Hot Topics Z Rheumatol 2014 · 73:784–786 DOI 10.1007/s00393-014-1505-x Online publiziert: 5. November 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

H.-M. Lorenz1 · J. Braun2 · K. Krüger3 · M. Schneider4 1 Sektion Rheumatologie, Abteilung Innere Medizin V, Universitätsklinikum

Heidelberg, ACURA-Rheumazentrum Baden-Baden, Heidelberg 2 Rheumazentrum Ruhrgebiet, Herne 3 Praxiszentrum, St. Bonifatius, München

Redaktion

U. Müller-Ladner, Bad Nauheim U. Lange, Bad Nauheim

4 Poliklinik und Funktionsbereich für Rheumatologie, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Einführung und Gebrauch von „biosimilars“ in der Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie

Biologika sind Arzneistoffe, die mit Mitteln der Biotechnologie z. B mit gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden. Diese Technik ist seit Jahrzehnten etabliert. Das erste in einer rheumatologischen Indikation zugelassene Präparat war der Tumor-Nekrose-Faktor-­α(TNFα)-Blocker Infliximab für die Indikation rheumatoide Arthritis im Jahr 1999. Inzwischen sind in Deutschland 10 Biologika für rheumatologische Indikationen zugelassen. Die Einführung der Biologika hat die Therapiemöglichkeiten chronisch-entzündlicher rheumatischer Erkrankungen deutlich erweitert. Biologika werden eingesetzt, um bei Patienten, die nicht ausreichend gut auf konventionelle Basistherapeutika ansprechen, das Voranschreiten der Erkrankung zu verhindern, langfristige Folgeschäden zu vermeiden sowie die Inzidenz und Schwere von Komorbiditäten der chronischen Entzündung zu reduzieren. Entsprechend werden Biologika in der Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen zunehmend und häufig mit gutem Erfolg angewendet. Diese Therapien bedürfen einer sorgfältigen Überwachung wegen potenzieller unerwünschter Wirkungen. Ihr Einsatz ist jedoch mit hohen direkten Kosten von über 1 Mrd. Euro (Arzneimittelreport 2013) verbunden. Dies zeigt, dass

784 | 

Zeitschrift für Rheumatologie 9 · 2014

hier ein erheblicher Kostendruck entstanden ist. Für die ersten Biologika wie Rituximab, Infliximab sowie demnächst auch Etanercept und Adalimumab läuft der Patentschutz in absehbarer Zeit ab oder ist in einigen europäischen Staaten schon abgelaufen. Entsprechend haben Firmen begonnen, „biosimilars“ zu entwickeln, deren Gensequenz nahezu identisch mit der des Mutterprodukts ist. Da im Rahmen der Synthese dieser Proteine in den Mutterzellen wie bei jedem Protein jedoch verschiedene posttranskriptionelle und damit gensequenzunabhängige Modifikationen wie Glykosilierung auftreten können und die exakten Herstellungsmethoden des Originalpräparats nicht publiziert sind, ist nicht gewährleistet, dass Bio­similars mit dem Originalpräparat exakt identisch sind, daher die Bezeichnung als Biosimilar. Solche posttranskriptionellen Modifikationen eines Proteins können zur Entstehung veränderter antigener Eigenschaften des Proteins und z. B. zur Entwicklung von gegen das Protein gerichteten Antikörpern oder allergischen Reaktionen beitragen – das trifft allerdings auch auf die Originalpräparate zu („batch-to-batch variability“). Darüber hinaus wurden von Firmenseite für mindestens 2 früh zugelassene Originalprä-

parate über die Jahre erhebliche Veränderungen an den ursprünglich zugelassenen Wirkstoffen (bis 30%!) vorgenommen – ohne dass eine neue Prüfung erforderlich wurde ([1]: „number of changes in the manufacturing process for monoclonal antibodies/cepts“). Eine Übersicht über die in Europa zugelassenen Biosimilars und deren Referenzprodukte ist über den Verband der Forschenden Pharmaunternehmen (VfA) einzusehen (http://www.vfa. de/embed/biosimilars-uebersicht-originalpraeparate.pdf; Stand 11/2013). Vor diesem Hintergrund haben die Europäische Union (EU) und die European Medicines Agency (EMA) Vorgaben zu Entwicklung und Zulassung von Biosimilars formuliert: Im Artikel 10 Absatz 4 einer geänderten Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Rats, die Ende 2005 in Kraft trat1, wird festgelegt, dass ein Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit sowie Verträglichkeit der Präparate in präklinischen Untersuchungen sowie Phase-I-Studien zu erfolgen hat. In 1

Weitere Ergänzungen in CHMP/437/04; CHMP/49348/05; EMEA/CHMP/ BMWP/42832/05; EMEA/CHMP/BMWP/14327/ 2006;EMEA/CHMP/BMWP/101695/2006; EMA/ CHMP/BMWP/403543/2010; EMA/CHMP/ BMWP/86289/2010.

der Regel folgt dann eine „head-to-head“vergleichende Phase-III-Studie mit dem Originalpräparat in einer der zugelassenen Indikationen. Bei vergleichbarer Effizienz und Sicherheit kann dann die Zulassung für alle dem Originalpräparat zugewiesenen Indikationen erfolgen. Darüber hinaus müssen die pharmazeutische Darreichungsform, die Wirkstärke und der Darreichungsweg identisch zum Originalpräparat sein. In der folgenden Stellungnahme der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKDÄ, http://www.akdae. de/stellungnahmen/weitere/20081209. pdf) wird kritisch konstatiert: … wegen des Zusammenhangs zwischen Herstellungsprozess, der für jeden Hersteller eines biosimilaren Arzneimittels unterschiedlich ist, und der strukturellen Charakteristik des arzneilich wirksamen Bestandteils können Biosimilars nicht strukturell identisch sein … Die derzeit verfügbaren analytischen Techniken sind nicht in der Lage, die komplexen dreidimensionalen Strukturen der komplexen Proteine von biosimilaren Wirkstoffen und den dazugehörigen Originalprodukten so detailliert zu untersuchen, dass alle biologischen und klinisch relevanten Eigenschaften vorausgesagt werden können, die die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels bestimmen. Aus Sicht der AKDÄ wird der therapeutische Einsatz von biosimilaren Arzneimitteln so beurteilt, dass … aufgrund der behördlichen Anforderungen bei der Zulassung die für notwendig gehaltenen Nachweise für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorhanden sind. Daher können biosimilare Arzneimittel bei Beginn einer Behandlung ebenso eingesetzt werden wie ein Originalprodukt. Diese Stellungnahme bezog sich damals primär auf Wachstumsfaktoren, schließt jedoch die Verwendung monoklonaler Antikörper mit ein. In der Zulassung von Medikamenten sind in absteigender Wertigkeit die Sicherheit und Verträglichkeit, die Effizienz und die Kosten entscheidend. Dies muss gerade vor dem Hintergrund der

oben skizzierten Herstellungsmethoden auch für Biosimilars gelten. Es ist somit unabdingbar, dass auch Biosimilars nach der Marktzulassung ein langfristiges und dezidiertes Sicherheitsprogramm durchlaufen und erfüllen müssen, da bisher vom Originalpräparat nicht zu erwartende Nebenwirkungen auch klinisch-immunologischer Art wie Allergien und Anaphylaxien oder eine vermehrte Bildung von „Anti-drug“-Antikörpern auftreten können: In dem Fall eines Erythropoetinα-Biosimilars war durch den Wechsel des Lösungsvermittlers/Emulgators eine Allergisierung gegen Erythropoetin aufgetreten, was zur Entstehung von Antikörpern gegen körpereigenes Erythropoetin und somit zu einer „pure red cell anaemia“ geführt hatte. Solche Ereignisse belegen, dass die Zulassungsstandards auch für Biosimilars hoch sein müssen. Dies muss nicht bedeuten, dass das Originalbiologikum per se weniger Nebenwirkungen verursacht als das Biosimilar: Angesichts des komplexen (und gelegentlich variablen) Herstellungsprozesses kann es auch umgekehrt sein. Dies kann aber nur analysiert werden, falls Wirkung und Nebenwirkung tatsächlich dem Original oder Biosimilar in der Aufarbeitung des Falls exakt zugeordnet werden können. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie schließt sich der Meinung der AKDÄ an und unterstützt die Einführung sowie Verwendung von Biosimilars gerade auch angesichts der enormen Kosten, die mit biologisch hergestellten Medikamenten verbunden sind. Allerdings ist es zwingend notwendig, in der Lage zu sein, auch seltene und unerwartete Nebenwirkungen von Biosimilars registrieren und dokumentieren zu können. Dies impliziert die Notwendigkeit, dass bei Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen diese dem Produkt, also Original oder Biosimilar, exakt zugeordnet werden können. Das ist essenziell, um Gegenmaßnahmen rechtzeitig einleiten zu können. Gemäß Artikel 102e der Richtlinie 2001/83/EG (einschließlich Zusatzbestimmung 2010/84/EU) des Europäischen Parlaments und Rats wird dies auch genauso gefordert. Dafür sind aber die Angabe der Chargenbezeichnung und die Nennung des Arzneimittelnamens erforderlich, da unterschiedliche biologische Wirkstof-

fe mit identischen Wirkstoffnamen – wie oben dargelegt – ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil aufweisen könnten. Diese Vorgabe der oben genannten Richtlinie ist unglücklicherweise bei der Umsetzung in deutsches Recht lediglich als Auflagenbefugnis der Bundesoberbehörde im Sinne einer „Kannbestimmung“ erfolgt, sodass bei ungenügender Dokumentation Rückverfolgung und Identifikation des exakten biologischen Arzneimittels nicht möglich sind. Ein pragmatischer Ansatz wäre die grundsätzliche Meldung einer möglichen Nebenwirkung in Kombination mit dem Handelsnamen des Präparats. Daher ist konsequenterweise Folgendes zu fordern: a) Jedes Biologikum muss einen unterschiedlichen internationalen Frei­ namen („international non-proprietary name“, INN) haben, sodass also z. B. nicht alle Infliximab-Biosimilars als Infliximab firmieren und so rezeptiert werden. Dies deckt sich mit einer Initiative der WHO: http:// www.gabionline.net/Biosimilars/General/WHO-proposal-offers-clarityfor-biosimilar-nomenclature. b) Vom Apotheker darf ohne Wissen des Arztes und/oder Anordnung des ­Arztes nicht vom Originalpräparat auf ein Biosimilar oder umgekehrt umgestellt werden. Dies gilt auch für parallele Entwicklungen durch den Originalhersteller. Dafür ist auch laut europäischer Pharmakovigilanzrichtlinie die zusätzliche Angabe der ­Chargennummer erforderlich. c) Nebenwirkungen müssen in zentralen Registern genau dokumentiert werden und einem Biologikum (Originalpräparat, Biosimilar) genau zugeordnet werden können. Ein langfristiger Lösungsweg wäre u. a., dass auch Biosimilar-Hersteller angehalten werden, ihre Datensammlungen über mit ihren Produkten behandelte Patienten in zentrale Register wie das deutsche Register Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der Biologika-Therapie (RABBIT) mit der Möglichkeit einer exakten sowie nachvollziehbaren Identifizierbarkeit des verwendeten Produkts einzugeben. Zeitschrift für Rheumatologie 9 · 2014 

| 785

Hot Topics d) Solange keine Langzeitdaten zu spezifischen Indikationen vorliegen, ist auch ein unkontrollierter Produktwechsel mit jeder Verordnung zwischen Original und/oder unterschiedlichen Biosimilars zu vermeiden, um die Immunogenität der verschiedenen Bioprodukte bei unterschiedlichen Herstellungsprozessen möglichst gering zu halten. Bezüglich der Immunogenität durch einen Wechsel vom Original zum Biosimilar und vice versa gibt es erst kleinere Studien, die im Kurzzeitverlauf keine Änderung der Immunogenität nahelegten [2]. e) Einen unkontrollierten Wechsel zwischen Biologika („interchange­ ability“) aus Kostengründen lehnt die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie zum jetzigen Zeitpunkt ab; ­dies bezieht sich auf einen durch Kosten begründeten Präparatewechsel zwischen verschiedenen TNF-α-Biologika genauso wie zwischen Biologika­ klassen (z. B. von einem Nicht-TNFα-Biologikum-Original auf ein TNFα-Biosimilar), da das Ansprechen auf verschiedene Biologika auch bei den Originalpräparaten variiert. f) Darüber hinaus sehen wir einen Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Biosimilar, das im Zulassungsverfahren nur in einer rheumatologisch fachfremden Indikation getestet wurde (z. B. Rituximab bei Non-Hodgkin-Lymphom) als problematisch an, solange keine Langzeitdaten dieser Biosimilars in rheumatologischen Kernindikationen vorliegen, da die immunologischen Pathomechanismen und die Begleitmedikation (sowie damit die Immunogenität des Biologikums) die Sicherheit und Langzeiteffizienz unterschiedlich beeinflussen können. g) Schließlich lehnen wir erzwungene Verordnungsquoten von Biosimilars zum jetzigen Zeitpunkt und in jeglicher Form ab, solange die oben geforderten Langzeitdaten in pharmazeutisch unabhängigen Zentralregistern (wie z. B. dem deutschen RABBITRegister) für Biosimilars nicht vorliegen.

786 | 

Zeitschrift für Rheumatologie 9 · 2014

Fazit für die Praxis

Literatur

Die Einführung von Biosimilars wird begrüßt, da dies mit der Hoffnung auf erhebliche Preisreduktionen verbunden ist und dadurch das Gesundheitssystem insgesamt entlastet wird. Nichtsdestoweniger ist aus den genannten Gründen v. a. der Immunogenität eine „Aut-idem-Regelung für Biosimilars strikt abzulehnen. Dies entspricht im Übrigen auch einer Anfang des Jahres erfolgten Entscheidung des Sozialgerichts Koblenz; dieses hatte einem Apotheker Recht gegeben, der trotz Rabattvertrags einen mit dem Aut-idem-Kreuz verordneten Import abgegeben hatte. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass die therapeutische Entscheidung des Arztes nicht durch Rabattverträge zunichte gemacht werden könne (Ärzte Zeitung, 10.01.2014; Az. S 13 KR 379/13).

1. Schneider CK (2013) Biosimilars in rheumatology: the wind of change. Ann Rheum Dis 72(3):315– 318 2. Yoo DH, Prodanovic N, Jaworsk J et al (2013) Efficacy and safety of CT-P13 (infliximab biosimilar) over 2 years in patients with rheumatoid arthritis: comparison between continuing with CT-P13 and switching from infliximab to CT-P13 (abstract no. L15). ACR/ARHP Annual Meeting, 25.-30 October 2013, San Diego

Korrespondenzadresse Prof. Dr. H.-M. Lorenz Sektion Rheumatologie, Abteilung Innere Medizin V, Universitätsklinikum Heidelberg, ACURA-Rheumazentrum Baden-Baden Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Braun hat Honorare für Vorträge, als Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten und für vergütete konsiliarische Tätigkeiten sowie Forschungsgelder von Abbvie (Abbott), Amgen, BMS, Boehringer, Celgene, Celltrion, Centocor, Chugai, EBEWE Pharma, Janssen, Medac, MSD (Schering-Plough), Mundipharma, Novartis, Pfizer (Wyeth), Roche, Sanofi-Aventis und UCB erhalten. M. Schneider hat Honorare für Vorträge, als Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten und für vergütete konsiliarische Tätigkeiten sowie Forschungsgelder von Abbvie (Abbott), Astra-Zeneca, BMS, Chugai, GSK, Lilly, MSD (Schering-Plough), Mundipharma, Pfizer (Wyeth), Roche und UCB erhalten. H.-M. Lorenz hat Beratung- und Vortragshonorare von Swedish Orphan, Medac, Glaxo SmithKline, Roche, Chugai, Pfizer, Abbvie, Novartis, UCB, Bristol Myers, Janssen Cilag erhalten. K. Krüger hat Beratungs- und/oder Vortragshonorare von Abbvie, BMS, Chugai, Janssen, Medac, MSD, Mundipharma, Novartis, Pfizer, Roche und UCB erhalten. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

[Implementation and use of biosimilars in the therapy of inflammatory rheumatic diseases: Statement of the German Society of Rheumatology].

[Implementation and use of biosimilars in the therapy of inflammatory rheumatic diseases: Statement of the German Society of Rheumatology]. - PDF Download Free
177KB Sizes 0 Downloads 8 Views

Recommend Documents