© Klaus Rüschhoff, Springer Medizin

Urologe 2015 · 54:1025–1037 DOI 10.1007/s00120-014-3730-y Online publiziert: 11. Juli 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion

M.-O. Grimm, Jena A. Gross, Hamburg C.-G. Stief, München J.-U. Stolzenburg, Leipzig in Zusammenarbeit mit M.-S. Michel, Mannheim, Vorsitzender der Akademie der Deutschen Urologen

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springermedizin.de/ eAkademie Teilnahmemöglichkeiten Diese Fortbildungseinheit steht Ihnen als e.CME und e.Tutorial in der Springer Medizin e.Akademie zur Verfügung. – e.CME: kostenfreie Teilnahme im Rahmen des jeweiligen Zeitschriftenabonnements – e.Tutorial: Teilnahme im Rahmen des e.Med-Abonnements

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CME Zertifizierte Fortbildung W.P. Fendler1 · V. Wenter1 · C.G. Stief2 · C. Gratzke2 · P. Bartenstein1 1 Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Ludwig-Maximilians-Universität München 2 Urologische Klinik und Poliklinik, Ludwig-Maximilians-Universität München

Nuklearmedizinische  Therapie und Diagnostik  in der Urologie Zusammenfassung

In den vergangenen Jahren sind neben den etablierten Verfahren wie Nieren- und Skelettszintigraphie, die methodische Verbesserungen erfahren haben, neue sehr spezifische nuklearmedizinische Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit urologischen Erkrankungen in die Klinik eingeführt worden. So bietet eine wachsende Anzahl von Zentren in Deutschland nun die Positronenemissionstomographie (PET) mit PSMA (prostataspezifisches Membranantigen)-Liganden zur Tumordiagnostik beim Prostatakarzinom an. Die sehr hohe und selektive Akkumulation von PSMA-Liganden im Tumorgewebe hat erste, sehr ermutigende Ergebnisse bei der therapeutischen Nutzung gezeigt. Zudem steht seit 2013 mit dem Radium-223-Dichlorid ein neu zugelassenes Radiopharmakon zur Therapie von symptomatischen Knochenmetastasen des Prostatakarzinoms zur Verfügung. Wissen über Indikationen, Ablauf sowie Stärken und Schwächen der jeweiligen Verfahren erleichtert die Einbeziehung dieser Methoden in den Behandlungsablauf. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über etablierte nuklearmedizinische Verfahren in der Urologie und geht insbesondere auf neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten ein.

Schlüsselwörter

Prostataspezifisches Membranantigen · Radium · Nuklearmedizin · Positronenemissionstomographie · Therapie Der Urologe 7 · 2015  | 

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Lernziele Dieser Fortbildungsbeitrag vermittelt Ihnen … F die Grundlagen zur Nuklearmedizin in der Urologie. F eingehende Kenntnisse über die nuklearmedizinische Diagnostik in der Urologie. F eingehende Kenntnisse über Indikationsstellung, Ablauf und Nachsorge bei Radio­ nuklidtherapien urologischer Erkrankungen. F praktische Hinweise zur Patientenvorbereitung für die nuklearmedizinische Diagnostik und Therapie.

Zur Markierung werden radioaktive Nuklide verwendet, die Gamma-, Beta- oder Alphastrahlung aussenden Diagnostische Radiopharmaka werden mit Gammastrahlern oder Positronenstrahlern markiert

Pharmakologische Effekte spielen bei der Anwendung von Radiopharmaka nur eine untergeordnete Rolle

Die Nuklearmedizin umfasst die Anwendung radioaktiver Substanzen zur Diagnostik und Therapie von Erkrankungen. Die Bildgebung durch Szintigraphie, SPECT („single photon emission computed tomography“) oder Positronenemissionstomographie (PET) basiert auf dem sog.  „Tracer“-Prin­ zip. Das Radiopharmakon (auch „Tracer“ genannt) ist ein Molekül, das im Körper verstoffwechselt wird oder sich selektiv an einer Targetstruktur anreichert und das mit einem radioaktiven Strahler markiert ist. Hierbei können die Moleküle sehr unterschiedliche Größe und Komplexität aufweisen, von einem einfachen Ion bis zu großen Proteinaggregaten. Zur Markierung werden radioaktive Nuklide verwendet, die Gamma-, Beta- oder Alphastrahlung aussenden. Einen Überblick über wichtige Strahlenarten in der Nuklearmedizin bietet . Tab. 1. Diagnostische Radiopharmaka werden mit Gammastrahlern oder Positronenstrahlern markiert. Bei letzteren wird die  Annihilationsstrahlung (Gammaquanten mit der Energie 511 keV) zur Bildgebung eingesetzt. Gängige Nuklide für die nuklearmedizinische Diagnostik sind in . Tab. 2 zusammengefasst. Das diagnostische Radiopharmakon lässt sich aufgrund der von ihm abgegebenen Strahlung im Körper verfolgen, und dessen Anreicherung in den Organen kann bildlich sichtbar gemacht werden. Über die Verteilung des Radiopharmakons lassen sich Rückschlüsse auf die Gewebefunktion treffen, ohne die Funktion dabei zu beeinflussen. Da in der Regel mit sehr geringen Substanzmengen gearbeitet wird (im piko- bis nanomolaren Bereich), spielen pharmakologische Effekte bei der Anwendung von Radiopharmaka nur eine untergeordnete Rolle und müssen meist nicht berücksichtigt werden. Bei der nuklearmedizinischen Therapie wird der Metabolit mit einem hoch energetischen Strahler verbunden (Beta- oder Alphastrahler). Der Beta- oder Alphastrahler gibt nach Verteilung im Zielgewebe Energie in Form von hoch energetischen Teilchen mit kurzer Reichweite ab. Diese entfalten ihre Therapiewirkung durch Ionisation oder Induktion von Doppelstrangbrüchen im Zielgewebe. Die Radionuklidtherapie kann mit einer Therapiedosis eine Vielzahl an räumlich getrennten Zielgeweben

Radionuclide therapy and diagnostics in urology Abstract

In recent years there has been methodological improvement in established nuclear medicine procedures, such as renal and skeletal scintigraphy and new very specific probes for treatment and diagnosis of urological diseases have been introduced into the clinical routine. New diagnostic methods, such as positron emission tomography (PET) using prostate-specific membrane antigen (PSMA) ligands for highly accurate tumor localization in recurrent prostate cancer have become available in many centers. The very high and selective accumulation of these PSMA ligands in tumor tissue has shown promising therapeutic results. Moreover, since 2013 a new radiopharmaceutical agent, radium-223 dichloride, has been approved for treatment of symptomatic bone metastases of prostate cancer. Better knowledge of indications, benefits and limitations of these procedures will help clinicians to adequately introduce them into patient management. This article summarizes the state of the art in established nuclear medicine procedures for urological disorders and also reports on new diagnostic and therapeutic possibilities.

Keywords

Prostate specific membrane antigen · Radium · Nuclear medicine · Positron emission tomography · Therapy

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CME Tab. 1  Zerfallsarten in der Nuklearmedizin Zerfallsmodus

Emittiertes Teilchen

Alphazerfall Beta-Minus-Zerfall Beta-Plus-Zerfall

Alphateilchen (Heliumkern) Elektron Positron

Gammazerfall

Photon (Gammaquant)

Mittlere Energie medizinischer Nuklide pro Zerfall (keV) 1000–6000

Maximale Reichweite in Gewebe (mm) 0,1

100–1000 200–800

3–10 Positron: 2–9, Annihilationsstrahlung: unbegrenzt Unbegrenzt

100–200

Tab. 2  Radionuklide in der nuklearmedizinischen Diagnostik urologischer Erkrankungen Radionuklid Technetium-99m Fluorid-18 Gallium-68

Halbwertszeit 6,0 h 110 min 68 min

Zerfallsmodus Gammazerfall Beta-Plus-Zerfall Beta-Plus-Zerfall

Untersuchungstechnik Szintigraphie, SPECT PET PET

SPECT „single photon emission computed tomography“, PET Positronenemissionstomographie.

Tab. 3  Radionuklide in der nuklearmedizinischen Therapie urologischer Erkrankungen Radionuklid Samarium-153 Strontium-89 Lutetium-177 Yttrium-90 Radium-223

Halbwertszeit (Tage) 1,9 50,5 6,7 2,7 11,4

Zerfallsmodus Beta-Minus-Zerfall Beta-Minus-Zerfall Beta-Minus-Zerfall Beta-Minus-Zerfall Alphazerfall

Anwendungsgebiet Knochenmetastasen Knochenmetastasen Radiorezeptortherapie Radiorezeptortherapie Knochenmetastasen

im Körper erreichen. So können z. B. disseminierte Knochenmetastasen des Prostatakarzinoms mit einer Gabe eines knochengängigen Tracers zeitgleich bestrahlt werden. . Tab. 3 bietet einen Überblick über gängige Radioisotope für die nuklearmedizinische Therapie urologischer Erkrankungen.

Nuklearmedizinische Diagnostik in der Urologie Nierenszintigraphie Es stehen mehrere Radiopharmaka zur Untersuchung der Nierenfunktion zur Verfügung. Das mit Technetium-99m markierte Mercaptoacetyltriglycin ( MAG3) wird überwiegend tubulär sezerniert und ermöglicht somit die seitengetrennte Beurteilung der tubulären Funktion sowie des Abflusses über die ableitenden Harnwege. Indikationen für eine MAG3-Szintigraphie umfassen u. a. die Beurteilung von Abflussstörungen, die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktion, z. B. vor Lebendspende, den Ausschluss einer Nierenarterienstenose, die Beurteilung der Transplantatfunktion bei Verdacht auf Transplantatabstoßung sowie die Beurteilung eines vesikoureteralen Reflux. Mit der zu annähernd 100% glomerulär filtrierten Tc-99m-Diethylentriaminpentaessigsäure ( DTPA) kann die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bestimmt werden. Das Radiopharmakon Tc-99m-Dimercaptobernsteinsäure ( DMSA) wird über lange Zeit im Zytoplasma der proximalen Nierentubuli gespeichert und ermöglicht z. B. die Beurteilung von Lage- oder Formanomalien sowie von Narben nach abgelaufener Pyelonephritis.

F-18-Fluorodeoxyglukose (FDG)-PET bei dedifferenzierten Tumoren Maligne Tumore verstoffwechseln Glukose zu einem hohen Prozentsatz zu Laktat. Die gesteigerte Glykolyse korreliert mit einer hohen Aktivität des Enzyms Hexokinase, das besonders in schnell wachsenden, hoch malignen Tumoren exprimiert wird. Zudem wird im Rahmen der malignen Transformation der Glukosetransporter Typ 1 (GLUT1) vermehrt exprimiert. Dies trägt dazu bei, dass dedifferenzierte Tumoren Glukose in erhöhtem Maß aufnehmen. Die vermehrte Glykolyse dedifferenzierter urologischer Tumoren kann nach Gabe einer mit Fluor-18 markierten Glukose (FDer Urologe 7 · 2015 

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Abb. 1 8 Skelettszintigramm in SPECT („single photon emission computed tomography“)/CT (Computertomographie)-Technik: Osteoblastische Filiae des Prostatakarzinoms in CT (obere Reihe) und SPECT (untere Reihe), in axialer (links) und koronarer Schnittführung (rechts). Die SPECT-Aufnahmen wurden mit einem neuen hoch auflösenden Rekonstruktionverfahren (xSPECT) erstellt und ermöglichen so die Darstellung der genauen Lokalisation, Ausdehnung und Aktivität der Metastasen

Die FDG-PET kann zum Ausschluss extrarenaler Metastasen des Nierenzellkarzinoms eingesetzt werden

18 Fluorodeoxyglukose, F-18-FDG) mit Hilfe der PET dargestellt werden. Die F-18-FDG-PET zeigt z. B. eine hohe diagnostische Genauigkeit bei der Beurteilung von Seminomen nach Chemotherapie oder beim Lymphknotenstaging des Peniskarzinoms [1, 2]. Metastasen des Blasenkarzinoms können mit hoher Genauigkeit detektiert werden, wohingegen eine Beurteilung der Blasenwand aufgrund der Ausscheidung des Radiopharmakons über Nieren und ableitende Harnwege nur eingeschränkt möglich ist [3]. Aus diesem Grund ist die FDG-PET nicht zur primären Abklärung von Nierenläsionen geeignet, kann jedoch zum Ausschluss extrarenaler Metastasen des Nierenzellkarzinoms eingesetzt werden [4]. Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss vor FDG-PET mindestens 6 h nüchtern sein. Der venöse Blutzucker sollte bei Injektion des Radiopharmakons kleiner als 150 mg/dl sein. Bei Diabetikern empfiehlt sich eine Rücksprache mit dem PET/CT-Zentrum zur individuellen Patientenvorbereitung.

Skelettszintigraphie beim Prostatakarzinom Die Skelettszintigraphie untersucht unter Verwendung Technetium99m-markierter Bisphosphonate den Knochenstoffwechsel

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Die Skelettszintigraphie untersucht unter Verwendung Technetium-99m-markierter Bisphosphonate den Knochenstoffwechsel. Die Technetium-99 m-markierten Bisphosphonate reichern sich v. a. in Regionen mit gesteigertem Knochenstoffwechsel an. Bereiche mit einem erhöhten Knochenstoffwechsel finden sich beispielsweise in Metastasen des Prostatakarzinoms. Die aktuell gültigen S3-Leitlinien zur Diagnostik des Prostatakarzinoms empfehlen bei Patienten mit einem histologisch gesicherten Prostatakarzinom und einem PSA (prostataspezifisches Antigen)-Wert von mehr als 10 ng/ ml, einem Gleason-Score von 8 oder mehr, einer T-Kategorie cT3/4 oder Knochenschmerzen eine Skelettszintigraphie. Sollten der dabei erhaltene Befund unklar oder die Metastasen stabilitätsgefähr-

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Abb. 2 8 PET (Positronenemissionstomographie)/CT (Computertomographie) mit Ga-68-PSMA-HBED-CC und F-18 Fluoroethylcholin (FEC) bei einem 60-jährigen Patienten mit V. a. Rezidiv eines Prostatakarzinoms: Die PSMA (prostataspezifisches Membranantigen)-PET zeigt eine deutliche Speicherung in mehreren paraaortalen Lymphknotenfiliae des Prostatakarzinoms (obere Reihe); die F-18-FEC-PET zeigt lediglich eine geringe pathologische Speicherung in nur einem Lymphknoten (untere Reihe)

Abb. 3 8 Posttherapeutische Szintigraphieaufnahmen von ventral und dorsal nach 3 Zyklen einer Therapie mit ­Samarium-153, jeweils im Abstand von 3 Monaten: Es zeigen sich regrediente osteoblastische Filiae; es kam zu ­einer Abnahme des prostataspezifischen Antigens (PSA) von 24,1 ng/ml zu Therapiebeginn auf 7,6 ng/ml nach ­ dem 3. Zyklus

dend sein, wird die Durchführung weiterer radiologischer und ggf. neurologischer Untersuchungen empfohlen [5]. Durch Einführung der Hybridtechnik sowie die Verbesserung der Bildrekonstruktionsalgorithmen ist es zu einer Verbesserung der diagnostischen Genauigkeit der Skelettszintigraphie gekommen [6]. Neue Rekonstruktionsverfahren nutzen die Daten der CT, um über eine Steigerung der Auflösung und eine Quantifizierung der Stoffwechselaktivität einzelner Metastasen die diagnostische Genauigkeit der Skelettszintigraphie in Zukunft weiter zu verbessern (. Abb. 1; [7]).

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Abb. 4 8 Skelettsszintigraphie von ventral und dorsal vor dem 1. (links) sowie nach dem 6. Zyklus (ca. 7 Monate­ nach Beginn) einer Therapie mit Radium-223-dichlorid: Es kam zu einer Abnahme des prostataspezifischen Antigens (PSA) von 239 ng/ml zu Therapiebeginn auf 10 ng/ml nach Therapieabschluss

Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss am Tag der Untersuchung nicht nüchtern erscheinen. Eine Kalziumsupplementation sowie eine Therapie mit Bisphosphonaten müssen nicht abgesetzt werden.

F-18-Fluorid-PET beim Prostatakarzinom Die Aufnahme des Radiopharmakons F-18 ist in Regionen mit aktivem Knochenumbau verstärkt

Fluorid wird ebenfalls durch Adsorption im Hydroxylapatit der Knochensubstanz als Fluorapatit gebunden. Die Aufnahme des Radiopharmakons F-18 ist ähnlich den zur Skelettszintigraphie verwendeten Radiopharmaka in Regionen mit aktivem Knochenumbau verstärkt. Eine Metaanalyse von 12 Studien mit insgesamt über 300 Patienten zur diagnostischen Genauigkeit der F-18-PET im Vergleich zur DPD (Diphosphono-Propandikarbonsäure)-Skelettszintigraphie kommt zu dem Schluss, dass die F-18-PET der Szintigraphie bezüglich Sensitivität und Spezifität überlegen ist [8]. Sensitivität und Spezifität für die Detektion einer Skelettläsion betragen über alle Studien gemittelt 96 bzw. 99%. Nachteile ergeben sich durch die höheren Kosten sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit der PET-Untersuchung im Vergleich zur konventionellen Skelettszintigraphie.

Cholin-PET beim Prostatakarzinom

Es kommt zu einer vermehrten Speicherung von Cholin und den radio­ aktiv markierten Derivaten C-11Cholin und F-18-Fluoroethylcholin (FEC) im Prostatakarzinom

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Cholin wird über den Cholintransporter in die Zelle aufgenommen und u. a. in den Membranbestandteil Phosphatidylcholin eingebaut. Im Prostatakarzinom wird die Cholinkinase überexprimiert [9]. So kommt es zu einer vermehrten Speicherung von Cholin und den radioaktiv markierten Derivaten C-11-Cholin und F-18-Fluoroethylcholin (FEC) im Prostatakarzinom. F-18-FEC wird aufgrund seiner längeren Halbwertszeit von 110 min von den meisten nuklearmedizinischen Abteilungen zum Staging des Prostatakarzinoms angeboten. Umbehr et al. [10] untersuchten in ihrem Übersichtsartikel die diagnostische Güte der Cholin-PET bei Erstdiagnose (10 Studien mit 637 Patienten) und Restaging (12 Studien mit 1055 Patienten) des Prostatakarzinoms. Bei Erstdiagnose zeigte sich eine mittlere Sensitivität und Spezifität von 84 und 79% für die Darstellung von Tumorgewebe bei patientenbasierter Auswertung [10]. In der Rezidivdiagnostik zeigte die Metaanalyse eine Sensitivi-

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Abb. 5 9 PET (Positronenemissionstomographie)/CT (Computertomographie) mit Ga-68-PSMA-HBED-CC zur Therapieplanung (links): Szintigraphie im Rahmen des 1. Zyklus einer Peptidradiorezeptortherapie (PRRT) mit Lu-177-DKFZ-PSMA-617 (rechts); das diagnostische (links) und therapeutische (rechts) Radiopharmakon reichern sich jeweils mit hoher Konzentration in den PSMA (prostataspezifisches Membranantigen)-exprimierenden multifokalen Knochenmetastasen an

tät und Spezifität von 85 und 88% [10]. Die Detektionsrate korrelierte dabei positiv mit dem absoluten PSA-Wert, der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit und negativ mit der PSA-Verdopplungszeit [11]. Castellucci et al. [12] empfehlen eine Cholin-PET/CT als Primärdiagnostik bei Verdacht auf Rezidiv des Prostatakarzinoms mit einem PSA größer 1 ng/ml, einer PSA-Anstiegsgeschwindigkeit größer 1 ng/ml pro Jahr oder einer PSA-Verdopplungszeit kleiner 6 Monate. Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss am Tag der Cholin-PET nicht nüchtern erscheinen. Es gibt keine allgemeinen Empfehlungen zum Absetzen einer möglichen antiandrogenen Medikation, obwohl eine Studie auf eine mögliche Abnahme des Cholin-“Uptake“ im Prostatakarzinom unter antiandrogener Therapie hinweist [13].

PSMA-PET beim Prostatakarzinom Prostataspezifisches Membranantigen (PSMA), auch Glutamat-Carboxypeptidase Typ II, ist ein Membranprotein, das besonders stark in Tumorzellen des Prostatakarzinoms exprimiert wird. Die PSMA-Expression nimmt im Rahmen der malignen Transformation zu und korreliert positiv mit dem Gleason-Score des Tumors [14, 15]. Aufgrund dieser Beobachtung sind mehrere Radiopharmaka mit hoher Bindungsaffinität zu PSMA entwickelt worden. Es existieren Antikörper, Aptamere und niedermolekulare PSMA-Liganden für den klinischen und präklinischen Einsatz [16, 17]. Der Gallium-68-markierte niedermolekulare Ligand Ga-68-PSMA-HBED-CC wird inzwischen in Deutschland in vielen Zentren im Rahmen der klinischen PET-Diagnostik eingesetzt. Afshar-Oromieh et al. [18] konnten in einer Studie mit 37 Patienten ein deutlich höheres Tumor-zu-Hintergrund-Verhältnis dieses PSMA-Liganden im Vergleich zu F-18-Cholin sowie eine verbesserte Detektionsrate von Metastasen zeigen (. Abb. 2). Eine prospektive Phase-I/II-Multicenterstudie zur Untersuchung der diagnostischen Güte der Ga-68-PSMA-PET im direkten Vergleich mit der Histopathologie beim Primärstaging des Prostatakarzinoms ist geplant.

PSMA wird besonders stark in ­Tumorzellen des Prostatakarzinoms exprimiert

Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss am Tag der PSMA-PET nicht nüchtern erscheinen. Es gibt aktuell keinen ausreichenden Hinweis für eine signifikante Beeinflussung der Ga68-PSMA-HBED-CC-Aufnahme im Tumorgewebe durch eine antiandrogene Therapie.

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CME Tab. 4  Nuklearmedizinische Diagnostik in der Urologie Untersuchung Nierenszintigraphie FDG-PET

Skelettszintigraphie und FluoridPET Cholin-PET PSMA-PET

Indikation Abflussstörung, seitengetrennte Funktion, Reflux, Narben Staging beim Seminom, Blasenkarzinom, Nierenkarzinom, Peniskarzinom Knochenstaging beim Prostatakarzinom Staging beim Prostatakarzinom Staging beim Prostatakarzinom

Beurteilung von Tubuläre Funktion, GFR und Ausscheidung Glukosestoffwechsel

Knochenstoffwechsel Membransynthese PSMA Expression

GFR glomeruläre Filtrationsrate, FDG Fluorodeoxyglukose, PET Positronenemissionstomographie PSMA prostataspezifisches Membranantigen.

Tab. 5  Nuklearmedizinische Therapie in der Urologie Radiopharmakon Samarium-153, Strontium-89

Indikation Knochenschmerzen bei osteoblastischen Filiae

Radium-223

Symptomatische osteoblastische Filiae beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom

Lu-177/Y-90-PSMA-Liganden

Heilversuch bei austherapierten Patienten

Kontraindikation Rückenmarkskompression, pathologische Fraktur, Knochenmarksdepression, myelosuppressive Chemotherapie oder Radiotherapie 1,0×103/µl, Thrombozytenzahl >50×103/µl; [23]). Pro Zyklus wird eine gewichtsadaptierte Menge des Radiopharmakons (50 kBq Ra223 pro kg) i.v. alle 4 Wochen bis zu 6- mal verabreicht [23]. Die Therapie erfolgt in den meisten Bundesländern bis zu einer abschließenden Regelung durch die Strahlenschutzkommission ambulant. Es konnte nach Radium-223-Therapie eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von 11,2 Monate in der Placebogruppe auf 14,0 Monate in der Therapiegruppe gezeigt werden [25]. Subgruppenanalysen haben ergeben, dass dieser Therapieeffekt unabhängig von gleichzeitiger Gabe von Bisphosphonaten oder vorheriger Chemotherapie ist [25]. Es zeigten sich zudem eine Verlängerung der Zeit bis zum nächsten symptomatischen Knochenereignis von 5,8 Monaten, eine Verlängerung bis zum Wiederanstieg der alkalischen Phosphatase von 3,6 Monaten sowie eine Abnahme der Schmerzintensität und der Opiatgabe [25]. Als Nebenwirkungen können Neutropenie sowie Thrombopenie auftreten. Daneben sind gastrointestinale Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle) beschrieben [23]. Bei ausreichender hämatopoetischer Kapazität genügt eine Kontrolle des Blutbildes mit Differenzialblutbild vor jedem Zyklus. Bei eingeschränkter Hämatopoese sollte entsprechend des Ausmaßes auch zwischen den Zyklen kontrolliert werden. Zur Therapiekontrolle bietet sich die Durchführung einer Skelettszintigraphie, F-18-Fluorid-PET/CT oder Cholin- bzw. PSMA-PET/CT vor Therapiebeginn sowie z. B. 6 Wochen nach deren Abschluss an (. Abb. 4).

Radium-223-dichlorid ist zugelassen zur Therapie von multiplen, ­osteoblastischen, symptomatischen Knochenmetastasen des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms Radium-223 wird in die Knochenmatrix aufgenommen und wirkt dort als Alphastrahler auf die um­ gebenden Tumorzellen

Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss am Tag der Therapie nicht nüchtern erscheinen. Eine Kalziumsupplementierung sollte 3 Tage vor Gabe des Radium-223 abgesetzt werden. Eine Schmerztherapie sowie eine Therapie mit Bisphosphonaten müssen vor Therapiebeginn nicht beendet werden. Eine gleichzeitige myelosuppressive Chemotherapie oder Radiotherapie ist nicht möglich.

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Therapie des Prostatakarzinoms mit PSMA-Liganden

PSMA-Liganden sind aufgrund der sehr hohen und selektiven Anreicherung im Tumor nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Radionuklidtherapie des Prostatakarzinoms gut geeignet

Aufgrund des guten Therapieansprechens bei vergleichsweise geringer Toxizität wird die Therapie mit Lu-177- oder Y-90-markierten Peptiden in einzelnen Zentren angeboten

PSMA wird in nahezu allen Prostatakarzinomen vermehrt exprimiert. Dabei zeigt sich in hormonrefraktären und dedifferenzierten Tumoren sowie in Metastasen des Prostatakarzinoms eine weitere Zunahme der PSMA-Expression [26]. PSMA-Liganden sind aufgrund der sehr hohen und selektiven Anreicherung im Tumor nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Radionuklidtherapie des Prostatakarzinoms gut geeignet. Eine Phase-II-Studie mit monoklonalen Anti-PSMA-Antikörpern, die mit Lutetium-177 markiert wurden, zeigte eine signifikante Abnahme des Serum-PSA sowie ein längeres Überleben in der Hochdosisgruppe [27]. Auf der Basis kleiner Peptide wurden, ähnlich dem Gallium-68-markierten PET-Tracer Ga-68 PSMA-HBED-CC, PSMA-Liganden entwickelt, die zur Durchführung einer Peptidradiorezeptortherapie mit Jod-131, Yttrium-90 oder Lutetium-177 markiert werden können. Zechmann et al. [28] berichteten in einer Studie mit 28 Patienten, die mit dem Jod-131-markierten Liganden I-131-MIP-1095 therapiert wurden, über eine Abnahme des SerumPSA von über 25% bei mehr als drei Vierteln der Patienten mit einer medianen Zeit bis zum Wiederanstieg von 126 Tagen. Bei 7 von 28 Patienten trat aufgrund der starken Aufnahme des Radiopharmakons in den Speicheldrüsen eine moderate Mundtrockenheit auf, bei keinem der Patienten zeigte sich eine signifikante Abnahme der Nierenfunktion [28]. Aufgrund des guten Therapieansprechens bei vergleichsweise geringer Toxizität wird die Therapie mit Lu-177- oder Y-90-markierten Peptiden nun in einzelnen Zentren angeboten. Durch die Gammakomponente des Lu-177 sowie durch den Einsatz der PSMA-PET kann die Bildgebung zur Bestimmung der Tumordosis sowie zur engmaschigen Kontrolle des Therapieansprechens eingesetzt werden (sog.  Theranostikkonzept ; . Abb. 5). Hinweise für die Patientenvorbereitung.  Der Patient muss am Tag der Therapie nicht nüchtern erscheinen. Eine antihormonelle Therapie, Schmerztherapie sowie eine Therapie mit Bisphosphonaten müssen vor Therapiebeginn nicht beendet werden. Eine gleichzeitige myelosuppressive Chemotherapie oder Radiotherapie ist nicht möglich.

Zusammenfassung: nuklearmedizinische Diagnostik in der Urologie Die wichtigsten nuklearmedizinischen Untersuchungen in der Urologie sind in . Tab. 4 zusammengefasst.

Zusammenfassung: Nuklearmedizinische Therapie in der Urologie Die wichtigsten nuklearmedizinischen Therapien in der Urologie sind in . Tab. 5 zusammengefasst.

Fazit für die Praxis F Es stehen zahlreiche nuklearmedizinische Untersuchungen für die Diagnostik in der Urologie zur Verfügung. F Die Skelettszintigraphie ist eine hoch sensitive Untersuchungsmethode zur Darstellung von ­osteoblastischen Knochenmetastasen. F Beim Staging des Prostatakarzinoms ersetzt die PSMA-PET/CT aufgrund der hohen diagnostischen Güte zunehmend andere Untersuchungsverfahren. F Samarium-153 und Strontium-89 können zur Schmerztherapie bei osteoblastischen Metastasen des Prostatakarzinoms eingesetzt werden. F Radium-223 verlängert beim symptomatischen, ossär metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom das Gesamtüberleben und die Zeit bis zum Wiederauftreten von Symptomen. F Radioaktiv markierte PSMA-Liganden befinden sich in der Erprobung und könnten in Zukunft eine nebenwirkungsarme, aber effektive Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms darstellen.

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Der Urologe 7 · 2015

CME Korrespondenzadresse Dr. W.P. Fendler Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Ludwig-Maximilians-Universität München Marchioninistr. 15, 81377 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  W.P. Fendler, V. Wenter, C.G. Stief, C. Gratzke und P. Bartenstein geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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