Kommentare Therapie der metabolischen Acidose * G. Peer und H. Graf

Die metabolische Acidose gehort zu den haufigsten Storungen des Saure-Basen-Haushalts. Ursache ist ein gestortes Gleichgewicht zwischen der Zufuhr saurer Valenzen durch die Nahrung und ihrer uberwiegend renalen Ausscheidung. Fehlen kompensatorische Mechanismen (blutchemische Pufferung, renale Kompensation) oder sind sie iiberlastet, so geht die kompensierte Acidose in die dekompensierte Form uber. Klinisch unterscheidet man drei verschiedene Formen der metabolischen Acidose. Bei der Additions-Acidose werden mehr Wasserstoffionen ins Blut abgegeben als von der Niere ausgeschieden. Die haufigste Form der Additions-Acidose ist die Lactatacidose, bei der durch Gewebshypoxie die aerobe Glykolyse vermindert ist und die anaerobe Glykolyse vermehrt zur Energieproduktion herangezogen werden muB. Dadurch steigt die Lactatkonzentration an. Lactat als organische Saure erzeugt eine Acidose. Haufigste Ursachen der Lactatacidose sind Herzinsuffizienz, Hypoxie, Schock und verschiedene Vergiftungen. Ferner fuhrt die iibermaBige Produktion von Ketonkorpern durch eine gesteigerte Lipolyse bei Diabetes mellitus, langerer Nahrungsmittelkarenz oder Alkoholintoxikation zu einer Hyperacidamie im Sinne einer Additions-Acidose. Als Retentions-Acidose bezeichnet man die UnFahigkeit der Niere, saure Valenzen zu eliminieren. Ursachen sind vor allem das akute und das chronische Nierenversagen sowie die renale tubulare Acidose. Die Subtraktions-Acidose entsteht durch einen gesteigerten Bicarbonatverlust, zum Beispiel bei einer massiven Diarrhoe, nach Ureterenteroanastomosen sowie bei der Therapie mit Carboanhydrase-Hemmern. Die klinischen Symptome der metabolischen Acidose sind sehr variabel und meist durch die Symptome der auslosenden Krankheit iiberdeckt. Dtsch. med. Wschr. 116 (1991). 1116-1119

O Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Fast immer sind das Herz-KreislaufSystem, der Respirationstrakt sowie das Newensystem betroffen. Bei einem pH-Wert < 7 , l (11)konnen ventrikulare Rhythmusstorungen, eine Herzinsuffizienz durch direkte negative Inotropie und eine periphere Vasokonstriktion durch Stimulation der Katecholaminfreisetzung auftreten. Haufig ist die sogenannte Kussmaul-Atmung nachweisbar, die als Kompensationsmechanismus anzusehen ist: Die zentralnervose Symptomatik kann von leichter Benommenheit bis zu komatosen Zustanden reichen. Als oberstes therapeutisches Prinzip galt lange Zeit die rasche Diagnose und adaquate Therapie der ursachlichen Krankheit. Mit der Einfuhrung von Puffersubstanzen ist dieses Prinzip zunachst einmal der mechanistischen Vorstellung gewichen, daR der pH-Wert durch Gabe von Basen rasch ausgeglichen werden solle. So wird Natriumbicarbonat in der Therapie der metabolischen Acidose nun schon seit uber 50 Jahren eingesetzt. Systematische Untersuchungen uber die positive metabolische und systemische Wirkung einer solchen Therapie gibt es jedoch kaum. Vielmehr wurde festgestellt, daB durch die Zugabe von Bicarbonat in einem geschlossenen System der pH-Wert eher noch weiter sinkt (26). ein Ergebnis, das paradox erscheint. Neuere Studien (4, 5, 18, 27). in denen auf die Gefahren von Bicarbonat in der Therapie der metabolischen Acidose hingewiesen wurde, sind der AnlaB fur die im folgenden am Beispiel der diabetischen Ketoacidose und der metabolischen Lactatacidose naher beschriebenen Wirkungen von Natriumbicarbonat sowie alternativer Therapieformen.

Diabetische Ketoacidose Die Oberproduktion von Ketosauren wie der Hydroxybuttersaure und der Acetessigsaure

Mit Unterstiitzung des Fonds zur Forderung der wissenschaftlichen Forschung (Projekt Nr. P 6530)

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

11. Medizinische Universitatsklinik Wien Worstand: Prof. Dr. C. Ceyer)

sind entweder durch ein vermehrtes Angebot von freien Fettsauren an die Leber oder durch einen gesteigerten Umbau von freien Fettsauren in Ketosauren bedingt. Beim Diabetes mellitus kommt es aufgmnd eines Insulinmangels oder einer Insulinresistenz zu einer extrem gesteigerten Lipolyse und damit zu einem vermehrten Substratangebot fur die Ketogenese. Die Gabe von Natriurnbicarbonat war lange Zeit in der Therapie der diabetischen Ketoacidose anerkannt, obwohl es keine rationale Begriindung gab, die den Einsatz der Alkali-Therapie bei dieser Stomng gerechtfertigt hatte. Da es nur wenige prospektive klinische Studien gab, welche die Wirksamkeit, Sicherheit und die genaue Dosiemng von Natriurnbicarbonat beschrieben, wurde es vielfach auf empirischer Basis angewandt in der Annahme, daB die Acidose per se einen entscheidenden EinfluB auf den Verlauf der diabetischen Ketoacidose habe. AuBerdem glaubte man, daB Natriurnbicarbonat die Herzfunktion verbessere (34). die Insulinsensitivitat des Fett- und Muskelgewebes steigere (28) und rascher zu einer kompletten Restitution des SaureBasen-Haushaltes fuhre (1). In retrospektiven Studien konnten einige Autoren (9, 20. 25, 29. 30) diese Annahmen deutlich widerlegen und gleichzeitig auf die Gefahren der Natriumbicarbonat-Therapie hinweisen. Bereits 1967 wurde nachgewiesen, daD die Gabe von Natriurnbicarbonat bei diabetischer Ketoacidose in paradoxer Weise zu einer Liquoracidose fiihrt (29). Ein derartiger Abfall des Liquor-pH-Werts konnte die Ursache der zerebralen Hypoxie und der BewuBtseinstriibung sein, die bei Ketoacidose haufig beobachtet werden. Das wurde mehrfach bestatigt (25). Ursache des Abfalls des Liquor-pH-Werts ist ein Natriumbicarbonat-bedingter Anstieg des pCOz im Liquor. 1972 wurde erstmals festgestellt, daB groBe Mengen von Bicarbonat bei der diabetischen Ketoacidose zu einer lebensbedrohlichen Hypokaliamie fiihren konnen (30). Der obligate Flussigkeitsersatz per se fiihrt schon zu einem relativen Abfall der Kaliumkonzentration im Serum. Bei gleichzeitiger Insulin- und Bicarbonatgabe kommt es zu einem starken Einstrom von Kalium in die Zelle und folglich zu einem massiven Abfall der extrazellularen Kaliumkonzentration. 1974 wurde nachgewiesen, daB Natriumbicarbonat bei der diabetischen Ketoacidose zu einer peripheren Gewebshypoxie fiihrt (2). Ursache dafiir sind der intrazellulare pH-Anstieg aufgrund einer gesteigerten COz-Diffisionin die Zelle sowie die erhohte O2-Hamoglobin-Affinitat durch Aufhebung des Bohr-Effekts. In einer neueren prospektiven Studie wurde die Bicarbonat-Therapie der diabetischen Ketoacidose mit einer ausschlieBlichen Therapie der Crundkrankheit verglichen (24). Es zeigte sich, daB wahrend der Behandlung keine signifikanten Unter-

-

Peer. Craf Therapie der metabolischen Acidose 11 17

schiede in der Geschwindigkeit des Abfalls der Glucosespiegel und der Ketonkorperkonzentration bestanden und daB der Anstieg des pH- und des Bicarbonat-Werts im Blut oder Liquor in beiden Gruppen nicht unterschiedlich war. Wichtig erscheint dabei, daB der initiale pH-Wert ebenfalls kein entscheidendes Kriterium fiir die Indikation einer Bicarbonat-Therapie ist, da die Ausgangswerte in beiden Gmppen gleich waren. Es 1aBt sich somit eindeutig belegen, daB die Bicarbonat-Therapie der diabetischen Ketoacidose obsolet ist. Der von Hale und Mitarbeitern (16) beschriebene verzogerte Abfall des in den meisten Fallen erhohten Lactatspiegels sowie des Lactat-Pymvat-Quotienten konnte nicht bestatigt werden. Die von Alberti (2) erstmals beschriebene und danach von vielen Autoren (12. 17, 19.21, 23) angewandte wlow-dose

[Therapy of metabolic acidosis].

Kommentare Therapie der metabolischen Acidose * G. Peer und H. Graf Die metabolische Acidose gehort zu den haufigsten Storungen des Saure-Basen-Haush...
1MB Sizes 0 Downloads 0 Views