Arztrecht in der Praxis Rechtsprechung. Aktuelle Mitteilungen . Problemfälle Redaktion: Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Rieger, Karlsruhe 41

Aus einem Krankenhaus wurde kürzlich berichtet, daß sich die dortige Pflegedienstleitung der Übertragung intravenöser Injektionen durch Ärzte auf das Pflegepersonal widersetzt hat, auch in den Fällen, in denen die intravenösen Injektionen über liegende Verweilkanülen oder einen zentralen Zugang verabreicht werden sollten und die Delegation im Einzelfall schriftlich ad personam an qualifizierte Vollschwestern und langjährig erfahrene Krankenpflegehelferinnen erfolgte. Die Weigerung wurde damit begründet, daß außer für Pflegekräfte in Intensivpflegeeinheiten intravenöse Injektionen selbst über ein Tropfinfusionssystem nicht erlaubt seien und im Schadensfall die Pflegedienstleitung neben oder sogar noch vor dem Arzt zivilrechtlich und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werde. Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts ist zunächst zu fragen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Arzt die Durchführung intravenöser Injektionen unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten auf das Krankenpflegepersonal übertragen darf. Erst wenn dies zu bejahen ist, stellt sich die weitere Frage, ob das Pflegepersonal sich der Anordnung des Arztes widersetzen darf, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Der haftun~srechtlicheA s ~ e k t In haftungsrechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, daß Injektionen aller Art zum Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Arztes gehören. Nur der Arzt kann deshalb Injektionen anordnen (Anordnungsverantwortung des Arztes). Mit ihrer technischen Durchführung im Rahmen seiner Anordnung darf er das Krankenpflegepersonal beauftragen, soweit es die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen besitzt und die Art des

Dtsch. med. Wschr. 115 (1990), 1530-1532 O Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Eingriffs nicht sein persönliches Handeln erfordert (Durchführungsverantwortung des Krankenpflegepersonals) (1).Dies gilt richtiger, aber nicht unbestrittener Ansicht nach auch für intravenöse Injektionen (2). Die Qualifikation der Krankenpflegeperson muß durch einen Arzt festgestellt und durch den leitenden Abteilungsarzt schriftlich bestätigt worden sein. Dabei ist zu beachten, daß die Durchführung intravenöser Injektionen mit Punktion der Vene auch nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege vom 16. 10. 1985 im Gegensatz zu intramuskulären und subkutanen Injektionen - nicht zur Ausbildung der examinierten Krankenschwester gehört. Nummer 8.7.3 des Ausbildungskatalogs nennt neben »Injektionen« lediglich die »Vorbereitung von Venenpunktionen«. Der Arzt muß sich also nach wie vor sorgfältig vergewissern, ob die betreffende Pflegekraft über die durch eine Zusatzausbildung und längere Berufserfahrung erworbene spezifische Qualifikation in der Punktions- und Injektionstechnik verfügt; auf die bloße Vorlage von Zeugnissen darf er sich nicht verlassen. Die schriftliche Bestätigung der Qualifikation durch den leitenden Abteilungsarzt erübrigt sich in den Fällen, in denen die Pflegekraft über den Nachweis einer erfolgreich durchlaufenen Weiterbildung in der Intensivpflege verfügt (3). Wo die für die Durchführung intravenöser Injektionen erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen beim Pflegepersonal nach Überzeugung des verantwortlichen Arztes vorliegen, darf die Delegation nicht generell, sondern nur ad personam erfolgen. Der Arzt hat außerdem für jeden Patienten Einzelanordnungen für die Vornahme der intravenösen Injektionen zu treffen unter Berücksichtigung des Gesamtzustandes des Patienten, des Schwierigkeitsgrades der Verrichtung und gegebenenfalls der Wirkung und Gefährlichkeit des zu verabreichenden Medikaments. Die Anwesenheit des Arztes, unter Umständen auch die eigenhändige Verabreichung durch ihn ist dann erforderlich, wenn eine Maßnahme von den gebräuchlichen Methoden abweicht, das zu injizierende Medikament besonders gefähr-

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Ablehnung der Durchführung intravenöser Injektionen durch das Krankenpflegepersonal

lieh ist oder wenn in einem besonders gelagerten Einzelfall mit Komplikationen gerechnet werden muß (4).

In allen Fällen ist die ärztliche Anordnung schriftlich festzuhalten und vom Arzt abzuzeichnen. Dabei sind der Patient namentlich zu bennenen sowie das zu verabreichende Medikament, dessen Menge, Art und Zeitpunkt der Verabreichung zu bestimmen (5). Obwohl bei der Frage der Delegationsfähigkeit die in der Literatur vielfach vorgenommene Differenzierung nach der Art der Injektion und dem durch die Berufsausbildung erworbenen GrundwisSen im Grundsatz nicht sachgerecht erscheint (6), wird man die Übertragung intravenöser Injektionen auf nicht examinierte Krankenschwestern, also zum Beispiel auf Krankenpflegehelferinnen, nicht für zulässig erachten dürfen. Gründe hierfür sind nicht allein die schwierigeren Punktions- und Injektionstechniken sowie die schnellere Wirksamkeit des Medikaments und die daraus möglicherweise resultierenden Unverträglichkeits-Sofortreaktionen, so daß an die Kenntnisse des Pflegepersonals sowohl in anatomischer als auch in pharmakologischer Hinsicht höhere Ansprüche gestellt werden müssen (7). Von der Delegation intravenöser Injektionen auf Krankenpflegehelferinnen ist vor allem deshalb dringend abzuraten, weil die Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Bundesärztekammer vom 11. 3. bzw. 18. 4. 1980 (2) sie nicht vorsieht. Danach dürfen Krankenpflegehelferinnen allenfalls subkutane Injektionen durchführen (Nr. 6 aaO.). Es ist anzunehmen, daß diese Stellungnahme - ebenso wie entsprechende Verlautbarungen anderer Fachgremien - im Schadensfall von der Rechtsprechung als Konkretisierung der ärztlichen Sorgfaltspflicht angesehen wird mit der Folge, daß der Arzt bei Nichtbeachtung der in ihr enthaltenen Regeln einen Behandlungsfehler begeht, für den er zivilrechtlich und strafrechtlich einzustehen hat. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für intravenöse Injektionen über liegende Verweilkanülen, über einen zentralen Zugang oder über einen intravenös liegenden Infusionsschlauch (8). Zwar entfällt hier die Gefährlichkeit des technischen Eingriffs; was jedoch bleibt, sind die sich aus der schnelleren Wirksamkeit des Infusionsmittels ergebenden Gefahren für den Patienten, die durch nichtärztliche Mitarbeiter, deren Kenntnis- und Erfahrungsstand unter dem einer examinierten Krankenschwester liegt, nicht genügend beherrscht werden können (9). Sonach ist die Durchführung intravenöser Injektionen durch Krankenpflegehelferinnen, auch wenn sie über ein geschlossenes Infusionssystem erfolgen soll, unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht erlaubt.

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Der arbeitsrechtliche Aspekt Aus der Delegationsfähigkeit intravenöser Injektionen auf das Krankenpflegepersonal unter den vorstehend dargelegten Voraussetzungen folgt nicht ohne weiteres, daß die betreffenden Pflegekräfte zur Ausführung der ärztlichen Anordnungen arbeitsrechtlich verpflichtet sind. Eine solche generelle Verpflichtung besteht weder nach gesetzlichen noch nach tarifvertraglichen Vorschriften; sie kann auch nicht aufgrund stillschweigender Vereinbarung im Arbeitsvertrag unterstellt werden, weil die Durchführung intravenöser Injektionen nicht zu den üblichen Aufgaben des examinierten Krankenpflegepersonals gehört. Daher kann dessen Weigerung auch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen auslösen; insbesondere kann eine Kündigung, gestützt auf Arbeitsverweigerung, nicht ausgesprochen werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Einzelfall die Verabreichung intravenöser Injektionen zum praktizierten Aufgabenbereich des hierfür besonders ausgebildeten Pflegepersonals gehört. Dies ist durchweg bei Intensivpflegekräften, aber auch sonst überall dort der Fall, wo der Arzt die Durchführung intravenöser Injektionen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise einer examinierten Pflegekraft übertragen hat, die diese Verrichtungen über einen längeren Zeitraum unbeanstandet ausgeführt hat. In diesen Fällen hat das Arbeitsverhältnis durch tatsächliche Übung eine Konkretisierung dergestalt erfahren, daß die Vornahme intravenöser Injektionen zur arbeitsvertraglichen Pflicht geworden ist mit der Folge, daß eine Weigerung dem Arbeitgeber das Recht zur Kündigung gibt. Ein Kündigungsrecht des Arbeitsgebers ist dagegen ausgeschlossen, wenn die Delegation der hier fraglichen Verrichtungen auf den sich später weigernden nichtärztlichen Mitarbeiter rechtlich unzulässig war. Schließlich dürfen Pflegekräfte, auch wenn die Delegation rechtmäßig erfolgt war, die Vornahme intravenöser Injektionen ohne Gefährdung ihres Arbeitsverhältnisses ablehnen, wenn sie sich im Einzelfall der Aufgabe nicht gewachsen fühlen (10).

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DMW 1990, 11 5. Jq., Nr. 40

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Anmerkungen

DMW 1990, 115. Jg., Nr. 40

Rechtsanwalt Dr. H.-J. Rieger OstpreuRenstr. 1 3

1 Vgl. hierzu und zum folgenden Rieger, Lexikon des Arztrechts,

W-7500 Karlsruhe 41

Verlag Walter de Gruyter, 1984, Stichwort >>Injektioncc.

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schaft (DKG) und der Bundesarztekammer zur Vornahme von Injektionen, Infusionen und Blutentnahme durch das Krankenpflegepersonal vom 11. 3./18. 4. 1980, abgedruckt in: Krankenhaus 72 (1980), 155f. und Dtsch. Arztebl. 77 (1980). 1709 f. (im folgenden kurz: Stellungnahme DKG). Stellungnahme DKG (Anrn. 2) Nr. 2.2 Vgl. Stellungnahme DKG (Anrn. 2) Nrn.2.3 und 2.4. Vgl. Stellungnahme DKG (Anrn. 2) Nr. 2.5. Naher dazu Rieger, Anm. 1 Rzn. 8952. Vgl. Hahn, Die Haftung des Arztes fiir nichtarztliches Hilfspersonal, Athenaum Verlag 1981, S. 51/53; Bohme, Das Recht des Krankenpflegepersonals, Teil 11: Haftungsrecht, 2. Aufl. (Kohlhammer: Stuttgart 19841, 188. Zum letztgenannten Fall vgl. Dtsch. med. Wschr. 98 (19731, 1821. Im Ergebnis ebenso Bohme Anm. 7. So zutreffend die ~Erganzenden Hinweisecc der Deutschen Krankenhausgesellschaft zur Stellungnahme vom 11. 3./18. 4. 80, abgedr. bei Hahn (Anrn. 7), S. 122.

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2 Ebenso die Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesell-

[Refusal by health care personnel to carry out intravenous injections].

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