Langenbecks Arch Chir (1991) 376:232-237

Lange nbecks Achivf Chirurgie © Springer-Verlag 1991

Effektivit it hochkalorischer und hypokalorischer postoperativer parenteraler Erniihrung in der GroBen Bauchchirurgie Eine prospektiv randomisierte Studie H.W. Keller und J.M. Miiller Chirurgische Universit/itsklinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. H. Pichlmaier), Joseph-Stelzmann-Stral3e 9, W-5000 K61n 41, BRD Eingegangen am 7. Februar 1991

Effectivity of hypercaloric and hypocaloric postoperative parenterol nutrition in major abdominal Surgery. A prospective randomized study Summary. By means of a prospective randomised trial protein turnover and general energy expenditure were measured after stomach or bowel resections in patients receiving either hypercaloric or hypocaloric parenteral nutrition. The results were correlated with the availability of various blood proteins and amino acids as well as the concentration of different substrates of the intermediary metabolism. The results show that there is no need for a hypercaloric parenteral nutrition even after major abdominal surgery. Apart of a slightly better nitrogenbalance, which is, however, connected with an increased nitrogen impact on the organism there was no advantage over hypocaloric intravenous nutrition at least until the fifth day after the operation. Key words: Postoperative metabolism - Parenteral nutrition - Energy expenditure - Protein turnover Zusammenfassung. Im Rahmen einer prospektiv randomisierten Studie wurde der postoperative Protein- und Energieumsatz nach Magen- und Dickdarmresektionen unter hochkalorischer und hypokalorischer parenteraler Ernfihrung gemessen und mit der Verfiigbarkeit verschiedener Bluteiweil3k6rper sowie dem Anfall verschiedener Substrate des Energiestoffwechsels korreliert. Dabei zeigte sich, dal3 auch in der Grogen Bauchchirurgie eine peripherven6se parenterale Ern~ihrung zur postoperativen Versorgung der Patienten v611ig ausreicht. Eine hochkalorische N/ihrstoffzufuhr bietet, abgesehen yon einer besseren Stickstoffbilanz, die mit einer vermehrten Harnstoffbelastung des Organismus verbunden ist, keinerlei Vorteile.

Operationen am Gastrointestinaltrakt erfordern eine mehrt/igige postoperative orale Nahrungskarenz. Zur

Aufrechterhaltung der in dieser Phase oft labilen Organfunktionen ist eine ausreichende parenterale Fliissigkeitsund Elektrolytsubstitution unerlfil31ich. Eine Ern/ihrung mit Zufuhr von Eiweil3, Kohlenhydraten und Fett ist nicht unbedingt notwendig, da der K6rper fiber gewisse Reserven verf/igt. Aul3erdem bewirkt jede Verletzung des Organismus eine hormonell gesteuerte Stoffwechselumstellung mit endogener Energiebereitstellung. Vermehrter Proteinumsatz, gesteigerter Energieverbrauch und Hyperglykfimie sind typische Erscheinungen dieser Notfallreaktion. Zur Deckung des erh6hten Eiweil3- und Energiebedarfs erscheint eine exogene N/ihrstoffsubstitution wfinschenswert. Die trotz vermehrter Insulinfreisetzung gesteigerte Blutzuckerkonzentration 1/igt diese Mal3nahme zweifelhaft erscheinen. Abgesehen von den pathophysiologischen ~berlegungen wird die Ern/ihrung in der klinischen Praxis auch von den technischen M6glichkeiten und Problemen der N/ihrstoffzufuhr beeinflul3t. Eine am absoluten Substratumsatz orientierte, hochkalorische parenterale Ern/ihrung kann nur fiber einen zentralven6sen Katheter mit maschineller Oberwachung der Infusionsgeschwindigkeit durch einen Tropfenz/ihler erfolgen. Eine begrenzte Stickstoffund Energiezufuhr bis zu einer Gesamtmenge von etwa 100 g Eiweil3 und 1000 kcal/d (hypokalorische Ernfihrung) ist dagegen fiber einen wesentlich ungeffihrlicheren peripherven6sen Zugang ohne Benutzung von Infusiomaten m6glich. Dazu stehen industriell gefertigte, praktisch unbegrenzt haltbare Komplettl6sungen zur Verffigung. Entsprechend dem geringeren Aufwand sind auch die Kosten der hypokalorischen Ern~ihrung wesentlich niedriger. Ihre Anwendung ist trotzdem nur dann gerechtfertigt, wenn durch die geringere Versorgung mit N/ihrstoffen keine Nachteile ffir den frisch operierten Patienten entstehen. Aufgrund der postoperativen Stoffwechselumstellungen mug das nicht unbedingt der Fall sein. Es ist vielmehr auch denkbar, dab eine hochkalorische Ern/ihrung in dieser Situation zu einer ~lberladung des Organismus mit Energietr/igern und Aminosfiuren und damit zu einer Verschlechterung der Stoffwechsellage ffihrt.

233

In der vorliegender~ Arbeit wurde durch eine prospektive Studie die Effektivit/it von hochkalorischer und hypokalorischer Ern/ihrung nach grogen Eingriffen im Gastrointestinaltrakt untersucht. Die Beurteilung erfolgte aufgrund des klinischen Verlaufs sowie anhand biochemischer und physikalischer Kenngr6Ben, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Protein- oder Energiestoffwechsel stehen. Material und Methoden Die Untersuchungen wurden in einem Zeitraum von 15 Monaten an 60 Patienten durchgeffihrt, die sich einer Magen- oder Darmresektion unterziehen mul3ten. Nach einem Randomisierungsplan wurden die Patienten in 2 Gruppen eingeteilt. Dabei wurde hinsichtlich der Art des Eingriffs stratifiziert, so dab in beiden Gruppen gleich viele Patienten mit Magen- und Darmresektionen enthalten waren. Die im einzelnen durchgeffihrten Operationen sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Voraussetzungen zur Aufnahme in die Studie waren: Alter fiber 20 Jahre, keine vorbestehende Stoffwechselst6rung, keine Apptikation stoffwechselaktiver Hormone, Stabilisierung der Vitalfunktionen und Extubation innerhalb yon 12 h nach Operationsende, Zustimmung des Patienten zur Untersuchung. Nach dem Ende der Operation erhielten alle Patienten einheitlich eine kohlenhydrat- und aminosfiurenfreie Infusionstherapie in Form einer 2/3Elektrolytl6sung bis zum Morgen des 1. postoperativen Tages. Anschliel3end wurde mit der differenzierten Ernfihrungstherapie begonnen. Die Patienten der Gruppe I erhielten postoperativ eine hochkalorische Ern/ihrung folgender Zusammensetzung: 35 Nichtproteinkilokalorien/kg K G und 1 g Stickstoff in Form von Aminos/iuren pro 120 Nichtproteinkilokalorien (das entspricht etwa 2 g AminosSmren/kg KG) in 24 h (Tabelle 2). Bei hypokalorischer Ern/ihrung (Gruppe II) erhielten die Patienten ab dem 1. postoperativen Tag unabh/ingig vom K6rpergewicht in 24 h jeweils 3 1 einer Komplettl6sung, bestehend aus Aminos~iuren, Kohlenhydraten, E1ektrolyten, Vitaminen und Wasser (Tabeile 3). Diese L6sung wird fertig vom Hersteller geliefert, ist langfristig haltbar und kann peripherven6s verabreicht werden. Dementsprechend ist der Gehalt an Aminos/iuren (2,5%) und an Kohlenhydraten (5%) begrenzt. Insgesamt erhielten die Patienten 11,4 g Stickstoff (75 g Aminos/iuren) und 150 g Kohlenhydrate. Das entspricht insgesamt 900 Kilokalorien pro 24 h. Zus/itzlicher Flfissigkeitsbedarf wurde wie auch bei den Patienten der Gruppe I durch die bereits unmittelbar postoperativ verwendete 2/3-Elektrolyt16sung (s. oben) gedeckt. Ab dem 5. postoperativen Tag wurde mit dem oralen Kostaufbau begonnen und die parenterale N/ihrstoffapplikation entsprechend reduziert. Bei Auftreten solcher Komplikationen, die eine spezifische Ern/ihrungstherapie erforderten, sollten selbstverstS.ndlich unmittelbar nach Diagnosestellung die notwendigen Mal3nahmen eingeleitet werden. Dies war jedoch bei keinem Studienpatienten vor dem 5. postoperativen, d.h. dem letzten Untersuchungstag der Studie, der Fall. Patienten, die z.B. wegen einer Anastomoseninsuffizienz lfinger als 5 Tage parenteral ern/ihrt werden mul3ten, erhielten unabh/ingig yon der Gruppenzugeh6rigkeit ab dem 6. postoperativen Tag eine hochkalorische Ern/ihrung. Der klinische Verlauf wurde w/ihrend des gesamten stationfiren Aufenthaltes dokumentiert. Die physikalischen und biochemischen Parameter wurden pr/ioperativ sowie am 1., 3. und 5. postoperariven Tag bestimmt. Folgende Kenngr6gen wurden analysiert (in Klammern sind die Analysemethoden angegeben). Komplikationsrate, K6rpergewicht; Harnstoff Produktionsrate [11], Gesamtstickstoffausscheidung (Autoanalyser 703 C, Fa. Antek Dfisseldort) [12], Stickstoffbilanz [12]; Proteinumsatz (Harnstoffproduktion x 2,66), Sauerstoffverbrauch, Kohlendioxydproduktion, Kohlenhydrat-, Fettumsatz, r e -

-

Tabelle 1. Die in den beiden Untersuchungsgruppen clurchgeffihrten Operationen Operationsverfahren Magenhochzug Gastrektomie Magenteilresektion Hemikolektomie Kolektomie Sigmaresektion Rektumresektion Rektumamputation Gesamt

Gruppe I

Gruppe Ill

Gesamt

3 8 4 5 1 4 3 2

3 9 3 7 2 i 4 1

6 17 7 12 3 5 7 3

30

30

60

2. Hochkalorische Infusionsl6sung zur postoperativen parenteralen Ern~hrung bei einem 70 kg schweren Patie.nten

Tabelle

Bestandteil

Menge (ml)

Aminosfiuren 10%ig a Glukose 50%ig b Fett 10%ig ° Spurenelemente a Vitamine, wasserl6slich e Vitamine, fettl6slich f NaC1 5,85%ig g KC1 7,4%ig h

1350=20,5 g N; 580 kcal 1000 = 2000 l~:cal 500 = 500 ~:cal 10 10 I0 100 5O

Gesamt

3030 = 3080 kcal, 20,5 gN (1 kca]l/ml)

a b ° d e ~ g h

Aminos~iuren+10 E ®, Travenol GmbH, Mfinchen Glukose 50 Vioflex®, Travenol GmbH, M/.inchen Intralipid ® t0%, Kabi-Vitrum GmbH, Mfinchen Addel ®, Kabi-Vitrum GmbH, Mfinchen Multibionta% Merck, Darmstadt Vitnitra Adult ®, Kabi-Vitrum GmbH, Mfinchen Natriumchlorid, B. Braun, Melsungen Kaliumchlorid, Boehringer, Mannheim

3. Komplettt6sung zur hypokalorischen peri[pherven6sen ErnS.hrung (PE 900% Pfrimmerkabi, Erlangen)

Tabelle

Bestandteil

Menge (pro 1000 ml)

AminosS.uren Sorbit Xylit Natriumhydroxid Kaliumhydroxid Magnesiumacetat L-Apfelsfiure AscorbinsS.ure Inosit Nicotinamid Pyridoxinhydrochlorid Riboflavin-5'-phosphat-Natriumsalz

25,00 g 25,00 g 25,O0 g 1,60 g 1,68 g 1,07 g 3,00 g 0,40 g 0,50 g 0,06 g 0,04 g 2,5 mg

Das entspricht: Na + 40,5 K+ 30,0 Mg + 5,0 Azetat10,0

mmol mmol mmol mmol

MalatC1 kcal N

22,5 7,0 300 3,8

mmol mmol kcal g

234 spiratorischer Quotient, Energieverbrauch (indirekte Kalorimetrie, MMC Horizon-Sensor Medics, Essen, [5]; Serumspiegel von Harnstoff, Glukose, Triglyzeride,freie Fettsfiuren (Standardverfahren mit kommerziell erhfiltlichen Testpackungen); - Plasmaproteine (Lasernephelometrie, Agargeldiffusion); - Aminosfiuren (Autoanalyser LC 501, Biotronic Frankfurt).

Tabelle4. Postoperative Komplikationen bei unterschiedlicher postoperativer Ernfihrungstherapie

Die statistische Auswertung erfolgte mit faktoriellen Varianzanalysen. Als einfaches MaB zur Erkennung yon signifikanten Unterschieden wird die Grenzdifferenz bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% angegeben.

Wundinfektion Pneumonie Beatmungspflichtige respir. Insuffizienz Leberversagen Niereninsuffizienz Herzinsuffizienz Anastomoseninsuffizienz Tod

Ergebnisse Postoperativer Verlauf Bei 23 Patienten der Gruppe I und bei 24 Patienten der Gruppe II war der postoperative Verlauf vom Tag der Operation bis zur Entlassung aus der Klinik v611ig komplikationslos. Bei den restlichen Patienten traten postoperativ z.T. mehrere Komplikationen gleichzeitig auf, die im einzelnen in Tabelle 4 dargestellt sind. Weder fiir die einzelnen Komplikationen noch fiir ihre Gesamtsumme war zwischen den beiden Untersuchungsgruppen ein signifikanter Unterschied festzustellen. Erstaunlicherweise zeigte sich auch bei der Entwicklung des K6rpergewichts in der postoperativen Phase kein wesentlicher Unterschied zwischen den hypo- und hochkalorisch ernfihrten Patienten.

Eiweiflstoffwechsel Die Gesamteiweigkonzentration im Serum sowie die Plasmaspiegel von Albumin, den sog. kurzlebigen Plasmaproteinen (Cholinesterase, Transferrin, Coeruloplasmin, retinolbindendes Protein), den Akutphaseproteinen (Fibrinogen, Haptoglobin, IgM) und den Aminos/iuren, zeigten w/ihrend der gesamten Untersuchung keine signifikanten Gruppenunterschiede. Bei den meisten Eiweil3k6rpern konnte der operationsbedingte Konzentrationsabfall durch keines der getesteten Ern~ihrungsregime ausgeglichen werden. Die Produktion der Akutphaseproteine und die Aminos/iurenbereitstellung waren aber in beiden Untersuchungsgruppen ungest6rt (Tabelle 5). Die Harnstoffproduktionsrate und die gesamte Stickstoffausscheidung (Tabelle 6) waren bei gleichzeitig st~rkerem Anstieg der Serumharnstoffkonzentration (Tabelie 6) in Gruppe I als Ausdruck eines gesteigerten Proteinumsatzes h6her als in Gruppe II. Aufgrund der h6heren Aminosfiurenzufuhr war die Stickstoffbilanz (Abb. 1) bei der hochkalorischen Ernfihrung dennoch besser und erreichte nahezu ausgeglichene Werte. Erstaunlich waren aber die nur geringen Bilanzunterschiede zwischen den beiden Untersuchungsgruppen. Die Differenz war niedriger als die Unterschiede der Stickstoffzufuhrraten. Insgesamt stieg der Proteinumsatz (Tabelle 7) postoperativ um fast das Doppelte von ca. 40 g/d auf 6 5 - 8 5 g/d an. Das entspricht einem vermehrten Energieumsatz von 100 200 kcal/24 h.

Postoperative Komplikationen

Hochkalorische Ernfihrung (n = 30)

Gesamt

Hypokalorische Ern/ihrung (n = 30)

Gesamt

4 3 1

2 3 1

6 6 2

3 4 2 3 2

2 2 4 3 2

5 6 6 6 4

22

19

41

Tabelle 5. Entwicklung der Konzentrationen verschiedener BluteiweiBk6rper in der postoperativen Phase unter hochkalorischer (Gruppe I) und hypokalorischer (Gruppe II) Ern/ihrung Parameter (Einheit, Grenzdifferenz)

Gesamteiweil3 (g/dl; 0,26) Albumin (g/dl; 0,29) Cholinesterase (ku/1; 0,34) Transferrin (mg/dl; 19,6) Coeruloplasmin (mg/dl; 5,4) Retinol bind. Protein (mg/dl; 0,47) Fibrinogen (mg/dl; 43,6) Haptoglobin (mg/dl; 22,5) IGM (mg/dl; 1,03) Aminos/iuren (ktmol/1; 317)

Prfioperativ Gruppe

1. postop. Tag Gruppe

5. postop. Tag Gruppe

I

II

I

II

I

II

7,4

7,4

4,9

4,9

5,6

5,8

3,78 3,95

3,09 3,19

3,36 3,49

5,15 5,39

3,31 3,60

3,22 3,41

254

239

191

188

202

195

23

24

21

22

22

22

4,21 4,18

2,72 2,40

3,43 3,40

335

345

345

315

505

515

170

179

112

133

208

215

165

161

121

123

140

137

2650 2790

2280 2220

2730 2810

Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel Der Blutzuckerspiegel (Tabelle 6) war bei hochkalorischer Ernfihrung (Gruppe I) nur am 1. postoperativen Tag signifikant h6her als bei reduzierter N/ihrstoffzufuhr (Gruppe II). Die Triglyzeridkonzentrationen (Tabelle 6) lagen wfihrend des gesamten Untersuchungszeitraumes

235 Tabelle 6. Entwicklung verschiedener Parameter des Eiweil3- und Energiestoffwechsels in der postoperativen Phase unter hochkalorischer (Gruppe I) und hypokalorischer (Gruppe II) Ernfihrung Parameter (Einheit, Grenzdifferenz)

Prfioperativ Gruppe

1. postop. Tag Gruppe

3. postop. Tag Gruppe

5. postop. Tag Gruppe

I

II

I

II

I

II

I

II

Harnstoffpr.rate (mol/24 h; 4,26)

17

16

28,5

24,8

32,3

28,0

28,2

26,1

S-Harnstofff (mg/dl; 12)

33

33

26

23

49

40

49

41

Ges.stickst.auss. (g/24 h; 2,2)

10,1

12,5

18,6

14,8

21,0

18,2

17,7

16,2

Blutzucker (mg/dl; 19,3)

102

110

172

155

147

147

132

123

Triglyceride (mg/dl; 20)

142

160

67

77

99

138

131

172

Freie Fettsfiure (mmol/1; 0,22)

0,86

1,01

0,69

0,87

0,86

1,15

1,12

1,37

Respir. Quotient (-; 0,026)

0,76

0,77

0,76

0,76

0,83

0,75

0,84

0,73

Tabelle 7. Postoperative ~nderung von Energieverbrauch und Substratumsatz bei hochkalorischer (Gruppe I) und hypokalorischer (Gruppe II) parenteraler Ernfihrung Parameter (Einheit, Grenzdifferenz 5%)

Prfioperativ Gruppe

1. postop. Tag Gruppe

3. postop. Tag Gruppe

5. postop. Tag Gruppe

I

II

I

II

I

II

I

II

Ruheenergieumsatz (kcl/24 h; 79)

1587

1639

1748

1775

1829

1754

1900

1826

Proteinumsatz (g/24 h; 11,4)

45,3

42,6

75,9

66,1

86,1

74,6

75,2

69,6

Kohlenhydratumsatz (g/24 h; 38,4)

84

98

76

68

168

54

202

55

Fettumsatz (g/24 h; 18,2)

110

112

115

127

80

124

78

141

Energieumsatz durch Kohlenhydrat- u. Fettverbrennung (kcal/24 h)

1395

1458

1421

1484

1449

1419

1570

1523

Energieumsatz durch Proteinabbau (kcal/24 h)

192

181

327

291

380

335

330

303

g [ ] Gruppe I

[ ] Gruppe 1I

-9 -8 -7 -6 -5 -4 -3

in beiden Gruppen im Normbereich, jedoch scheint die hypokalorische Ernfihrung den Wiederanstieg auf die pr/ioperativen Ausgangswerte zu begtinstigen. Wie bei reduzierter Zufuhr von Energiesubstraten nicht anders zu erwarten, stieg die Konzentration der freien Fetts/iuren (Tabelle 6) postoperativ in Gruppe II etwas st/irker an als in Gruppe I. Der Anstieg in den pathologischen Bereich konnte aber durch die hohe Glukosegabe auc]~ nicht vermieden werden. Entsprechend der vermehrten Zuckerzufuhr stieg der respiratorische Quotient in Gruppe I (Tabelle 6) postoperativ deutlich an.

-2

-1 0

N

Energieverbrauch und Substratumsatz

d i

+1 ~2 1.

3.

5.

postop. Tag

Abb. 1. Postoperative Stickstoffbilanz bei hochkalorischer (Gruppe I) und hypokalorischer (Gruppe II) parenteraler Ernfihrung (Grenzdifferenz 5% = 2,4; SD = 4,7)

Postoperativ stieg der Ruheenergieumsatz in Gruppe I st/irker an als in Gruppe II (Tabelle 7). Das ergibt sich vor allem aus dem bei der vermehrten Kohlenhydratzufuhr zus/itzlich anfallenden Kohlendioxyd (Abb. 211.Die postoperative Steigerung des Sauerstoffverbrauchs war dagegen in beiden Untersuchungsgruppen nahezu gleich (Abb. 3). Insgesamt war die Verbrauchssteigerung mit ungeffihr 15%, bezogen auf den pr/ioperativen Ausgangswert, gering.

236 16

i

I

I

I

I

I

I

15

I ,~

13

12

11

...-/ ~ " ~ n ~ ~

-1

,, ............. ~

~

~

~

Gruppe I Gruppe ]I ~

0 1 2 3 4 Tag der Untersuchung (OP-Tag=0)

I

5

Abb. 2. Kohlendioxydproduktion in der postoperativen Phase unter hochkalorischer (Gruppe I) und hypoka]orischer (Gruppe II) parenteraler Ern/ihrung (dg=Grenzdifferenz 5%, S D = 1,31)

2O

I

I

I

I

I

I

I

19

18 17 E 16

15

14

./ []

I

-1

[] Gruppe i & ............. Gruppe I[ I

I

0 1 2 3 4 Tag der Untersuchung (OP-Tag=0)

I

I

I

I

5

Abb. 3. Postoperativer Sauerstoffverbrauch bei hochkalorischer

(Gruppe I) und hypokalorischer (Gruppe II) parenteraler Ern/ihrung (dg = Grenzdifferenz 5%, SD = 1,49)

Das energetische Defizit durch die reduzierte Substratzufuhr bei hypokalorischer Ern~ihrung wurde iiberwiegend durch eine gesteigerte Lipolyse ausgeglichen. Der Proteinumsatz war eher niedriger als bei den hochkalorisch ern/ihrten Patienten (Tabelle 7). Es fand lediglich ein Austausch zwischen exogen zugefiihrten Kohlenhydraten und endogen verffigbar gemachtem Fett als Hauptenergielieferanten statt. Die postoperative Steigerung des Energieverbrauchs wurde unabhfingig vom Ern/ihrungsregime ganz iiberwiegend durch den gesteigerten Proteinumsatz gedeckt. Die Summe der aus Fett- und Kohlenhydratverbrennung bereitgestellten Energie stieg erst am 5. postoperativen Tag an, so dab dann der zus/itzliche Energieumsatz bei rfickl/iufigem EiweiBabbau in h6herem Ausmai3 durch diese Substrate gedeckt wurde (Tabelle 7).

Diskussion

Die vorgestellten Ergebnisse belegen eindeutig eine postoperative Steigerung des Energieverbrauchs. Das Ausreal3 ist mit 150-300kcal entsprechend 10 15% des Ausgangswertes aber kaum von klinischer Bedeutung. Ursache der Energieverbrauchssteigerung sind letztendlich die hormonellen Umstellungen durch das Operationstrauma. Sie bedingen die katabole Stoffwechsellage, die einen Anstieg des Proteinumsatzes von etwa 40 g auf 65 90 g t/iglich mit sich bringt. Dadurch wird der Eiweil3anteil am Gesamtener.g.ieumsatz auf fast 20% verdoppelt. Das energetische Aquivalent der vermehrt umgesetzten Proteine entspricht quantitativ fast exakt zumindest w/ihrend der ersten 3 postoperativen Tage dem Anstieg des Energieverbrauchs. Die Energiebereitstellung aus Eiweil3 ist aber unerwiinscht und un6konomisch, da beispielsweise ein Teil fiir den Stickstofftransfer wieder verbraucht wird. Eine Unterdriickung des Proteinumsatzes m/il3te daher auch zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs ffihren. Dies ist aber durch nutritive Magnahmen offenbar nicht m6glich, da auch die hochkalorische Ern/ihrung nicht zu einer Begrenzung des Eiweil3umsatzes fiihrte. So wurde in der Gruppe I eine h6here Gesamtstickstoffausscheidung bei gleichzeitig stfirkerem Anstieg der Serumharnstoffkonzentration gemessen. Diese Befunde sind an sich nicht fiberraschend, denn auch beim Gesunden steigt die Stickstoffexkretion mit steigender Eiweil3zufuhr an. Erstaunlich sind aber die nur geringen Unterschiede bei der Stickstoffbilanz zwischen beiden Untersuchungsgruppen. Die absolute Differenz war niedriger als die Unterschiede der Stickstoffzufuhrraten zwischen diesen beiden Gruppen (Tabelle 2, 3; Abb. 1). Daraus ist abzuleiten, dab die reduzierte Energiezufuhr bei hypokalorischer Ern/ihrung (Gruppe II) nicht zu einer Steigerung der endogenen Stickstoffmobilisierung f/ihrte. Andererseits fiihrte die vermehrte Aminosfiurenzufuhr in Gruppe I sogar zu einergesteigerten Harnstoffbelastung des Organismus, mel3bar am Anstieg seiner Serumkonzentration. Offenbar war aber in unserem hochkalorischen Ernfihrungsregime das Kalorien-Stickstoff-Verh/iltnis und die gesamte Stickstoffmenge doch so giinstig, dal3 ein Anstieg in pathologische Bereiche ausblieb. Das sollte aber nicht dariiber hinwegt/iuschen, dab ein Teil der mit der hochkalorischen Ern/ihrung vermehrt zugef/ihrten Aminos/iuren in die Glukoneogenese, die streng mit der Harnstoffbildungsrate korreliert [13], eingeschleust wurde. Der Rest fiihrte zwar zu einer Verbesserung der Stickstoffbilanz gegeniiber dem hypokalorischen Konzept, der Unterschied war jedoch so gering, dab die klinische Relevanz zweifelhaft erscheint. Das wird dadurch untermauert, dab sich bei den Plasmaeiweii3k6rpern und schliel31ich auch der postoperativen Komplikationsrate keinerlei Unterschiede zwischen den beiden Gruppen feststellen liegen (Tabelle 4, 5). Wegen der steigenden Harnstoffbelastung sollten auch bei vermehrter Energiezufuhr nicht mehr als 2 g Aminosfiuren/kg KG verabreicht werden. Zumindest w/ihrend der ersten 5 postoperativen Tage ist aber auch die Gabe von 1 g Aminos~iu-

237 ren/kg K G in F o r m einer hypokalorischen Komplettl6sung v611ig ausreichend. Das gilt auch deshalb, weil die hochkalorische Fettund Kohlenhydratgabe nicht zu einer Reduzierung der Eiweigverluste ffihrte. Das spricht fiir eine bereits 1947 von Gamble [3] aufgestellte Hypothese, dab die kalorische Komponente der parenteralen Ern/ihrung in F o r m einer Kohlenhydratzufuhr ab l~lberschreiten einer Mindestmenge von etwa 150 g/d ffir den Eiweil3stoffwechsel zunehmend unbedeutender wird. Nicht zuletzt deshalb sollte bei der parenteralen Ern/ihrung dieser Grenzwert nicht unterschritten werden, was bei Verwendung der handelstiblichen hypokalorischen Komplettl6sung tats/ichlich auch nicht geschieht. ~berraschenderweise ffihrte die hochkalorische Ernfihrung innerhalb der ersten postoperativven Tage nicht zu einem groBen Anstieg der Blutzuckerspiegel, wie es in dieser Stoffwechselsituation mit vermehrter Insulinresistenz [1] zu erwarten gewesen w/ire und wie es auch fiir die postoperative Phase beschrieben ist [14]. M6glicherweise ist das auf die kontinuierliche Zufuhr der Glukose-FettMischl6sung zuriickzuf~hren. Eine zus/itzliche Insulinapplikation war jedenfalls bei den untersuchten Patienten nicht n6tig. Ohnehin ist eine Reduzierung der Glukosezufuhr sinnvoller als eine gesteigerte Insulingabe, da trotz einer eventuellen Senkung des Blutzuckerspiegels die negativen Auswirkungen dieser Magnahme iiberwiegen: Die Hormonrezeptoren werden durch das hohe Angebot blockiert und damit auch die anabole Hormonwirkung

[10]. Wesentlich g~nstiger ist die auch von uns vorgenommene Applikation von Fett zur teilweisen Deckung des Energiebedarfs. Dadurch wird nicht nur der Kohlenhydratstoffwechse| entlastet, es wird auch die kohlenhydratinduzierte Leberverfettung vermieden [6], der Bedarf an essentiellen Aminos/iuren gedeckt [8] und die Kohlendioxydbelastung des Organismus durch Senkung des respiratorischen Quotienten vermindert [9]. Da wir aufgrund frfiherer Beobachtungen bei massiver Fettapplikation negative Auswirkungen auf das Immunsystem beffirchteten, haben wir den Fettanteil an der Gesamtenergiezufuhr in dem hochkalorischen Ernfihrungsregime auf 20 % begrenzt. Bei dieser Dosierung waren erwartungsgem/il3 [8] keine unerw/inschten Effekte der Lipidinfusion zu verzeichnen. Eine andere M6glichkeit zur Reduzierung der Glukosebelastung bei der parenteralen Ern/ihrung besteht in der Verwendung von Glukoseaustauschstoffen [4]. Nach Zufuhr von Fruktose, Sorbit oder Xylit findet ein stark erh6hter Glukosedurchsatz bei ann/ihernd unver/inderter Blutzuckerkonzentration statt, wobei offenbar nur eine minimale Insulinmenge ben6tigt wird [2]. Unsere guten Erfahrungen mit der hypokalorischen Nfihrl6sung, in der aus galenischen Gr~nden keine Glukose enthalten ist (Maillard-Reaktion), zeigen, dab postoperativ der Energiestoffwechsel durch die Zuckeraustauschstoffe nicht beeintr/ichtigt ist. Bei der Verwendung von Fruktose und Sorbit ist jedoch stets an die wenn auch sehr geringe -

Gefahr der Fruktoseintoleranz (Hypoglykfimie, Leberfunktionsst6rungen) zu denken. Aus diesem Grunde sollen entsprechend einer Auflage des Bundesgesundheitsamtes Fruktose und Sorbit ab 1992 nicht mehr in Infusionsl6sungen enthalten sein, so dab dann ersatzweise vermehrt xylithaltige N/ihrl6sungen angewendet werden. Insgesamt zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dal3 fiir praktisch alle chirurgischen Patienten eine hypokalorische peripherven6se parenterale Ern/ihrung postoperativ ausreichend ist. Nur dann, wenn - beispielsweise bei einer Anastomoseninsuffizienz wesentlich fiber den 5. postoperativen Tag hinaus die orale bzw. enterale Nahrungsaufnahme nicht m6glich ist, sollte durch hochkalorische N/ihrstoffzufuhr einem wesentlichen K6rpersubstanzverlust entgegengewirkt werden. Die frfihe postoperative Phase ist nicht geeignet, ein krankheitsbedingtes pr/ioperativ bestehendes Ern/ihrungsdefizit durch hochkalorische Ern/ihrung auszugleichen. In derartigen Situationen w/ire eine pr/ioperative hochkalorische Ern/ihrung zu erw/igen [7]. Literatur

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[The effectiveness of hypercaloric and hypocaloric postoperative parenteral nutrition in large abdominal surgery. A prospective randomized study].

By means of a prospective randomised trial protein turnover and general energy expenditure were measured after stomach or bowel resections in patients...
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