348 Thoraxchirurgie 26 (1978) 348-352 © Georg Thieme Verlag Stuttgart Überwachung der Myokardfunktion nach offenen Herzoperationen durch Messung des diastolischen und systolischen Druck-Zeit-Index Monitoring Myocardial Performance after Open Heart Surgery by Calculation of Diastolic and Systolic Pressure Time Index W. Seybold-Epting, G. Fenchel, R. Stunkat, H. Seboldt, H.-E. Hoffmeister Abteilung für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Tübingen (Direktor: Dr. med. H.-E. Hoffmeister)

Summary In order to determine the incidence of subendocardial ischemia after open heart surgery, subendocardial blood flow was monitored in 171 patients subjected to mitral and/or aortic valve replacement or coronary revas cularization by on-line calculation of Diastolic (DPTI) and Systolic Pressure Time Index (TTI). Body hypothermia with an esophageal temperature of 25 C and magnesium-aspartate-procaine cardioplegia were applied for myocardial protection. Ten patients developed low cardiac output state with two early deaths. In the two patients with fatal low cardiac output DPTI/ TTI remained below 0.8. In the remaining 8 patients DPTI/TTI rose to 1.4 after a mean recovery time of 36 hours. In 161 patients (94 %) no low cardiac output state evolved and DPTI/TTI rose to 1.3 within 60 min. after termination of cardiopulmonary bygass. Our results indicate that body hypothermia of 25 C combined with magnesium-aspartate-procaine cardioplegia can reduce the incidence of subendocardial ischemia, but does not prevent this complication completely after anoxic times beyond 60-70 minutes.

Key-Words: Subendocardial ischemia - Diastolic pressure time index - Systolic pressure time index - Low cardiac output - Magnesium-aspartate-procaine cardioplegia Die Ursache der myokardialen Insuffizienz nach Eingriffen am offenen Herzen ist die subendokardiale Myokardischämie und Nekrose. Sie wird vor allem nach langen Aortenabklemmzeiten beobachtet und hat ihre Ursache in einem Mißverhältnis von O2 -Angebot und Bedarf der Herzinnenschichten(2, 5, 6, 8,9). Buckberg und Mitarb. konnten tierexperimentell nachweisen, daß dieses subendokardiale O2Mißverhältnis durch Bestimmung des Quotienten aus diastolischem (DPTI) und systolischem Druck-Zeit-Index (TTI) nachgewiesen werden kann (3,12). Der diastolische Druck-Zeit-Index wird als Produkt von diastolischem Mitteldruck minus

dem linken Vorhofdruck multipliziert mit der Diastolendauer berechnet (Abb. 1). Da der subendokardiale Koronarfluß zu über 80 % auf die Diastole beschränkt ist, kann DPTI als Äquivalent für das myokardiale O2 -Angebot angesehen werden. Der systolische Druck-Zeit-Index ist das Flächenintegral unter dem systolischen Abschnitt der Druckkurve und entspricht nach Sarnoff dem myokardialen O2 -Bedarf (10). Die subendokardiale O2 -Bilanz gibt der Quotient DPTI/TTI wieder. Er fällt bei myogener Insuffizienz infolge subendokardialer Ischämie unter 0,7 (3, 12). Damit kann aus hämodynamischen Parametern mit Hilfe eines entsprechend

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Zusammenfassung Um die Häufigkeit einer subendokardialen Ischämie nach Eingriffen am offenen Herzen zu bestimmen, wurde bei 171 Patienten nach Klappenersatz oder Revaskularisation der subendokardiale Koronarfluß durch Bestimmung des diastolischen (DPTI) und systolischen Druck-Zeit-Index (TTI) überwacht. Zum Myokardschutz wurden Körperhypothermie mit einer Ösophagustemperatur von 25 C und Injektionskardioplegie nach Kirsch angewandt. Zwei Patienten verstarben im kardiogenen Schock. DPTI/TTI blieb bei diesen Patienten unter 0,8. Bei weiteren acht Patienten mit leichtem low cardiac output stieg DPTI/TTI nach einer durchschnittlichen Erholungszeit von 36 Stunden auf 1,4. Bei 161 Patienten (94 %) konnte ausreichende Myokardfunktion durch ein Ansteigen von DPTI/TTI auf 1,3 innerhalb 60 min. nach extrakorporaler Zirkulation nachgewiesen werden. Unsere Ergebnisse zeigen, daß die MagnesiumAspartat-Procain Kardioplegie, kombiniert mit Hypothermie von 25 C, die Häufigkeit einer postoperativen subendokardialen Ischämie erheblich reduziert, bei Aortenabklemmzeiten jenseits 60-70 min. nicht absolut sicher vermeiden kann.

DPTI = (mittlerer diastolischer- li.Vorhof-Druck) × t d = O2-Angebot TTI

= mittlerer systolischer Druck x t s

= O2Bedarf

DPTI/TTI < 0.7  myogene Insuffizienz bei subendocardialer Ischämie

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Abb. 1 Berechnung der myokardialen 02-Bilanz aus diastolischen und systolischen Druck-Zeit-Index Fig. 1 Drawing illustrating myocardial O2-supply-demand relationship calculated from diastolic (DPTI) and systolic pressure time index (TTI)

programmierten Rechners* liber die arterielle Drucklinie eine subendokardiale Ischämie nach extrakorporaler Zirkulation aufgedeckt werden (9).

genen Schock, einmal nach Resektion eines Ventrikelaneurysmas mit doppeltem aortokoronarem Bypass, und einmal nach Doppelklappenersatz.

Die Häufigkeit einer postoperativen subendokardialen Ischämie mit low cardiac output ist unter anderem von der Qualität des intraoperativen Myokardschutzes abhängig. Da kardioplegische Verfahren in der Klinik bisher meist nur an der Operationsletalität beurteilt wurden, haben wir versucht, mit der geschilderten Methode der Herzüberwachung die Wirksamkeit der Injektionskardioplegie nach Kirsch zu überprüfen.

Die myokardiale Insuffizienz dieser 10 Patienten hatte folgende Korrelate zu DPTI/TTI (Abb.2): Bei den zwei Patienten mit tödlichem low cardiac output blieb DPTI/TTI unter 0,8 und fiel schließlich progredient ab. Bei den acht Patienten mit leichtem low cardiac output und einem Dopaminbedarf von durchschnittlich 0,3 mg/min. stieg DPTI/TTI deutlich verzögert über 1 und erreichte erst nach einer mittleren Erholungszeit von 36 Stunden einen Wert um 1,4.

Krankengut Die Untersuchungsgruppe umfaßte 171 Patienten (Tabelle 1): 48 Mitral-, 58 Aorten- und 14 Doppelklappenvitien im Stadium III oder IV sowie 51 Patienten mit koronarer Mehrfach-Gefäßerkrankung. Die Eingriffe erfolgten in tiefer Körperhypothermie bei einer Ösophagustemperatur von 25 C und induziertem Herzstillstand mit gekühltem Cardioplegin (4 ml/kg Körpergewicht). Vor Abgehen von der Herz-Lungen-Maschine wurden die Herzen etwa 20 min. reperfundiert.

Ergebnisse Die klinischen Ergebnisse sind Tabelle 2 zu entnehmen. Eine leichte myokardiale Insuffizienz nahmen wir bei einem Dopaminbedarf unter 1 mg/min. an. Sie trat bei 8 Patienten auf, vorwiegend dann, wenn die Aortenabklemmzeit 60 min. überschritt. 2 Patienten verstarben im irreversiblen kardio*

Datascope EVR Computer

Bedenkt man, daß TTI bei adrenerger Stimulation den tatsächlichen O2 -Bedarf des Myokards um etwa 20—30 % unterschätzt (4), so muß der tatsächliche Kurvenverlauf noch niedriger angesetzt werden, d.h. bei diesen Patienten war sicher eine temporäre Myokardischämie anzunehmen. Bei allen anderen Patienten stieg DPTI/TTI innerhalb von 30 min. nach extrakorporaler Zirkulation über 1. Damit konnte bei 94 % der Patienten eine ausreichende Myokardfunktion ohne pharmakologische Unterstützung nachgewiesen werden. Wir verglichen bei den komplikationslos verlaufenen Operationen die präoperativen mit den postoperativen Quotienten DPTI/TTI.

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Überwachung der Myokardfunktion nach offenen Herzoperationen

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w. Seybold-Epting, G. Fenchel, R. Stunkat, H. Seboldt, H.-E. Hoffmeister

Tabelle 1 Klinische Daten über 171 Patienten mit Klappenvitien oder koronarer Herzkrankheit Table 1 Clinical data of 171 patients with valvular disease or coronary heart disease n

II

NYHA III

IV

CI

LVEDP

MV AV DKV

48 58 14

-

32 34 6

16 24 8

2,2 2,4

16 ± 6 19 ± 9 17 ± 8

KHE

51

40

11

-

8± 5

MV Mitralvitium, AV Aortenvitium, DKV Doppelklappenvitium, KHE koronare Herzkrankheit, CI Herzindex, 1/min/m2, LVEDP enddiastolischer Druck des linken Ventrikels mmHg. Tabelle 2 Klinische Ergebnisse bei 171 Patienten nach Klappenersatz oder Revaskularisation Table 2 Clinical results after valve replacement or coronary revascularization in 171 patients low cardiac output schwer leicht

n

Anoxie Zeit

MKE AKE

48 58

32 ± 8 43 ± 10

DKE

14

61 ±

7

ACB x2* x3 x4

35 14 2

33 ± 43 ± 42

8 8

t

4 2

2 3

2

2

1

1*

1*

-

-

Ursache Koronarembolie, Hirnblutung Kammerflimmern, Nierenversagen x2 Zerebr. Luftembolie low cardiac output Hinterwandinfarkt

MKE Mitralklappenersatz, AKE Aortenklappenersatz, DKE Doppelklappenersatz, ACB aortocoronarer bypass *zusätzliche Resektion eines Ventrikelaneurysmas bei 5 Patienten

Dabei zeigte sich, daß die myokardiale O2-Bilanz vor allem bei den Aorten- und Doppelklappenvitien erheblich verbessert wurde. DPTI/ TTI betrug präoperativ bei den Aorten- und Doppelklappenvitien 0,68 ± 0,2 bzw. 0,53 ± 0,1 und stieg postoperativ auf 1,43 ± 0,3 bzw. 1,40 ± 0,28. Eine signifikante Änderung von DPTI/TTI war nach den Koronareingriffen nicht nachzuweisen. Diskussion Den myokardialen O2 -Bedarf unter klinischen Bedingungen durch hämodynamische Parameter auszudrücken, ist problematisch. Die von Bretschneider angegebene Formel (1) setzt sich aus fünf additiven Gliedern zusam-

men und stellt für Laborzwecke sicherlich ein exaktes Äquivalent dar. Sie enthält jedoch Parameter (dp/dt max, d2 p/dt 2 max), die in der Klinik vor allem nach Aorten- und Doppelklappenersatz nicht kontinuierlich gemessen werden können. Der von Sarnoff eingeführte „Tension Time Index" gibt mit hinreichender Genauigkeit den myokardialen O2 -Bedarf wieder (2,10). Wegen seiner einfachen Bestimmbarkeit kann er daher vor allem für Verlaufsbeobachtungen am gleichen Individuum angewandt werden. Voraussetzung für eine exakte Wiedergabe des myokardialen O2 -Angebotes durch DPTI ist ein unbehinderter Koronarfluß. Bei Klappenvitien ohne koronare Herzerkrankung ist diese

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± 0,4 ± 0,6 2,1 ± 0,5 E F > 1mg/min.

•MKE □AKE ×DKE OACB

LCOS =low cardiac output Syndrom

Abb.2 Verlauf von DPTI/TTI nach Herz-LungenMaschine bei normaler Myokardfunktion, leichtem low cardiac output und schwerem low cardiac output Fig. 2 DPTI/TTI after cardiopulmonary bypass with sufficient myocardial performance, temporary low cardiac output (n = 8, Dopamine 0.3 mg/min in the average), and fatal low cardiac output (n = 2, Dopamine > 1 mg/min.)

Abb. 3 DPTI/TTI vor und nach Klappenersatz bzw. aortokoronarem Bypass bei unkompliziertem postoperativem Verlauf. Fig. 3 DPTI/TTI before and after cardiopulmonary bypass: Significant improvement of myocardial O2balance after aortic and double valve replacement. No significant change of DPTI/TTI after aorto-coronary bypass

Bedingung gegeben. Bei Koronarsklerose ist der poststenotische Koronardruck nicht abschätzbar, so daß in diesen Fällen DPTI keinen präzisen Wert für das myokardiale O2 -Angebot darstellt. Nach Revaskularisation, die so vollständig wie möglich vorgenommen wird, sollte DPTI jedoch mit großer Verläßlichkeit angewandt werden können.

sein. Bei den 171 Patienten unserer Untersuchungsgruppe entwickelte sich zweimal ein tödliches low cardiac output-Syndrom und achtmal eine passagere myogene Insuffizienz. Eine ausreichende postoperative Myokardfunktion konnte klinisch und durch die Messungen von DPTI/TTI bei 94 % der Patienten nachgewiesen werden. Offensichtlich kann die Injektionskardioplegie nach Kirsch kombiniert mit Hypothermie die Häufigkeit der subendokardialen Ischämie zwar erheblich reduzieren, aber besonders nach Abklemmzeiten über 60-70 Minuten nicht sicher vermeiden.

Messungen von TTI und DPTI nach Beseitigung von Aorten- und Mitralvitien haben gezeigt, daß die Reduktion von TTI bei der Aortenstenose, die Vergrößerung von DPTI bei der Aorteninsuffizienz und die Kombination von beidem bei den Doppelklappen- und kombinierten Vitien eine Verbesserung der myokardialenO2-Bilanz herbeiführen (7,11). Kommt es trotz Verbesserung der Klappendynamik oder Revaskularisation vorher ischämischer Myokardbezirke zu einer myokardialen Insuffizienz, so muß diese Ausdruck einer intraoperativ aufgetretenen Myokardschädigung

Literatur 1 Bretschneider,H.J.,L.A. Gott, J. Hensel, D. Kettler, J. Martel: Ein neuer komplexer hämodynamischer Parameter aus 5 additiven Gliedern zur Bestimmung des O2-Bedarfs des linken Ventrikels. Pflügers Arch. 319 (1970) 14 2 Buckberg G.D.: Left Ventricular Subendocardial Necrosis. Ann. Thorac. Surg. 24 (1977) 379

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3 Buckberg, G.D., D.E. Fixier, J.P. Archie, U.E. Hoffman: Experimental Subendocardial Ischemia in Dogs with Normal Coronary Arteries. Circ. Res. 30 (1972) 67 4 Buckberg, G.D., G. Ross: Effects of Isoprenaline on Coronary Blood Flow, its Distribution and Myocardial Performance. Cardiovasc. Res. 7 (1973) 429 5 Buckberg, G.D., B. Towers, D.E. Paglia, D.G. Mulder, S. V. Moloney: Subendocardial Ischemia after Cardiopulmonary Bypass. J. Thorac. Cardiovasc. Surg. 64 (1972) 669 6 Colapinto, N.D., M.D. Silver: Prosthetic heart Valve Replacement: Causes of Early Postoperative Death. J. Thorac. Cardiovasc. Surg. 61 (1971) 938 7 Krovetz, L.J., S.P. Kurlinski: Subendocardial Blood Flow in Children with Congenital Aortic Stenosis. Circulation 54 (1976) 961 8 Moloney, J. V. jr., R.L. Nelson: Myocardial Preservation During Cardiopulmonary Bypass: An Overview. J. Thorac. Cardiovasc. Surg. 70 (1975) 1040

9 Philips, P.A., A. T. Marty, A.M. Miyamoto: A Clinical Method for Detecting Subendocardial Ischemia after Cardiopulmonary Bypass. J. Thorac. Cardiovasc. Surg. 69 (1975) 30 10 Sarnoff, S.J. E. Braunwald, G.H. Welch jr., R.B. Case, W.N. Stainsby, R. Macruz: Hemodynamic Determinants of Oxygen Consumption of the Heart with Special Reference to the Tension Time Index. Am. J. Physiol. 192 (1958) 148 11 Seybold-Epting W., G. Fenchel, R. Stunkat, H.-E. Hoffmeister: Estimation of Adequate Subendocardial Blood Flow by Online Computation of Systolic and Diastolic Pressure Time Index after Cardiopulmonary Bypass: J. Cardiovasc. Surg. (Torino) (1978) in press 12 Vincent, W.R., G.D. Buckberg, S.I.E. Hoffman: Left Ventricular Subendocardial Ischemia in Severe Valvar and Supravalvar Aortic Stenosis: A Common Mechanism. Circulation 49 (1974) 326

Dr. W. Seybold-Epting, Abteilung f. Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Chirurgische Universitäts-Klinik, Calwer Str. 7, 7400 Tübingen

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352 w. Seybold-Epting, G. Fenchel, R. Stunkat, H. Seboldt, H.-E. Hoffmeister

[Monitoring myocardial performance after open heart surgery by calculation of diastolic and systolic pressure time index (author's transl)].

348 Thoraxchirurgie 26 (1978) 348-352 © Georg Thieme Verlag Stuttgart Überwachung der Myokardfunktion nach offenen Herzoperationen durch Messung des d...
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