Originalien Z Gerontol Geriat DOI 10.1007/s00391-015-0908-x Eingegangen: 2. Februar 2015 Überarbeitet: 20. März 2015 Angenommen: 24. April 2015

F. H. Boehlen1 · W. Herzog1 · I. Maatouk1 · K.-U. Saum2 · H. Brenner2 · B. Wild1 1 Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg,

Heidelberg, Deutschland 2 Abteilung für Klinische Epidemiologie und Alternsforschung, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ),

Heidelberg, Deutschland

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Behandlungswünsche von älteren Menschen mit psychischen Erkrankungen In der psychosomatischen Medizin ist die Motivation des Patienten ein wichtiger Wirkfaktor für die erfolgreiche Behandlung. Die therapeutische Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Somatisierungs- und Angststörungen ist in der älteren Bevölkerung Deutschlands oftmals unzureichend. Dies kann an mangelnden Angeboten für Psychotherapie sowie an einer Diskrepanz zwischen Therapieoptionen und Behandlungswünschen liegen.

Hintergrund und Fragestellung Erfolgreiche medizinische Behandlung erfordert evidenzbasiertes Handeln und ausreichende Versorgungsmöglichkeiten. Ebenso wichtig sind jedoch der Wunsch des Patienten, eine bestimmte Behandlung zu erhalten, und die Motivation, sich aktiv in diese einzubringen. Dies gilt für alle medizinischen Fachbereiche, insbesondere jedoch für die Bereiche der psychosomatischen Medizin und der Psychotherapie [30]. Auch wenn in vielen Studien kein direkter Zusammenhang zwischen Behandlungswünschen und Outcome in der Behandlung der Depression gefunden werden konnte, fand sich ein indirekter Effekt sehr deutlich über die Zufriedenheit der Patienten und über die Ausprägung der therapeutischen Beziehung [28]. Bei depressiven Patienten konnte gezeigt werden, dass der Wunsch, eine Behandlung zu erhalten, die Therapieadhärenz beeinflusst und deren Effektivität moduliert [19]. Warum oder wie

sehr sich Patienten eine bestimmte Therapie wünschen, kann durch viele Faktoren begründet sein. Denkbare Einflussfaktoren sind der Grad der Funktionseinschränkung und die biopsychosoziale Lebensqualität. Weiterhin können zwischenmenschliche Faktoren, im Sinne einer Suche nach sozialen Kontakten, eine Rolle spielen, ebenso ökonomische Aspekte wie die Attraktivität und die Verbreitung des Behandlungsangebots. Depressionen, Somatisierungs- und Angststörungen sind die häufigsten psychosomatischen Krankheitsbilder der älteren Bevölkerung in Deutschland [24]. Die Prävalenz der Depression in der Gruppe der > 65-Jährigen wird mit 9,8 % angegeben [23]. Für somatoforme Störungen wurden Prävalenzraten von 1,5–13 % in dieser Altersgruppe berichtet [6]. Die Prävalenz der generalisierten Angststörung wurde in der Gruppe der > 65-Jährigen in einer aktuellen Studie mit 4,6 % geschätzt („generalized anxiety disorder“, GAD; [29]). Die Versorgung älterer Patienten mit psychischen Erkrankungen in Deutschland wird in der Regel ambulant durch niedergelassene Psychotherapeuten gewährleistet, ebenso durch Neurologen und Psychiater sowie durch Hausärzte und Internisten als erste Ansprechpartner. Psychotherapie wird – neben medikamentöser Behandlung – in den Behandlungsleitlinien von Depressionen [23], Somatisierungsstörungen [21] und Angststörungen [1] als Therapie 1. Wahl genannt. Darüber hinaus gibt es im deutschen Gesundheitssystem die Möglichkeit, stationäre psychotherapeutische Be-

handlungen oder Rehabiliationsmaßnahmen bei Krankheitsbildern mit schweren psychosozialen Funktionseinschränkungen wahrzunehmen. In der Versorgung älterer Menschen mit psychischen Erkrankungen ergeben sich häufig Schwierigkeiten. Einerseits zeigt sich bereits die Diagnosestellung durch eine große Überschneidung psychosomatischer Beschwerden mit somatischen Krankheitsbildern erschwert. Andererseits finden sich auch auf der Behandlungsseite Lücken im Sinne von Unter- oder Fehlversorgung [10, 22].

Studie Ziel Die Behandlungswünsche von psychisch belasteten älteren Patienten mit Depressionen, Somatisierungsstörung und GAD sollten erfasst werden, um die Motivation zu psychosomatischen Behandlungsangeboten, insbesondere Psychotherapie, und Therapiewünsche im Bereich anderer Fachdisziplinen zu beschreiben.

Methoden Die Daten wurden im Rahmen des 3. Follow-up der „Epidemiologischen Studie zu Chancen der Verhütung, Früherkennung und optimierten Therapie chronischer Erkrankungen in der älteren Bevölkerung“ erhoben (ESTHER, [2]). Die ESTHER-Studie ist eine populationsbasierte Kohortenstudie mit dem Ziel, epidemiologische Daten zu Prävention, Früherkennung und Behandlung von chroniZeitschrift für Gerontologie und Geriatrie

1

Originalien Tab. 1  Antwortmöglichkeiten auf die Fra-

ge: „Was würden Sie sich in Bezug auf ihre Beschwerden wünschen?“ –Regelmäßige Gespräche mit meinem Hausarzt – Rehamaßnahme/Kur – Psychotherapie – Selbsthilfegruppe –Medikamentöse Behandlung –Psychologische Beratung – Entspannungstechniken –Mehr Zeit für Gespräche mit meinem Hausarzt –Alternative Medizin –Mehr Information/Aufklärung – Physiotherapie –Gar nichts Mehrfachantworten möglich.

schen Erkrankungen im Alter zu erheben [5, 17]. Die Baseline-Erhebung (n = 9949) erfolgte von Juli 2000 bis Dezember 2002 durch Hausärzte im Saarland. Die Daten zeigten, dass die ESTHER-Stichprobe zur Baseline repräsentativ für die deutsche Bevölkerung in Bezug auf demografische Variablen und chronische Erkrankungen war [17]. Zu Beginn des 3. FollowUp (Achtjahres-Follow-up, 2008–2010) konnten 6063  Teilnehmer aufgenommen werden. Es stimmten 3124 Teilnehmer (51,5 %) einem zusätzlichen Hausbesuch durch speziell geschulte Studienärzte zu. In diesem Rahmen wurden die vorliegenden Daten über eine Kombination aus Fragebogenerhebung und standardisiertem Interview erhoben. Ein separater Teil des Hausbesuchs bestand in der Erfassung von Daten zum „psychischen Befinden“. Im Anschluss an die Erhebung der psychosozialen Krankheitslast mithilfe des Patient Health Questionnaire (PHQ-D, [16]) und des Generalized Anxiety Disorder Screener (GAD-7, [18] wurden die Patienten gefragt, ob sie „Hilfe für seelische Beschwerden in Anspruch nehmen möchten“. In die vorliegende Studie wurden die Patienten aufgenommen, die diese Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantworteten (n = 3063, 98,0 %). Die Behandlungswünsche wurden dann über einen Antwortkatalog mit insgesamt 12 Antwortmöglichkeiten (Mehrfachantworten möglich) erfragt. Die zugehörige Frage lautete „Was würden sie sich in

2

Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie

Bezug auf ihre Beschwerden wünschen?“ (. Tab. 1). Der Fragebogenbogenkatalog zur Erhebung der psychosozialen Krankheitslast bestand aus Modulen der deutschen Version des PHQ-D [16]. Die Diagnose „Depression“ wurde über das Depressionsmodul des PHQ (PHQ-8) vergeben. Der PHQ-8 erfragt 8 der 9 Diagnosekriterien des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) für eine depressive Störung. Seine Validität konnte in einer großen bevölkerungsbezogenen Studie belegt werden [15]. Die Diagnose einer Minor/Major-Depression wurde vergeben, wenn 2–4/≥ 5 der 8 Kriterien an „mehr als der Hälfte der Tage“ angegeben wurden und bei depressiver Stimmung oder bei einem PHQ-8-Score > 10. Die somatoforme Symptomlast wurde mit dem PHQ-15 (Modul für somatoforme Störungen, [16]) erfasst. Diese Version enthielt 13 Fragen zu körperlichen Schmerzen und anderen Körperbeschwerden (> 2  Wochen), ohne Fragen zu Menstruationsbeschwerden und Beschwerden beim Geschlechtsverkehr. Die Diagnose „Somatisierungsstörung“ wurde nach Kroenke [16] vergeben bei einem PHQ-15(13) ≥ 13. Die Symptome einer GAD wurden über den GAD-7 abgefragt [18]. Die GAD-Diagnose wurde – nach Wild et al. [25] – ab einem „Cut-off “-Wert von ≥ 5 gestellt. Chronische Erkrankungen bzw. Multimorbidität wurden von den Studienärzten mithilfe des INTERMED (Integrative Assessment- Methode zur Erfassung von Patienten mit komplexem Versorgungsbedarf) for the Elderly eingeschätzt (IM-E, [27]). Multimorbidität war als das Vorliegen von mehr als einer chronischen Krankheit definiert. Die Studienpopulation wurde zunächst deskriptiv beschrieben. In der Gesamtgruppe sowie den Untergruppen von Patienten mit Depressionen, Somatisierungsstörung und GAD wurden Häufigkeiten und Konfidenzintervalle (KI) für die 12 Kategorien möglicher Behandlungswünsche berechnet. Häufigkeiten zwischen 2 Gruppen wurden über χ2-Tests verglichen. Statistische Berechnungen wurden mit SAS, Version 9.4, durchgeführt.

Ergebnisse Insgesamt 3063  Studienteilnehmer beantworteten die Frage „Möchten Sie Hilfe für seelische Beschwerden in Anspruch zu nehmen?“ (fehlend n = 61, 2,0 %) und wurden somit in die Studie aufgenommen. Es beantworteten 8,6 % der Teilnehmer (95 %-KI: 7,6–9,6) die Frage mit „Ja“. Eine psychische Erkrankung konnte bei 567 Teilnehmern festgestellt werden (Depressionen und/oder Somatisierungsstörung und/oder GAD; 18,5 %, 95 %-KI: 17,2–19,9 %). Depressionen wurden bei 7,9 % (95 %-KI: 6,9–8,9 %) der Teilnehmer diagnostiziert, 6,4 % (95 %-KI: 5,5– 7,3 %) hatten eine Somatisierungsstörung, 13,4 % (95 %-KI: 12,2–14,6 %) eine GAD. Mehr als eine psychische Störung wiesen 9,0 % der Probanden auf. Eine Übersicht über demografische Daten der Studienpopulation sowie über das Vorkommen psychischer und körperlicher Erkrankungen bietet . Tab. 2. Die Bereitschaft, Unterstützung für seelische Beschwerden in Anspruch zu nehmen, war bei Frauen signifikant höher als bei Männern (11,6 vs. 5,3 %; p 

[Treatment preferences of elderly patients with mental disorders].

Successful treatment in psychosomatic medicine requires intrinsic motivation of the patient and the belief that the chosen therapeutic option can help...
183KB Sizes 0 Downloads 6 Views