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Das Orbitateratom — Mikrochirurgische Therapie-Möglichkeiten R. Guthoff', R. Schme/z/e', H-f. Schafer3 Universitats.Krankenhaus Eppendorf, Hamburg, 'Augenklinik (Direktor: Prof. Dr. .1. Draeger) 2Khnik für Mund-, Kiefer- und Gesichrschirurgie, Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. R. Sehmelzle) 3lnstitut für Pathologie, Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Helmchen)

Es wird uber eine bulbus- und z. T. funktionserhaltende mikrochirurgische Exstirpation eines ausgedehnten kongenitalen Orbitateratoms berichtet. Fur em erfoigreiches Vorgehen ist die Zusarnrnenarbeit zwischen Neuroradiologen, Ophthalmologen, Kieferchirurgen und Pathologen von groller Bedeutung. Die Nachbehandlung erfordert engmaschige objektive Refraktionsbestimmungen und fruhzeitige pleoptische Mallnahmen. The Orbital Teratoma — Microsurgical Therapeutic Possibilities Microsurgical removal of a large congeni-

tal orbital teratoma is reported with successful preservation of visual function. The importance of interdisciplinary work-up including neuroradiology, ophthalmology, maxillo-facial surgery and histopathology is de-

monstrated. During the postoperative period closed follow-up to control refraction and to treat amblyopia is mandatory to gain optimal results.

enthalten konnen (Ferry, 1965, Mitzuo, G., 1910), benchtet. Eine ausfuhrliche Literaturubersicht enthalten die Arbeiten von Kirwan (1935), Duke-Elder (1963), Mama/is (1985) und Schaa/ (1988). Maligne Teratome sind im Bereich der Gonaden häufig, treten in der Orbita nur extrem

selten auf. Em malignes Teratom der Orbita ist in der Weitliteratur nur bei einem Patienten belegt (Saradarian (1947).

Die meisten Kinder wurden bisher mit einer Exenteratio orbitae behandelt. Nachdern besonders durch den Einsatz moderner bildgebender diagnostischer Methoden präoperativ die Ausdehnung eines Tumors exakt ermittelt werden kann, wird in den Ietzten Jahren eine bulbus- und funktionserhaltende Therapie angestrebt. DalI dies besonders unter Berflcksichtigung ailer interdisziplinaren Moglichkeiten erfolgversprechend ist, soil die folgende Krankengeschichte demonstrieren.

Kasuistik: (M. E., geb. 18. 06. 1990) Das Mädchen wurde als 2. Kind gesunder Eltern nach unauffalligem Schwangerschaftsverlauf zum Termin geboren. Bei dem vitalen Neugeborenen fiel eine monstrdse Protrusio bulbi L auf. Eine Fotodokumentation erfolgte nicht.

Teratome wurden fruher als ,,seit der Geburt eingeschlossene Zweitindividuen" angesehen (Terata = Ungeheuer). Heute wird davon ausgegangen, dalI es sich urn neoplastische Weiterentwicklungen von pluripotenten embryonalen Zellen handelt. Sie stellen Ca. 7¾ a!ler kindlichen Tumoren dar und kommen vor allem im

Die am ersten Lebenstag durchgefuhrte ophthalmologische Untersuchung ergab rechtsseitig bis auf einzelne intraretinale Blutungen einen regelrechten Befund, links bestand eine Protrusio VOfl Ca. 15 mm, mit einer Bulbusverlagerung nach temporal-oben, inkomplettem Lidschluf3 mit ausgepragter Chemose und Austrocknungszeichen der Hornhaut. Am Fundus tielen einzelne disseminierte intraretinale Blutungen auf.

Bereich der Hoden, der Ovarien, des retroperitonealen und Das am Tag der Geburt durchgefuhrte Compuintrakraniellen Raumes vor. Zusammen mit den Dermotertomogramm zeigte einen aus unterschiedlich dichten Struktuiden, den epithelialen Einschlullzysten und ektopen Parenchyrninsein aus Nebennieren, Pankreas und Tranendru- ren aufgebauten Orbitatumor ohne Hinweise auf eine intrakra-

sengewebe gehoren sie zu den Tumoren, die aus

nielle Ausdehnung. Em in der Fossa lacrimalis gelegener Anteil

versprengten Keimblattanteilen entstanden sind. Sie wer- ersehien hypodens. den als Choristome zusammengefalIt. Teratome bestehen Zur weiteren Klarung wurde am 21. 06. 90 eine definitionsgemaB aus Geweben, die mehr als zwei Keim- Kernspintomographie durchgefUhrt, die einen expansiv wachsenblattern entstammen. den Weichteiltumor bestatigte. Hinweise auf Bubusinfiltration Teratome der Orbita wurden bisher nur bei 58 Patienten in der Weitliteratur beschrieben (Rootman, 1988). Das Erscheinungsbild ist sehr vielfaltig. Seit der Erstbeschreibung durch Ho/mes (1863) wird fiber Erscheinungsformen aus nur zwei Keimblattern (Teratoide) bis hin zu monstrosen Veranderungen, die einen reifen Fetus Kim. Mbl. Augenheilk. 200 (1992) 294—298

1992 F. Enke Verlag Stuttgart

bestanden nicht. Es liellen sich im gesamten Orbitabereich keine Fettanteile nachweisen, die aulleren Augenmuskeln waren weder in axialer noch in Coronarer Schichtung zu identifizieren (Abb. 1 a, b).

Zur histologisehen Diagnosesicherung wurde eine Biopsie entnommen, intraoperativ entleerte sich eine grolle Zyste. Die intraoperative Gefrierschnittdiagnostik hell einen malignen Tumor vermuten, auf eine Exstirpation wurde verzichtet.

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Zusammenfassung

K/in. Mbl. Augenheilk. 200 (1992) 295

Abb. 1

Kernspintomographische Untersuchungen rn Aiter von 3 Tagen, Ti-betonte Aufnahmen. a) axiale Schichtung b) coronare Schichtung Es zeigt sich em expansiv wachsender Weichteilturnor, der die Orbita urn en Mehrfaches hres Volurnens erweitert hat. Der Bulbus ist nach ternporal-oben bei einern Exophthalrnus von Ca. 1 5 rnrn verlagert

Nach Beurteilung des Paraffinschnittes lautete

Eine zwei Wochen postoperativ durchgefQhrte

die Diagnose. ,,Reifes Teratom mit oligodendrogliomatosen Skiaskopie ergab rechts eine Emmetropie, links eine Hyperopie VOn Ca. 7 dpt. Daraufhin wurde eine erste Kinderbrihle mit oben-

Komponenten".

genannter Korrektur und eine Okklusion des rechten Auges zu Durch diesen ersten Eingriff war es bereits zu

einer deutlichen Volumenreduktion des Tumors gekommen.

5OWe der Wachzeit verordnet (Abb. 3). Wegen eines beginnenden

Sicca-Syndroms mit Keratitis filiformis wurden stundlich Trbnenersatzmittel verabreicht.

Die erste Untersuchung in unserer Klinik erfolgte im Alter von 5 Wochen, 4 Wochen nach dem ersten Eingriff. Links bestand eine Protrusio von 12 mm mit einer Bulbusverlagerung von 10 mm nach kranial-lateral (Abb. 2 a). Die Bulbusmotilitt links war deutlich in alle Blickrichtungen eingeschrankt.

Histopathologischer Befund: Entfernt wurde

em 2,2 g schwerer (1,5 x 1,3 cm) Tumor mit makroskopisch teils zystischer, teils solider Schnittfltiche. Histologisch waren die Zysten teils von respiratorischem Flimmerepithel, teils von unverEs bestand em afferenter Pupillendefekt. Die Papille links war horntem Plattenepithel und von intestinalem Epithel mit Enterozyten und Becherzehlen ausgekleidet. In den soliden Anteilen fanunscharf begrenzt, der ubrige Netzhautbefund war regelrecht. den sich Bindegewebe, Muskulatur und, in einzelnen KnorpelinAm 02. 08. 90 erfolgte die mikrochirurgische seln, ausgedehnte Herde aus gliosem Gewebe mit eingestreuten Exstirpation (Abb. 2 a-d) tiber einen seitlichen transkutanen und neuralen Zellen. Das Gewebe war Uberall ausgereift und ohne einen unteren trariskonjunktivalen Zugang. Dabei hell sich die Atypiezeichen. Die histologische Diagnose lautete: Reifes Teranoch nicht geschlossene Sutura frontozygornaticum aufdehnen, torn (Abb. 4 a, b, c).

sodall keine Knochenstrukturen, insbes. nicht im Bereich von Verknocherungszonen, verletzt wurden.

Der teils zystisch, teils solide, aus unterschiedlichen Gewebsanteilen aufgebaute, Tumor konnte unter Erhalt aller Augenmuskeln exstirpiert werden. Zeitweilig wurde der Musculus obliquus inferior am Ansatz gelost, spater refixiert. Die Exzision erfolgte besonders im Bereich der Optikusscheiden und der unteren Skleraanteile mit scharfen lnstrumenten und unter Mitnahme der oberflhchlichen Skleraanteile. Tränendrtisenstrukturen wurden soweit erkennbar erhalten.

Am Ende der Operation bestand eine deutliche hinksseitige Pupillenerweiterung. Die Netzhautgefatie erschienen enger als auf der rechten Seite, jedoch durchblutet.

Weitere morphologische und funktionelle Entwicklung des Kindes: 10 Wochen postoperativ hatte sich der afferente Pupillendefekt etwas zuruckgebildet, die Motilitat verbessert. Die Eltern gaben an, daB beim Weinen die Trtinen nur aus

dem rechten Auge fliellen. Skiaskopie: R Emmetropie, L +5,0 = —1,0 A 90. In den nhchsten Monaten wurde von den Eltern die Teilzeitokklusion streng durchgefUhrt. Die Brillenkorrektur zweimal den aktuellen skiaskopischen Werten angepal3t. Bei der

letzten Untersuchung, 15 Monate postoperativ, betrug die Refraktion L + 2,0 = — 1,0 A 90. Eine Uberprtifung des Visus nach der ,,Preferential Looking" Methode ergab einen Wert von besser als 0,1 mit bei der letzten Kontrolle steigender Tendenz, es bestand eine geringe endgradige Bulbusmotilitatseinschrankung bei unauffalligem Fundusbefund (Abb. 5).

Frtiher postoperativer Verlauf: Vom 03.—tO. postoperativen Tag ijestand em ausgepragtes Lidodem bei aufgehobener Bulbusmotilitat, der afferente Pupillendefekt hatte sich gegenuber der praoperativen Situation verstarkt.

Diskussion

Nach den Angaben in der Literatur besteht bei Teratomen der Orbita eine Bevorzugung des weibli-

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Dcis Orbitateratom — Mikrochirurgische Therapie-MOglichkeiten

a

rr al

Abb. 2 a—d: Dokumentation des Operatonsveraufs a) vor Beginn: Der Pfeil deutet die Lage des durchscheinenden Bu)bus an. b) Darstellung des retrobulbdren Tumoranteils Uber einen lateralen Zugang. D)e noch nicht gesch)ossene Sutura frontozygomatica lieS sich ohne Verletsung der Verkndcherungszonen aufdehnen ci Nach Entfernung des retrobulbdren Anteils Darstellung der orbitabodennahen Turmorstrukturen Uber einen transkonjunktivalen Zugang nach Anlegen einer lateralen Kanthotomie. di Situs am Operahonsende nach Anlegen einer Saugdrainage

chen Geschlechts mit einer Verteilung von 2: 1. Typischer-

weise wachsen diese Tumoren nach der Geburt rasch und

verursachen Komplikationen durch mangeinden Lidschlul3 oder durch Druck auf den Sehnerven und den Bul-

bus. Bei gleichzeitiger intrakranieller Ausdehnung mit Ventrikelverlagerung wurde die Entwicklung eines schwe-

ren Hydrozephalus beschrieben (Neiger, 1989). Auf die Orbita begrenzte Teratome sind ausgesprochen selten. Bei 526 Keimzelltumoren, zusammengesteilt aus 6 verschiedenen Publikationen, fand sich nur em Orbitateratom (Deh-

ner, 1983; Porterfield, 1962; McCarty, 1964; Youssefi, 1969; Eldrup-JOrgensen, 1975; Zakharia, 1972). Nach Chang et al. sind bisher 51 Beispiele von kongenitalen Or-

bitateratomen beschrieben. Aufgrund dieser Seltenheit stellen die orbitalen Teratome in jedem Einzelfall em schwieriges diagnostisches und therapeutisches Problem dar.

Abb. 3 Portrait 4 Wochen postoperativ nach Anpassung ciner Babybrille; zu diesem Zeitpunkt wurde eine Vollokklusion

Für die klinische Diagnose sprechen: 1. der des recbten Auges zu 50% der Wachzeit durchgefdhrt ausgeprgte einseitige Exophthalmus mit ausgepragter

Dehnung der Lidspalte, 2. der in der Regel morphologisch unauffallige Bulbus, der nur in Sekundarveranderungen einbezogen wird, 3. Erweiterung der knochernen Orbita in aller Regel ohne Wanddefekte.

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R. Guthoff und Mitarb.

296 KIm. MbI. Augenheilk. 200 (1992)

Dcis Orbitateratom — Mikrochirurgische Therapie-Moglichkeiten

K/in. Mb!. Augenheilk. 200 (1992) 297 Abb. 5 Portrait

.: I

des Mädchens Ca. 1 Jahr postoperotiv. Notwendige Kor-

rektur L: +2,0 = —1,0 A 90. Vi-

amische Absiedelungen) in Frage. Kongenitale Fehibildun-

gen wie Mikrophthalmus mit Zysten, Enzephalozelen und plexiforme Neurinome soliten im Einzelfall ausgeschlossen werden.

Therapeutische Gesichlspunkle: Bisher wurde nur bei elf Patienten mit kongenitalen orbitalen Teratomen der Versuch unternommen, den Bulbus zu erhalten. Für em radikales Vorgehen wird meistens die Angst vor malignen Anteilen der orbitalen Teratome, wie sie besonders bei Teratomen der Keimdrusen und der Steil3beinregion bekannt sind, ins Feld gefuhrt (Duke-Elder, 1963, Lund (1968). Das auf Malignitat fehigedeutete schnelle

Wachstum wird jedoch bei den orbitalen Teratomen in der Regel durch eine Grol3enzunahme der sekretorisch aktiven Zysten verursacht (Ferry, 1965, Jacobiec, 1985).

Kearney berichtet 1923 zum ersten Mal

Abb. 4 Eteifes Teralom der Orbits bei einem 45 Tage alten weib)ichen Sdug)ing. Buntes Gewebsbi)d mit inhornogener Festigkeit und Dichte. a) Breite solide Stromaareale aus Uberwiegend g)atter Musku)atur und Bindegewebe. Am rechten Bi)drand eine von P)attenepithel ausgekieldete Zyste. HE-Fdrbung; 40 x. b) Anschnitt zweier von sobleimbidendem Epithe) ausgeicleideter Zysten. )m bindegewebigen Stroma ewe gróllere Inset sue giösem Gewebe mit ockerer weicher Konsistenz. HE-Färbung;

140x. ci In der stdrkeren Vergrdllerung Anschnttt etner von teils respiratoriscbem, teils schleimbidendem Epithel ausgekeideten Zyste )oberer Bildrand). Im Stroma eine kleine IKnorpelinsel IPleil). HE-Fhrbung; 350>

[Orbital teratoma--microsurgical therapy possibilities].

Microsurgical removal of a large congenital orbital teratoma is reported with successful preservation of visual function. The importance of interdisci...
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