Luft u. a.: Niedrig dosierte Insulin.lnfusionstherapie bei Coma und Praecoma diabeticum

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Dtsch. mcd. Wschr. 101 (1976), 1760-1765 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Erfahrungen mit einer niedrig dosierten InsulinInfusionstherapie bei Coma und Praecoma diabeticum D. Luft, W. R. Schubert und H. E. Reichenmiller Medizinische Universitätsklinik Tubingen, Abteilung

1V

(Direktor: Prof. Dr. M. Eggstein)

Dreizehn Patienten, neun Frauen und vier Männer im Alter von 22 bis 83 Jahren, wurden von September 1974 bis Januar 1976 wegen eines Coma oder Praecoma diabeticum behandelt. Zehn Patienten waren als Diabetiker bekannt, sechs davon waren mit Insulin behandelt worden. Bei der Aufnahme betrug der Blutzucker 32,4 ± 3,3 mmol/l (5,84 ± 0,6 gIl), das pH im Kapillarbiut 7,15 ± 0,06 (n13). Die Behandlung bestand aus einer Insulindauerinfusion (6 lE Alt-Insulin pro Stunde), physiologischer Kochsalziösung, Kaliumsubstitution und Natriumbicarbonat bei einem pH unter 7,15. In den ersten 24 Stunden der Behandlung wurden 98 ± 12 lE Alt-Insulin, 6,5 ± 0,5 1 Flüssigkeit, 168 ± 22 mmol Kalium und 237 ± 55 mmol Natriumbicarbonat benötigt. Während der ersten vier Stunden der Insulindauerinfusion betrug der stündliche Blutzuckerabfall 3,55 mmol/l (0,64 gIl). In einem Fall trat unter der Behandlung eine Hypokaliämie auf, eine Hypoglykämie wurde nicht beobachtet. Vorausgegangene Insulinbehandlung und schwere Acidose hatten keinen Einfluß auf den Therapieerfolg. Zwölf Patienten wurden erfolgreich behandelt, eine Patientin starb 6 Stunden nach der stationären Aufnahme an den Folgen einer Mesenterialarterienembolie. Aufgrund unserer ersten Erfahrungen können wir die niedrig dosierte Insulin-Infusionsbehandlung bei Coma und Praecoma diabeticum wegen guter Steuerbarkeit, geringer Hypokaliämie- und Hypoglykämiegefahr empfehlen. In den letzten Jahren sind zur Behandlung des diabetischen ketoacidotischen Komas verschiedene Therapieschemata empfohlen worden. Gemeinsam ist allen Behandlungsvorschlägen, dai sie von einem erheblichen Insulinbedarf ausgehen: Die in den ersten 4 Stunden verabreichte Dosis beträgt 200 lE Alt-Insulin, während der ersten 24 Stunden etwa 400 IE-Alt-Insulin.

Treatment of diabetic coma and precoma with Continuous lowdose insulin infusions 13 patients, nine women and four men, aged 22 to 83 years, were treated for diabetic coma or precoma between September 1974 and January 1976. Ten patients were known diabetics and six of them had been treated with insulin. On admission blood sugar was 32.4 ± 3.3 mmol/l (5.84 ± 0.6 gIl). The capillary blood pH was 7.15 ± 0.06 (n = 13). Treatment consisted of Continuous insulin infusion (6 lU soluble insulin/hour), physiological saline, potassium substitution and sodium bicarbonate (if the pH was below 7.15). In the first hours of treatment 98 ± 12 lU of insulin, 6.5 ± 0.5 litres of fluid, 168 ± 22 mmol of potassium and 237 ± SS mmol NaHCO3 were required. During the first 4 hours of the insulin infusion the blood sugar decrease per hour was 3.55 mmol/l (0.64 gIl). Hypokalaemia during treatment occurred in one case, hypoglycaemia was not observed. A preceding treatment with insulin and severe acidosis did not influence therapeutic sUccess. Twelve patient were-treated successfully, one patient died 6 hours after admission following mesenteric arterial embolism.

Zur Initialbehandlung werden empfohlen die Kombination von intravenöser und subkutaner Insulin-Injektion (7, 18), gleichzeitige intravenöse und intramuskuläre Applikation (4,11,12,16,20), alleinige intramuskuläre Injektion (22),

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1760

2.6.

November 1976,

101.

Luft u. a.: Niedrig dosierte Insulin-Infusionstherapie bei Coma und Praccoma diabericum

Jg.

ein initialer intravenöser Insulinbolus mit nachfolgender Insulindauertropfinfusion (4, 6, 11, 12, 16, 21), die alleinige Insulindauerinfusion ohne Applikation einer Initialdosis (8, 9, 10, 15, 24, 30, 31). Die Messung der Seruminsulinspiegel im Coma diabeticum vor und während der Insulinbehandlung und die Bestimmung der biologischen Halbwertzeit von Insulin stellen die Dosisfindung auf eine rationale Grundlage. Das Plasmainsulin ist im Coma diabeticum erniedrigt (23, 28), die mit niedrig dosiertem Insulin erreichbaren Serumspiegel entsprechen den Plasmakonzentrationen beim Gesunden unter Glucosebelastung (13, 28). Die Wirkung dieser relativ niedrigen Insulinspiegel ist ausreichend, um eine akute Stoffwechselentgleisung zu beheben. Eine ausgeprägte Insulinresistenz durch die pHErniedrigung und Ketonkörperanhäufung ist nicht belegt, die Empfehlung, initial hohe Insulindosen zu verabreichen, um einer vermuteten Insulinresistenz zu begegnen, nicht generell gerechtfertigt. Aufgrund dieser Befunde haben englische Arbeitsgruppen niedrige Insulindosen zur Behandlung des Coma diabeticum vorgeschlagen. Alberti und Mitarbeiter (1, 3) haben die intramuskuläre Injektion einer niedrigen Initialdosis (16 lE) mit stündlicher Wiederholung sehr geringer intramuskulärer Insulindosen (S-10 lE) empfohlen. Die intramuskuläre Applikation wurde weniger aus Gründen der Pharmakokjnetjk als der Praktikabilität gewählt (2). Die günstigen Behandlungsergebnisse von Alberti und Mitarbeitern konnten von anderen Arbeitsfab.

1.

Fall

1761

gruppen an gleichfalls wenigen Patienten bestätigt werden (14, 17,27,29). Andere Arbeitsgruppen bevorzugen eine niedrig dosierte Insulin-Infusion (im allgemeinen 6 IE/h) mit oder ohne initiale intravenöse Insulingabe (3a, 13, 19, 23, 26, 28). Dennin (5) hat die Ergebnisse dieser Untersuchungen referiert, deren Vorteile a) die geringere Hypoglykämiegefahr, b) die geringere Hypokaliämiegefahr und c) das seltenere Auftreten eines Hirnödems sein sollen. Im folgenden berichten wir über eigene Erfahrungen bei der Behandlung von Praecoma und Coma diabeticum mit einer niedrig dosierten Insulin-Infusionstherapie.

Patienten und Methoden Patienten. 13 Patienten (neun Frauen und vier Männer) ini Alter von 22 bis 83 Jahren wurden von September 1974 bis Januar 1976 auf der Intensivstation der Klinik von verschiedenen Behandlungsteams wegen eines Coma oder Praecoma diabeticum behandelt. Bei zehn Patienten war der Diabetes mellitus vor Auftreten des Coma diabeticum bekannt, sechs standen vorher schon unter Insulin. Einzelheiten sind in Tabelle 1 zusammengefaßt. Methoden. Bei der Aufnahme wurden regelmäßig untersucht: Blutzucker (Hexokinase- bzw. GOD-Perid-Methode, BoehringerMannheim), Natrium, Kalium, Chlorid, Harnstoff, Kreatinin und Eiweiß im Serum (SMA 6/60-Auto-Analyzer, Technicon, Bad Vilbel), Säure-Basen-Status im Kapillarblut (AVL-Gas-Check-System K. Harnoncourt, Bad Homburg). Kontrolluntersuchungen der einzelnen klinisch-chemischen Parameter erfolgten nach unterschiedlichen Intervallen. Insulinbehandlung. 24 lE Alt-Insulin (Alt-Insulin CS-Hoechst) wurden in einer Kunststoffspritze mit 20 ml 2% iger Humanalbu-

Klinische Charakteristika der behandelten Patienten

Initialen, Geschlecht Alter (Jahre)

Diabetesdauer (Jahre)

Blutdruck vorherige Behandlung

bei

Aufnahme

Herzfrequenz [min_i]

Atemfrequenz

[min']

Bwußtseinslage

mögliche Ursachen für Auslösung des Coma diabeticuni

1

A. K.

5

37

8

40 lE Lente

135/80

92

24

1

2

M. R.

9

68

6

orale Antidiabetika

190/80

120

22

3

Insulin-Injektion ausgelassen unbekannt

3

S. R.

9

24

5

52 lE Komb

140/90

128

30

0

Harnwegsinfekt

4

M. K.

9

74

8

orale Antidiabetika

130/80

108

26

2

5

E.R.

5

70

11

121E

120/70

120

Depot orale Antidiabetika

38

3

205/95

120

18

2

190/110

18S

45

2

195/85

110

apoplektischer Insult Insulin abgesetzt akute Pyelonephriris multiple Embolien unbekannt

6

A. F.

9 57

7

7

G. P.

9

77

20

8

P.M.

9

66

12

52 lE Komb 321E Komb

R. M.

9 83

-

--

130/70

140

10

E. K.

9

41

6

60 lE

180/120

150

11

K. H.

9 22

-

12

A.B.

5

69

1

13

G. P.

5

53

-

9

2

32

Depot

----

Dewuistseinsiage: U = wach, 1 = somnolent-soporös, 2 tion auf Schmerzreize ** absolute Tachyarrhythmie, periphere Frequenz 130/min

2

unbekannt Diät- und Injektionsfehler

3

140/100

120

0

Vulvitis

130/80

125

28

2

120/70

138

32

2

Pneumonie Balanitis bei Phimose

= komatös, Reaktion auf Schmerzreize vorhanden, 3 = komatös, keine Reak-

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Nr. 48,

Luft u. a.: Niedrig dosierte lnsulin-Infusionstherapie bei Coma und Praecoma diabeticum

mm- und 0,9%iger NaCI-Lösung verdünnt (2m! 20%ige Humanalbuminlösung, Behringwerke, Marburg/Lahn, und 18 ml 0,9% ige NaCI-Lösung). Mit einem Perfusor (Braun AG, Melsungen) wurden 5 ml dieses Gemischs (entsprechend 6 lE Insulin) pro Stunde im Nebenschluß über einen Venenkatheter infundiert. Nach jeweils 4 Stunden wurde eine frische Insulinlösung unmittelbar vor dem Gebrauch neu hergestellt. Eine initiale intravenöse InsulinInjektion als Bolus erfolgte nicht. Die Insulin-Infusion wurde beendet, wenn der Blutzucker auf Werte zwischen 11,1 und 16,65 mmol!l (entsprechend 2 bzw. 3 gIl) abgefallen war. Die Weiterbehandlung erfolgte mit unterschiedlich großen subkutanen Gaben von Alt-Insulin zu unterschiedlichen Zeiten und oraler oder parenteraler Zufuhr von Glucose. Bei einem Patienten (Fall 1) wurde eine diskontinuierliche niedrig dosierte intramuskuläre Insulinapplikation (dreimal 20 E Alt-Insulin) vorgenommen. Flüssigkeitszu fuhr. Zu Behandlungsbeginn wurden 1,5 I physiologische Kochsalziösung in 60 Minuten, in Einzelfällen auch Comadiabeticum-Lösung Haussmann (hypotone NaCl/NaHCO3-Lösung) nach Rossier und Mitarbeitern (24) infundiert. Die weitere Flüssigkeitszufuhr betrug 500 bis 1000 mI/h je nach zentralem Venendruck. Bei Schockzuständen oder ausgeprägter arrerieller Hypotonie wurde Dextran (Rheomacrodex®) veràbreicht. Wenn die Blutzuckerwerte 11,1 bis 16,65 mmol/l erreicht hatten, wurde auf 5% ige Glucoselösung umgestellt. Kaizumsubstitution. Die intravenöse Kaliumsubstitution wurde mit Beginn der Irisulin-Infusionsbehandlung eingeleitet, wenn kein akutes Nierenversagen oder eine Hyperka!iämie stärkeren Ausmaßes vorlag. Als Richtschnur galten die in Tabelle 2 wiedergegebenen Werte (4). Natriumbicarbonatzu fuhr. Eine Korrektur der Acidose mit Natriumbicarbonat erfolgte erst bei einem pH unter 7,15.

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Kaliumsubstitution. Die in den ersten 24 Stunden benötigte Kaliummenge betrug 168 ± 22 mmol (n = 12). Alberti und Mitarbeiter (1) benötigten 165 ± 15 mmol. Bei einem Patienten (Fall 3) kam es bei normaler Kaliumausgangskonzentration im Serum während der Behandlung nach S Stunden zu einer Hypokaliämie, die auch 31 Stunden nach Behandlungsbeginn trotz Gabe von 210 mmol K noch nicht wieder ausgeglichen war. Bei einem anderen Patienten (Fall S) mußte, trotz deutlicher Hyperkaliämie bei der Aufnahme, Kalium in großen Mengen infundiert werden, um das Serumkalium im Normbereich zu halten. Bei einem weiteren Patienten (Fall 10) bestand bei der Aufnahme eine mäßiggradige Hypokaliämie, die im Verlauf der Behandlung auf den unteren Normbereich angehoben werden konnte. Der zeitliche Verlauf der Kaliumwerte ist in Abbildung 1 wiedergegeben. mmoI/

Tab. 2. Richtlinien für die intravenöse Ka!iumsubstitution Serum-Kalium (mmol/l)

Kaliumsubstitution in mmol bei einem Blut-pH unter 7,2

über 7,2

2,0-2,9

30-40

20-30

3,0-3,9

20-30

1525

4,0-4,9

15-20

10-15

5,0-5,9

10-15

10

O

O

Applikation

gleichmäßig in einer Infusion innerhalb 1 Stunde

Ergebnisse Insulinverbrauch. Abhängig von der Dauer der InsulinInfusion und vom Insulinbedarf zur Blutzuckerstabilisierung unter 11,1 mmol/I (2 g/l) unterliegen die in den ersten 24 Stunden verabreichten Insulinmengen großen Schwankungen. Der Mittelwert mit 98 ± 12 lE (5 ± s, n = 12) entspricht dem von Alberti und Mitarbeitern (1) angegebenen Wert. Flüssigkeitszu fuhr. Die im einzelnen in den ersten 24 Stunden substituierten Flüssigkeitsmengen können der Tabelle 4 entnommen werden. Im Mittel wurden bei zwölf Patienten 6,5 1/24 h benötigt. Ein Patient (Fall 7) starb 6 Stunden nach der stationären Aufnahme und ist bei den Angaben, die sich auf 24 Stunden beziehen, nicht berücksichtigt. Kriterien für die Geschwindigkeit der Zufuhr waren der klinische Aspekt, die Kreislaufverhältnisse mit dem zentralen Venendruck und die Urinproduktion. Die benötigte Flüssigkeitsmenge entspricht gut der von Alberti und Mitarbeitern (1) sowie von Semple und Mitarbeitern (26) ermittelten Menge.

o

6

12

18

24

h

Abb. 1. Kaliumkonzentration im Serum in den ersten 24 Stunden der stationären Behandlung bei 12 Patienten mit Coma und Praecorna diabeticum unter einer niedrig dosierten lnsulindauerinfusionsbehandlung (außer Fall 7).

Natrium bicarbonatverbrauch. Mit einer Ausnahme (Fall 8) erfolgte die Bicarbonatsubstitution nur bei einem pH unter 7,15. Im Mittel wurden bei den Patienten, die Natriumbicarbonat erhielten, 237 ± 55 mmol/24 h benötigt (n = 8). Blutzuckerverlauf. Die Blutzuckerwerte der einzelnen Patienten zeigen ab der Klinikaufnahme im Ausmaß unterschiedlich fallende Tendenz (Abbildung 2). Der

initiale Blutzuckerabfall (1) vor Beginn der Insulinbehandlung, während alleiniger Flüssigkeitszufuhr, wurde nicht getrennt erfaßt. Der mittlere Abfall in den ersten 4 Stunden der stationären Behandlung betrug 2,5 mmol/1 X h, entsprechend 0,45 g/l X h (bei Aufnahme 33,6 mmol/1, entsprechend 6,06 ± 0,58 g/l, nach 4 Stunden 23,6 mmol/l, entsprechend 4,26 ± 0,41 g/l, n= 12, ohne Fall 1, von dem entsprechende Meßwerte fehlen). Der mittlere Abfall während der ersten 4 Stunden der Insulin-Infusion (6 IE/h) betrug 3,55 mmol/l X h, entsprechend 0,64 g/l X h (n = 7). Dieser Wert kann nicht für alle Patienten angegeben werden, da nicht immer die notwendigen Bestimmungen durchgeführt wurden. Letalität. In den ersten 72 Stunden der stationären Behandlung starb eine Patientin (Fall 7). Der Tod trat

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1762

Abb. 2. Blutzuckerverlauf in den ersten 24 Stunden der stationären Behandlung bei 13 Patienten mit Coma und Praecoma diabeticum unter einer niedrig dosierten lnsulindauerinfusionsbehandlung.

knapp 6 Stunden nach der Aufnahme im Schock mit terminalem Atemstillstand und folgendem Kammerfiattern bei einer schiaffen Hemiparese links, peritonitischen Zeichen und tiefer Bewußtlosigkeit ein. Sektionsbefund (Pathologisches Institut der Universität Tübingen, Direktor: Prof. Dr. A. Bohle): zerebrale Erweichung, Koronararteriensklerose, akutes L.ungenödem, multiple anämische Niereninfarkte, älterer Milzinfarkt, Embolie in der Arteria mesenterica superior mit beginnender hämorrhagischer Infarzierung, diabetische Glomeruloskierose und chronische Pyelitis.

Diskussion Insulindosierung und Blut.zuckerverlauf. Bei unseren Patienten mit Coma diabeticum, bei denen die klinischchemischen Parameter weit streuten und ein unterschiedlicher Bedarf an Flüssigkeit, Elektrolyten, Natriumbicarbonat und Insulin bestand, wurde selbst bei ausgeprägter Acidose in allen Fällen ein ausreichender therapeutischer Effekt erzielt. Der stiindliche Blutzuckerabfall betrug 2,5 nimol/l X h (0,45 gIl X h) während der ersten 4 Stunden der stationären Behandlung. Dieser Wert liegt deutlich niedri-

1763

ger als die von den englischen Arbeitsgruppen (1, 13, 26) angegebenen Zahlen. Diese Diskrepanz erklärt sich zumindest zum Teil durch die unterschiedliche Berechnung. In unsere Angabe geht das nach stationärer Aufnahme verstrichene therapiefreie Intervall (im Mittel 65 Minuten) ein. Berechnet man den stündlichen Abfall des Blutzuckers für die ersten 4 Stunden der Insulinbehandlung, dann ergibt sich (bei sieben Patienten mit entsprechenden Messungen) ein Abfall von 3,55 mmol/l X h, entsprechend 0,64 g/l X h. Hypoglykämien sind bei dieser Behandlungsform nicht aufgetreten. Alberti und Mitarbeiter (1) sowie Page und Mitarbeiter (19) wiesen auf den verzögerten Blutzuckerabfall unter gleichen Insulindosen bei gleichzeitiger Infektion hin. Diese verminderte Insulinwirkung zeichnet sich auch bei unseren Kranken ab. Vergleicht man die Patienten ohne klinischen oder klinisch-chemischen Hinweis auf eine Infektion (Fall 2, 4, 5, 7, 8, 9, 10) mit solchen mit nachgewiesener Infektion (Fall 3, 6, 11, 12, 13), dann sind der Aufnahmeblutzucker bei bestehender Infektion niedriger (28,1 ± 4,5 mmol/l, entsprechend 5,06 ± 0,81 g/l, n = 5, gegen 37,6 ± 4,3 mmol/l, entsprechend 6,78 ± 0,77 gIl, n=7) und der stündliche Abfall des Blutzuckers geringer (1,8 mmol/l X h, entsprechend 0,32 g/l X h, gegen 3,0 mmol/l X h, entsprechend 0,54 g/l X h). Alberti und Mitarbeiter (1), Kidson und Mitarbeiter (13) sowie Page und Mitarbeiter (19) konnten keinen Einfluß einer vorangegangenen Insulinbehandlung auf die Schnelligkeit des Blutzuckerabfalls sichern. Bei den von uns untersuchten Patienten bestanden in den Blutzuckerausgangskonzentrationen keine Unterschiede (mit Insulinvorbehandlung 34,3 ± 6,9 mmoi/l, entsprechend 6,18 ± 1,24 g/l, n = 5, ohne Insulinvorbehandlung 33,1 ± 3,4 mmol/l, entsprechend 5,97 ± 0,61 gIl, n = 7). Ob aber die nicht mit Insulin vorbehandelten Patienten doch einen schnelleren Blutzuckerabf all zeigen, müßte, ebenso wie die Abhängigkeit des Blutzuckerabf ails unter Insulin vom Biutzuckerausgangswert, an einer größeren Zahl von Kranken geprüft werden. Die von uns nach 4 Stunden gemessenen Blutzuckerwerte (mit Insulinvorbehand-

Tab-. 3. Klinisch-chemische Daten bei der stationären Aufnahme Fa

Blutzucker [mmol/l] [gil]

Natrium [mmol/lJ

Kalium [mmol/l]

Harnstoff [mmol/l]

[g/l]

Kreatinin hamol/l] [mg/li

pH

pCO2 [mm Hg[

Bicarbonat [mmol/l]

pO5 [mm Hg]

1

16,21

2,92

141

4,6

8,99

0,54

238,7

27

7,12

30,0

11,1

95

2

30,25

5,45

130

4,5

9,16

0,55

159,1

18

7,14

22,4

10,4

86

3

18,59

3,35

133

4,3

2,66

0,16

141,4

16

6,93

21,1

4,3

91

4

45,51

8,20

138

4,1

20,81

1,25

603,0

15

7,24

30,9

14,7

92

S

42,40

7,64

128

6,2

20,81

1,25

327,1

37

6,92

35,1

6,9

89

6

23,87

4,30

138

3,6

17,48

1,05

123,8

14

7,44

23,4

19,5

74

7

25,75

4,64

146

4,7

33,30

2,00

309,4

35

7,43

39,7

21,9

61

8

57,17

10,30

116

4,6

26,97

1,62

362,5

41

7,30

21,0

14,2

78

9

34,41

6,20

150

4,7

22,98

1,38

132,6

15

7,42

31,9

22,0

80

10

27,64

4,98

124

3,2

6,83

0,41

185,6

21

7,18

21,0

11,2

94

11

23,31

4,20

129

3,8

4,00

0,24

97,2

11

6,71

18,9

2,3

108

12

44,40

8,00

139

4,1

27,97

1,68

318,3

36

7,14

21,7

10,4

76

13

31,64

5,70

129

3,3

7,33

0,44

274,1

31

7,00

18,3

4,3

115

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Luft u. a.: Niedrig dosierte insuhn-Infusionstherapie hei Coma und Praecoma diabeticum

Nr. 48, 26. November 1976. 101. Jg.

1764

Luft u.

a.

Niedrig dosierte lnsuitn-lnfusionsrherapie bei Coma und Praccoma diabericuni

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Tab. 4. Insulin-, Elektrolyt- und Wasserbedarf während der ersten 24 Stunden der Koma-Behandlung. Beginn der Behandlung ohne Insulinbolus mit kontinuierlicher Infusion, Infusionsdauer unterschiedlich lang. Die Insulingesamtmenge ergibt sich nicht durch Multiplikation der Infusionsmenge pro Stunde mit dem Meßzeitraum, da die Infusionsdauer unterschiedlich war und die Behandlung mit subkutanen Insulingaben weitergeführt wurde. Im Fall 1 erfolgte die Behandlung mit intramuskulärer Gabe von dreimal 20 lE Alt-Insulin.

min

1

Insulinbehandlung Dosis [lEib]

30

Kaliumsubstitution

Gesamtmenge nach

[mmol] Gesamtmenge nach

Bicarbonatgabe [mnsol] Gesamtmenge nach

Wasserzufuhr [ml] Gesamtmenge nach

24h

8h

16h

24h

8h

16h

24h

8h

16h

24h

40

60

60

200

200

200

440

440

440

4100

2

75

6

60

96

96

88

128

170

145

145

145

4380

3

180

6

40

48

80

120

140

210

375

500

500

9680

4

120

6,3

25

44

56

40

40

80

0

0

0

5700

5

60

6

60

96

132

160

240

240

80

80

80

5610

6

90

5,75

61

107

156

60

113

173

0

0

0

6280

7

30

6

33

33

33

0

0

0

0

0

0

6h

8

15

6

40

60

84

0

0

0

120

240

240

5300

nach Aufnahme gestorben

9

0

6

36

36

36

90

130

130

0

0

0

4950

10

150

6

48

108

164

70

120

140

0

0

0

7800

11

0

4

26

54

78

150

230

230

200

250

250

8230

12

0

6

48

96

96

110

133

173

125

125

125

6500

13

90

6

42

90

138

85

170

275

50

115

115

9450

lung 26,0 ± 3,8 mmol/l, entsprechend 4,68 ± 0,68 g/l, ohne Insutinvorbehandlung 21,4 ± 2,8 mmol/l, entsprechend 3,85 ± 0,5 g/l) lassen nur Vermutungen zu. Die gleichen Autoren wiesen darauf hin, daß eine ausgeprägte Ketoacidose den Effekt niedrig dosierter Insulintherapie nicht schmälert; auch hei unseren Patienten fand sich dafür kein Anhalt. Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Die zur Behandlung des Coma diabeticurn notwendige Flüssigkeitsmenge unterscheidet sich nicht von der für die hochdosierte Insulintherapie empfohlenen. Auch die notwendige Kaliummenge entspricht bekannten Angaben. Ob die von Soler und Mitarbeitern (29) festgestellte geringere Kaliumretention im Organismus während der Kornabehandlung mit kleinen Insulindosen einen Einfluß auf die Prognose hat, ist noch nicht klar. Die Plasmainsulinbestimmung hat bei der Dosisfindung für Insulin und bei der Wahl des optimalen Applikationsweges zu konkreten Empfehlungen geführt. Die subkutane Injektion im Rahmen der Initialbehandlung wird wegen der unüberschaubaren Resorptionsverhältnisse infolge Störung der Mikrozirkulation als nicht empfehlenswert angesehen. Es muß mit einer unterschiedlich starken und unterschiedlich langen Wirkung des Insulins, also mit schlechter Steuerbarkeit und damit größerer Hypoglykämiegefahr, gerechnet werden. Die intramuskuläre Injektion (1) hat geringere Depotwirkung, die Wirkzeit ist kürzer, die Steuerbarkeit besser. Die Methode der stündlichen intrarnuskulären Intervalltherapie ist einfach und bedarf keiner zusätzlichen Apparate, so daß sie als Initialbehandlung für den Hausarzt zusammen mit Flüssigkeitszufuhr (als physiologische Kochsalzlösung) empfohlen wird (29). Die intravenöse Insulindauerinfusion, schon seit langem (25) propagiert, scheint unter klinischen, kontrol-

herbaren Bedingungen das Optimum darzustellen. Die Halbwertzeit von intravenös kontinuierlich verabreichtern Insulin liegt bei 4-5 Minuten (28, 33), die Steuerbarkeit ist somit optimal, nach spätestens 25-30 Minuten ist das zugeführte Insulin verschwunden, es kommt zu keiner Depotbildung mit verzögerter Freisetzung, die Hypoglykämiegefahr ist sehr gering. Allerdings muß eine echte Dauerinfusion garantiert sein, da die diskontinuierliche intravenöse Injektion, zum Beispiel in stündlichen Intervallen, zu stark schwankenden Konzentrationen und hohen Spitzenwerten führt, die nicht nur unnötig, sondern möglicherweise auch durch Aktivierung der adrenalin-induzierten Lipolyse auch gefährlich sind (13). Die früher gegen die Infusion erhobenen Einwände (Adsorption des Insulins an die Glaswand, Zerstörung des Insulins während der Infusionszeit) konnten mittlerweile entkräftet werden (23, 32, 34). Ob sich die Häufigkeit der bei der Komabehandlung möglichen Komplikationen (Hypoglykämie, Hypokaliämie und Hirnödem) verringert und die Prognose des Corna diabeticum insgesamt bessert, muß im Rahmen einer kontrollierten Studie an einer größeren Anzahl von Patienten belegt werden. (I) Alberti, K. G. M. M.. T. D. R. Hockaday. R. C. Turner: Sinai! doses of ttr:: muscula r insu lin in the treatment of diabetic coma». Lancet 197.3/11, 515. Alberti, K. G. M. M., T. D. R. Hockaday, R. C. Turner: Answer to the letter of E. R. Froesch. Lancet

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Dr. D. Luft, Dr. W. R. Schubert, Dozent Dr. H. E. Reichenmiller Medizinische Universitätsklinik 7400 Tübingen, Otfried-Müller-Straße

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Nr. 48, 26. November 1976, lOI. Jg.

[Treatment of diabetic coma and precoma with continuous low-dose insulin infusions (author's transl)].

Luft u. a.: Niedrig dosierte Insulin.lnfusionstherapie bei Coma und Praecoma diabeticum Deutsche Medizinische Wochenschrift Dtsch. mcd. Wschr. 101 (...
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