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Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Schwangerschaft Thyroid dysfunction in pregnancy

Autoren

D. Führer1 K. Mann2 J. Feldkamp3 H. Krude4 C. Spitzweg5 J. Kratzsch6 M. Schott7

Institut

1 Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Universitätsklinikum Essen 2 Praxis für Kardiologie, Nuklearmedizin und Endokrinologiezentrum, Alter Hof München 3 Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie, Pneumologie, Infektiologie Bielefeld 4 Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Charité Universitätsmedizin Berlin 5 Medizinische Klinik und Poliklinik II, Klinikum der Universität München-Großhadern 6 Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie, Molekulare Diagnostik, Universitätsklinikum Leipzig 7 Funktionsbereich spezielle Endokrinologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

Endokrinologie, Gynäkologie

Einleitung ▼

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Schlüsselwörter Hyperthyreose Hypothyreose Autoimmunthyreoiditis Schilddrüsenhormon Schwangerschaft

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Keywords hyperthyroidism thyrotoxicosis autoimmune thyroiditis thyroid hormones pregnancy

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Während der Schwangerschaft kommt es zu physiologischen Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter, welche die Abgrenzung einer behandlungsbedürftigen Störung erschweren. Entsprechend kontrovers sind die Daten und Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlungsindikation einer Schilddrüsenfunktionsstörung in der Schwangerschaft. In verschiedenen Screening-Studien zeigte sich eine manifeste Hypothyreose bei etwa 0,4 % der Schwangeren, so dass alleine in Deutschland die Geburt und die Entwicklung von ca. 3500 Kindern pro Jahr durch eine gravierende mütterliche Schilddrüsenfunktionsstörung gefährdet sind. Die vorliegende Arbeit fasst die verfügbare Evidenz entsprechend einer PubMed-Recherche (1990– 2013) und die aktuellen Empfehlungen von Fachgesellschaften (Endocrine Society und American Thyroid Association) zusammen und bewertet Screening und Behandlung von Schwangeren mit Schilddrüsenfunktionsstörungen für Deutschland.

eingereicht 17.03.2014 akzeptiert 07.08.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1387300 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 : 2148–2152 · © Georg 0 Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Univ. Prof. Dr. Dr. Dagmar Führer Klinik für Endokrinologie & Stoffwechselerkrankungen und Zentrallabor – Bereich Forschung und Lehre Universitätsklinikum Essen Tel. 0201-723-6401 eMail dagmar.fuehrer@ uk-essen.de

Physiologische Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter in der Schwangerschaft ▼ Zur Interpretation von Schilddrüsenhormonparametern in der Schwangerschaft sind Kenntnisse physiologischer Veränderungen wichtig: Östrogeninduziert steigt die Konzentration des Thyroxinbindenden Globulins (TBG) und hierdurch bedingt auch die Konzentration von Gesamt-Trijodthyronin (T3) und -Thyroxin (T4) [10]. Das Verteilungsvolumen der Schilddrüsenhormone nimmt zu, der T4Metabolismus ist beschleunigt. Dies erklärt einen um bis zu 50 % gesteigerten Mehrbedarf an Schilddrüsenhormonen [9, 10, 15].

Der TSH-Referenzbereich ist bei Schwangeren im Vergleich zu Nicht-Schwangeren Frauen enger, mit einem physiologisch niedrigeren unteren und oberen Grenzwert [7, 30]. Dies hängt vor allem mit der partialagonistischen Wirkung des Schwangerschaftshormons Choriongonadotropin (HCG) am TSH-Rezeptor zusammen [10, 15].

Methodische Schwierigkeiten in der Beurteilung der Schilddrüsenfunktion bei Schwangeren ▼ TSH-Referenzbereiche für Schwangere sind für verschiedene Assays unterschiedlich, möglicherweise auch für verschiedene Populationen und lassen sich somit nicht allgemeinverbindlich festlegen. Beispielsweise wurden in der US-amerikanischen Studie von Haddow et al. Schwangerschafts-bezogene TSH-Referenzwerte von 0,1–5,2 mU/l im 1. Trimenon und 0,4–4,2 mU/l im 2. Trimenon ermittelt (5. bzw. 98. Perzentile) [11]. Wurden Schwangere mit positiven Thyreoperoxidase(TPO)-Antikörpern (Titer > 35  IU/ml) von der Analyse ausgeschlossen, lagen die TSH-Referenzwerte im 1. Trimenon bei 0,08– 3,61 mU/l und im 2. Trimenon bei 0,39–3,71 mU/l. In der Studie von Stricker et al. wurden nach Ausschluss von Schwangeren mit TPO-Antikörpern trimenonspezifische TSH-Referenzbereiche von 0,09–2,8 mU/l im 1. Trimenon und 0,2– 2,8 mU/l im 2. Trimenon berichtet (2,5. bzw. 97,5. Perzentile, Schwangere aus dem Raum Genf) [32]. In der Untersuchung von Panesar lagen die trimenonspezifischen TSH-Werte zwischen 0,03– 2,3 mU/l im 1. Trimenon und zwischen 0,03– 3,1 mU/l im 2. Trimenon (5. bzw. 95. Perzentile, Schwangere aus dem Raum Hong Kong) [21]. Basierend auf Ringversuchsdaten stehen in Deutschland zahlreiche TSH-Assays zur Verfügung (Ringversuch RfB 4/2013), wobei sich ca. 80 % der Proben auf TSH-Assays von 5 Herstellern konzentrieren.

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Besondere Vorsicht ist bei der Interpretation der fT4-Werte geboten, da die fT4-Bestimmung in der Schwangerschaft mit gängigen Immunoassays störanfällig ist. Als alternative Strategien zur fT4-Bestimmung werden derzeit die Bestimmung des freien T4-Index oder die früher übliche Bestimmung des Gesamt-T4 diskutiert (unterer Referenzbereich im 2. und 3. Trimenon: T4Wert Nicht-Schwangerer Frauen multipliziert mit 1,5 [7]). Der Laborbefund einer isolierten Hypothyroxinämie in der Schwangerschaft wird kontrovers diskutiert. Bislang gibt es keine überzeugenden Daten für eine Krankheitsrelevanz [7, 30].

kurzgefasst In der Schwangerschaft gelten engere und niedrigere TSHReferenzwerte, wobei Assay-spezifische Variationen beachtet werden müssen. Richtwerte, die lediglich zur Orientierung dienen können, sind ein TSH-Bereich von 0,1–2,5 mU/l im 1. Trimenon bzw. von 0,2–3 mU/l und 0,3–3 mU/l im 2. und 3. Trimenon.

Jodbedarf bei Schwangeren und Stillenden ▼ Um die Mehrproduktion von Schilddrüsenhormonen zu gewährleisten und vor dem Hintergrund einer erhöhten Jod-Clearance, ist eine ausreichende Jodzufuhr während der Schwangerschaft unverzichtbar. Hierüber wird auch die Jodversorgung für die fetale Schilddrüsenhormonproduktion sichergestellt [4]. Mehrere aktuelle Studien zeigen eine unzureichende Jodversorgung von Schwangeren [24, 26]. Beispielsweise wurde in der britischen ALSPAC-Studie (Avon Longitudinal Study of Parents and Children) ein milder bis moderater Jodmangel bei mehr als 50 % der Schwangeren beschrieben [2], ein Jodexzess hingegen lag lediglich bei  2–3-fach des oberen Referenzbereichs wird ein Monitoring auf eine fetale/neonatale Hyperthyreose empfohlen [7, 30].

Aktuelle internationale Empfehlungen zur Behandlung von Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Schwangerschaft ▼ Im Jahr 2012 wurden die überarbeiteten Empfehlungen der Endocrine Society zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft publiziert [7]. Bereits 2011 erschienen die Empfehlungen der American Thyroid Association zur Schwangerschaft [30]. Die Empfehlungen der beiden Fachgesellschaften sind in weiten Teilen kongruent: 3 Die Therapie der manifesten Hyperthyreose bei M. Basedow oder Schilddrüsenautonomie erfolgt im ersten Trimenon mit Propylthiouracil (PTU) und im 2. und 3. Trimenon mit Thiamazol/Carbimazol. Die Missbildungsrate ist unter Thiamazol in der Frühschwangerschaft erhöht, sodass auf die zeitlich begrenzte PTU-Therapie nicht verzichtet werden kann [36]. Allerdings zeigen neue Auswertungen eines dänischen Registers auch ein erhöhtes Risiko unter PTU. Eine PTU-Therapie während der gesamten Schwangerschaft wird aufgrund des erhöhten Risikos eines PTU-induzierten Leberversagens nicht mehr empfohlen. Angestrebt wird eine Einstellung der (f)T4/T3-Werte in den oberen Referenzbereich, keinesfalls eine TSH-Normalisierung (Box 1). 3 Eine latente Hyperthyreose wird nicht behandelt. 3 Die manifeste Hypothyreose in der Schwangerschaft muss unverzüglich behandelt werden. Es erfolgt ausschließlich eine Substitution mit Levothyroxin (LT4). Es sind ausreichend hohe LT4-Dosen (etwa 100–150 μg LT4/d bei TSH-Werten >  10 mU/l) erforderlich. Nachfolgende TSH-Kontrollen erfolgen im 4–6 wöchigen Abstand. Die Autoren empfehlen den TSHWert in den Trimenonspezifischen Bereich einzustellen (orientierende Richtwerte: TSH  2,5 mU/l und positiven TPO-Antikörpern, optional auch bei TSH > 2,5 mU/l und TPO-AK Negativität; TSH-abhängige Levothyroxin-Startdosis: 50 μg/d bei TSH > 2,5, 75 μg bei TSH > 5  10 mU/l 3TSH-Kontrolle alle 4–6 Wochen in der Schwangerschaft 3Ziel-TSH = Trimenon-spezifischer Bereich (Richtwert:  2,5mU/l und eines möglichen – aber nicht eindeutig bewiesenen – Vorteils der Vorbeugung maternaler Schwangerschaftskomplikationen [19], einschließlich des Frühaborts [27] durch eine Levothyroxinbehandlung. Die Ursachen der latenten Hypothyreose müssen abgeklärt werden. 3 Eine Schilddrüsenautoimmunität geht mit einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten einher. Bei euthyreoten, TPO-Antikörperpositiven Frauen mit Kinderwunsch wird eine generelle Levothyroxinsubstitution nicht empfohlen, solange der TSH-Wert

[Thyroid dysfunction in pregnancy].

Thyroid dysfunction may impair fertility, course of pregnancy and fetal development. Physiological alterations of thyroid function parameters, that oc...
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