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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014) xxx, xxx—xxx

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EDITORIAL

Ist die Gesundheitsuntersuchung nach §25 SGB V noch zeitgemäß?

Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff (MHSc) Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin Philipps-Universität Marburg / Germany Karl-von-Frisch-Str. 4 D-35043 Marburg Tel. 06421-286-5119 Fax: 06421-286-5121 E-Mail: [email protected]

PD Dr. med. Matthias Perleth (MHSc) Abteilung Fachberatung Medizin Gemeinsamer Bundesausschuss Wegelystraße 8 10623 Berlin Fon: +49 30-275838-311 Fax: +49 30-275838-305 E-Mail: [email protected]

Zum Schwerpunktthema dieses Heftes der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität gibt es einen einschlägigen, aktuellen Cochrane Review: Nach der Auswertung von 16 Studien kommt die Gruppe um Peter Gøtzsche in Kopenhagen zu dem Schluss, dass Gesundheitsuntersuchungen bei Erwachsenen weder die Morbidität noch die Mortalität beeinflussen. [1]

Ist die Angelegenheit damit erledigt? Ein Teil der im Cochrane Review ausgewerteten Studien wurde bereits in den 60er und 70er Jahren durchgeführt. Sieht man sich Details an, findet man ein buntes Sammelsurium von Prozeduren: Röntgenaufnahmen des Thorax einschließlich Bestimmung der Herzgröße, Serumelektrophorese, Ganzkörperuntersuchungen, Ruhe-EKG, Urin-Tests — durchaus Maßnahmen, die uns heute skurril erscheinen. Kein Wunder, dass die Cochrane Autoren vor Medikalisierung und Vergeudung warnen. Aber es ist auch kein Wunder, dass keine Effekte in Bezug auf Morbidität und Mortalität gefunden werden konnten: Interventionen, die heute gesichert wirksam und sicher sind, standen bei der Mehrzahl der Studien noch nicht oder nur begrenzt zur Verfügung (z.B. Statine und Blutdrucksenker in der kardiovaskulären Prävention). Der Cochrane Review rollt also ein interessantes historisches Panorama auf; als Entscheidungsgrundlage hilft er uns beim heutigen Wissenstand jedoch kaum weiter. Einen anderen Weg sind die nordamerikanischen ,,Task Forces‘‘ gegangen. Die kanadische Initiative ist ganz bewusst als ,,Task Force on the Periodic Health Examination‘‘ gegründet worden [2] Auch die US Preventive Services Task Force [3] nimmt an, dass in der Primärversorgung eine präventive, symptomunabhängige Kontaktmöglichkeit besteht. Beide Gruppen geben regelmäßig evidenzbasierte Empfehlungen zu den einzelnen Maßnahmen als Elemente einer regelmäßigen Untersuchung; dabei sollen gerade auch Unsicherheiten und fragwürdige Maßnahmen mit den Patienten besprochen werden. In Gesundheitswissenschaften und Versorgungsforschung spielt die ,,Einheit der Beobachtung‘‘ eine große Rolle: dies kann der einzelne Bürger oder Patient sein, oft sind es jedoch Einheiten wie eine Praxis oder ein Krankenhaus, eine Schulklasse, ein Betrieb oder ein ganzes Land. Diese Wahl hat Konsequenzen für Studiendesign, Rekrutierung und Auswertung. Bei Gesundheitsuntersuchungen müssen wir entscheiden, was den Ausschlag geben soll: kritische Evidenz

http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.04.014 1865-9217/

Please cite this article in press as: Donner-Banzhoff N, Perleth M. Ist die Gesundheitsuntersuchung nach §25 SGB V noch zeitgemäß? Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014), http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.04.014

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für die einzelne Maßnahme oder für die gesamte Untersuchung. Die Forschungsfrage für eine evaluative Studie lässt sich nur formulieren, wenn wir bestimmte Sachverhalte als gegeben annehmen. Sie erfordert eine Verständigung darüber, was bereits zum Wissensstand gehört und was erreicht werden soll. Ohne die narrative Darlegung des ,,Hintergrunds‘‘ können weder Fragestellung noch Design plausibel sein. Auch bei der ärztlichen Betreuung des einzelnen Patienten ist wissenschaftliche Erkenntnis eingebettet in das interpersonale Sich-Verständigen. [4] Schließlich werden in einem Gesundheitssystem Dinge als vereinbart angenommen: für schwer Kranke oder invasive Eingriffe gibt es Krankenhäuser, Ärzte erhalten eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung, Gesundheits- und Pflegekräfte übernehmen den Großteil der Betreuung schwer Kranker usw. Gilt eine solche a priori Annahme auch für das Angebot einer Gesundheitsuntersuchung? Unser Themenheft der ZEFQ betrachtet den CochraneReview nicht als Schluss der Debatte, sondern im Gegenteil als einen neuen Startpunkt. Dies ist umso eher nötig, als wir in Deutschland zu diesem Thema ein Fossil zu bieten haben: die Gesundheitsuntersuchung nach § 25 SGB V. Perleth & Matthias rekonstruieren dessen Geschichte im Detail, von der unbekümmerten Einführung 1989 bis hin zur Einbetonierung zwischen den Schützengräben der Selbstverwaltung. Steinkohl & Donner-Banzhoff geben einen internationalen Überblick über die Angebote in verschiedenen Systemen; demnach kann die regelmäßige Gesundheitsuntersuchung als Bestandteil der Kultur betrachtet werden, der je nach System unterschiedlich ausgestaltet wird. Heintze erinnert daran, dass Gesundheit immer auch subjektiv ist, und damit auch ihre Förderung. Ängste, Sorgen und Belastungen haben ihre langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit, und natürlich auch auf die Inanspruchnahme von Leistungen im immer üppiger wuchernden

Wohlfühl-Wellness-Marktsegment. Da besteht Gesprächsund Beratungsbedarf über den bequem definierbaren biomedizinischen Risikofaktor hinaus. Schmiemann und Kollegen stellen eine Neukonzeption der Gesundheitsuntersuchung vor, die altersadaptiert ist und die Problemkonstellation des Einzelnen in den Blick nimmt, aber auch die Information eines mündigen Bürgers stärker betont. Sie legen erste Daten zur Akzeptanz eines solchen Vorgehens in der hausärztlichen Praxis vor. Mühlhauser schließt die Runde mit dem Kontrast zwischen Glaube und Hoffnung an Screening und Früherkennung einerseits und dem tatsächlich nachzuweisenden Nutzen andererseits. Als Gast-Herausgeber hoffen wir, dass eine Diskussion über Gesundheitsuntersuchungen in unserem Gesundheitswesen neu in Gang kommt. Steine des Anstoßes bietet dieses Heft zu Genüge.

Literatur [1] Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Grønhøj Larsen C, Gøtzsche PC. General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 10. Art. No.: CD009009. DOI: 10.1002/14651858.CD009009.pub2. [2] Canadian Task Force on the Periodic Health Examination. The Canadian Guide to Clinical Preventive Health Care. Ottawa: Health Canada; 1994. [3] Agency for Health Care Research and Quality. The Guide to Clinical Preventive Services 2012. Recommendations of the U.S. Preventive Services Task Force. Siehe unter http://www.ahrq. gov/professionals/clinicians-providers/guidelinesrecommendations/uspstf/index.html (letzter Zugriff 16. Oktober 2013). [4] Greenhalgh T. Narrative based medicine in an evidence-based world. In: Greenhalgh T, Hurwitz B, editors. Narrative Based Medicine. Dialogue and discourse in clinical practice. London: BMJ Books; 1998.

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