anwendbarkeit des MBOR-AP in der Orthopädie untersuchte, wurde dagegen gezeigt, dass durch die explizit berufsbezogene Ausrichtung der Reha-Strategie in MBOR-Schwerpunkteinrichtungen ein deutlicher Anstieg bei der Vergabe arbeitsbezogener Leistungen stattfand. So machten arbeitsbezogene Leistungen dort etwa 15 % aller dokumentierten Leistungen aus und besaßen damit eine etwa 3-mal so hohe quantitative Bedeutung wie in unserer Analyse [26]. Die im MBOR-AP definierten Mindestanforderungen wurden durchschnittlich für weniger Patienten als empfohlen erbracht. Insbesondere die Berufsbezogene Diagnostik und das Arbeitsplatztraining sind aktuell und werden auch in Zukunft eine große Herausforderung in allen Indikationsbereichen bei der Etablierung der MBOR darstellen. Speziell zum Arbeitsplatztraining besteht allerdings noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Es ist teilweise unklar, bei welchen Erkrankungen ein solch spezifisches Training tatsächlich einen Mehrwert besitzt. Weiter fortgeschritten ist die Implementierung der Arbeits- und Berufsberatung. In diesem Modul sollte die Erfüllungsquote von 100 % vor dem Hintergrund der praktischen Realisierbarkeit kritisch diskutiert werden. Berufsbezogene Schulungen wurden über alle Indikationen hinweg von einem Viertel aller Rehabilitanden in Anspruch genommen. Hier lassen sich allerdings erhebliche indika-

tionsspezifische Unterschiede beobachten, sodass v. a. in den somatischen Indikationen noch Entwicklungspotenziale bestehen. Auch wenn die Vergleichbarkeit zur bereits erwähnten PORTALStudie aufgrund der unterschiedlichen KTL-Systematik (KTL 2002 vs. KTL 2007) sowie der verwendeten Parameter für BBPL und arbeitsbezogene Leistungen nur eingeschränkt möglich ist, lassen sich 2 zentrale Befunde ableiten. Erstens wurden 2011/2012, insbesondere im Bereich der berufsbezogenen Sozialarbeit, mehr Patienten mit arbeitsbezogenen Leistungen erreicht als im Jahr 2003. Selbst mit dem noch strengeren Kriterium des MBOR-AP (Mindestanforderung: 30 min) bekamen in unserer Untersuchung indikationsübergreifend knapp 77 % der Patienten mit BBPL entsprechende Leistungen. In der PORTALStudie, die Daten aus dem Jahr 2003 verwendete, waren dies (hier zählte mindestens eine vergebene Leistung) 41,7 % in der Somatik (Tab. 22, S. 36, [19]) und 68,4 % in der Psychosomatik (Tab. 31, S. 48, [19]). Zweiter zentraler Befund ist die bereits in der PORTAL-Studie kritisierte fehlende Bedarfsadäquanz arbeitsbezogener Leistungen. Die Varianz der Leistungsvergabe, die dadurch gebunden ist, dass jemand in einer bestimmten Einrichtung war, machte in den regressionsanalytischen Modellen bei Radoschewski und Arbeitsgruppe den weitaus größten Erklärungsanteil aus („Einrichtungsfaktor“). Auch in unserer Studie konnte kein wesentlicher Unterschied in der Vergabe arbeitsbezogener Leistungen zwischen Patienten mit und ohne ausgeprägte berufliche Probleme ermittelt werden. Die dargestellten Unterschiede waren sehr klein und wurden nur aufgrund der großen Fallzahl unserer Analysestichprobe als statistisch signifikant deklariert. Sie liegen jedoch weit von einer bedarfsbezogen differenzierten Vergabe arbeitsbezogener Leistungen entfernt. Eine aktuelle Untersuchung unterstreicht diesen Befund auch für Reha-Leistungen bei Personen mit Alkoholabhängigkeit [27]. Eine strukturierte Identifikation und Steuerung beruflich besonders belasteter Personen unter Nutzung von Screening-Instrumenten kann – so eine aktuelle Studie aus dem Bereich der orthopädischen Rehabilitation – die Bedarfsadäquanz entscheidend erhöhen und ist angesichts dieser Befunde auch in anderen Indikationsbereichen zu fordern [28]. Auch in anderen Untersuchungen wurde der Einrichtungsfaktor immer wieder kritisch diskutiert: So konnte die Arbeitsgruppe um Gülich die sehr hohe Variabilität zwischen den Reha-Einrichtungen nicht nachvollziehen [29]. Pointiert kommen Lehmann et al. [30] in ihrer Analyse bedarfsgerechter Vergabe psychologischer Leistungen in der onkologischen Rehabilitation zu

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nach Verteilung der abgeschlossenen Leistungen der DRV Bund 2011

374 Originalarbeit

Soziale Arbeit

Diagnostik

Berufsbezogene

Arbeitsplatztraining

Gruppen

Sollwert

100 %

100 %

25–75 %

50–80 %

Orthopädie RRBBPL (95 % CI) Kardiologie RRBBPL (95 % CI) Gastroenterologie RRBBPL (95 % CI) Pneumologie RRBBPL (95 % CI) Onkologie RRBBPL (95 % CI) Neurologie RRBBPL (95 % CI) Psychosomatik RRBBPL (95 % CI) Dermatologie RRBBPL (95 % CI) Urologie RRBBPL (95 % CI) Gesamt (gewichtet) RRBBPL (95 % CI)

0% – 1,1 % 1,05 (0,73–1,51) 0% – 0% – 0% – 13,9 % 1,52 (1,34–1,72) 2,8 % 3,69 (3,23–4,21) 0% – 0% – 1,8 % 2,17 (2,03–2,33)

74,5 % 1,23 (1,22–1,24) 68,2 % 1,19 (1,16–1,22) 60,0 % 0,91 (0,88–0,94) 43,8 % 1,09 (1,02–1,15) 74,5 % 1,11 (1,10–1,13) 83,3 % 1,19 (1,16–1,22) 83,7 % 1,37 (1,36–1,39) 63,2 % 1,33 (1,23–1,43) 70,6 % 1,23 (1,13–1,34) 76,6 % 1,28 (1,27–1,29)

11,2 % 1,28 (1,23–1,33) 14,8 % 0,76 (0,69–0,83) 26,3 % 0,83 (0,77–0,89) 5,5 % 0,41 (0,33–0,49) 14,9 % 0,96 (0,92–1,01) 6,4 % 0,93 (0,79–1,09) 41,1 % 1,41 (1,38–1,44) 10,5 % 1,26 (0,96–1,67) 11,8 % 0,90 (0,66–1,22) 23,2 % 1,46 (1,44–1,48)

0% – 3,4 % – 0% – 0% – 0,5 % – 16,7 % 2,70 (2,36–3,10) 8,5 % 1,58 (1,50–1,67) 0% – 0% – 4,2 % 1,87 (1,79–1,96)

Tab. 4 Erfüllungsgrad berufsbezogener Kernangebote gemäß MBOR-AP.

Anteile von Personen mit erfüllten Mindestanforderungen gemäß MBOR-AP; RRBBPL – Relatives Risiko im Vergleich zu Personen ohne BBPL; – RR konnte nicht berechnet werden, weil eine der beiden Gruppen einen Anteilswert von 0 % aufwies; 95 % CI – 95 %-Konfidenzintervall; Mindestanforderungen vgl. ● ▶ Tab. 1; Analysen für Gesamt gewichtet nach Verteilung der abgeschlossenen Leistungen der

DRV Bund 2011

dem Schluss: „Allgemein psychisch belastete und depressive Patienten scheinen … keine spezifische psychologisch/psychotherapeutische Unterstützung zu erhalten.“ (S. 65). Weiter schlussfolgern sie, „…dass die durchgeführten Behandlungen … weniger auf die individuellen funktionellen Beeinträchtigungen der Patienten zugeschnitten sind, sondern vielmehr das jeweils in den Einrichtungen verfolgte Therapiekonzept widerspiegeln.“ (ebd.)

Limitationen und Stärken



Die berichteten Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund folgender methodischer und inhaltlicher Limitationen bewertet werden. Da Anschlussheilbehandlungen ausgeschlossen wurden, sind die Ergebnisse nur für Reha-Maßnahmen im allgemeinen Heilverfahren gültig. Weiterhin wurden ausschließlich Versicherte der DRV Bund eingeschlossen. Es bleibt offen, in welchem Ausmaß die vorliegenden Resultate auf Rehabilitanden anderer Kostenträger übertragbar sind. Wegen des geringen Anteils von dermatologischen (1,5 %) und urologischen Rehabilitationen (0,5 %) an allen Heilverfahren wurden hierfür im Vergleich zu den anderen Indikationsbereichen kleinere Stichproben gezogen. Damit sind die Ergebnisse in den Diagnosegrundgruppen Dermatologie und Urologie mit einer höheren Unsicherheit behaftet. Eine wichtige Limitation stellt die Repräsentation des Leistungsgeschehens mittels dokumentierter KTL-Codes dar. Die Güte der dargestellten Ergebnisse ist in hohem Maße abhängig von der Qualität dieser Dokumentation [31, 32]. Frühere Studien diskutieren sowohl eine Über- als auch Unterschätzung der Leistungsvergabe. Zur Erklärung werden 2 Thesen – die Dokumentationsund die Fehlversorgungsthese – vorgebracht [29, 33, 34]. Erstere geht davon aus, dass Unterschiede durch spezifische Dokumentationsgewohnheiten der Reha-Einrichtungen erklärbar sind,

was für eine geringe Reliabilität der KTL spräche. Letztere argumentiert Unterschiede in der Leistungsvergabe als Ausdruck klinikspezifischer und teilweise unsystematischer Zuweisungsprozesse in spezifische Leistungen. Auch die Einführung von Reha-Therapiestandards sowie technischer Lösungen bei der Dokumentation der KTL (automatisierte Codierung), beides Instrumente, die eine Harmonisierung der Dokumentation erwarten ließen, konnten die Variabilität bislang nicht verringern [35]. Zu geringe Unterschiede in der Leistungsvergabe zwischen Patienten mit und ohne BBPL sind in dieser Untersuchung deshalb auch zu einem größeren Teil mit der Fehlversorgungsthese und damit unsystematischer Zuweisungsprozesse in den Einrichtungen in Verbindung zu bringen. Hinzu kommt, dass bestimmte, für arbeitsbezogene Leistungen vorgesehene KTL-Codes in einigen Indikationsbereichen traditionell häufig in Anspruch genommen werden. Das könnte zu einer Überschätzung tatsächlich realisierter arbeitsbezogener Leistungen führen. Unseres Erachtens gilt dies für die Kernangebote „Berufsbezogene Diagnostik“ und „Arbeitsplatztraining“ in der Neurologie sowie „Berufsbezogene Gruppen“ in der Psychosomatik. In beiden Fällen ist nicht abschließend zu klären, ob arbeitsbezogene Inhalte im Sinne des Anforderungsprofils umgesetzt wurden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass in der Differenzierung nach BBPL diese indikationsspezifische Verzerrung gleichermaßen wirksam wird, sodass der relative Vergleich dieser beiden Gruppen eine durchaus realistische Abbildung herrschender Rehabilitationspraxis ist. Daneben lassen sich aber auch Stärken dieser Untersuchung berichten. Eine Stärke stellt die breite Datenbasis dar. Für den größten Reha-Träger liegen repräsentative Daten für die 9 häufigsten Indikationsbereiche (exklusive Abhängigkeitserkrankungen) vor. Diese repräsentieren 94,1 % aller Reha-Maßnahmen im Heilverfahren der DRV Bund ([25], eigene Berechnungen). Aufgrund der geschichteten Stichprobenziehung lassen sich auch Aussagen auf Ebene der Indikationsbereiche treffen. Es liegen keine

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Berufsbezogene

Originalarbeit 375

Ausblick



Die vorgestellte Analyse des arbeitsbezogenen Leistungsgeschehens in der medizinischen Rehabilitation verweist auf verschiedene Entwicklungspotenziale sowohl in der Rehabilitationsforschung wie auch -praxis. Zuvorderst muss sicher erwähnt werden, dass die Einschätzung der tatsächlich erfolgten Leistungsvergabe für arbeitsbezogene Leistungen nur valide erfolgen kann, wenn dafür eineindeutige Dokumentationspraktiken vereinbart sind. Dies setzt eine Analyse der Reliabilität der KTLSystematik hinsichtlich der strukturtreuen Darstellung des MBOR-Leistungssegments voraus, dem sodann die Vereinbarung von „MBOR-Dokumentationsstandards“ folgen sollte. Unabhängig davon deutet sich aber an, dass arbeitsbezogene Leistungen – sowohl insgesamt als auch bezogen auf bestimmte Angebote – auch 2011/2012 noch nicht flächendeckend implementiert sind und vor allem nicht bedarfsgerecht erbracht werden. Dies muss für alle hier betrachteten Indikationsbereiche festgestellt werden. Es bleibt offen, ob die durch die DRV Bund seit 2013 verfolgte Strategie der Bildung von Schwerpunkteinrichtungen in der Orthopädie dies relativieren hilft. Entgegen bislang positiver Experteneinschätzungen zur Verbreitung arbeitsbezogener Leistungen in der medizinischen Rehabilitation im Auftrag der DRV deutet sich aber hier ein Entwicklungsfeld an, das – abseits bereits definierter Herausforderungen der MBOR im Bereich Team- und Organisationsentwicklung – zusätzlich die Anstrengung aller Akteure erfordert. Dabei wird es weniger darum gehen, neue Therapien zu entwickeln, als vielmehr bereits entwickelte und evaluierte arbeitsbezogene Angebote in allen Reha-Einrichtungen adäquat zu implementieren und eine bedarfsgerechte Steuerung dazu zu gewährleisten.

Kernbotschaft Anhand der KTL-Analyse einer repräsentativen indikationsübergreifenden Stichprobe von Rehabilitanden der Deutschen Rentenversicherung Bund wurde gezeigt, dass arbeitsbezogene Leistungen 1. unabhängig von der Indikation bislang nur eine geringe Rolle in der medizinischen Rehabilitation spielen und 2. kaum hinsichtlich des Vorliegens einer besonderen beruflichen Problemlage differieren. Zukünftige Aktivitäten sollten sich dementsprechend verstärkt auf die flächendeckende Implementation der im MBOR-Anforderungsprofil geforderten Leistungen und eine konsequent auf besondere berufliche Problemlagen fokussierte Inanspruchnahme konzentrieren.

Förderung



Das diesem Artikel zugrunde liegende Forschungsprojekt der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördert (Förderkennzeichen: 8011– 106–31/31.27.16).

Interessenkonflikt: Der Erstautor ist Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund. Ergänzendes Material Die Literatur zu diesem Beitrag finden Sie online unter www. thieme-connect.de/products.

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erkennbaren Hinweise für einen wesentlichen Selektionsbias hinsichtlich der Studienteilnahme vor. Eine weitere Stärke stellt die Verknüpfung einer Assessment-basierten Erhebung vor Reha-Beginn mit den dokumentierten Leistungen auf Basis der ärztlichen Entlassungsberichte dar.

[How many work-related therapeutic services do patients with severe restrictions of work ability receive? Analysis of a representative rehabilitation sample across indications].

The aim of the study was to analyze how many work-related interventions were realized during medical rehabilitation on behalf of the German Federal Pe...
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