Geriatrie

Einsatz direkter oraler Antikoagulanzien bei alten Patienten Frank Mickley, Grit Geigenmüller, Claudia Schinköthe

Was ist neu? ▶▶ Vor- und Nachteile der direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK): DOAK werden in fixer Dosierung appliziert; routinemäßige Laborkontrollen u. a. zur Dosisfindung sind im Gegensatz zu den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) entbehrlich. Es sind weniger Interaktionen mit anderen Arzneimitteln zu beachten. Die Rate insbesondere an intrakraniellen Blutungskomplikationen ist niedriger als bei den VKA. Zu beachten ist allerdings die Gefahr der Kumulation bei Niereninsuffizienz. ▶▶ Wirksamkeit und Sicherheit: Zulassungsstudien und große Registerdaten zeigten die Nichtunterlegenheit und teilweise Überlegenheit der DOAK gegenüber den VKA auch für ältere Patienten. ▶▶ Einsatz bei geriatrischen Patienten: Gerade im Hinblick auf die oft bei geriatrischen Patienten bestehende Multimedikation kommen die Vorteile bezüglich Interaktionspotenzial, Dosierschemata sowie Blutungskomplikationen zum Tragen. Besonderes Augenmerk ist auf die Nierenfunktion und die verlässliche Einnahme zu richten.

Aktueller Stand Bis vor wenigen Jahren standen für die orale Antikoagulation ausschließlich VKA zur Verfügung. Die Therapie mit dieser Substanzgruppe ist auch bei geriatrischen Patienten als prinzipiell sicher einzustufen [1]. Der Einsatz der VKA wird aber durch vielfältige Limitationen erschwert, u. a.: ▶▶ nicht vorhersehbares individuelles Ansprechen ▶▶ sehr schmaler therapeutischer Bereich ▶▶ notwendiges engmaschiges Gerinnungsmonitoring sowie ggf. Dosisanpassungen ▶▶ sehr großes Interaktionspotenzial mit anderen Arzneimitteln über Cytochrom-P450 und PGlykoprotein Besonders bei multimorbiden Patienten mit oftmals ausgedehnter Multimedikation ist dies ein ernst zu nehmendes Problemfeld. Eine optimale Gerinnungssituation („Time in Therapeutic Range“ 100 %) wurde mit VKA selbst in Zulassungsstudien nicht erreicht. Unter den potenziellen Nebenwirkungen sind naturgemäß die Blutungskomplikationen und hierbei insbesondere die intrazerebralen Blutungen am gefürchtetsten. Die Rate an schweren Blutungen unter VKA-Therapie liegt bei ca. 6 % jährlich [2]. Mit zunehmendem Alter steigt neben dem thromboembolischen Risiko auch das Blutungsrisiko an. Alle DOAK werden zu einem relevanten Anteil renal eliminiert (Dabigatran 80 %, Rivaroxaban 35 %, Apixaban 27 %, Edoxaban 50 %) [3]. Deshalb ist vor einer Antikoagulation eine hochgradige Niereninsuffizienz auszuschließen. Dabigatran ist bei einer Kreatinin-Clearance (CrCl) unter 30 ml / min

kontraindiziert; für den Bereich zwischen 30 und 50 ml / min liegen nur begrenzte klinische Erfahrungen vor (Dosisreduktion). Für die Faktor-XaHemmer gilt für den CrCl-Bereich zwischen 15– 50 ml / min eine Dosisreduktion. Somit sind regelmäßige Kontrollen der renalen Retentionsparameter / GFR unter der Therapie obligat, um Dosisanpassungen oder Wechsel des Antikoagulanz zu veranlassen und somit das Blutungsrisiko zu minimieren. Bisher noch fehlende Antidota für die DOAK werden in Kürze verfügbar sein und haben ihre Wirksamkeit in klinischen Studien demonstriert [5, 6]. Das Dabigatran-spezifische Antidot Idarucizumab wurde für die USA bereits zugelassen.

Vorteile der DOAK gegenüber VKA ▶▶ Dosierung: tägliche Einmal- (Rivaroxaban, Edo­

xaban) oder Zweimalgabe (Dabigatran, Apixa­ ban) in jeweils fixer Dosierung ▶▶ keine Kontrollen der Gerinnungsparameter in der klinischen Routine notwendig ▶▶ gute Steuerbarkeit durch schnellen Wirkungseintritt nach Applikation und schnelles Wirkende bei Absetzen (deutlich kürzere Halbwertszeit als bei den VKA) ▶▶ leichtere Neu-Einstellung (in der Einstellungsphase keine simultane Heparinisierung erforderlich) ▶▶ weniger schwere Blutungskomplikationen (insbesondere intrakraniell) ▶▶ deutlich weniger Arzneimittel- und Lebensmittelinteraktionen ▶▶ bei operativen oder interventionellen Eingriffen kein Bridging mit Heparin notwendig Ob DOAK einen Vorteil gegenüber den VKA im Hinblick auf das Problem der Arzneimitteladhärenz der Patienten aufweisen, kann nicht generell beantwortet werden. Zwar wirkt sich einerseits eine fixe Dosis günstig auf die Adhärenz aus. Andererseits sind aber die Auswirkungen auf die Gerinnungshemmung – z. B. bei einer vergessenen Einnahme – durch eine wesentlich kürzere Halbwertszeit als bei den VKA deutlich größer [4].

Nachteile der DOAK gegenüber VKA ▶▶ Kumulation bei Niereninsuffizienz aufgrund

des relevanten Anteils des renalen Ausscheidungsweges ▶▶ höhere Behandlungskosten

Mickley F, Geigenmüller G, Schinköthe C. Direkte orale ...  Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1810–1812

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Geriatrie

Blutungen unter den meisten DOAK in der jeweils höheren Dosierung ▶▶ bei Patienten mit künstlichen Herzklappen nicht empfohlen bzw. kontraindiziert (unter Dabigatran höhere thromboembolische und hämorrhagische Komplikationen) [7] ▶▶ lediglich begrenzte Datenlage für Patienten mit gleichzeitigem akuten Koronarsyndrom oder koronarer Stentimplantation (erforderliche Triple-Therapie aus doppelter Thrombozytenaggregationshemmung und plasmatischer Gerinnungshemmung) ▶▶ bisher kein Antidot verfügbar

Klinische Relevanz Bei niereninsuffizienten Patienten sind Kontrollen der Nierenfunktion vor Einstellung auf ein DOAK, bei akuten Erkrankungen und regelmäßig in Abhängigkeit vom CKD-Stadium (eGFR) erforderlich.

Wirksamkeit und Sicherheit Zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern (VHF) sind Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban zugelassen, nachdem sie in den großen Zulassungsstudien ihre gleiche oder teilweise überlegene Wirksamkeit im Vergleich zu Warfarin belegt haben [8–10]. Ferner sind sie neben der Primärprävention von venösen thromboembolischen Ereignissen nach elektivem chirurgischen Hüft- oder Kniegelenksersatz (nicht Edoxaban) auch für die Behandlung tiefer Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) sowie zur Prävention von rezidivierenden TVT und LE bei Erwachsenen zugelassen. Die Zulassungs- und Folgestudien haben auch bei diesen Indikationen gezeigt, dass die DOAK nicht unterlegen sind und das Risiko für schwere Blutungen reduziert ist [11, 12]. Eine Metaanalyse mit über 71 000 Patienten mit Vorhofflimmern zeigte: DOAK (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban) reduzieren die Rate an Schlaganfall und systemischer Embolie signifikant um 19 % im Vergleich zu Warfarin [13]. Besonders eindrucksvoll war die Senkung der gefürchteten intrakraniellen Blutung um 51 % (hochsignifikant) sowie der Gesamtsterblichkeit um 10 % im Vergleich zur Therapie mit VKA. Allerdings traten gastrointestinale Blutungen um 25 % häufiger unter den DOAK auf [13]. Intrazerebrale Blutungen scheinen unter Rivaroxaban im Vergleich zu solchen unter Warfarin ein kleineres Volumen mit weniger Expansionsgefahr sowie einen besseren funktionellen Status aufzuweisen [14]. In einer Studie wurde bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) Apixaban mit ASS verglichen. Neben der überlegenen Wirkung von Apixaban wur-

den keine Unterschiede bei den Blutungskomplikationen in beiden Studienarmen gefunden [15].

Klinische Relevanz Insbesondere vor dem Hintergrund ihrer niedrigeren intrakraniellen Blutungskomplikationen im Vergleich zu den VKA sind die DOAK eine Alternative in der oralen Antikoagulation.

Einsatz bei geriatrischen Patienten Für ältere Patienten existiert inzwischen auch eine gute Datenlage für Wirksamkeit und Sicherheit der DOAK. So konnten Subgruppenanalysen der Zulassungsstudie für Apixaban (ARISTOTLE) im Vergleich zu Warfarin zeigen, dass die jährlichen embolischen Komplikationen von VHF ebenfalls für Patienten ≥ 75 Jahre reduziert werden (HR 0,71). Auch in dieser Altersgruppe waren weniger Blutungen als unter Warfarin zu beobachten (alle Blutungen: HR 0,71; schwere Blutungen HR 0,64). Bestimmt man aus den beiden Endpunkten Schlaganfallrate und Blutungsrate den klinischen Nettonutzen, so profitierten die älteren Patienten ebenfalls von einer Behandlung mit Apixaban (HR 0,82) [16]. Eikelboom et al. untersuchten innerhalb der Zulassungsstudie für Dabigatran (RE-LY) den Einfluss von Patientenalter und Art der Antikoagulation auf das Auftreten intrakranieller Blutungskomplikationen: Sie konstatierten, dass auch im hohen Lebensalter die Komplikationsrate unter Dabigatran im Vergleich zu Warfarin niedriger war [17]. Halperin et al. konnten zeigen, dass Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban im Vergleich zu Warfarin in allen Altersgruppen nachweisbar waren [18]. Für Patienten mit TVT konnte anhand der Daten der EINSTEIN DVT-Studie demonstriert werden, dass insbesondere fragile Patienten (> 75 Jahre oder Körpergewicht ≤ 50 kg oder Kreatinin-Clearance  70 %) ▶▶ schwerer oder instabiler Niereninsuffizienz ▶▶ schweren Leberfunktionsstörungen mit Koagulopathie und einem klinisch relevanten Blutungsrisiko, Leberzirrhose Child Pugh B und C, erhöhten Leberenzymen (> 2-fach der oberen Normgrenze) ▶▶ notwendiger Komedikation mit Thrombozytenaggregationshemmern / Triple-Therapie (nach akutem Koronarsyndrom / koronarer Stentimplantation) ▶▶ Patienten mit mechanischen Herzklappen

Klinische Relevanz Spezifische Probleme bei älteren Patienten sind nicht abschließend gelöst, z. B. die Frage der Adhärenz / Einnahme bei allein lebenden Personen mit kognitiven Defiziten oder Visusproblemen oder die Verfügbarkeit geeigneter Assessments zur Abschätzung von Therapiesicherheit und –risiken. Daher sind weitere Studien für diese Patientengruppe insbesondere für das Blutungsrisiko erforderlich und wünschenswert [21]. Bei geriatrischen Patienten ist insbesondere die chronische oder instabile Niereninsuffizienz zu beachten, um Blutungskomplikationen zu vermeiden. Klinische und laborchemische Kontrollen sind obligat.

Literatur 1 Mickley F, Hofmann J, Hobohm M. Orale Antikoagulation bei Vorhofflimmern im Alter – nur Risiko oder auch Nutzen? Europ J Ger 2010; 12: 107–114 2 Beyer-Westendorf J. Blutungen unter oraler Antikoagulation. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 2491–2493 3 Heidbuchel H, Verhamme P, Alings M et al. European Heart Rhythm Association Practical Guide on the use of new oral anticoagulants in

patients with non-valvular atrial fibrillation. Europace 2013; 15: 625–651 4 Berthold HK. Neue orale Antikoagulanzien: Wer braucht sie wirklich? Internist 2014; 55: 93–101 5 Crowther M, Crowther MA. Antidotes for novel oral anticoagulants. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2015; 35: 1736–1745 6 Pollack CV, Reilly PA, Eikelboom J et al. Idarucizumab for dabigatran reversal. N Engl J Med. 2015; 373: 511–520 7 Eikelboom JW, Connolly SJ, Brueckmann M et al. RE-ALIGN Investigators. Dabigatran versus warfarin in patients with mechanical heart valves. N Engl J Med 2013; 369: 1206–1214 8 Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S et al. Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2009; 361: 1139–1151 9 Patel MR, Mahaffey KW, Garg J et al. Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 883–891 10 Granger CB, Alexander JH, McMurray JJ et al. Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 981–992 11 van Es N, Coppens M, Schulman S et al. Direct oral anticoagulants compared with vitamin K antagonists for acute venous thromboembolism: evidence from phase 3 trials. Blood 2014; 124: 1968–1975 12 Hillis CM, Crowther MA. Acute phase treatment of VTE: Anticoagulation, including non-vitamin K antagonist oral anticoagulants. Thromb Haemost 2015; 113: 1193–1202 13 Ruff CT, Giugliano RP, Braunwald E et al. Comparison of the efficacy and safety of new oral anticoagulants with warfarin in patients with atrial fibrillation: a meta-analysis of randomised trials. Lancet 2014; 383: 955–962 14 Hagii J, Tomita H, Metoki N et al. Characteristics of intracerebral hemorrhage during rivaroxaban treatment: comparison with those during warfarin. Stroke 2014; 45: 2805–2807 15 Connolly SJ, Eikelboom J, Joyner C et al. Apixaban in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 364: 806–817 16 Halvorsen S, Atar D, Yang H et al. Efficacy and safety of apixaban compared with warfarin according to age for stroke prevention in atrial fibrillation: observations from the ARISTOTLE trial. Eur Heart J 2014; 35: 1864–1872 17 Eikelboom JW, Wallentin L, Connolly SJ et al. Risk of bleeding with 2 doses of dabigatran compared with warfarin in older and younger patients with atrial fibrillation: an analysis of the randomized evaluation of long-term anticoagulant therapy (RE-LY) trial. Circulation 2011; 123: 2363–2372 18 Halperin JL, Hankey GJ, Wojdyla DM et al. Efficacy and safety of rivaroxaban compared with warfarin among elderly patients with nonvalvular atrial fibrillation in the rivaroxaban once daily, oral, direct factor Xa inhibition compared with vitamin K antagonism for prevention of stroke and embolism trial in atrial fibrillation (ROCKET AF). Circulation 2014; 130: 138–146 19 The EINSTEIN Investigators. Oral rivaroxaban for symptomatic venous thromboembolism. N Engl J Med 2010; 363: 2499–2510 20 Verhamme P, Lensing AWA, Jacobson B et al. The risk of recurrent venous thromboembolism and major bleeding in fragile patients with deep vein thrombosis. J Thromb Haemost 2011; Suppl 2: Abstract P-TH-282 21 Sharma M, Cornelius VR, Patel JP et al. Efficacy and harms of direct oral anticoagulants in the elderly for stroke prevention in atrial fibrillation and secondary prevention of venous thromboembolism. Circulation 2015; 132:194–204

Mickley F, Geigenmüller G, Schinköthe C. Direkte orale ...  Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1810–1812

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[Use of direct oral anticoagulants in the elderly].

Equal safety and efficacy of direct oral anticoagulants as compared to vitamin K antagonists have been shown in elderly and very old patients. The use...
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